Obstipation bei Kindern
- Autor(en): Peter Marko
- Reviewer: Beatrice Müller-Schenker, Hans Spescha
- pharma-kritik-Jahrgang 24
, Nummer 2, PK45
Redaktionsschluss: 23. Juli 2002
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2002.45 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Übersicht
Verstopfung ist bei Kindern ein häufiges Problem – dieses steht bei etwa 3 bis 5% der pädiatrischen Konsultationen im Vordergrund. (1,2) Bei Schuleintritt leiden ferner 1,5% der Kinder unter Enkopresis («Einkoten»), ein Problem, das meistens durch eine Obstipation mitverursacht ist. Der folgende Text ist in erster Linie einer kritischen Beurteilung der möglichen Behandlungen gewidmet. Dabei muss man sich bewusst sein, dass die verschiedenen nicht-medikamentösen und medikamentösen Therapien nur sehr beschränkt in kontrollierten Studien untersucht worden sind. So ist z.B. zur Anwendung von Laxantien bei Kindern in der Cochrane Library nur eine systematische Übersicht verfügbar; diese kommt zum Schluss, randomisiert-kontrollierte Untersuchungen müssten dringend durchgeführt werden.(4)
Ursachen und Symptomatik
Besonders wenn eine Verstopfung schon beim Säugling auftritt oder sehr ausgeprägt ist, soll nach möglicherweise angeborenen morphologischen, endokrinen oder metabolischen Ursachen gesucht werden. Bei 90 bis 95% handelt es sich jedoch um eine funktionelle Störung. Die wichtigsten diagnostischen Kriterien für eine funktionelle Obstipation bei Kindern («Rom II») sind in der Tabelle 1 aufgeführt.
Eine chronische Obstipation kann vermutet werden, wenn die Beschwerden (z.B. starkes Pressen beim Stuhlgang, harter Stuhl, weniger als drei Stühle wöchentlich) während mindestens 12 Wochen anhalten.
Ein normaler Stuhlgang ist von verschiedenen Voraussetzungen abhängig, die sich schematisch folgendermassen auflisten lassen: keine mechanischen Hindernisse – intakte Funktion der glatten Darmmuskulatur – normale Sekretion der Darmschleimhautdrüsen – genügende Flüssigkeitszufuhr – genügende Aufnahme unverdaulicher Fasern – richtige bakterielle Darmbesiedlung (in Abhängigkeit von der Nahrungszusammensetzung) – genug Bewegung – gute Bedingungen für den eigentlichen Stuhlgang.
Akute Obstipation
Bei akuter Obstipation ist nicht selten ein abführendes Medikament notwendig. Schon in Säuglingsalter kann eine akute Verstopfung mit Glycerinzäpfchen (Bulboid®), die den Darm stimulieren und den im Mastdarm eventuell vorhandenen Stuhl aufweichen, behandelt werden. «Mikroeinläufe» wie z.B. Microklist ® enthalten verschiedene abführende Komponenten (Natriumcitrat, Natriumlaurylsulfoacetat, Sorbitol). Sie eignen sich in erster Linie für die einmalige Anwendung. Eine wiederholte Applikation sollte wegen einer möglichen Proktitis und dem Risiko, das Stuhlverhalten zu fixieren, vermieden werden. Bei älteren Kindern (von etwa 3 Jahren an) kommen – ebenfalls nur als Einzelbehandlung – die grösseren salinischen Einläufe wie z.B. Practo-Clyss ® (mit Phosphatsalzen) in Frage. Phosphathaltige Einläufe können aber zu einer Phosphatintoxikation mit Hypokalzämie und Krampfanfällen führen.
Die salinischen und nicht-salinischen Laxantien kann man bei akuter Verstopfung auch per os geben. Wegen ihres Geschmackes stossen die ersteren trotz Korrigentien oft auf den Widerstand der Kinder; alle verursachen per os eher Krämpfe und Tenesmen als rektal.
Einzelne Fachleute haben mit Macrogol (Polyethylengykol, PEG, z.B. Movicol®) per os – oder eventuell als Einlauf – gute Erfahrungen gemacht; Macrogol ist jedoch bei Kindern kaum dokumentiert und für diese Altersgruppe offiziell nicht zugelassen.
