Hypertonie in der Schwangerschaft
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 32
, Nummer 8, PK773
Redaktionsschluss: 7. Februar 2011
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2010.773 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Über die Behandlung einer Hypertonie in der Schwangerschaft haben wir letztmals 1991 berichtet.(1) Seither haben sich zwar keine sehr grossen Veränderungen ergeben; dennoch ist nach rund 20 Jahren eine Neubeurteilung am Platz. Deshalb folgt hier eine Zusammenfassung der Übersicht, die im September 2010 in «La Revue Prescrire» erschienen ist.(2)
Klinische Formen
Etwa 2% der Schwangeren haben schon vor der Schwangerschaft einen erhöhten Blutdruck («chronische» Hypertonie) ; bei diesen Frauen muss die Behandlung in der Schwangerschaft neu beurteilt und allenfalls geändert werden. Eine eigentliche Schwangerschafts-Hypertonie – mit Werten über 140/90 mm Hg – tritt am häufigsten gegen das Ende der Schwangerschaft auf; 4 bis 8% der schwangeren Frauen sollen davon betroffen sein, vereinzelt auch erst in der ersten Woche nach der Geburt. Auch wenn sich der Blutdruck später normalisiert, ist bei diesen Frauen langfristig mit einem erhöhten Risiko kardiovaskulärer Probleme zu rechnen.(3) Von einer Präeklampsie spricht man, wenn neben der Hypertonie auch eine Proteinurie (>300 mg/24 h) beobachtet wird. Die Pathogenese dieser Erkrankung ist auch heute nicht eindeutig geklärt; in der Frühschwangerschaft scheinen Störungen der Plazenta-Funktion eine wichtige Rolle zu spielen, später wird eine Dysfunktion der Endothelien im Rahmen einer entzündlichen Reaktion für bedeutsam angesehen.(4)
Frauen erkranken häufiger an einer Präeklampsie, wenn eine Nierenerkrankung, ein Diabetes mellitus oder eine Präeklampsie-Anamnese vorhanden sind. Wenn zusätzliche Symptome hinzukommen (siehe Tabelle 1) , so ist mit einer gefährlichen Entwicklung zu rechnen. Eine mögliche Todesursache ist ein hämorrhagischer Hirnschlag. Eine Eklampsie wird diagnostiziert, wenn die Hypertonie von zerebralen (tonischklonischen) Krämpfen begleitet wird.
Untersuchungen
Bei den Schwangerschaftskontrollen soll immer der Blutdruck (ruhig sitzend, mit aufgestütztem Arm) gemessen werden; wie bereits erwähnt, gilt ein Wert von 140/90 mm Hg als Grenzwert. Bestehen bei einer grenzwertigen Erhöhung Zweifel, so kann eine 24-Stunden-Messung sinnvoll sein; diese kann zuverlässiger über ein mögliches Präeklampsie-Risiko Auskunft geben. Wegen des erhöhten kardiovaskulären Risikos wird empfohlen, Frauen mit Werten über 170 mm Hg ( systolisch ) bzw. 110 mm Hg ( diastolisch ) notfallmässig zu hospitalisieren. (5)Die Proteinurie kann primär mit Teststreifen überprüft werden, wobei ein positives Resultat nach 4 bis 6 Stunden nachkontrolliert werden soll.
Allgemeine Massnahmen
Bei Frauen mit einem mässigen Präeklampsie-Risiko lässt sich dieses Risiko mit Ruheperioden während des Tages reduzieren. In diesen Fällen ist Bettruhe im Spital nicht besser wirksam. Dagegen ist es sinnvoll, grössere körperliche Anstrengungen zu vermeiden. Daten, wonach sich eine Schwangerschafts-Hypertonie mit einer salzarmen Diät vermeiden liesse, sind nicht vorhanden. Auch für Calcium-Supplemente liegen keine überzeugenden Argumente vor.(4) Parenteral verabreichtes Magnesium vermag zwar bei Gebärenden mit Präeklampsie das Eklampsie-Risiko zu reduzieren; für eine vorteilhafte Wirkung oraler Magnesium-Gaben während der Schwangerschaft fehlen jedoch überzeugende Hinweise.
