Apomorphin sublingual
- Autor(en): Peter Ritzmann
- pharma-kritik-Jahrgang 24
, Nummer 1, PK47
Redaktionsschluss: 29. Mai 2002
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2002.47 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Synopsis
Apomorphin in Form einer Sublingualtablette (Uprima ® ) ist neu zur Behandlung der erektilen Dysfunktion registriert worden.
Chemie/Pharmakologie
Apomorphin ist ein Derivat von Morphin und wurde bereits im 19. Jahrhundert als Medikament zur Induktion von Erbrechen bei Vergiftungen eingesetzt. Der zentral wirkende Dopaminagonist hat bis heute noch eine Bedeutung in der Behandlung des M. Parkinson, insbesondere bei akinetischen Krisen, schwerem «On-Off»-Phänomen, Dyskinesien oder neuropsychiatrischen Störungen unter Behandlung mit Levodopa (Madopar ® , Sinemet ® ). (1) Ende der Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts wurde über Erektionen berichtet, die das Medikament bei Labortieren verursacht. Apomorphin ist in seiner Wirkung weniger selektiv als neuere Dopaminagonisten. Seine Affinität zu D2-Rezeptoren ist höher als zu D1-Rezeptoren. Es wird angenommen, dass die zentrale dopaminerge Stimulation die NO-vermittelte Relaxation der Muskulatur in den Schwellkörper-Arteriolen begünstigt und so die physiologische Reaktion auf sexuelle Reize verstärkt. Sildenafil (Viagra ® ) greift demgegenüber direkt an der glatten Muskelzelle an, wo es den Abbau der cGMP hemmt.(2)
Pharmakokinetik
Apomorphin weist eine hohe präsystemische Metabolisierung auf. Für die Behandlung der erektilen Dysfunktion wurde deshalb eine Sublingualtablette entwickelt. Sublingual verabreicht werden Plasmaspitzen von Apomorphin innerhalb von durchschnittlich 45 Minuten erreicht. Die Bioverfügbarkeit liegt bei sublingualer Verabreichung unter 20%. Die Plasma-Spitzenkonzentrationen und die Bioverfügbarkeit variieren interindividuell erheblich. Die Elimination erfolgt rasch und überwiegend über Glukuronidierung und Sulfatierung in der Leber. Nach einmaliger Verabreichung beträgt die Eliminations-Halbwertszeit zwischen 3 und 4 Stunden. Etwa 10% einer Dosis werden über verschiedene Zytochrome zu Norapomorphin metabolisiert. In sehr hohen Konzentrationen kann eine Hemmung von einzelnen Zytochromen nachgewiesen werden.(3)
Klinische Studien
Der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA wurden vor zwei Jahren 4 placebokontrollierte klinische Studien vorgelegt. In diesen waren Männer untersucht worden, die in einer stabilen sexuellen Partnerschaft lebten. Eine erektile Dysfunktion wurde so definiert, dass in den vorausgehenden 3 Monaten in weniger als 50% der Beischlafversuche die Erektion genügte, um den Beischlaf tatsächlich zu vollziehen. Eine Erektionsfähigkeit musste aber nachgewiesen sein. Ausgeschlossen wurden Männer nach einer radikalen Prostatektomie, mit Penisdeformitäten, mit neurologischen Grundleiden, Hypogonadismus oder Hyperprolaktinämie. Knapp ein Drittel der Untersuchten litt an einer arteriellen Hypertonie und etwa ein Sechstel je an einer koronaren Herzkrankheit, einer Hyperlipidämie oder einem Diabetes mellitus. Als primärer Endpunkt wurde beurteilt, wie häufig die Behandelten eine für den Beischlaf genügende Erektion erreichten. Auch die Partnerin wurde nach der Erektion gefragt und beide, ob ein Beischlaf stattgefunden habe. Weiter mussten standardisierte Fragebogen zur Sexualfunktion und zur erektilen Funktion beantwortet werden.(4)
Ein Teil dieser Studien ist mittlerweile publiziert worden. So wurden in einer Doppelblindstudie 296 Männer untersucht. In einer ersten «Crossover»-Gruppe wurden 3 mg Apomorphin und Placebo über je 4 Wochen eingesetzt, in einer zweiten 3 mg und 4 mg Apomorphin. Vor der Behandlungsphase wurde eine Erektion mit genügender Penissteife in 22% der Versuche zum Beischlaf erreicht. Während den Behandlungsphasen stieg der Anteil nach 3 mg Apomorphin auf 47%, nach Placebo hingegen nur auf 32% (Unterschied statistisch signifikant).Versuche, die tatsächlich zum Beischlaf führten, nahmen in praktisch gleichem Ausmass zu. Im zweiten Studienarm war kein signifikanter Unterschied bezüglich Wirksamkeit nachweisbar, hingegen waren Nebenwirkungen nach 4 mg Apomorphin etwa doppelt so häufig wie nach 3 mg. Bis zum Eintreten der Erektion verstrichen durchschnittlich knapp 20 Minuten.(5)
