Ertugliflozin
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 40
, Nummer 9, PK1060
Redaktionsschluss: 1. März 2019
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2018.1060 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Ertugliflozin (Steglatro®) ist ein neuer SGLT-2-Hemmer und damit der vierte in der Schweiz erhältliche Vertreter dieser Medikamentengruppe. SGLT-2-Hemmer sind orale Antidiabetika, deren Wirkung auf der Hemmung des Natrium-Glukose-Cotransporters 2 («sodium-glucose co-transporter 2», SGLT-2) beruht.
Chemie/Pharmakologie
SGLT-2 ist ein Membranprotein, das vorwiegend in der Niere vorkommt und das für die renale Glukose-Rückresorption verantwortlich ist. SGLT-2-Hemmer führen daher zu einer vermehrten renalen Glukoseausscheidung und senken so die Glykämie. Die Glukoseausscheidung hat eine osmotische Diurese zur Folge und kann daher auch den Blutdruck senken.
Ertugliflozin hat eine ähnliche chemische Struktur wie andere SGLT-2-Hemmer, die sich alle von Phlorizin ableiten, einem Flavonoid, das z.B. in der Schale unreifer Äpfel vorkommt und als unspezifischer SGLT-Hemmer wirkt. Das mit SGLT-2 verwandte Transportprotein SGLT-1, das sowohl in der Niere wie auch in der Darmwand und im Myokard vorkommt, wird von Ertugliflozin praktisch nicht beeinflusst.
Pharmakokinetik
Nach oraler Aufnahme erreicht Ertugliflozin innerhalb von 1-2 Stunden maximale Plasmaspiegel. Es ist zu annähernd 100% bioverfügbar. Für den Metabolismus sind in erster Linie zwei Glukuronosyltransferasen (UGT1A9 und UGT2B7) verantwortlich. Die O-Glukuronid-Metaboliten sind inaktiv. Zytochrome spielen eine geringe Rolle. Die mittlere Plasmahalbwertszeit wird auf 16½ Stunden geschätzt. Innerhalb von 4 bis 6 Tagen wird ein Fliessgleichgewicht («steady state») erreicht. Die Elimination erfolgt zu 40% mit dem Stuhl und zu 50% mit dem Urin.
Klinische Studien
Die Dokumentation der antidiabetischen Wirksamkeit von Ertugliflozin erfolgt in einer Reihe von Doppelblindstudien unter der Bezeichnung VERTIS («eValuation of ERTugliflozin effIcacy and Safety»). An den bisher publizierten sieben Studien waren rund 5000 Patientinnen und Patienten beteiligt. Alle diese Personen hatten einen Typ-2-Diabetes, der unter der vorausgehenden Therapie nicht ideal unter Kontrolle war (HbA1c zwischen 7,0 und 10,5%). In sämtlichen Studien wurden Ertugliflozin-Tagesdosen von 5 mg und von 15 mg den Vergleichsgruppen gegenübergestellt. Der primäre Endpunkt der Studien war die Veränderung des HbA1c-Wertes vom Studienbeginn bis am Ende der Doppelblindphase; für denselben Zeitraum wurde ausserdem die Veränderung des Körpergewichts und des systolischen Blutdrucks untersucht. Die Resultate wurden nach der «least squares means»-Methode berechnet, einem statistischen Verfahren, das mögliche Kovarianten besser berücksichtigt als arithmetische Mittelwerte.
