Natrium-Oxybat
- pharma-kritik-Jahrgang 34
, Nummer 9, PK885
Redaktionsschluss: 19. Dezember 2012
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2012.885 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Natrium-Oxybat (Xyrem®) ist zur Behandlung einer Narkolepsie mit Kataplexie zugelassen. Man schätzt, dass von 10'000 erwachsenen Europäern etwa 5 an einer Narkolepsie mit Kataplexie leiden. Die Erkrankung ist durch ein abnormes Schlafverhalten mit ausgeprägter Tagesschläfrigkeit, gestörtem (fragmentiertem) Nachtschlaf, Schlaflähmungen, schlafbezogene Halluzinationen sowie die für die Erkrankung pathognomonische Kataplexie (durch Emotionen bedingter Tonusverlust der Muskulatur) charakterisiert.
Chemie/Pharmakologie
Natrium-Oxybat ist der internationale Wirkstoffname (INN) für das Natriumsalz der Gamma-Hydroxy-Buttersäure (Gammahydroxybutyrat, GHB). GHB kommt im Zentralnervensystem natürlich vor als Metabolit der Gamma-Aminobuttersäure (GABA). GHB wirkt als Neurotransmitter und -modulator auf verschiedene Substanzen wie Dopamin, Serotonin, GABA oder endogene Opioide.
Die Substanz wirkt euphorisierend und sedativ, nicht unähnlich dem Alkohol, und wird entsprechend auch als Party-Droge eingenommen. GHB weist ein erhebliches Missbrauchs- und Vergiftungsrisiko auf. Die Substanz soll die natürliche Abfolge der Schlafphasen nicht beeinträchtigen; sie führt aber zu einer Zunahme des Tiefschlafs («slow wave sleep»). Es wird angenommen, dass seine Wirkung bei Narkolepsie in erster Linie auf der Verbesserung der Kontinuität des Schlafes beruht.(1)
Pharmakokinetik
Natrium-Oxybat wird nach oraler Verabreichung rasch, jedoch unvollständig resorbiert. Die Resorption kann durch eine gleichzeitig eingenommene fetthaltige Mahlzeit verzögert werden. Die geringe Bioverfügbarkeit von 25% ist wahrscheinlich durch präsystemische Metabolisierung («first pass») bedingt. Die Wirkung setzt sehr rasch ein, maximale Plasmakonzentrationen werden nach 25 bis 75 Minuten erreicht. Mit zunehmender Dosis steigt die Plasmakonzentration überproportional an. Die Plasmahalbwertszeit beträgt 30 bis 60 Minuten. Die Elimination erfolgt vorwiegend durch Biotransformation zu Kohlensäure, die mit der Atmung eliminiert wird. Weniger als 5% der Substanz erscheinen unverändert im Urin.(2,3)
Klinische Studien
Natrium-Oxybat wurde in mehreren Placebo-kontrollierten Doppelblindstudien bei etwa 500 Personen mit Narkolep-sie/Kataplexie geprüft.
