Saxagliptin
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 32
, Nummer 1, PK720
Redaktionsschluss: 19. August 2010
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2010.720 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Saxagliptin
Saxagliptin (Onglyza®) wird – als Monotherapie oder in Kombination mit anderen Antidiabetika – zur Behandlung des Typ-2-Diabetes empfohlen.
Chemie/Pharmakologie
Saxagliptin ist das dritte «Gliptin», das in der Schweiz zugelassen wurde. Gliptine sind selektive Hemmer der Dipep- tidylpeptidase-4 (DPP-4). DPP-4 ist für den Abbau der «Inkretine» verantwortlich. Inkretine werden in endokrinen Darmzellen gebildet; die wichtigsten sind das Glukagon-ähnliche Peptid Typ 1 (GLP-1) und das Glukose-abhängige insulinotrope Polypeptid (GIP). Diese Peptide werden nach Nahrungsaufnahme vermehrt sezerniert, was zur Stimulierung der Insulinausschüttung sowie zur Hemmung der Glukagon-Produktion führt. Wie die schon früher eingeführten Sitagliptin (Januvia®, Xelevia®)(1) und Vildagliptin (Galvus®)(2) bewirkt Saxagliptin gemäss diesem Mechanismus eine antidiabetische Wirkung. Zu beachten ist, dass DPP-4 nicht nur den Abbau der Inkretine katalysiert, sondern auch denjenigen von Zytokinen und anderen Peptiden.(3)
Pharmakokinetik
Nach oraler Aufnahme wird Saxagliptin rasch resorbiert: nach 2 Stunden sind maximale Plasmaspiegel erreicht. Die orale Bioverfügbarkeit beträgt ungefähr 70%. (3) Saxagliptin wird via CYP3A4 und CYP3A5 in eine aktive Verbindung, 5-Hydroxysaxagliptin (M2), sowie in weitere, weniger bedeutsame Metaboliten umgewandelt. M2 hat etwa die Hälfte der pharmakologischen Aktivität von Saxagliptin. (3,4) Die Plasmahalbwertszeit von Saxagliptin beträgt rund 2½ Stunden, diejenige von M2 etwa 3 Stunden. Saxagliptin wird vorwiegend renal ausgeschieden: etwa 70% einer Dosis findet sich in Form der Muttersubstanz oder von M2 im Urin. Entsprechend ist die Kinetik bei reduzierter Leberfunktion kaum verändert; bei Niereninsuffizienz (Kreatininclearance unter 50 ml/min) ist dagegen mit einer signifikanten Verzögerung der Ausscheidung zu rechnen.
Klinische Studien
Zur Wirksamkeit und Verträglichkeit von Saxagliptin liegen sechs publizierte Studien vor, in denen die neue Substanz als Monotherapie oder als Zusatztherapie getestet wurde. Auswirkungen auf die Morbidität und die Mortalität wurden in diesen Studien nicht untersucht. Bisher liegen auch keine Vergleiche mit anderen Gliptinen vor.
Saxagliptin-Monotherapie
In einer Doppelblindstudie erhielten Personen mit einem Typ-2-Diabetes und HbA1c-Werten zwischen 6,8 und 9,7% Saxagliptin in verschiedenen Dosierungen oder Placebo. Keine anderen Antidiabetika waren erlaubt. In der Kohorte, die «niedrige» Tagesdosen (zwischen 2,5 und 40 mg/Tag) erhielt, konnten 282 Personen während 12 Wochen behandelt werden. Die Placebobehandlung ergab eine HbA1c-Senkung um 0,27%; signifikant mehr liess sich in allen Dosisgruppen mit Saxagliptin erreichen (HbA1c-Senkung um 0,7 bis 0,9%). Eine Tagesdosis von 5 mg Saxagliptin erbrachte das beste Resultat. Unter dieser Dosis hatten 47%, in der Placebogruppe aber nur 20% der Behandelten einen HbA1c-Wert von weniger als 7%.(5) In einer kleinen Hochdosis-Kohorte lagen die HbA1c-Werte nach 6 Wochen mit Placebo um 0,36%, mit Saxagliptin (100 mg/Tag) um 1,09% niedriger als initial.(5)
Eine zweite Doppelblindstudie, in der 265 Personen mit HBA1c-Werten zwischen 7 und 10% bis zum Studienende behandelt werden konnten, dauerte 24 Wochen. Drei Saxagliptin-Dosisgruppen (2,5 oder 5 oder 10 mg/Tag) und eine Placebogruppe wurden verglichen. Während unter Placebo der durchschnittliche HbA1c-Wert leicht anstieg (+0,19%), nahm dieser Wert unter Saxagliptin um 0,43 bis 0,54% ab. 35 bis 41% der aktiv Behandelten hatten schliess-lich ein HbA1c unter 7%. Auch die Blutzuckerwerte (nüchtern und 2 Stunden postprandial) waren unter Saxagliptin signifikant niedriger als unter Placebo.(6)
