Arzneimittelinteraktionen mit Tabakrauch
- Autor(en): Niklaus Löffel
- pharma-kritik-Jahrgang 35
, PK915, Online-Artikel
Redaktionsschluss: 30. Dezember 2013
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2013.915
In der unabhängigen Zeitschrift «Australian Prescriber» wurde im Juni 2013 eine Übersicht zu den Arzneimittelinteraktionen mit Tabakrauch veröffentlicht. Hier folgt eine Zusammenfassung dieses Textes, der im Original auch als Volltext (mit ausführlicher Literaturliste) kostenlos konsultiert werden kann.(1)
Weltweit schätzt man die Anzahl der Raucherinnen und Raucher auf 1,3 Milliarden, Tendenz steigend. Zwei Drittel der an einer Psychose erkrankten Personen rauchen Zigaretten. Trotz Nikotinersatzbehandlung haben psychisch Kranke mehr Mühe mit der Abstinenz als andere Raucher. Im Tabakteer enthaltene chemische Substanzen können mit Antidepressiva, Benzodiazepinen, oralen Kontrazeptiva, Neuroleptika, inhalierten Kortikosteroiden und Betablockern pharmakokinetische Interaktionen verursachen; auch pharmakodynamische Interaktionen, überwiegend Nikotin-bedingt, sind möglich.
Pharmakokinetische Interaktionen
Polyzyklische aromatische Kohlenhydrate (im Tabakteer) induzieren die Aktivität des Zytochroms CYP1A2 sowie von CYP2B6. Da dieser Effekt nicht auf Nikotin zurückzuführen ist, wird er durch eine Nikotinersatzbehandlung nicht beeinflusst. CYP1A2 wird polymorph vererbt, wobei die entsprechenden Mutationen in verschiedenen Bevölkerungsgruppen recht verschieden häufig vorkommen, was gesamthaft dazu führt, dass sich der Rauchstopp im Einzelfall sehr unterschiedlich auswirkt.
Bei Personen, die mehr als 20 Zigaretten täglich rauchen, ist die CYP1A2-Aktivität signifikant höher als bei Nichtrauchenden. Das ist besonders für Medikamente relevant, die in hohem Masse von CYP1A2 metabolisiert werden und eine enge therapeutische Breite aufweisen wie z.B. Clozapin (Leponex® u.a.). Die Induktion ist von der chemischen Zusammensetzung des Rauchs und der Tiefe der Inhalation abhängig und nach einem plötzlichen Rauchstopp rasch reversibel.(2)
Clozapin und Olanzapin
Auch ohne Rauchen findet sich eine sehr grosse Variabilität der Bioverfügbarkeit von Clozapin und Olanzapin (Zyprexa® u.a.). Zigarettenrauchen führt über eine Induktion des Metabolismus zu niedrigeren Plasmakonzentrationen dieser beiden Medikamente. Wahrscheinlich genügen schon 7 bis 12 Zigaretten täglich, um eine maximale Induktion des Metabolismus hervorzurufen.
Personen, die nicht rauchen, haben ein vergleichsweise höheres Risiko für unerwünschte Wirkungen (extrapyramidale Symptome, Bewusstseinsveränderungen usw.), wenn sie mit Standarddosen von Clozapin oder Olanzapin behandelt werden. Nach einem Rauchstopp nimmt die Clearance von Clozapin rasch ab, die mittleren Plasmakonzentrationen steigen durchschnittlich um 72% an. Es wird empfohlen, in dieser Situation die Clozapin-Tagesdosis während vier Tagen täglich um etwa 10% zu reduzieren.(3)
Antidepressiva
Raucherinnen und Raucher brauchen höhere Dosen von Fluvoxamin (Floxyfral® u.a.), das als einziger Serotonin-Wiederaufnahmehemmer von CYP1A2 metabolisiert wird. Unter den Trizyklika betrifft dies Imipramin (Tofranil®). Für Amitriptylin (Saroten®), Nortriptylin (Nortrilen®) und Clomipramin (Anafranil®) sind keine Dosisanpassungen notwendig.(4)
Clopidogrel und Prasugrel
Obwohl Clopidogrel (Plavix®) und Prasugrel (Efient®) durch verschiedene Zytochrome (auch CYP1A2) in ihre aktiven Metaboliten umgewandelt werden, wurden sowohl eine verstärkte als auch eine verminderte Plättchenhemmung beobachtet. Empfehlungen lassen sich nicht ableiten.