In einer ersten, amerikanischen Studie wurden 102 Personen mit Narkolepsie/Kataplexie mit einer fixen Dosis von je 3, 6 oder 9 g Natrium-Oxybat pro Nacht sowie 34 weitere mit Placebo behandelt. Am Tag verabreichte Stimulantien wurden bei allen in unveränderter Dosis weiter gegeben. Als primärer Endpunkt war die Abnahme der Kataplexie-Anfälle definiert. Nach vier Wochen Behandlung konnte eine dosisabhängige Reduktion der Anfälle zwischen 49% und 69% festgestellt werden. Eine statistisch signifikante Reduktion der Anfälle und der exzessiven Tagesschläfrigkeit konnte jedoch im Vergleich zu Placebo nur mit einer Dosis von 9 g/Nacht erzielt werden.(4) Die anschliessende offene Weiterführung der Studie während 12 Monaten zeigte eine weitere Abnahme der Kataplexie-Anfälle.(5) Nach einer mittleren Behandlungszeit von 21 Monaten wurde Natrium-Oxybat bei 29 von 55 Behandelten durch Placebo ersetzt, was zu einer signifikanten Zunahme von Kataplexie-Attacken führte.(5)
In einer internationalen Multizenterstudie wurden während 8 Wochen 228 Patienten und Patientinnen in vier Gruppen mit verschiedenen Natrium-Oxybat-Dosen (4,5 oder 6 oder 9 g pro Nacht) oder mit Placebo behandelt.(6) Die aktiv Behandelten begannen alle mit der 4,5-g-Dosis; höhere Dosen (6 bzw. 9 g) wurden durch eine wöchentliche Steigerung um 1,5 g/Nacht erreicht. Auch in dieser Studie wurde die am Tag verabreichte Stimulantiendosis unverändert belassen. Als primärer Endpunkt war hier das Ausmass der Tagesschläfrigkeit definiert, als sekundärer Endpunkt die Reduktion von Kataplexie-Anfällen. Die 6-g-Dosis und besonders die 9-g-Dosis vermochte die exzessive Schläfrigkeit am Tage signifikant zu reduzieren.(6) Kataplexien wurden auch in dieser Studie günstig beeinflusst.(7)
Eine weitere achtwöchige Studie umfasste 222 Personen mit Narkolepsie/Kataplexie, die vorher mit Modafinil (Modasomil®) behandelt worden waren. Diese wurden in vier ähnlich grossen Gruppen mit Natrium-Oxybat, Modafinil (200-600 mg/Tag), mit der Kombination der beiden Medikamente oder mit Placebo behandelt. Die Natrium-Oxybat-Dosis betrug in den ersten 4 Wochen 6 g/Nacht und anschliessend 9 g/Nacht. Alle aktiven Therapien waren bezüglich exzessiver Tagesschläfrigkeit signifikant besser als die Placebo-Behandlung. Am wirksamsten war die Kombination, unter der die durchschnittliche Schlaflatenz am Tag 13 Minuten betrug, rund 6 Minuten länger als unter Placebo.(8)
Natrium-Oxybat ist ausserdem bei anderen Erkrankungen geprüft worden, die mit einer ausgeprägten Tagesschläfrigkeit verbunden sein können (Fibromyalgie, Parkinson-Krankheit). Gemäss verschiedenen Studien kann es auch in diesen Fällen wirksam sein,(9,10) ist jedoch ausschliesslich zur Anwendung bei Narkolepsie/Kataplexie zugelassen.
Unerwünschte Wirkungen
Natrium-Oxybat hat eine geringe therapeutische Breite. Schwindel, Übelkeit und Kopfschmerzen treten bei mehr als 10% der Behandelten auf. Häufig wird auch über Albträume, Verwirrtheit bei nächtlichem Aufwachen oder ein Gefühl von Müdigkeit und Trunkenheit am Morgen geklagt. Gelegentlich wird auch eine Enuresis oder Schlafwandeln beobachtet. Falls die Betroffenen trotz Narkolepsie ein Motorfahrzeug fahren dürfen, müssen sie während mindestens 6 Stunden nach der Einnahme von Natrium-Oxybat darauf verzichten. Die Substanz kann zur Gewöhnung führen; nach dem Absetzen können langanhaltende Entzugssymptome auftreten.(11) Auf Grund einer von der Herstellerfirma in den USA durchgeführten Studie scheint aber therapeutisch eingesetztes Natrium-Oxybat ein geringes Missbrauchs- und Abhängigkeitspotential aufzuweisen.(12) Missbräuchlich verwendete hohe Dosen sind wahrscheinlich langfristig neurotoxisch. Akute toxische Dosen können zu einem tiefen Koma führen; in einer Arbeit sind mehr als 200 GHB-assoziierte Todesfälle beschrieben.(13)