In einer anderen, achtwöchigen Doppelblindstudie wurden 569 Männer in eine von 4 Gruppen eingeteilt und mit Placebo, Apomorphin 5 mg, Apomorphin 6 mg oder Apomorphin in steigender Dosis (initial 2 mg, maximal 6 mg) behandelt. In der Placebogruppe stieg der Anteil der Versuche mit genügender Erektion von 24% auf 35%, in den Gruppen mit 5 mg bzw. 6 mg Apomorphin auf je 53%. Praktisch gleich gross war der Effekt in der Gruppe mit variabler Dosierung, wo über die Hälfte der Behandelten schliesslich die maximale Dosis von 6 mg einnahm.(6)
In einer weiteren Doppelblindstudie erhielten 507 Männer für 8 Wochen entweder Placebo oder Apomorphin in steigender Dosis. Begonnen wurde mit 2 mg, nach 2 Wochen wurde bei allen auf 3 mg und nach weiteren 2 Wochen auf 4 mg gesteigert. In dieser Studie wurde der Anteil von gelungenem Beischlaf pro Versuch als primärer Endpunkt gewertet. Dieser war in der Apomorphingruppe mit 38% signifikant höher als in der Placebogruppe mit 28%.(7)
Unerwünschte Wirkungen
Höhere Apomorphin-Dosen verursachen fast immer Übelkeit. In den kontrollierten Studien fand sich eine klare Dosisabhängigkeit: nach der Einnahme von 2 mg Apomorphin sublingual berichteten etwa 2% über Übelkeit, nach 4 mg 20%, nach 5 mg 31% und nach 6 mg 39%. Erbrechen wurde nach 6 mg bei 10% der Behandelten registriert, nach 2 bis 4 mg war Erbrechen hingegen selten. Häufiger als unter Placebo waren ausserdem Unruhe, Schwitzen, Gähnen und Schläfrigkeit.(8) Wenn nach einer niedrigen Initialdosis die Dosis nach Bedarf gesteigert wird, kann die Inzidenz der Übelkeit etwas reduziert werden. Bei Anwendung einer gleichbleibenden Dosis über mehrere Wochen wurde über Übelkeit im Verlaufe weniger häufig berichtet.(6)
Am häufigsten unter den schwerwiegenderen Nebenwirkungen sind Synkopen, die in den kontrollierten Studien wiederholt registriert wurden. Meistens traten Synkopen nach der ersten Dosis auf, dauerten zwischen 1 Sekunde und 5 Minuten und waren fast immer von Prodromalsymptomen begleitet (starke Übelkeit, Erbrechen, Schwitzen). Auch ein Blutdruckabfall mit ähnlichen Symptomen, jedoch ohne Bewusstseinsverlust, kann auftreten.(9)
Als Kontraindikationen gelten gemäss der Fachinformation für die Schweiz Zustände, die eine sexuelle Aktivität als nicht ratsam erscheinen lassen. Dazu gehören eine instabile Angina pectoris, die ersten Monate nach einem Myokardinfarkt und eine schwere Herzinsuffizienz oder Hypotonie.
Interaktionen
Wegen des gleichen Angriffsortes soll sublinguales Apomorphin nicht mit zentral wirkenden Dopaminagonisten oder -antagonisten kombiniert werden. Die gleichzeitige Anwendung mit blutdrucksenkenden Medikamenten, insbesondere langwirkenden Nitraten, kann zu Blutdruckabfall, orthostatischer Hypotonie und wahrscheinlich auch zu einem erhöhten Risiko für Synkopen führen. Die Interaktion mit Nitraten scheint allerdings weniger ausgeprägt zu sein als bei Sildenafil.(10) Gemäss Daten der FDA vertragen sich auch die gleichzeitige Einnahme von Alkohol und höheren Apomorphin- Dosen schlecht.(9) Interaktionen über die hepatischen Zytochrome sind theoretisch möglich, angesichts der beschränkten Bedeutung für den Metabolismus von Apomorphin aber kaum von klinischer Bedeutung.
Kommentar
Als Medikament zur Behandlung der erektilen Dysfunktion muss sublinguales Apomorphin zu den «Lifestyle»-Medikamenten gezählt werden. Fragen nach dem Wert solcher Therapien und darnach, wer für ihre Kosten aufkommen soll, sind in unserer Gesellschaft erst ansatzweise diskutiert worden. Apomorphin unterscheidet sich im Wirkungsmechanismus und in seinem Nebenwirkungsprofil deutlich von Sildenafil, der Nummer eins unter den Medikamenten zur Behandlung der Impotenz. Soweit ein indirekter Vergleich der placebokontrollierten Studien eine Aussage zulässt, scheint ihre Wirksamkeit ähnlich zu sein. Bei Männern mit nachgewiesenen Erektionen kann die Chance für einen «erfolgreichen» Beischlaf um ein bis zwei Drittel erhöht werden. Vor allem das Auftreten von Synkopen nach der Einnahme und die mögliche Interaktion mit Alkohol hat die amerikanische FDA veranlasst, Apomorphin sublingual vorläufig nicht zuzulassen. Wegen der Variabilität der biologischen Verfügbarkeit und der geringen therapeutischen Breite kommt Apomorphin sublingual auch bei uns höchstens als Mittel der zweiten Wahl in Betracht.
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