Als Monotherapie führte Ertugliflozin in einer Studie mit 461 Teilnehmenden nach 26 Wochen zu einer HbA1c-Senkung um 0,8% (mit 5 mg/Tag) bzw. um 1,0% (mit 15 mg/Tag), während mit Placebo eine Senkung um 0,2% erreicht wurde.(1)
In Kombination mit Sitagliptin (100 mg/Tag, Monopräparate: Januvia®, Xelevia®) ergab sich in einer 26-wöchigen Studie (n=291) eine deutlichere HbA1c-Senkung, nämlich um 1,6% (mit 5 mg/Tag) bzw. um 1,7% (mit 15 mg/Tag). Wurde nur Placebo verabreicht, so nahm das HbA1c nur um 0,4% ab.(2) In einer anderen Studie (52 Wochen, n=464), in der die Teilnehmenden bereits mit Metformin (Glucophage® u.a., ≥1500 mg/Tag) und Sitagliptin (100 mg/Tag) vorbehandelt waren, konnte jedoch mit Ertugliflozin das HbA1c nur um 0,8 bis 0,9% gesenkt werden (Placebo: Senkung um 0,1%).(3)
Eine 26-wöchige Studie (n=621), in der Ertugliflozin allein einer vorbestehenden Metformin-Therapie hinzugefügt wurde, ergab ebenfalls eine zusätzliche HbA1c-Senkung um 0,7 bis 0,9% (Placebo: 0%).(4)
In zwei weiteren Studien wurden ebenfalls Patientinnen und Patienten untersucht, die bereits schon mit Metformin behandelt wurden. Diese Studien dauerten 52 Wochen. Ertugliflozin wurde so bei 1326 Personen mit Glimepirid (Amaryl® u.a., >1 mg/Tag) und bei 1233 Personen mit Sitagliptin (100 mg/Tag) verglichen.(5,6) In der letzteren Studie wurden auch noch Gruppen mitgeführt, die beide Mittel (Ertugliflozin + Sitagliptin) zusätzlich erhielten. Hinsichtlich der HbA1c-Veränderung wurde mit Ertugliflozin praktisch dasselbe Resultat wie mit den Vergleichssubstanzen erreicht – in der Studie mit Glimepirid Werte von -0,6%, in der Studie mit Sitagliptin -1,1%. Die Kombination Ertugliflozin/Sitagliptin führte zu einer Senkung um 1,5%. In der Glimepirid-Gruppe nahmen – im Gegensatz zu den anderen Gruppen - das Körpergewicht und der Blutdruck leicht zu.(5)
In einer ebenfalls 52 Wochen dauernden Studie wurde Ertugliflozin bei 468 Personen mit eingeschränkter Nierenfunktion (geschätzte Kreatinin-Clearance zwischen 30 und 60 ml/min) mit Placebo verglichen. Die Teilnehmenden konnten ihre vorbestehende antidiabetische Therapie (inkl. Insulin und/oder Sulfonylharnstoffe) weiterführen; Metformin und andere SGLT-2-Hemmer waren aber nicht erlaubt. In diesem Kollektiv war Ertugliflozin unwirksam: sowohl mit Ertugliflozin als auch mit Placebo fand sich eine HbA1c-Senkung um 0,3 bis 0,4%.(7)
In allen hier beschriebenen Studien fand sich unter Ertugliflozin auch eine Reduktion des Körpergewichts (in der Grössenordnung von 2 bis 3 kg) und des systolischen Blutdrucks (besonders unter der höheren 15-mg-Tagesdosis: bis zu 5 mm Hg).
Die möglicherweise wichtigste Studie – VERTIS CV – befasst sich mit den kardiovaskulären Auswirkungen von Ertugliflozin, ist jedoch aktuell (im Frühjahr 2019) noch nicht abgeschlossen. Studien, in denen Ertugliflozin direkt mit anderen Gliflozinen verglichen worden wäre, liegen bisher nicht vor.
Unerwünschte Wirkungen
Wie unter anderen SGLT-2-Hemmern (Gliflozinen) werden unter Ertugliflozin häufig Mykosen im Genitalbereich beobachtet (bei >10% der behandelten Frauen und etwa 4% der Männer). Möglicherweise sind auch Harnwegsinfekte etwas gehäuft. Eine sehr seltene, aber lebensbedrohliche Komplikation ist die nekrotisierende Fasziitis des Perineums (sogen. Fournier-Gangrän). Dabei kommt es zu Fieber und zu Schmerzen und Schwellung im Bereich des Perineums. Der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA sind mindestens 12 Fälle von Fournier-Gangrän unter Gliflozinen bekannt.(8)
Infolge der von SGLT-2-Hemmern hervorgerufenen osmotischen Diurese (mit Polyurie/Pollakisurie) kann es (besonders bei eingeschränkter Nierenfunktion) zu einem Defizit des Blutvolumens kommen, mit orthostatischen Beschwerden. Auch sind erhöhte Kreatininwerte, Hyperkaliämie, Hypermagnesiämie und Hyperphosphatämie festgestellt worden. Amputationen im Bereich der unteren Extremitäten werden – wie bei anderen Gliflozinen – öfter als unter Placebo (d.h. bei etwa 0,5%) beobachtet.