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Natrium-Oxybat (Xyrem®) ist als Lösung mit 500 mg/ml erhältlich; das Mittel unterliegt dem Betäubungsmittelgesetz. Eine erste Dosis wird am Abend eingenommen; dies soll wegen des raschen Wirkungseintritts im Bett erfolgen. 2½ bis 4 Stunden später muss nochmals dieselbe Dosis eingenommen werden. Begonnen wird mit einer Dosis von zweimal 2,25 g/Nacht. In Abständen von mindestens zwei Wochen wird die Dosis jeweils um zweimal 0,75 g/Nacht bis auf maximal zweimal 4,5 g/Nacht gesteigert. Bei Leberfunktionsstörungen muss die Dosis angepasst werden. Mangels entsprechender Erfahrungen soll Natrium-Oxybat bei Personen unter 18 Jahren sowie bei schwangeren und stillenden Frauen nicht verwendet werden. Gefährlich und deshalb kontraindiziert ist das Medikament auch bei Alkoholkonsum sowie in Kombination mit anderen Sedativa/Hypnotika. Grosse Vorsicht ist auch bei Personen mit Schlaf-assoziierten Atemstörungen (Schlafapnoe), Depression und Parasomnien (Schlafwandeln) angezeigt. In der Schweiz ist es nur für die Behandlung von Narkolepsien mit Kataplexie zugelassen, in diesen Fällen aber limitiert kassenzulässig. Die Behandlung darf nur unter der Leitung von entsprechend qualifizierten Fachärzten oder -ärztinnen durchgeführt werden. Die Kosten einer Jahrestherapie mit einer Tagesdosis von 9 g betragen etwas über 20'000 Franken.
Kommentar
Die Gamma-Hydroxy-Buttersäure (GHB) ist eine Substanz, die weltweit als illegale Partydroge und als Doping bei Athleten verwendet wird und als recht problematisch bezeichnet werden muss. Die Substanz hat zudem die unrühmliche Reputation, jemanden gegenüber sexuellen Annäherungen willenlos zu machen («date rape drug»). Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat zu GHB ein Dokument zusammengestellt, in dem die wichtigsten Fakten dargestellt werden.(14)
Diese Substanz gelangt nun unter dem Namen Natrium-Oxybat bei der Narkolepsie zum Einsatz. Die Narkolepsie ist zwar eine seltene, aber für die betroffenen Personen sehr belastende Erkrankung. Dennoch überrascht es, dass die «European Federation of Neurological Societies» Natrium-Oxybat als Mittel erster Wahl zur Behandlung einer Narkolepsie mit Kataplexie bezeichnet,(15) liegen doch bis anhin lediglich Vergleiche mit Placebo vor. In Anbetracht des exorbitanten Preises einer Behandlung mit Natrium-Oxybat ist es nicht verständlich, weshalb nicht primär Vergleichsstudien mit anderen sedierenden Substanzen gefordert werden. Es trifft zu, dass die bisher verwendeten Medikamente (z.B. sedierende Antidepressiva) keineswegs problemlos sind. Ob allerdings Natrium-Oxybat langfristig nicht ebenfalls schwerwiegende Probleme mit sich bringt, ist noch nicht genügend dokumentiert.
Literatur
- 1) Robinson DM et al. CNS Drugs 2007; 21: 337-54
- 2) Borgen LA et al. J Clin Pharmacol 2004; 44: 253-7
- 3) Scharf MB et al. Sleep 1998; 21: 507-14
- 4) US Xyrem Multicenter Study Group. Sleep 2002; 25: 42-9
- 5) US Xyrem Multicenter Study Group. Sleep Med 2004; 5: 119-23
- 6) Xyrem International Study Group. Clin Sleep Med 2005; 1: 391-7
- 7) Xyrem International Study Group. Sleep Med 2005: 6: 415-21
- 8) Black J, Houghton WC. Sleep 2006; 29: 939-46
- 9) Staud R. Expert Opin Pharmacother 2011; 12: 1789-98
- 10) Ondo WG et al. Arch Neurol 2008; 65: 1337-40
- 11) Shep LJ et al. Clin Toxicol 2012; 50: 458-70
- 12) Wang YG et al. J Clin Sleep Med 2009; 5: 365-71
- 13) Zvosec DL et al. Am J Emerg Med 2011; 29: 319-32
- 14) http://bag-ghb.notlong.com/
- 15) Billiard M et al. Eur J Neurol 2006; 13: 1035-48
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