Bewegung und Sport, Herzinfarkt und Cholesterin
- Autor(en): Peter Schürch
- pharma-kritik-Jahrgang 14
, Nummer 03, PK531
Redaktionsschluss: 14. Februar 1992 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Gasteditorial
Zu den externen Risikofaktoren für den Herzinfarkt gehört neben einer ungeeigneten Ernährung und dem Rauchen auch der Bewegungsmangel. Bewegungsmangel beeinflusst das Infarktrisiko in vielfältiger Weise, insbesondere auch über Veränderungen der Blutlipide. Ausserdem verschlechtert sich allgemein die körperliche Leistungsfähigkeit und insbesondere diejenige des Herz- Kreislaufsystems.
Eine ganze Reihe von epidemiologischen Untersuchungen sprechen für die Annahme, dass Bewegung und Sport das Risiko einer koronaren Herzkrankheit und eines Herzinfarktes vermindern kann. Mehrere Arbeiten haben sich mit der Bedeutung des Trainingsmasses, gewissermassen mit der Dosierung, befasst. Dabei hat es sich gezeigt, dass ein zunehmender Bewegungsumfang bis zu einem Arbeitskalorienverbrauch von 2000 bis 3000 kcal pro Woche das kardiovaskuläre Erkrankungsrisiko herabsetzt.(1-3) Wenn wir wissen, dass pro km ebene Distanz und pro kg Körpergewicht etwa 1 kcal verbraucht wird, so ergibt dies für einen 80 kg schweren Menschen eine Distanz von 25 km, um auf einen Verbrauch von 2000 kcal zu kommen.
In prospektiven Studien wurde auch untersucht, ob zwischen der körperlichen Leistungsfähigkeit («Fitness») und dem Herzinfarkt-Risiko ein Zusammenhang bestehe. So konnte gezeigt werden, dass Personen mit guter körperlicher Leistungsfähigkeit ein deutlich kleineres Risiko eines Herzinfarkts haben als solche, deren Fitness zu wünschen übrig lässt.(4-7) In diesem Zusammenhang ist allerdings auch eine Studie zu erwähnen, die zwar einen protektiven Effekt einer guten Fitness, jedoch nicht einer vermehrten körperlichen Aktivität nachweisen konnte.(8) Die Beeinflussung der Fitness durch andere Risikofaktoren (z.B. Übergewicht, Rauchen) ist tatsächlich nicht leicht einzuschätzen. In einer Studie ergab sich beispielsweise, dass das erhöhte Risiko von wenig leistungsfähigen Männern in erster Linie deren erhöhten Blutdruckwerten zuzuschreiben war.(6)
Von besonderem Interesse ist die Frage, ob es günstiger sei, eine gute Fitness oder normale Cholesterinwerte aufzuweisen. In einer Studie wurden die Versuchspersonen entsprechend ihrer Leistung auf dem Laufband in fünf Klassen eingeteilt. Dabei fand sich für Männer in der schwächsten Leistungsklasse, aber mit normalen Cholesterinwerten ein etwa doppelt so hohes Gesamtmortalitäts-Risiko wie für Männer mit hoher körperlicher Leistungsfähigkeit. (7) Für Frauen bestanden in dieser Studie geringere Unterschiede. Nur leistungsschwache Frauen mit einem erhöhten Gesamtcholesterin (über 6,75 mmol/l) hatten ein gegenüber den anderen Kategorien deutlich erhöhtes Mortalitätsrisiko. Aber auch in Relation zu anderen Risikofaktoren (Blutdruck, Blutzucker, Körpermassenindex, Nikotinkonsum, Familienanamnese) ergab sich eine eindrückliche protektive Wirkung einer guten Fitness. Fazit dieser Studie: Eine gute körperliche Leistungsfähigkeit ist der wichtigste Schutzfaktor gegen ein zu frühes Sterben.
Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass noch einige Fragen offen sind. So wurden nur in wenige der erwähnten Studien auch Frauen einbezogen. Frauen haben ja z.B. in der Schweiz ein vergleichsweise kleines Infarktrisiko. Daten, die sich auf amerikanische oder britische Männer (mit hohem Infarktrisiko) beziehen, lassen sich nicht unbesehen auf die weibliche Bevölkerung Mitteleuropas übertragen. Auch fehlt bisher eine Interventionsstudie, welche die günstige Wirkung körperlicher Aktivität direkt beweisen würde. Zweifler lassen sich wohl erst dann überzeugen, wenn eine Studie vorliegt, welche die Wirkung von Bewegung und Sport prospektiv mit körperlicher Inaktivität vergleicht.
Unklar ist auch nach wie vor, welche Mechanismen für die günstige Wirkung von körperlicher Aktivität verantwortlich sind. Bekannt ist unter anderem die blutdrucksenkende Wirkung von körperlichem Training. Besonders häufig untersucht wurde aber der Einfluss von körperlicher Betätigung auf die Blutlipide.
