Gibt es eine optimale Kaiserschnittrate?

  • k -- Molina G, Weiser TG, Lipsitz SR et al. Relationship between cesarean delivery rate and maternal and neonatal mortality. JAMA 2015 (1. Dezember); 314: 2263-70 [Link]
  • Zusammenfassung: Felix Schürch
  • Kommentar: Daniel Passweg
  • infomed screen Jahrgang 20 (2016) , Nummer 2
    Publikationsdatum: 4. April 2016
  • PDF-Download dieses Artikels (automatisch generiert)

Die Weltgesundheitsorganisation WHO ging bei ihren bisherigen Empfehlungen von einer optimalen Kaiserschnittrate von 10 bis 15% aus. In Ländern, in denen Wahl-Kaiserschnitte wegen fehlender Ressourcen wie z.B. in Afrika (durchschnittliche Sectiorate 8,8%) nur begrenzt möglich sind, gibt es mehr perinatale Todesfälle. Andererseits wird bei Raten von 20% und mehr immer wieder postuliert, die Operationsindikation werde zu oft gestellt («overuse»). Das Ziel der Studie war, die Zahl der Kaiserschnitte pro 100 Geburten mit der Mortalität von Mutter und Kind in Beziehung zu setzen. Zu diesem Zweck wurden Daten aller 194 WHO-Mitglieder aus den Jahren 2005 bis 2012 in die Untersuchung einbezogen. Die Auswertung erfolgte anhand der Daten von 2012. Für 22 Länder, in denen die Kaiserschnittrate nicht bekannt war, wurde sie anhand einer komplexen Modellrechnung geschätzt.

Die geschätzte, weltweite Anzahl von Kaiserschnitt-Geburten im Jahr 2012 betrug 22,9 Millionen. Die durchschnittliche Sectiorate pro Land reichte von 0,6% (Südsudan) bis 55,6% (Brasilien). Bis zu einer Sectiorate von 19,1% verhielt sich diese umgekehrt proportional zur mütterlichen Mortalität, für die kindliche Mortalität galt dasselbe bis zu einer Sectiorate von 19,4%. Höhere Raten ergaben weder eine positive noch eine negative Korrelation zur Mortalität von Mutter und Kind. Die Studienverantwortlichen schliessen daraus, dass die bisherige Zielgrösse der WHO bezüglich der optimalen Kaiserschnittrate wahrscheinlich zu tief angesetzt ist.


Die Sectiorate ist weltweit sehr unterschiedlich und kann bis über 50% betragen! Bisher gibt es kaum gesicherte Erkenntnisse, ob bzw. wie sich ein geplanter Kaiserschnitt auf die Gesundheit des Kindes auswirkt. Grundlage für diese Studie waren Daten des «Scottish Morbidity Record» (SMR02), der soziale und klinische Daten von allen Frauen enthält, die seit 1980 aus einer schottischen Gebärklinik entlassen wurden. Für die Auswertung wurden die Gesundheitsdaten aller Erstgebärenden und ihrer Kinder der Jahre 1993 bis 2015 aus verschiedenen schottischen Informationssystemen verwendet. Das Ziel war, die Beziehung zwischen einem geplanten Kaiserschnitt und den gesundheitlichen Problemen des Kindes zu untersuchen.

Die untersuchte Kohorte umfasste 321'287 Kinder, welche zwischen 1993 und 2007 auf die Welt kamen. Davon waren 12'355 (3,8%) geplante Kaiserschnitte, 56'015 (17,4%) ungeplante Kaiserschnitte und 252'917 (78,7%) vaginale Geburten. Kinder nach geplantem Kaiserschnitt hatten im Vergleich zu Kindern nach vaginaler Geburt ein erhöhtes Risiko für eine Hospitalisation wegen Asthma (für Störfaktoren korrigierte «Hazard Ratio» HR 1,22; 95% CI 1,11-1,34), für die Verschreibung von Salbutamol (z.B. Ventolin®) im Alter von fünf Jahren (HR 1,13) und für Tod vor dem 21. Altersjahr (HR 1,41). Zwischen Kindern nach nicht geplantem und geplanten Kaiserschnitt gab es diese Unterschiede nicht. Nur das Risiko für Typ-1-Diabetes war nach geplantem im Vergleich zu ungeplantem Kaiserschnitt erhöht (HR 1,35).

Zusammengefasst von Felix Schürch

19% ist die gemittelte ideale Sectiorate. Und nun? Wo alte Erstgebärende die Regel sind, ist eine hohe Sectiorate richtig. Wo Frauen jung schwanger werden und viele Kinder haben, sollen Kaiserschnitte wegen den damit «anoperierten» Gefahren für Folgeschwangerschaften (Plazentationsstörungen, Rupturen) mit engagierter Geburtshilfe vermieden werden. Eine Sectio kann das Leben von Mutter und Kind retten und soll überall zur Verfügung stehen. Selbstredend kann man überdosieren. Es kommt eben darauf an, was für ein Kollektiv betreut wird.

In der zweiten Studie sind weniger als 1/5 der Kaiserschnitte geplant, das ist wenig und impliziert eine strenge Indikationsstellung und damit eine stark selektierte Gruppe von Schwangeren. Eine geplante Sectio wird z.B. bei Fehllagen oder bei mütterlicher Krankheit durchgeführt. Aus meiner Sicht ist das in der Studie gefundene leicht höhere Asthma-Risiko darum auf einen Selektions-Bias zurückzuführen oder zufallsbedingt. Und selbst wenn kausal, würde bei gut gestellter Indikation der Geburtsmodus nicht ändern.

Daniel Passweg

Standpunkte und Meinungen
  • Es gibt zu diesem Artikel keine Leserkommentare.
infomed-screen 20 -- No. 2
Copyright © 2024 Infomed-Verlags-AG
Gibt es eine optimale Kaiserschnittrate? ( 2016)