Ciclesonid
- Autor(en): Peter Ritzmann
- pharma-kritik-Jahrgang 29
, Nummer 8, PK181
Redaktionsschluss: 2. Oktober 2007
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2007.181 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Synopsis
Ciclesonid (Alvesco®) ist ein Kortikosteroid, das zur inhalativen Therapie bei Asthma bronchiale empfohlen wird.
Chemie/Pharmakologie
Ciclesonid ist ein «Prodrug», eine weitgehend inaktive Substanz, die nach Inhalation im Gewebe zur aktiven Form (Desisobutyryl-Ciclesonid, Des-Ciclesonid) hydrolysiert wird. Des-Ciclesonid ist ein typisches Glukokortikosteroid, das in seiner Struktur Budesonid (Pulmicort®) ähnelt. Kortikosteroide binden sich an Rezeptoren im Zellinnern und bewirken unter anderem eine Hemmung der entzündlichen und immunologischen Aktivität von Entzündungszellen. Sie vermindern die Produktion einer Vielzahl von entzündungsvermittelnden Zytokinen, Chemokinen und Zell-Adhäsionsmolekülen. Beim Asthma bronchiale hemmen sie Schleimproduktion und Ödembildung in den Atemwegen. Wie andere Steroide verhindert Ciclesonid bronchospastische Reaktionen auf Allergene oder unspezifische Auslöser.(1) Des-Ciclesonid weist eine vergleichbare Affinität zum Glukokortikoid-Rezeptor auf wie Budesonid oder Beclometason (Becodisk® u.a.). Ob der höheren Rezeptoraffinität von Fluticason (Axotide®) und Mometason (Asmanex®) klinische Bedeutung zukommt, ist unbekannt.(2)
Pharmakokinetik
Bei Gesunden können nach Inhalation mit einem Ciclesonid-Dosieraerosol mit Norfluran als Treibgas etwa 50% der abgegebenen Wirkstoffmenge in den Lungen nachgewiesen werden. In den Atemwegen wird Ciclesonid zum aktiven Metaboliten Des-Ciclesonid hydrolysiert und hauptsächlich in dieser Form systemisch verfügbar. Des-Ciclesonid hat eine Plasmahalbwertszeit von 3 bis 4 Stunden. Wegen eines ausgeprägten präsystemischen Metabolismus wird verschlucktes Ciclesonid systemisch praktisch nicht verfügbar. Des-Ciclesonid wird weiter zu inaktiven Metaboliten abbgebaut. Dabei spielt das Zytochrom CYP3A4 eine wichtige Rolle. Ausgeschieden werden die Metaboliten grösstenteils mit dem Stuhl.(1,2) Ähnlich wie für Budesonid konnte gezeigt werden, dass Des-Ciclesonid intrazellulär mit Fettsäuren konjugiert wird. Es wird vermutet, dass dadurch eine längere Wirkdauer in den Atemwegen erreicht und eine einmalige tägliche Verabreichung ermöglicht wird.(1,2)
Klinische Studien
Ciclesonid wurde in mehreren Studien mit Placebo oder anderen inhalativen Steroiden verglichen. Die angegebenen Dosierungen von Ciclesonid bezeichnen jeweils die ab Mundstück abgegebene Menge Wirkstoff.