Hypoglykämien sind unter Ertugliflozin etwas häufiger als unter Placebo, besonders in Kombination mit anderen Antidiabetika. Ertugliflozin führt ausserdem zu einem Anstieg der LDL-Cholesterinwerte.
Interaktionen
UGT-Induktoren wie z.B. Rifampicin (Rimactan® u.a.) reduzieren die Ertugliflozin-Plasmaspiegel. UGT-Hemmer – Beispiel: Mefenaminsäure (Ponstan® u.a.) – könnten zu einem Anstieg der Ertugliflozin-Spiegel führen. Dosisanpassungen sind wahrscheinlich nicht notwendig.
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Ertugliflozin ist als Monopräparat (Tabletten zu 5 mg, Steglatro®), als Kombination mit Sitagliptin (Tabletten zu 5/100 mg, Steglujan®) und als Kombination mit Metformin (Tabletten zu 2,5/1000 mg, Segluromet®) erhältlich; diese Präparate sind in der Schweiz kassenzulässig. Zugelassen ist das Medikament bei Personen mit Typ-2-Diabetes als Monotherapie, wenn Metformin kontraindiziert oder nicht verträglich ist sowie in Kombination mit anderen Antidiabetika. Die empfohlene Tagesdosis beträgt 5 mg; bei Verwendung der fixen Kombination mit Metformin wird zweimal täglich 1 Tablette gegeben. Bei eingeschränkter Niereninsuffizienz (errechnete Kreatininclearance unter 60 ml/min) soll auf Ertugliflozin verzichtet werden. Auch schwangere und stillende Frauen sowie Kinder und Jugendliche sollen nicht mit Ertugliflozin behandelt werden.
Eine Behandlung mit Ertugliflozin (5 mg/Tag) kostet mindestens 58 Franken monatlich, d.h. ähnlich viel wie mit anderen Gliflozinen. Die Behandlung mit Metformin (2 g/Tag) kostet dagegen nur 14 bis 15 Franken monatlich.
Kommentar
Ertugliflozin offeriert wahrscheinlich die gleichen, eher bescheidenen antidiabetischen Vorteile, aber auch dieselben Nachteile wie andere SGLT-2-Hemmer (Gliflozine). Natürlich interessieren besonders die (noch ausstehenden) Studienresultate zu den Herz-Kreislauf-Ereignissen. Für andere Gliflozine hat sich ja diesbezüglich ein gemischtes Bild ergeben: Während Empagliflozin kardiovaskuläre Ereignisse kaum, die Mortalität aber günstig beeinflusste, wurde mit Canagliflozin eine Reduktion kardiovaskulärer Komplikationen, aber nicht der Mortalität erreicht. Dapagliflozin schliesslich führte auch nicht zu signifikant weniger kardiovaskulären Ereignissen, aber zu weniger Hospitalisationen und kardiovaskulären Todesfällen. Gute Argumente, weshalb Ertugliflozin bevorzugt verschrieben werden sollte, sind zurzeit nicht zu finden.
Literatur
- 1) Terra SG et al. Diabetes Obes Metab 2017; 19: 721-8
- 2) Miller S et al. Diabetes Ther 2018; 9: 253-68
- 3) Dagogo-Jack S et al. Diabetes Obes Metab 2018; 20: 530-40
- 4) Rosenstock J et al. Diabetes Obes Metab 2018; 20: 520-29
- 5) Hollander P et al. Diabetes Ther 2018; 9: 193-207
- 6) Pratley RE et al. Diabetes Obes Metab 2018; 20: 1111-20
- 7) Grunberger G et al. Diabetes Ther 2018; 9: 49-66
- 8) FDA Mitteilung: https://pkweb.ch/2EGZdjb
Standpunkte und Meinungen
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