In ungewöhnlich therapieresistenten Fällen kommt schliesslich eine Spitaleinweisung in Betracht.
Chronische Obstipation: nicht- medikamentöse Massnahmen
Bei der chronischen idiopathischen Obstipation spielen verhaltenstherapeutische und allenfalls diätetische Massnahmen eine wesentliche Rolle. Es muss aber vermieden werden, dass das Thema «Defäkation» zu einer Belastung der Familie wird.
Die Verhaltenstherapie ist eine wichtige Grundlage der Behandlung. Eltern und Kinder werden mit Vorteil über den Verlauf der Verdauung und den Stuhlgang genauer instruiert. Dabei ist es sinnvoll, genug Zeit für Gespräche über Schwierigkeiten mit der Durchführung der Therapie zu reservieren. Die Defäkation sollte ohne zeitlichen und sonstigen Druck in einer dem Kind entsprechenden, bequemen Position erfolgen. Beim Toilettentraining (bei Kindern über 3 Jahren) ist wichtig, dass eine sichere Sitzposition (Schemel, Haltestangen) gewährleistet ist. Die Verhaltenstherapie spielt auch bei der Entwöhnung von abführenden Medikamenten eine Rolle.
Auch Biofeedback kann zur Verhaltenstherapie gerechnet werden. Fachleute stehen diesem aufwendigen Verfahren jedoch oft skeptisch gegenüber. Mehrere Studien zeigten einen gewissen Kurzzeiterfolg; längerfristig konnte jedoch für Biofeedback allein bisher weder eine signifikante Besserung einer Enkopresis noch eine verbesserte Stuhlfrequenz oder ein geringerer Laxantienverbrauch nachgewiesen werden.(1) Erfolge sind offenbar am ehesten in sorgfältig ausgelesenen Fällen – z.B. bei einer Beckenbodendyskinesie – zu erwarten.
Es ist wichtig daran zu denken, dass auch das Selbstbewusstsein und die Kontaktfähigkeit durch eine chronische Verstopfung, besonders mit Enkopresis, beeinträchtigt werden.(5) Die in der Praxis offerierte psychologische Hilfe ist begrenzt durchdie eigenen Kenntnisse und die lokalen Möglichkeiten (Verhaltens- und andere Psychotherapie) sowie die Einsicht und Bereitschaft der ganzen Familie des betroffenen Kindes, das Verhalten und die Ernährung zu ändern. In schwierigen Fällen ist deshalb eine Kooperation zwischen somatisch und psychologisch orientierten Fachleuten anzustreben, was den Therapieerfolg erheblich verbessern kann. Nicht selten sind langfristig auch Medikamente notwendig.
Was die Diät anbelangt, sollte man sich auch bei der Ernährung obstipierter Kinder und Kleinkinder vom Prinzip «proposer sans imposer» leiten lassen. Wenn die Erwachsenen einer Familie den Gemüse- und Früchtekonsum vernachlässigen, so ist es in der Regel schwierig, Kinder vom Nutzen faserreicher Gemüse und Früchte zu überzeugen.
Säuglinge erhalten gemäss den Empfehlungen der Schweiz. Gesellschaft für Pädiatrie erstmals im 5. Monat einmal täglich einen Gemüse-Kartoffelbrei und vom 7. bis 8. Monat an zudem eine Breimahlzeit in Form eines Obst-Getreidebreis.(6) Zusätzliche Gaben von faserhaltigen Nahrungsmitteln sind im Säuglingsalter nicht empfohlen.