In zwei gleich aufgebauten Studien wurden initial die vorgängig inhalierten Kortikosteroide vorübergehend durch Placebo ersetzt. Insgesamt 1'015 Jugendliche und Erwachsene mit einem leichten oder mittelschweren Asthma erhielten während 12 Wochen einmal täglich Placebo oder Ciclesonid (80 µg, 160 µg oder 320 µg) als Inhalation. In allen drei Ciclesonid-Gruppen nahm die forcierte Erstsekundenkapazität (FEV1) signifikant stärker zu als in der Placebogruppe und auch die Asthmasymptome wurden signifikant stärker reduziert.(3)
329 Teilnehmende einer anderen Studie, alle mit inhalativen Steroiden vorbehandelt, wurden – ohne «Auswaschphase» - mit Ciclesonid (einmal täglich 160 µg oder 320 µg) oder Placebo behandelt. In der Placebogruppe sank das FEV1 um etwa 140 ml, während es in beiden Ciclesonid-Gruppen etwa unverändert blieb (Unterschiede zu Placebo statistisch signifikant).(4)
In einer 12-wöchigen Doppelblindstudie fand sich bei 399 jugendlichen oder erwachsenen Asthmakranken eine stärkere Zunahme des FEV1 unter Ciclesonid (einmal täglich 320 µg) als unter Budesonid (einmal täglich 400 µg, mit Trockenpulver-Inhalator): in der Ciclesonid-Gruppe nahm das FEV1 um 416 ml, in der Budesonid-Gruppe um 321 ml zu (Unterschied statistisch signifikant).(5)
Keine Wirksamkeits-Unterschiede ergaben sich dagegen in einer anderen 12-wöchigen Studie bei 621 Kindern. In dieser Studie betrug die Tagesdosis von Ciclesonid 160 µg, diejenige von Budesonid 400 µg.(6) Auch in einer Doppelblindstudie bei 403 Jugendlichen mit einem schweren Asthma fand sich kein Unterschied. Hier wurden höhere Dosen – ebenfalls einmal täglich – verwendet: 320 µg Ciclesonid bzw. 800 µg Budesonid.(7)
In mehreren, zum Teil nur unvollständig publizierten Studien wurde Ciclesonid auch mit Fluticason verglichen. In einer offenen, aber randomisierten Studie erhielten 474 Jugendliche und Erwachsene, die vorgängig nicht oder nur mit niedrig dosierten inhalativen Kortikosteroiden behandelt worden waren, Ciclesonid (einmal täglich 320 µg) oder Fluticason (zweimal täglich 200 µg, mit Trockeninhalator). Nach 12 Wochen war die Zunahme von FEV1 und anderen Lungenfunktionswerten in der Fluticason-Gruppe tendenziell grösser, die Unterschiede aber statistisch nicht signifikant.(8) In einer sechsmonatigen Studie bei 528 Jugendlichen und Erwachsenen mit einem mittelschweren oder schweren Asthma - die zuvor mit höher dosierten inhalativen Steroiden behandelt worden waren – wurden höhere Ciclesonid- bzw. Fluticason-Dosen verwendet. In beiden Gruppen blieben die FEV1-Werte während der Beobachtungszeit etwa unverändert, während die «peak flow»-Werte leicht anstiegen (Unterschiede zwischen Ciclesonid und Fluticason nicht signifikant).(9)
In den USA und in Kanada ist Ciclesonid als Nasenspray zur Behandlung allergischer Rhinitiden zugelassen. Diese in der Schweiz nicht registrierte Indikation wurde in mehreren placebokontrollierten Studien untersucht, auf die hier nicht eingegangen wird.
Unerwünschte Wirkungen
Bei der Inhalation von Ciclesonid ist mit den bekannten unerwünschten Wirkungen von inhalativen Steroiden zu rechnen. Am häufigsten sind lokale Probleme in Mund und Rachen (Trockenheit der Schleimhäute, Heiserkeit und Mundsoor).(1) In einzelnen Studien wurde ein Mundsoor unter Ciclesonid seltener beobachtet als unter Fluticason.(8,9) Die Inhalation mit Kortikosteroiden kann paradoxerweise auch einen Bronchospasmus auslösen.
