Bissverletzungen durch Säugetiere
- Reviewer: Johannes A. Blum, Hansjakob Furrer, Christoph Hatz, Raffaele Malinverni, Markus Vogt
- pharma-kritik-Jahrgang 24
, Nummer 15, PK66
Redaktionsschluss: 6. Februar 2003
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2002.66 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Übersicht
Bissverletzungen vor allem durch Hunde und Katzen sind häufige Ereignisse. Medienwirksame Meldungen über Angriffe von «Kampfhunden» haben die öffentliche Meinung sensibilisiert, so dass auch in der Schweiz die Behörden beginnen, Daten über Hundebisse zu sammeln (1) sowie Präventionskampagnen z.B. in Schulen durchzuführen. Etwa 60 bis 80% der Bissverletzungen werden durch Hunde verursacht, 20 bis 30% durch Katzen. Durch Menschen verursachte Bisse sind in ländlichen Gebieten eher selten, in Städten können sie jedoch bis zu 20% der Bissverletzungen ausmachen.
Die meisten Bissverletzungen erfolgen durch den eigenen oder einen bekannten Hund. Mehr als die Hälfte der Opfer sind Kinder. Etwa 1% der Personen, die eine Notfallstation aufsuchen, tun dies wegen einer Bissverletzung. In der Schweiz rechnet man mit einer jährlichen Inzidenz von 325 Kratz- und Bissverletzungen auf 100'000 Einwohner.(2) Etwa 13'000 Menschen werden jedes Jahr wegen einer Hundebissverletzung von ihrem Hausarzt oder im Spital medizinisch versorgt, was einer Häufigkeit von 180 Fällen auf 100'000 Einwohner entspricht.(1)
Erreger und ihre Übertragung
Mehr als 150 verschiedene Erkrankungen können von Tieren auf den Menschen übertragen werden (Zoonosen). Durch Bisse oder Kratzer wird jedoch eine wesentlich geringere Anzahl von Erregern übertragen, die zu einer behandlungsbedürftigen Erkrankung führen. Dies ist z.B. für Tollwut, Katzenkratzkrankheit, Rattenbissfieber, Tularämie, Brucellose, Leptospirose oder Tetanus dokumentiert.
Verschiedene Keime der Mundflora, die bei einem Biss auf das Opfer übertragen werden, können zu schweren lokalen Infektionen oder sogar zu einer disseminierten Infektion und Sepsis führen. Nach einer Bissverletzung entwickelt sich in 10 bis 15% eine lokale Infektion. Das Risiko und der Schweregrad einer Infektion hängt sowohl von der Lokalisation und der Art der Wunde wie auch vom Zustand des Opfers ab. Als risikobehaftet gelten Wunden an Händen und Füssen, am Kopf bei Kindern, sowie Punktionswunden, wie sie durch die scharfen und schlanken Zähne von Katzen entstehen können. Bissverletzungen von Menschen, Feliden und Wiederkäuern gelten als wesentlich gefährlicher als solche von Hunden. Letztere verursachen durch die zum Teil enorme lokale Krafteinwirkung eher Rissquetschwunden mit Bildung von avitalem Gewebe, was allerdings auch zu einem erhöhten Infektionsrisiko führen kann. Das Risiko einer Infektion soll bei Personen mit speziellen Erkrankungen oder Therapien wie z.B. Immunschwäche, Diabetes mellitus, immunsuppressiver Therapie oder nach Splenektomie wesentlich höher sein; dies ist allerdings nur wenig dokumentiert.
Die Mundflora von Tieren und Menschen weist eine komplexe Zusammensetzung mit über 50 verschiedenen Bakterien auf. Bei Bissverletzungen können jeweils nur einige wenige Bakterienstämme in der Wunde isoliert werden. Für die Entwicklung einer Infektion sind nur einzelne für die entsprechende Tierart typische Bakterien verantwortlich.(3) So sind bei Katzen- und Hundebissen Pasteurella multocida häufig, Staphylococcus aureus oder Streptococcus pyogenes jedoch wesentlich seltener für die Entstehung einer Wundinfektion verantwortlich.