Saxagliptin in Kombination mit Metformin
Bei 991 Personen mit HbA1c-Werten zwischen 8 und 12%, die vorher nicht behandelt worden waren, wurden Metformin (Glucophage® u.a., 500 bis 2000 mg/Tag) allein, Saxagliptin allein (10 mg/Tag) und die Kombination der beiden Medikamente während 24 Wochen doppelblind verglichen. Falls keine adäquate Blutzuckerkontrolle erreicht wurde, konnte zusätzlich Pioglitazon (Actos®) gegeben werden. Mit der Metformin-Saxagliptin-Kombination liess sich das beste Resultat erreichen (mittlere HbA1c-Senkung um 2,5% gegenüber dem Ausgangswert), wobei in Kombination 5 mg Saxagliptin ebenso wirksam war wie 10 mg. Metformin allein ergab im Durchschnitt eine HbA1c-Senkung um 2,0%. Auch die Nüchtern- und Postprandial-Blutzuckerwerte wurden von der Kombination signifikant günstiger beeinflusst als von den Monotherapien.(7)
In einer Doppelblindstudie, in die 743 Diabeteskranke unter einer stabilen Metformindosis (1500 bis 2550 mg/Tag) aufgenommen wurden, wurde während 24 Wochen zusätzlich Saxagliptin oder Placebo verabreicht. Auch hier war bei ungenügender Wirkung die Verabreichung von Pioglitazon erlaubt. Der beste Effekt ergab sich mit der 5-mg- Tagesdosis von Saxagliptin: eine HbA1c-Senkung um durchschnittlich 0,69%. Dank der Metformin-Saxagliptin- Kombination erreichten etwa 40% der Behandelten HbA1c-Werte unter 7%.(8)
Kombination mit anderen oralen Antidiabetika
Eine 24-wöchige Doppelblindstudie diente dem Vergleich einer Monotherapie mit Glibenclamid (Daonil® u.a.) in einer Dosis von 7,5 bis 15 mg/Tag mit der Kombination Glibencla-mid-Saxagliptin. Bei ungenügender Wirkung konnte Metformin gegeben werden. 768 Personen mit initialen HbA1c-Werten im Bereich von 7,5 bis 10% nahmen an der Studie teil. In Kombination mit dem Sulfonylharnstoff war die Tagesdosis von 2,5 mg Saxagliptin mit einer HbA1c-Senkung um 0,54% nur marginal weniger wirksam als die 5-mg-Dosis (– 0,69%). (9)
In einer weiteren Doppelblindstudie erhielten 565 Diabeteskranke Saxagliptin (2,5 oder 5 mg/Tag) oder Placebo zusätzlich zu einer stabilen Grundbehandlung mit einem Glitazon. In der Studie wurde generell Pioglitazon (30 bis 45 mg/Tag) verabreicht. Auch in dieser Studie konnte innerhalb von 24 Wochen mit der Kombination eine signifikante Verbesserung der Stoffwechsellage erreicht werden.(10)
Unerwünschte Wirkungen
Unter Saxagliptin wurden bei mehr als 5% der Behandelten Kopfschmerzen sowie Infekte der oberen Luftwege und der Harnwege beobachtet. Solche unerwünschte Ereignisse waren in den Studien unter Placebo ähnlich häufig. Bei mehr als 2% der aktiv Behandelten und um wenigstens 1% häufiger als unter Placebo wurden Sinusitiden, Bauchschmerzen, Gastroenteritis oder Erbrechen registriert. Die absolute Lymphozytenzahl nimmt unter Saxagliptin dosisabhängig ab. Bei einem Patienten kam es zu einer Lymphozytopenie die jedoch möglicherweise durch eine gleichzeitig durchgeführte Radiotherapie erklärt ist. Allergische Reaktionen (Urtikaria, Gesichtsödem) traten bei 1,5% der mit Saxagliptin Behandelten auf. Eindeutige Hypoglykämien wurden fast nur unter einer kombinierten Therapie mit einem Sulfonylharnstoff festgestellt. Generell führt Saxagliptin nicht zu einer Gewichtszunahme. Bei der Kombination einer 5-mg-Tagesdosis von Saxagliptin mit Pioglitazon wurden jedoch häufig periphere Ödeme beobachtet. Gemäss den Angaben der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA kann Siagliptin eine akute Pankreatitis verursachen; für Saxagliptin ist bisher kein entsprechendes Risiko dokumentiert.