Orale Antikoagulantien
Während das in der Schweiz nicht gebräuchliche Warfarin in geringem Ausmass durch CYP1A2 metabolisiert wird, könnte von den in der Schweiz verwendeten Antikoagulantien allenfalls Acenocoumarol (Sintrom®) vom Rauchen geringfügig beeinflusst werden, Phenprocoumon (Marcoumar®) dagegen gar nicht.
Coffein
Der Coffein-Metabolismus ist in hohem Masse von CYP1A2 abhängig. Um eine bestimmte Coffeinkonzentration zu erreichen, müssen deshalb Raucherinnen und Raucher eine wesentlich höhere Coffeinmenge zu sich nehmen als Leute, die nicht rauchen. Coffein ist auch ein CYP1A2-Hemmer und kann die Clozapin- oder Olanzapinspiegel erhöhen.
Pharmakodynamische Interaktionen
Die meisten pharmakodynamischen Interaktionen mit Tabak sind auf Nikotin zurückzuführen.
Methadon
Viele Personen, die eine Methadonsubstitution erhalten, rauchen. Die Methadondosen sind bei starken Rauchern oft höher und Methadon kann die Anzahl gerauchter Zigaretten und die «Befriedigung» durch das Rauchen steigern. Methadon kann die Symptome beim Nikotinentzug abschwächen, und Zigarettenrauchen kann die Wirkung von Methadon auf einen Opiatentzug verstärken.
Benzodiazepine
Da Nikotin das ZNS aktiviert, kann man bei Rauchern eine verminderte Sedation unter Benzodiazepinen beobachten.
Orale Kontrazeptiva
Rauchen verstärkt die unerwünschten kardiovaskulären Wirkungen der kombinierten oralen Kontrazeptiva (venöse Thromboembolie, zerebrovaskulärer Insult und Myokardinfarkt). Das kardiovaskuläre Mortalitätsrisiko für Raucherinnen von 35 bis 40 Jahren, die kombinierte orale Kontrazeptiva einnehmen, beträgt 19,4 pro 100000 Frauen gegenüber 3,0 pro 100000 für Nichtraucherinnen im gleichen Alter. Zwischen Rauchen und der Einnahme von rein gestagenhaltigen Kontrazeptiva («Minipille») fand sich keine eindeutige Assoziation.
Andere Substanzen
Die Wirkung inhalierter Kortikosteroide kann bei asthmatischen Patientinnen und Patienten, die rauchen, abgeschwächt werden, weshalb diese oft höhere Steroiddosen benötigen. Die durch Nikotin bedingte Aktivierung des ZNS kann die Wirkung von Betablockern auf Blutdruck und Herzfrequenz abschwächen.
Entwöhnung vom Rauchen
Bupropion (unter dem Namen Zyban®) und Vareniclin (Champix®) können bei einem Nikotinentzug unterstützend angewendet werden. Unter Bupropion, einem selektiven Hemmer der Katecholaminaufnahme, der durch CYP2B6 abgebaut wird und CYP2D6 hemmt, ist das Risiko für Krampfanfälle dosisabhängig erhöht. Die gleichzeitige Verabreichung von Neuroleptika, Antidepressiva und Sedativa, die die Krampfschwelle senken, sowie ein Alkoholabusus verstärken diesen Effekt. Die Dosis von Medikamenten, die von CYP2D6 metabolisiert werden (Metoprolol [z.B. Lopresor®], viele Neuroleptika und Antidepressiva), muss daher bei gleichzeitiger Bupropiongabe angepasst werden. Nortriptylin, das beim Nikotinentzug ebenfalls unterstützend wirken kann, kann ebenfalls mit Substanzen, die durch CYP2D6 metabolisiert werden, Interaktionen verursachen. Vareniclin, ein partieller Agonist von nikotinischen Acetylcholinrezeptoren, hat dagegen keine bekannten, klinisch relevanten Interaktionen.
Schlussfolgerungen
Zigarettenrauchen beeinflusst den Medikamentenstoffwechsel mittels pharmakokinetischer und pharmakodynamischer Mechanismen. Patientinnen und Patienten haben bei einer Veränderung ihrer Rauchgewohnheiten ein erhöhtes Risiko für zum Teil schwere Arzneimittelnebenwirkungen. Daher müssen die Rauchgewohnheiten regelmässig überprüft und die Dosis wichtiger Medikamente angepasst werden.
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