Nützen Antibiotika Kleinkindern mit Otitis etwas?
- Kommentar: David Nadal
- infomed screen Jahrgang 4 (2000)
, Nummer 4
Publikationsdatum: 1. April 2000 - PDF-Download dieses Artikels (automatisch generiert)
Studienziele
Die Otitis media wird meist mit Antibiotika behandelt, obwohl kaum dokumentiert ist, dass sie wesentlich zur Heilung beitragen. So wurde vorgeschlagen, nur Antibiotika zu verschreiben, wenn mit Komplikationen zu rechnen ist. Bei Kleinkindern ist dieses Vorgehen aber noch nicht durch entsprechende Daten abgestützt. In dieser holländischen Studie wurde deshalb der Nutzen von Amoxicillin (Clamoxyl® u.a.) bei Otitis media bei Kindern unter 2 Jahren untersucht.
Methoden
In diese in Allgemeinpraxen durchgeführte Doppelblindstudie wurden Kinder mit Otitis media im Alter zwischen 6 und 24 Monaten aufgenommen. Sie erhielten während 10 Tagen entweder Amoxicillin-Sirup (40 mg/kg/Tag, auf 3 Dosen verteilt) oder Placebo, zusätzlich abschwellende Nasentropfen (Oxymetazolin; Nasivin® u.a.) und bei Schmerzen Paracetamol (Dafalgan® u.a.). Die Eltern mussten ein Tagebuch über die Symptome und die Medikamenteneinnahme führen. Nach 4 und 11 Tagen wurde eine Otoskopie durchgeführt und festgehalten, ob noch Ohrschmerzen oder Fieber vorhanden waren. Nach 6 Wochen fand eine Nachkontrolle beim Studienleiter statt.
Ergebnisse
240 Kinder nahmen an der Studie teil. Am 4. Tag wiesen in der Amoxicillin-Gruppe 59%, in der Placebo-Gruppe 72% noch Symptome auf. Am 11. Tag fand man in der Amoxicillin-Gruppe bei 64% einen pathologischen Trommelfell-Befund, in der Placebo-Gruppe bei 70%. In 11 Fällen (3 unter Amoxicillin) musste ein anderes Antibiotikum eingesetzt werden. Mit Amoxicillin behandelte Kinder hatten signifikant weniger lang Fieber (Medianwert: 2 Tage, unter Placebo 3 Tage). Dagegen schienen die Kinder beider Gruppen etwa gleich lang Schmerzen zu verspüren (8-9 Tage), unter Amoxicillin war aber der Paracetamol-Bedarf geringer. Nach 6 Wochen fand man bei 64% der Amoxicillin-Gruppe und bei 67% der Placebo-Gruppe einen Mittelohrerguss. In der Amoxicillin-Gruppe hatten 17% Durchfall, in der Placebo-Gruppe 10%.
Schlussfolgerungen
In dieser Studie konnten die Symptome der Otitis media innerhalb der ersten 4 Tage mit Amoxicillin etwas besser gelindert werden als mit Placebo. Als «number needed to treat» (NNT) ausgedrückt, bedeutet das: Es müssen 7 bis 8 Kinder unter 2 Jahren mit Amoxicillin behandelt werden, damit 1 Kind von dieser antibiotischen Therapie profitiert. Nach 11 Tagen bestanden zwischen den beiden Gruppen keine objektivierbaren Unterschiede. Die Autoren folgern daraus, dass mit der Gabe von Antibiotika abgewartet und primär nur Analgetika verschrieben werden sollen.
Obschon die Autoren eine wichtige Informationslücke schliessen, beantworten sie die Frage nach dem optimalen Vorgehen bei kleinen Kindern mit akuter Otitis aber nicht. Der beschränkte Nutzen des sofortigen Einsatzes von Antibiotika wird zwar aufgezeigt, wie lange mit deren Verordnung zugewartet werden kann, bleibt jedoch offen. Mindestens vier Tatsachen schränken die Aussagekraft der Studie ein. Die Erfahrung der teilnehmenden Ärzte mit der Diagnose einer Otitis media und dem Management bei kleinen Kindern muss als gering betrachtet werden. Zweitens wurde ein Drittel der Kinder, welche die Einschlusskriterien erfüllten, nicht randomisiert, so dass solche mit leichterer Erkrankung übervertreten sein dürften. Drittens fehlt eine Analyse nach möglichen unterschiedlichen Resultaten bei den 35% im Sommerhalbjahr und den 65% im Winterhalbjahr randomisierten Kinder. Es bleibt daher unklar, ob in der warmen Jahreszeit gleich oder anders verfahren werden soll als in der kalten, wenn Virusinfektionen viel häufiger sind. Viertens dürften die Ergebnisse aufgrund von Ausschlusskriterien nicht auf Kinder mit rezidivierender Otitis media anwendbar sein. Trotz der erwähnten Einschränkungen belegt die Studie eindrücklich, dass auch bei Kindern unter 2 Jahren mit akuter Otitis media bei weitem nicht immer Antibiotika verschrieben werden müssen. Wie die Autoren selber folgern, ist aber hierzu noch mehr Forschung nötig.
David Nadal
Standpunkte und Meinungen
- Es gibt zu diesem Artikel keine Leserkommentare.
Copyright © 2025 Infomed-Verlags-AG
-
Jahrgang 2025
Jahrgang 2024
Jahrgang 2023
Jahrgang 2022
Jahrgang 2021
Jahrgang 2020
Jahrgang 2019
Jahrgang 2018
Jahrgang 2017
Jahrgang 2016
Jahrgang 2015
Jahrgang 2014
Jahrgang 2013
Jahrgang 2012
Jahrgang 2011
Jahrgang 2010
Jahrgang 2009
Jahrgang 2008
Jahrgang 2007
Jahrgang 2006
Jahrgang 2005
Jahrgang 2004
Jahrgang 2003
Jahrgang 2002
Jahrgang 2001
Jahrgang 2000
Jahrgang 1999
Jahrgang 1998
Jahrgang 1997