Wichtiger als lokale Probleme sind systemische Steroidwirkungen, die in Abhängigkeit von der Dosis auch bei inhalierten Steroiden auftreten können. Zu diesen zählen psychiatrische Störungen, Glaukom und Katarakt, Knochenabbau, verlangsamtes Wachstum bei Kindern und Jugendlichen und eine erhöhte Infektanfälligkeit. Durch die Unterdrückung der körpereigenen Cortisolproduktion kann auch eine akute Nebenniereninsuffizienz ausgelöst werden. Bei den üblichen Dosierungen von Ciclesonid fand sich in den bisherigen Untersuchungen in der Regel kein signifikanter Abfall der Cortisolproduktion, teilweise im Gegensatz zu den Vergleichssubstanzen Fluticason oder Budesonid.(1,6,7) In einer Studie bei Kindern war ausserdem das Wachstum unter Ciclesonid weniger stark verlangsamt als unter Budesonid.(6)
Interaktionen
Da der Abbau des aktiven Des-Ciclesonid vom Zytochrom CYP3A4 abhängt, muss bei gleichzeitiger Anwendung von CYP3A4-Hemmern wie Clarithromycin (Klacid® u.a.) mit erhöhten Plasmaspiegeln gerechnet werden.
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Ciclesonid (Alvesco®) wird als Inhalationslösung mit Alkohol und dem Treibgas Norfluran in Dosieraerosolen mit zwei unterschiedlichen Dosierungen angeboten. Pro Hub geben die Dosieraerosole 100 µg oder 200 µg ab Ventil ab, bzw. 80 µg oder 160 µg ab Mundstück. Ciclesonid ist vom Alter von 6 Jahren an zugelassen und kassenzulässig. Das Medikament soll individuell dosiert werden (von einmal täglich 80 µg bis maximal zweimal täglich 640 µg). Ein Kombinationspräparat mit einem langwirksamen Betamimetikum ist nicht verfügbar.
Schwangerschaft: Wegen der nach Inhalation niedrigen Blutspiegel schätzt die Herstellerfirma das Risiko für toxische Wirkungen am ungeborenen Kind als klein ein. Ob und in welchen Mengen Ciclesonid oder Des-Ciclesonid in der Muttermilch ausgeschieden wird, ist nicht bekannt.
In der Basisdosierung von einmal täglich 160 µg kostet Ciclesonid CHF 24.80 monatlich, etwa gleich viel wie Budesonid (Pulmicort®, zweimal täglich 200 µg). Fluticason (Axotide®) kostet in allen Dosierungen mehr. Beclometason-Generika sind etwas kostengünstiger (z.B. BECeco® zweimal 200 µg täglich CHF 17.15 pro Monat).
Kommentar
Ciclesonid lindert wie andere inhalative Kortikosteroide bei Asthmakranken die Symptome und führt zu einer Verbesserung der Lungenfunktion. Es kann bei leichteren Asthma-Erkrankungen wie Budesonid oder Mometason einmal täglich verabreicht werden. Ciclesonid weist auch andere interessante pharmakokinetische Eigenschaften auf: es ist ein inaktives «Prodrug» und wird nach dem Verschlucken kaum systemisch verfügbar. Ob dies aber einen relevanten Vorteil darstellt, ist noch ungenügend belegt. Irritierend ist auch, dass kaum etwas über die Beziehung von Dosis und Wirkung von Ciclesonid gesagt werden kann. Besser und länger dokumentierte Substanzen, insbesondere Beclometason und Budesonid bleiben weiter erste Wahl bei der inhalativen Asthmabehandlung. Beide sind im Gegensatz zu Ciclesonid auch in Form «klimaneutraler» Trockenpulverinhalatoren erhältlich.
Literatur
- 1) Reynolds NA, Scott LJ. Drugs 2004; 64: 511-9
- 2) Hübner M et al. Immunol Allergy Clin North Am 2005; 25: 469-88
- 3) Pearlman DS et al. J Allergy Clin Immunol 2005; 116: 1206-12
- 4) Chapman KR et al. Allergy 2005; 60: 330-7
- 5) Ukena D et al. Pulm Pharmacol Ther 2007; 20: 562-70
- 6) von Berg A et al. Pediatr Allergy Immunol 2007; 18: 391-400
- 7) Vermeulen JH et al. Respir Med 2007; 101: 2182-91
- 8) Boulet LP et al. Resp Med 2007; 101: 1677-86
- 9) Bateman ED et al. Pulm Pharmacol Ther 2007; (online publiziert: 24. Mai)
Standpunkte und Meinungen
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