Captnocytophaga canimorsus (früher DF-2), durch einen Hunde-, selten auch durch einen Katzenbiss übertragen, kann besonders bei Personen mit geschwächtem Immunsystem (jedoch auch nach Splenektomie) zu einer Sepsis mit disseminierter intravasaler Gerinnungsstörung und hoher Letalität führen. Solche schweren Erkrankungen sind jedoch sehr selten, weltweit sind weniger als 100 Fälle publiziert worden.
Eikenella corrodens lässt sich besonders häufig bei Personen mit Gingivitis oder Periodontitis nachweisen. Bei durch den Menschen verursachten Bisswunden, die häufig mit diesem Keim infiziert werden, sind «echte» sogenannte Okklusionsbisse mit Eindringen der Zähne ins Gewebe von «unechten» Bissen zu unterschieden. Letztere entstehen bei einem Faustschlag mit Aufprall eines Metakarpophalangealgelenkes auf die Zähne des Gegners (sog. «fight-bite clenched fist»-Verletzungen). Die Strecksehne und die darunter liegende Bursa werden meistens im Bereich des zweiten oder dritten Metakarpalköpfchens nach seitwärts verlagert. Durch den Zahn kann eine kleine, jedoch tiefe Verletzung mit Perforation der Gelenkkapsel entstehen, welche dann bei Extension der Finger verschlossen wird. Solche Wunden sind in 30 bis 80% infiziert und es ist mit einer relevanten Morbidität zu rechnen, wenn eine Behandlung mit Antibiotika um mehr als 12 Stunden verzögert wird. In der Vorantibiotikaära führten solche Verletzungen häufig zu Versteifungen des Gelenkes oder sogar zur Amputation.
Bei durch Menschen verursachten Bisswunden muss auch an die Möglichkeit der Übertragung von Hepatitis B und AIDS und an die entsprechende postexpositionelle Prophylaxe gedacht werden.
Durch Nagetiere verursachte Bisse rufen selten eine Infektion hervor. Meistens ist dafür Pasteurella multocida verantwortlich. Andere, seltene Zoonosen infolge von Nagetierbissen sind Tollwut, Tularämie und Rattenbissfieber. Bei Bissen durch exotische Wildtiere (Löwen, Puma etc.) steht meistens die Verletzung und weniger die Infektion im Vordergrund.
Behandlung von Bisswunden
Beurteilt werden muss die Tiefe der Wunde sowie Begleitverletzungen an tiefer gelegenen Strukturen wie Gelenken, Sehnen, Nerven, Blutgefässen oder am Knochen. Das Risiko für eine Infektion ist besonders hoch bei tiefen Verletzungen im Bereich der Hand und der Gelenke. Laboruntersuchungen (Blutbild, CRP usw.) sind meistens unnötig. Wundabstriche sind bei frischen, nicht-infizierten Bisswunden wenig hilfreich. Eine Vorhersage, ob sich eine Infektion entwickeln wird, kann nicht gemacht werden. Eine Röntgenuntersuchung kann notwendig sein, um abgebrochene Zähne zu lokalisieren. Hunde können mit grosser Kraft zubeissen und Frakturen verursachen. Bei tiefen Verletzungen der Hand sowie bei Kindern mit Bissverletzungen im Bereich von Kopf und Gesicht ist eine Röntgenuntersuchung ebenfalls sinnvoll.
Obwohl von einzelnen Fachleuten immer wieder empfohlen, sollte auf das Einweichen und Schrubben der Wunde verzichtet werden, da diese Massnahmen kaum etwas nützen. Hingegen kann durch Irrigation einer Wunde mit einer Spülflüssigkeit die Infektionsrate erheblich reduziert werden. Diese darf jedoch nicht gewebetoxisch sein und sollte möglichst antibakteriell wirken. Sterile physiologische Kochsalzlösung, gewöhnliches Wasser oder eine 1%ige Povidon-Jod-Lösung (z.B. Betadine ®) können verwendet werden. Mit einer 10- oder 20-ml- Spritze werden je nach Grösse und Tiefe der Wunde 50 bis 200 ml Spülflüssigkeit mit mässiger Kraft appliziert.