Grundsätzlich ist auch darauf zu achten, dass die Kinder genug trinken. Stopfende Nahrungsmittel, die individuell verschieden sein können, sollten gemieden werden. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass eine schwere, therapieresistente Obstipation durch das Weglassen von Milch und Milchprodukten im Alter von 1 bis 6 Jahren verschwinden kann oder sich mindestens stark bessert. 7 Kinder mit Weizeneiweiss-Unverträglichkeit (Zöliakie) und mit Sojaunverträglichkeit haben gelegentlich auch Verstopfung.(8,9) Die Möglichkeit einer Lebensmittelunverträglichkeit als Ursache der Obstipation sollte man vor allem bei atopischen und sonst unter Allergie leidenden Kindern in Betracht ziehen, wenn sie an einer funktionellen, aber therapieresistenten Obstipation leiden.(8)
Medikamente bei chronischer Obstipation
Gelingt es nicht, die Ursache einer funktionellen Verstopfung zu beheben und will man das Kind an einen «problemlosen» Stuhlgang gewöhnen, so ist die Gabe von Laxantien angebracht. Es kann 2 bis 6 Monate dauern, bis sich der Tonus der glatten Darmmuskulatur nach längerer Dilatation wieder normalisiert. (10)
In der Regel steht dabei die orale Verabreichung von Laxantien im Vordergrund. Die Medikamente der ersten Wahl sind – vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern – die nicht-resorbierbaren Zucker Lactulose (z.B. Duphalac®) und Lactitol (Importal®). Die nicht-resorbierbaren Zucker können geeigneten Speisen und Getränken beigemischt werden. Sie wirken erst nach 1 bis 3 Tagen, verursachen anfänglich Blähungen und Flatulenz; deshalb ist es vorteilhaft, die Dosis erst vorsichtig zu steigern und dann nach Möglichkeit wieder zu senken. Sowohl Lactitol wie Lactulose führen zu einer signifikanten Erhöhung der Stuhlfrequenz und zu einer normalen Stuhlkonsistenz. Mit Lactulose behandelte Kinder haben jedoch offenbar mehr Bauchschmerzen und Blähungen.(1)
Der Nutzen von Quell- und Fasermitteln (z.B. Metamucil®) ist bei Kindern kaum dokumentiert. Oft nehmen Kinder diese Mittel ungern und trinken nicht genügend Flüssigkeit dazu, weshalb viele Fachleute davon abraten. Man kann nicht-resorbierbare Zucker und Quellmittel miteinander kombinieren. Genauer untersucht ist aber auch diese Therapievariante nicht.
Pflanzliche Stimulantien (z.B. Senna-Alkaloide) sollten wegen der Gewöhnungsgefahr möglichst vermieden werden. Im Einzelfall ist jedoch eine kurzfristige Behandlung mit Sennapräparaten(oder mit einer Senna-haltigen Kombination) zulässig.(5)
Von der Anwendung von Cisaprid (Prepulsid®), das zwar eine nachgewiesene prokinetische Wirkung hat, ist wegen der Gefahr von QT-Verlängerungen mit lebensbedrohlichen Arrhythmien unbedingt abzuraten.(2,11) Dieses Medikament ist in mehreren Ländern ganz aus dem Handel gezogen worden.
Während Phenolphtalein (z.B. in Paragar®) heute als obsolet gilt, halten einzelne Fachleute Paraffinöl (z.B. in Kombination mit Maltose, Laxamalt®) für wirksam und gut verträglich.
Alle Laxantien können bei längerem Gebrauch sowie bei eingeschränkter Nierenfunktion zu Elektrolytstörungen führen. Entsprechende Kontrollen sind deshalb angezeigt.
Literatur
- 1) Rubin G. in: Clinical Evidence Issue 6; BMJ Publications, December 2001: 263-7
- 2) Baker SS et al. J Pediatr Gastroenterol Nutr 1999: 29: 612-26
- 3) http://www.romecriteria.org/documents/Rome_II_app_D.pdf
- 4) Price KJ, Elliott TM. Cochrane Database Syst Rev 2001;(3) CD 002040
- 5) Anon. Drug Ther Bull 2000; 38: 57-60
- 6) http://www.ssp.hin.ch/main/guidelines/alim5-15-ge.htm
- 7) Iacono G et al. N Engl J Med 1998; 339: 1100-4
- 8) Stricker T, Braegger CP. J Pediatr Gastroenterol Nutr 2000; 30: 224
- 9) Ashabani A et al. J Pediatr Gastroenterol Nutr 2001; 33: 276-82
- 10) Castiglia P. J Pediatr Health Care 2001; 15: 200-2
- 11) Pashankar DS, Bishop WP. J Pediatr 2001; 139: 428-32
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