Mehrere Querschnittuntersuchungen haben sich mit den Zusammenhängen zwischen dem Trainingsquantum bzw. der Leistungsfähigkeit und den Blutlipiden befasst. Besonders in bezug auf das HDL-Cholesterin besteht ein Zusammenhang mit der körperlichen Aktivität, wahrscheinlich auch mit dem Trainingsquantum, sicher aber mit der Dauerleistungsfähigkeit.(9-11) Wer also in einer Ausdauersportart ein grösseres Trainingspensum bestreitet oder über ein besseres Dauerleistungsvermögen verfügt, besitzt statistisch gesehen die grössere Chance, ein höheres HDL-Cholesterin aufzuweisen. Diese erhöhten HDLCholesterinwerte finden wir nur bei Ausdauersportlern, nicht aber bei Kraftathleten.(12)
Im Gegensatz dazu bestehen beim Gesamtcholesterin keine deutlichen Einflüsse durch eine sportliche Betätigung. Befunden von herabgesetzten Cholesterinwerten bei Ausdauertrainierten stehen Ergebnisse gegenüber, wo zwischen Sportlern und sportlich Inaktiven keine Unterschiede bestehen.
HDL-Cholesterin-Veränderungen zeigen auch verschiedene Längsschnittuntersuchungen. Ein genügend hoch dosiertes Ausdauertraining bewirkt eine Zunahme des HDL-Cholesterins.(13-15) Wiederum sind die Resultate bezüglich Gesamtcholesterin widersprüchlich: Trainingsversuchen, welche Cholesterinsenkungen verursachten, stehen Ergebnisse mit unveränderten Werten gegenüber. Es bleibt zu ergänzen, dass eine Bewegungstherapie vor allem bei Personen mit hohen Ausgangswerten zu einem Absinken des Gesamtcholesterins führt, während die gleiche Behandlung bei Individuen mit normalen Werten kaum Änderungen erzeugt.(16)
In bezug auf die Triglyzeride sei lediglich erwähnt, dass Ausdauertrainierte über niedrigere Werte als Untrainierte verfügen und dass ein Ausdauertraining die Triglyzeride senkt. Die triglyzeridsenkende Wirkung von Ausdauerleistungen hört jedoch rasch nach der letzten Belastung auf.(17,18)
Keine oder nur geringe Lipidveränderungen treten bei körperlichem Training auf, wenn bereits ein guter Trainingszustand vorliegt oder die Trainingsdauer zu kurz bzw. die Dosis des Trainings zu gering ausfällt. Ausserdem steigen die HDL-Cholesterinwerte bei Frauen im Vergleich mit Männern unter Bewegungstherapie weniger deutlich an, da Frauen primär günstigere HDL-Werte aufweisen. Es bestehen zudem Synergien mit den Einflüssen eines niedrigeren Körpergewichtes von Ausdauerathleten bzw. der oft bei der Aufnahme von regelmässigem Training auftretenden Gewichtsabnahme. Es steht aber fest, dass nicht nur das niedrigere Körpergewicht, sondern auch eine bessere Dauerleistungsfähigkeit bzw. die zurückgelegten Trainingskilometer die Lipide im günstigen Sinne verändern.
Für die Dosierung des Ausdauertrainings besteht für das HDL-Cholesterin eine Art Schwelle. So müssen wir während sechs bis neun Monaten eine wöchentliche Distanz von 16 km zurücklegen, um eine relevante Erhöhung des HDL-Cholesterins zu erreichen.(19)
Zusammenfassend lässt sich aussagen, dass ein regelmässig durchgeführtes und genügend dosiertes Ausdauertraining mit nicht zu hoher Belastungsintensität bei verhältnismässig geringen Nebenwirkungen nicht nur die Blutlipide günstig beeinflusst, sondern auch die Leistungsfähigkeit des Kreislaufs verbessert und mit grosser Wahrscheinlichkeit das Herzinfarktrisiko verringert. Damit gehört bei Hyperlipidämien eine konsequent durchgeführte Bewegungstherapie in Kombination mit der Ernährungsumstellung an die erste Stelle des Behandlungsplans.
Literatur
- 1) Salonen JT et al. Am J Epidemiol 1988; 127: 87-94
- 2) Morris JN et al. Br Heart J 1990; 63: 325-34
- 3) Leon AS, Connett J. Int J Epidemiol 1991; 20: 690-7
- 4) Erikssen J. Acta Med Scand 1986; Suppl 711: 189-92
- 5) Ekelund LG et al. N Engl J Med 1988; 319: 1379-84
- 6) Slattery ML, Jacobs DR. Am J Epidemiol 1988; 127: 571-80
- 7) Blair SN et al. JAMA 1989; 262: 2395-401
- 8) Sobolski J et al. Am J Epidemiol 1987; 125: 601-10
- 9) Abbott RD et al. Am J Cardiol 1989; 63: 342-6
- 10) Sedgwick WA et al. J Clin Epidemiol 1989; 42: 189-200
- 11) Caspersen CJ et al. Am J Epidemiol 1991; 133: 1078-92
- 12) Keller HJ et al. Schweiz Med Wochenschr 1982; 112: 1868
- 13) Thompson PD et al. Circulation 1988; 78: 25-34
- 14) Suter E et al. Int J Sports Med 1990; 11: 425-32
- 15) Wood PD et al. N Engl J Med 1991; 325: 461-6
- 16) Tran ZV et al. Med Sci Sports Exerc 1983; 15: 393-402
- 17) Cullinane E et al. Metabolism 1982; 31: 844-7
- 18) Schürch PM et al. in Hecker G. et al., eds. Schulsport, Leistungssport, Breitensport. St. Augustin: Hans Richarz 1983: 83-6
- 19) Superko HR. Med Sci Sports Exerc 1991; 23: 677-85
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