Eine korrekte Wundtoilette mit Entfernung von allem zerrissenen, zerquetschten und devitalisierten Gewebe ist der Irrigationsbehandlung überlegen, jedoch durch anatomische Gegebenheiten limitiert. Die Infektionsrate kann dadurch bei Hundebissen erheblich gesenkt werden.
Traditionellerweise wird empfohlen, Bisswunden primär nicht zu nähen. Verschiedene Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass Wundinfektionen bei primär genähten Bisswunden nicht häufiger sind.(4,5) Selbst mehrere Tage alte Hundebisswunden im Gesicht können genäht werden.(6) Nicht genäht werden sollten jedoch Punktionswunden mit tiefer Inokulation von Keimen (typische Katzenbissverletzungen), aber auch Bisswunden im Bereich der Hände sowie durch Menschen verursachte Bisswunden (ausgenommen im Gesicht).
Antibiotikaprophylaxe
Irrigation und chirurgische Wundtoilette sind zur Vermeidung einer Wundinfektion wesentlich wichtiger als der Einsatz von Antibiotika. Die Verschreibung eines Antibiotikums bei einer bereits infizierten Bisswunde kann gerechtfertigt sein, kontrovers bleibt jedoch, ob die prophylaktische Verabreichung von Antibiotika die Infektion einer frischen Bisswunde zu verhindern vermag. Häufig wird argumentiert, keine Bisswunde könne als «sauber» betrachtet werden. Da Infektionen im allgemeinen innerhalb von 24 Stunden nach einer Bissverletzung auftreten, ist eine Antibiotikaprophylaxe bei Wunden, die älter als 24 Stunden sind, kaum sinnvoll.
Die wenigen randomisierten Studien zum Thema sind meistens mit verschiedenen schwerwiegenden Mängeln behaftet, wie fehlende Vergleichbarkeit der Wunden, fehlende Standardisierung der Wundpflege, unterschiedliche Lokalisation der Wunden usw.
Bei Hundebissen ergab in einer Studie mit 185 Personen die prophylaktische Verabreichung von Amoxicillin/Clavulansäure (Augmentin® u.a.) bei denjenigen, die erst nach 9 bis 24 Stunden den Arzt konsultierten, einen statistisch signifikanten Vorteil gegenüber Placebo. Wurde die Behandlung schon früher begonnen, konnte kein Nutzen der Antibiotika gezeigt werden.(7) In einer anderen Studie, bei der etwa die Hälfte von 98 Personen mit Hundebissverletzungen nachkontrolliert werden konnte, reduzierte eine 5-tägige orale Penicillinprophylaxe die Infektionsrate nur bei «Risikowunden» z.B. an den Händen.(8)
In einer neueren Studie wurden Personen mit wenig infektionsgefährdeten Hundebissen entweder mit einer 7-tägigen Antibiotikaprophylaxe oder nur mit lokalen Massnahmen behandelt. Unter der antibiotischen Behandlung entwickelte sich bei 1 von 89 Personen eine Infektion, ohne Antibiotika war dies bei 5 von 96 der Fall. Dieser Unterschied ist jedoch statistisch nicht signifikant.(9)
In einer Metaanalyse wurden 8 randomisierte Studien bei Hundebissen zusammengefasst, die bis 1994 veröffentlicht worden waren. Obwohl hier ein Nutzen errechnet werden konnte (relatives Infektionsrisiko durch Antibiotika auf 0,56 reduziert), plädiert der Autor für einen restriktiven Antibiotikaeinsatz. Vor allem bei Wunden mit höherem Infektionsrisiko sei eine prophylaktische Antibiotikagabe indiziert. Gemäss dieser Metaanalyse müssen 14 Personen mit Hundebissen behandelt werden, damit sich die Wundinfektion bei einer Person vermeiden lässt («Number Needed to Treat»).(10)
Bei Katzenbissen ist die prophylaktische Verabreichung von Antibiotika noch schlechter dokumentiert. Sie wurde in einer einzigen, 12 Personen umfassenden Studie untersucht; 10 davon wiesen Punktionswunden auf. Bei 4 von 6 Personen, die Placebo erhielten, entwickelte sich eine Infektion (hauptverantwortlich: Pasteurella multocida). Unter Oxacillin (in der Schweiz nicht erhältlich) wurden keine Infekte beobachtet.(11)
Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2001 erschien im Rahmen der Cochrane Collaboration. Sie berücksichtigt 6 Studien bei Hundebissen, die erwähnte Studie bei Katzenbissen und eine Studie bei Menschenbissen. Die Tollwut lauten, bei Hundebissen sei allgemein keine genügende Evidenz eines Nutzens prophylaktisch verabreichter Antibiotika vorhanden, hingegen sollten bei Bissen in die Hand wohl mit Vorteil Antibiotika gegeben werden. Der Nachweis eines Nutzens der Antibiotika bei Menschenbissen sei schwach.(12)
Zusammenfassend kann deshalb nicht zu einer Routine-Antibiotikaprophylaxe bei Bisswunden geraten werden. Die besten Chancen eines Nutzens einer solchen Behandlung bestehen bei Bissverletzungen im Bereich der Hände und bei Punktionswunden, also auch bei Katzenbissen. Dies kann, muss aber nicht auch auf Menschenbisse zutreffen.