Gemäss einer Meta-Analyse von 31 randomisierten Studien reduziert die regelmässige Verabreichung einer kleinen Acetylsalicylsäure-Dosis das Risiko einer Präeklampsie um 10%. (4) Das britische «National Institute for Health and Clinical Excellence» (NICE) empfiehlt die Verabreichung von 75 mg Acetylsalicylsäure täglich von der 12. Schwangerschaftswoche an, sofern die Schwangere einen der folgenden Risikofaktoren aufweist: Anamnese einer SchwangerschaftsHypertonie oder chronische Hypertonie, Diabetes mellitus, chronische Nierenkrankheit oder Autoimmunkrankheit ( z.B. Lupus erythematodes ).(6)
Antihypertensiva
Beträgt der Blutdruck – zweimal im Abstand von 15 Minuten gemessen – 160/110 mm Hg oder mehr, so ist eine dringliche antihypertensive Therapie, eventuell auch eine Hospitalisation, indiziert. Eine Reihe von Studien diente dem Vergleich verschiedener Antihypertensiva in dieser Situation. Dabei erwiesen sich Nifedipin (Adalat® u.a.) und Labetalol (Trandate) – wie auch der heute in der Schweiz nicht mehr erhältliche Vasodilatator Hydralazin (Apresolin®) – als ähnlich gut wirksam. Sofern keine Kontraindikation besteht, kann Labetalol als das Medikament der ersten Wahl bezeichnet werden. Es soll angestrebt werden, Werte unter 160/110 mm Hg zu erreichen, ohne den Blutdruck allzu rasch zu senken. Nahe oder am Geburtstermin empfiehlt es sich, die Geburt einzuleiten.
Die Bedeutung und der Nutzen von Antihypertensiva sind weniger klar etabliert, wenn der Blutdruck weniger stark erhöht ist. Gemäss einer Cochrane-Analyse, die 28 Placebo-kontrollierte Studien umfasst, kommt es bei 19% der Schwangeren mit leicht bis mässig erhöhtem Blutdruck zu einem Blutdruckanstieg bis in einen gefährlichen Bereich, wenn sie nur mit Placebo behandelt werden. Bei Schwangeren, die Antihypertensiva erhalten, ist dies nur bei 9% der Fall. Eigentliche Präeklampsien und andere Komplikationen bei Mutter oder Kind werden durch die Antihypertensiva jedoch nicht nennenswert verhindert.(7) Vergleiche zwischen verschiedenen Antihypertensiva zeigen einen möglichen Vorteil von Betablockern ( inkl. Labetalol ) gegenüber Methyldopa (Aldomet®) bezüglich der Entwicklung von höheren Blutdruckwerten, jedoch nicht bezüglich der Präeklampsie-Inzidenz.(7) Im Vergleich mit Methyldopa und Kalziumantagonisten ( wie Nifedipin ) weisen die Betablocker weniger unerwünschte Wirkungen auf. Das NICE rät zum Verzicht auf Antihypertensiva, sofern der Blutdruck 150/100 mm Hg nicht übersteigt. Bei höheren Werten wird in erster Linie die Verabreichung von Labetalol empfohlen.(6)
Auf alle Fälle ( auch bei vorbestehender Hypertonie!) muss beachtet werden, dass Antihypertensiva, die mit dem ReninAngiotensin-System interferieren – ACE-Hemmer, Angiotensin-Rezeptorantagonisten und der Renin-Antagonist Aliskiren (Rasilez®) – in der ganzen Schwangerschaft kontraindiziert sind, da sie zu Missbildungen führen können.
Literatur
- 1) Ritzmann P. pharma-kritik 1991; 13: 25-8
- 2) Anon. Rev Prescrire 2010; 30: 678-86
- 3) Luoto R et al. Hypertens Pregnancy 2008; 27: 87-94
- 4) Steegers EAP et al. Lancet 2010; 376: 631-44
- 5) Mancia C et al. Eur Heart J 2007; 28: 1462-536
- 6) Anon. NICE Clincial Guideline 107: August 2010
- 7) Abalos E et al. Cochrane Database Syst Rev 2007; (1): CD002252
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