Interaktionen
Starke CYP3A4/5-Hemmer wie Ketoconazol (Nizoral®) können zu einem deutlichen Anstieg der Plasmaspiegel von Saxagliptin führen; ist eine gleichzeitige Verabreichung notwendig, so sollte die Tagesdosis 2,5 mg nicht übersteigen. Schwächere CYP3A4/5-Hemmer wie Diltiazem (Dilzem® u.a.) erfordern nicht unbedingt eine Dosisbeschränkung. Saxagliptin beeinflusst nach bisherigem Wissen die Kinetik anderer Medikamente nicht.
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Saxagliptin (Onglyza®) ist als Filmtabletten zu 2,5 mg und zu 5 mg erhältlich und in der Schweiz beschränkt kassenzulässig. Es ist zur Behandlung von Erwachsenen mit einem Typ-2-Diabetes in einer Tagesdosis von 2,5 oder 5 mg als Monotherapie oder als Zusatz zu Metformin, Sulfonylharnstoffen oder Glitazonen zugelassen. Eine Kombination mit Insulin wird nicht empfohlen. Bei eingeschränkter Nierenfunktion (Kreatininclearance <50 ml/min) beträgt die Höchstdosis 2,5 mg/Tag. Bei Clearancewerten unter 30 ml/min soll Saxagliptin nicht verwendet werden. Vor der ersten Verabreichung sollte der Kreatinin-Plasmaspiegel überprüft werden. Bei Kindern und Jugendlichen bis zu 18 Jahren ist das Medikament nicht untersucht worden; auch bei Schwangeren und bei stillenden Frauen wird Saxagliptin besser vermieden. Die Behandlung mit Saxagliptin kostet, unabhängig von der Dosis, CHF 74.30 monatlich. Sitagliptin (Januvia®, Xelevia®) ist teurer (CHF 84.75), Vildagliptin (Galvus®) wesentlich billiger (CHF 40.50 monatlich). (Ob allerdings die empfohlenen Dosierungen äquivalent sind, ist nicht eindeutig geklärt.) Metformin-Generika ermöglichen eine nochmals viel günstigere Therapie (monatlich CHF 13.- bei einer Tagesdosis von 2 g).
Kommentar
Obwohl keine direkten Vergleiche vorliegen, lässt sich annehmen, dass Saxagliptin das glykosylierte Hämoglobin und die Glukosespiegel in ähnlichem, relativ bescheidenem Ausmass senkt wie die anderen beiden DPP-4-Hemmer Sitagliptin und Vildagliptin. Mit dem letzteren wurden in Tierversuchen kutane und renale Probleme beobachtet, weshalb es in den USA bisher nicht zugelassen ist.(2) Vildagliptin ist jedoch wesentlich kostengünstiger. Andere relevant erscheinende Unterschiede zwischen den DPP-4-Hemmern lassen sich nicht erkennnen. Da diese Medikamente nicht nur Inkretine, sondern noch weitere Peptide hemmen, ist ihre langfristige Verträglichkeit aber schwer abzuschätzen.
Im Vergleich mit den Inkretin-ähnlichen Polypeptiden Exenatid und Liraglutid (siehe den folgenden Text) sind DPP-4- Hemmer weniger wirksam, jedoch auch einfacher anzuwenden (oral statt subkutan), besser verträglich und billiger. Solange wir nicht mehr über Vor- und Nachteile einer längerfristigen Therapie mit DPP-4-Hemmern wissen, empfiehlt es sich weiterhin, diese Mittel mit grösster Zurückhaltung zu verschreiben.
Literatur
- 1) Masche UP. pharma-kritik 2007; 29: 17-19
- 2) Masche UP. pharma-kritik 2008; 30: 39-40
- 3) Borja-Hart NL, Whalen KL. Ann Pharmacother 2010; 44: 1046-53
- 4) Scheen AJ. Diabetes Obes Metab 2010; 12: 648-58
- 5) Rosenstock J et al. Diabetes Obes Metab 2008 10: 376-86
- 6) Rosenstock J et al. Curr Med Res Opin 2009; 25: 2401-11
- 7) Jadzinsky M et al. Diabetes Obes Metab 2009; 11: 611-22
- 8) DeFronzo RA et al. Diabetes Care 2009; 32: 1649-55
- 9) Chacra AR et al. Int J Clin Pract 2009; 63: 1395-406
- 10) Hollander P et al. J Clin Endocrinol Metab 2009; 94: 4810-9
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