Empirische Therapie von infizierten Bisswunden mit Antibiotika
Bei der Verschreibung einer Therapie mit Antibiotika müssen sowohl Keime aus der Mundhöhle des beissenden Säugetiers wie auch die Hautflora des Opfers berücksichtigt werden. Bei Hunden und Katzenbissen müssen mindestens Pasteurella multocida, Staphylococcus aureus und Anaerobier sowie – vor allem bei immundefizienten Opfern – auch Captnocytophaga canimorsus abgedeckt sein. Bei Menschenbissen steht neben gram-positiven und Anaerobiern vor allem Eikenella corrodens im Vordergrund. Die Auswahl eines Antibiotikums basiert meistens auf in-vitro-Daten. Kontrollierte Studien gibt es nur ganz vereinzelt.(13)
Ein Antibiotikum, das gegen alle möglichen bei einer Bissverletzung übertragenen Keime wirksam ist, existiert nicht. Auf Grund von in-vitro-Daten ist Amoxicillin/Clavulansäure gegen die meisten bei Bissverletzungen übertragenen Keime inkl. Captnocytophaga canimorsus sowie gegen Keime der Hautflora des Opfers wirksam und gilt trotz fehlender klinischwissenschaftlicher Daten auf Grund der bisherigen Erfahrungen als Therapie der Wahl. Bei Penicillinallergie wird die Kombination eines Fluorochinolons mit Clindamycin (Dalacin C®) empfohlen. Bei leichteren Infektionen nach Hunde- oder Katzenbissen kann unter enger klinischer Kontrolle Doxycyclin (Vibramycin® u.a.) versucht werden.
Bei Hinweisen auf eine Arthritis oder eine Osteomyelitis sollte die Erregerdiagnose forciert werden. Meistens ist in diesen Fällen eine gezielte parenterale Therapie notwendig.
Schliesslich ist wie bei anderen Verletzungen an eine adäquate Tetanusprophylaxe zu denken, d.h. allenfalls eine Revakzination durchzuführen.
Tollwut
Tollwut ist eine Zoonose. Die Erkrankung ist in Asien, Zentral- und Südamerika sowie in Afrika nach wie vor häufig. Jährlich sterben mehr als 30’000 Menschen (ein Grossteil davon in Indien) an der immer tödlich verlaufenden Tollwuterkrankung. Für die Übertragung des Tollwutvirus sind in Nordamerika meistens Waschbären, Stinktiere, Füchse sowie Fledermäuse, in Europa vor allem Füchse verantwortlich (silvatische Tollwut). Auf anderen Kontinenten sind hingegen Hunde und seltener Katzen die wichtigsten Überträger des Tollwutvirus (urbane Tollwut). Obwohl Kleinnager wie z. B. Eichhörnchen oder Ratten sowie Hasen und Kaninchen experimentell mit dem Tollwutvirus infiziert werden können, übertragen sie das Virus äusserst selten.(14,15) Zur Zeit ist die Schweiz dank einer breit angelegten Impfung der Füchse frei von Tollwut. Als tollwutfrei gelten u.a. auch Grossbritannien. Skandinavien, die iberische Halbinsel, Australien, Papua Neu Guinea und Uruguay.
