Übersterblichkeit bei hoch-normaler Schilddrüsenfunktion

  • k -- Bano A, Dhana K, Chaker L et al. Association of thyroid function with life expectancy with and without cardiovascular disease: the Rotterdam Study. JAMA Intern Med 2017 (1. November); 177: 1650-7 [Link]
  • Zusammenfassung: Markus Gnädinger
  • Kommentar: Christoph Henzen
  • infomed screen Jahrgang 22 (2018) , Nummer 1
    Publikationsdatum: 16. Januar 2018
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Studienziele

Personen mit einer Schilddrüsen-Überfunktion haben ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Ob aber ein Zusammenhang zwischen der Schilddrüsenfunktion im «normalen» Bereich und einer veränderten Lebenserwartung besteht, ist bisher nicht geklärt.  Deshalb sollte im Rahmen einer populationsbasierten Studie nach einem solchen Zusammenhang gesucht werden.

Methoden

In der «Rotterdam Study», einer prospektiven Kohortenstudie wurden Personen über 45 Jahre mit «normaler» Schilddrüsenfunktion hinsichtlich Gesamtüberleben und Überleben mit oder ohne kardiovaskuläre Krankheit (koronare Herzkrankheit, Hirnschlag oder Herzinsuffizienz) beobachtet. Zusätzlich wurden soziodemographische und kardiovaskuläre Faktoren und Todesfallinformationen erhoben.  Als Kovariablen wurden erfasst: Rauchen, Alkoholkonsum, Bildung, Zivilstand, Grösse, Gewicht, Body Mass Index, Hypertonie, Hyperlipidämie, Diabetes und entsprechende Medikamente. Aufgrund der unterschiedlichen Lebenserwartung wurden Frauen (f) und Männer (m) separat analysiert.

Ergebnisse

Von insgesamt 11'740 Teilnehmerinnen und Teilnehmern standen bei 9’686 Personen die Schilddrüsenwerte zur Verfügung. Von diesen wurden 1'346 ausgeschlossen, weil sie eine bekannte Schilddrüsenkrankheit oder eine entsprechende Medikation hatten oder ihre TSH-Werte bzw. das freie Thyroxin (fT4) ausserhalb der Norm (TSH: 0,4-4,0 mU/l, fT4: 11,1-25,0 pmol/l) lagen. Somit wurden 7'785 Personen (66%) in die Analyse eingeschlossen. Das durchschnittliche Alter war 65 Jahre, 52% waren weiblich, und die mediane Beobachtungszeit betrug 8 Jahre. Während der Studie starben 1'357 Personen (17,4%). Die Kohorte wurde nach TSH- und nach fT4-Werten in drei Terzile eingeteilt. Bei den Personen ohne vorbestehende kardiovaskuläre Erkrankung war die Mortalität im obersten TSH-Terzil etwa 24% geringer als im untersten, bei denjenigen mit Herz-Kreislauferkrankung betrug der Unterschied 18%. Noch grösser sind die Unterschiede, wenn die Resultate nach fT4-Terzilen eingeteilt werden: Im obersten Terzil war das Mortalitätsrisiko für Personen mit kardiovaskulärer Erkrankung 64%, für solche ohne kardiovaskuläre Erkrankung 45% höher als im untersten Terzil. Für die Personen im höchsten fT4-Terzil lässt sich im Vergleich eine durchschnittliche Lebensverkürzung um 3,2 Jahre (m) bzw. 3,5 Jahre (f) errechnen. Bei den höchsten fT4-Werten traten zudem während der Studie signifikant mehr neue Herz-Kreislauferkrankungen auf.

Schlussfolgerungen

Die Studienverantwortlichen konstatieren, dass 50-jährige Personen mit tief-normaler Schilddrüsenfunktion eine um bis 3,5 Jahre längere Lebenserwartung haben. Sie stellen die Frage, ob die aktuellen, statistisch erstellten Normalwerte für TSH und fT4 revidiert werden sollten und schlagen diesbezüglich weitergehende Studien vor.

Zusammengefasst von Markus Gnädinger

Die Rotterdam-Studie beschreibt die Assoziation von Schilddrüsenhormon-Werten im Blut und der Lebenserwartung bei «Schilddrüsen-Gesunden»: eine laborchemisch tiefnormale Schilddrüsenfunktion ist mit einer um 3,5 Jahre längeren Lebenserwartung assoziiert. Die Studie zeigt eine ganze Reihe von Problemen auf, die mit der Interpretation von TSH, fT4 und fT3 einhergehen: 1) TSH ist von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst (wie Medikamente, Rauchen, andere Glykoproteinhormone wie Beta-HCG) und ein diskreter Anstieg (bis 10 mU/l) oder Suppression ist eine häufige Folge; 2) die Genauigkeit des fT4-Wertes hängt vom verwendeten Assay ab (in der Schweiz wird fT4 häufig zu tief gemessen); 3) das biologisch aktive fT3 entsteht durch die Konversion aus fT4, die wiederum von verschiedenen Faktoren abhängt (z.B. Glukokortikoide oder Betablocker).

Aufgrund der Studienresultate lassen sich für den klinischen Umgang mit Schilddrüsenhormon-Werten folgende Schlussfolgerungen ziehen: 1) die Normwerte sind nicht eindeutig definiert und es besteht nach oben und unten eine Unschärfe, die einen Teil der «subklinischen» Hyper- bzw. Hypothyreose ausmacht; 2) beim Schilddrüsen-Gesunden ist daher, basierend auf derartig pathologischen Werten, die Indikation für weitere diagnostische und therapeutische Massnahmen zurückhaltend zu stellen; und 3) insbesondere eine Korrektur von leicht erhöhten TSH-Werten ist in dieser Population nicht empfohlen.

Christoph Henzen

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Übersterblichkeit bei hoch-normaler Schilddrüsenfunktion ( 2018)