Das Tollwutvirus verursacht nach einer mittleren Inkubationszeit von 20 bis 60 Tagen (in Extremfällen nur 5 Tage oder sogar bis zu 7 Jahren) eine immer tödlich verlaufende Erkrankung mit Enzephalitis und Paralyse. Dies unterstreicht die Bedeutung der Impfung. Eine postexpositionelle Immunisierung ist jedoch nur wirksam, wenn Antikörper gebildet werden, bevor das Virus das Nervengewebe erreicht. Das Risiko einer Infektion mit dem Tollwutvirus nach Biss durch ein tollwütiges Tier beträgt 5 bis 80%.
Nach einem die Haut enetrierenden Biss durch ein tollwutverdächtiges Tier muss die Wunde sofort gut mit Wasser und Seife ausgewaschen sowie desinfiziert werden (z.B. mit Povidon- Jod). Mit dieser Massnahme allein lässt sich das Risiko einer Tollwutinfektion bereits erheblich reduzieren. Nach einem Tierbiss, aber auch nach Kontakt mit Fledermäusen muss trotzdem unbedingt eine aktive und passive Immunisierung durchgeführt werden.
Präexpositionelle Tollwutimpfung
Personen, die einem erhöhten Tollwutrisiko ausgesetzt sind, sollten präexpositionell geimpft werden. Notwendig sind 3 Impfungen (an den Tagen 0, 7, 21 oder 28) in den Deltoidmuskel des Oberarmes.
Am besten dokumentiert sind die sehr teuren, auf menschlichen Fibroblastenkulturen hergestellten Impfstoffe («human diploid cell vaccine», HDCV, z.B. Tollwutimpfstoff Mérieux). Billiger, jedoch auch immunogen, sind gereinigte, auf Hühner- oder Entenembryonen hergestellte Impfstoffe (z.B. Lyssavac N®). Der letztere Impfstoff wird jedoch leider in der Schweiz aus kommerziellen Gründen nicht mehr angeboten. Impfstoffe, welche aus Nervengewebe gewonnen werden (z.B. Fuenzalida, Semple), werden weltweit vor allem in Entwicklungsländern noch häufig verwendet. Sie weisen ein erhebliches Potential an unerwünschten Wirkungen auf und sollten wenn möglich vermieden werden.
Mit einer intradermalen Verabreichung (ebenfalls im Bereich des Deltoid-Muskels) eines Zehntels der üblichen Dosis eines HDCV-Impfstoffs kann ebenfalls eine gute Immunantwort erzielt werden, womit die Kosten der Impfung erheblich gesenkt werden. Das intradermale Verfahren kommt jedoch nur für die präexpositionelle Impfung in Frage. Durch gleichzeitige Verabreichung von Chloroquin z.B. zur Malariaprophylaxe kann die Immunantwort beeinträchtigt werden. In Europa ist die intradermale Impfung durch die Arzneimittelbehörden nicht zugelassen, entsprechende Präparate sind im Handel nicht erhältlich.
Tollwut-verdächtiger Tierbiss: Verfahren bei nicht-geimpften Personen
Personen, die noch nie geimpft wurden, erhalten gemäss den schweizerischen Empfehlungen insgesamt 5 Injektionen an den Tagen 0, 3, 7, 14 und 30. Wenn ein Tier beobachtet werden kann und nach mindestens 10 Tagen keine Verhaltensänderung und Anzeichen einer Tollwut zeigt, kann die Impfserie abgebrochen werden. Dies gilt jedoch nur für Hunde, Katzen oder Frettchen.
Die fünf Impfungen allein genügen jedoch nicht. Die Wunde muss so rasch wie möglich zusätzlich mit Rabies-Immunglobulin (RIG) umspritzt werden. Kann aus anatomischen Gründen nicht die gesamte Dosis im Wundbereich appliziert werden (z. B. Ohr), wird der Rest intragluteal gespritzt. Es werden 20 IE/kg des ausserordentlich teuren und nicht überall erhältlichen humanen Rabies-Immunglobulin (HRIG, zum Beispiel Rabuman ®) benötigt. Ist HRIG nicht erhältlich, werden 40 IE/kg eines wenn möglich gereinigten Pferdeserums verabreicht. Wenn RIG erst mehr als 7 Tage nach Beginn der aktiven Immunisierung erhältlich ist, so ist es wegen der bereits beginnenden Antikörperantwort unnötig und kann eventuell sogar mit der Antikörperbildung interferieren. Antikörpertiterkontrollen werden nach Beendigung der Impfserie bei Personen mit gestörtem Immunsystem empfohlen.
Tollwut-verdächtiger Tierbiss: Verfahren bei vorgeimpften Personen
Hat eine Tollwut-exponierte Person vorgängig bereits eine präexpositionelle Impfung erhalten, so muss trotzdem nachgeimpft werden. Liegt die präexpositionelle Impfung weniger als 3 Jahre zurück, genügt eine postexpositionelle Impfung an den Tagen 0 und 3. Liegt die Tollwut-Impfung mehr als 3 Jahre zurück, so soll am Tag 7 ein dritte Impfung verabreicht werden. In beiden Fällen wird zu einer Kontrolle der Antikörpertiter geraten. Der Vorteil der präexpositionellen Impfung liegt vor allem darin, dass RIG im Falle einer Bissverletzung unnötig ist.
Praktische Empfehlungen
Alle Bissverletzungen müssen sorgfältig inspiziert und sekundäre Verletzungen an Nerven, Gefässen, Sehnen und Knochen ausgeschlossen werden. Wichtig sind eine gute Spülung, Desinfektion und Wundtoilette. Eine primäre Naht kann mit Ausnahme der Hände und bei Punktionswunden durchgeführt werden. Eine prophylaktische Verabreichung von Antibiotika ist meistens unnötig. Wichtige Ausnahmen stellen Punktionswunden durch Katzenbisse sowie Wunden im Bereich der Hand dar. «Unechte» Menschenbisse der Hand durch Verletzung der Metakarpophalangealgelenke beim Schlag mit der Faust gegen die Zähne («Clenched-fist injuries») sind ein bedeutsames Infektionsrisiko. In solchen Fällen wird auf Grund von in-vitro- Daten und klinischer Erfahrung eine Antibiotikaprophylaxe während 5 Tagen mit Amoxicillin/Clavulansäure (3mal 625 mg/Tag) durchgeführt. Liegt bereits eine Infektion der Wunde vor, wird ein Wundabstrich durchgeführt und ebenfalls empirisch mit Amoxicillin/Clavulansäure (3mal 625 mg täglich während 5 bis 10 Tagen) behandelt. Noch weniger gut dokumentierte, aber von einzelnen Fachleuten empfohlene Alternativen sind die Kombination von Clindamycin (Dalacin C®) und Ciprofloxacin (Ciproxin® u.a.), Dicloxacillin/Penicillin, Zweit- oder Drittgenerations-Cephalosporine, Tetrazykline und Trimethoprim/ Sulfamethoxazol (Bactrim® u.a.).
Literatur
- 1) Horisberger U. Medizinisch versorgte Hundebissverletzungen in der Schweiz. Opfer – Hunde - Unfallsituationen. Bern: Dissertation, Veterinär medizinische Fakultät der Universität und Bundesamt fü
- 2) Matter HC. Eur J Epidemiol 1998; 14: 483-90
- 3) Talan DA et al. N Engl J Med 1999; 340: 85-92
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- 5) Thomas PR, Buntine JA. Med J Aust 1987; 147: 536-40
- 6) Javaid M et al. J R Soc Med 1998; 91: 414-6
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- 8) Callaham M. Ann Emerg Med 1980; 9: 410-4
- 9) Dire DJ et al. Pediatr Emerg Care 1992; 8: 194-9
- 10) Cummings P. Ann Emerg Med 1994; 23: 535-40
- 11) Elenbaas RM et al. Ann Emerg Med 1984; 13: 155-7
- 12) Medeiros I, Saconato H. Cochrane Database Syst Rev. 2001; (2): CD001738
- 13) Goldstein EJ et al. Int J Dermatol 1987; 26: 123-7
- 14) Plotkin SA. Clin Infect Dis 2000; 30: 4-12
- 15) Rupprecht CE et al. Lancet Infect Dis 2002; 2: 327-43
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