Enttäuschende Wirkung epiduraler Steroidinjektionen
- m -- Chou R, Hashimoto R, Friedly J et al. Epidural corticoid injections for radiculopathy and spinal stenosis: a systematic review and meta-analysis. Ann Intern Med 2015 (1. September); 163: 373-81 [Link]
- Zusammenfassung: Felix Tapernoux
- Kommentar: Othmar Schwarzenbach
- infomed screen Jahrgang 19 (2015)
, Nummer 6
Publikationsdatum: 17. Dezember 2015 - PDF-Download dieses Artikels (automatisch generiert)
Studienziele
Epidurale Kortikosteroidinjektionen werden für die Behandlung von lumbalen radikulären Symptomen infolge einer Diskushernie und bei Spinalkanalstenosen angewendet. Die Beurteilung dieser Methode wird insofern erschwert, als in verschiedenen Studien die Auswahlkriterien der untersuchten Personen, die Injektionstechniken, die Auswahl der Vergleichsgruppen und die Bewertung der Ergebnisse stark variieren. Mit dieser systematischen Übersichtsarbeit sollte daher die Wirksamkeit von epiduralen Kortikosteroidinjektionen bei lumbaler Radikulopathie bzw. Spinalkanalstenose untersucht werden.
Methoden
In verschiedenen Datenbanken wie z.B. Medline wurden randomisierte Studien gesucht, in denen die Wirkung epiduraler Kortikosteroidinjektionen auf lumbale Radikulopathien und spinale Stenosen im Vergleich mit Placebo untersucht wurde. Einbezogen wurden zudem Studien, in denen verschiedene Injektionstechniken, verschiedene Steroide und verschiedene Steroiddosen miteinander verglichen wurden. Studienendpunkte waren das Ausmass der Schmerzen oder einer funktionellen Beeinträchtigung bzw. die Notwendigkeit einer nachfolgenden chirurgischen Therapie. Die Endpunkte mussten frühestens fünf Tage nach der Injektion erhoben worden sein.
Ergebnisse
30 placebokontrollierte Studien erfüllten die Auswahlkriterien für die Anwendung epiduraler Kortikosteroidinjektionen bei lumbaler Radikulopathie und acht Studien diejenigen bei lumbaler Stenose. Bei der Therapie von Radikulopathien konnten die Schmerzen und die Funktion kurzfristig in geringem Masse günstig beeinflusst werden. Auch das Risiko für eine frühzeitige chirurgische Intervention war geringer (Relatives Risiko RR 0,62; 95% CI 0,41-0,92). Bei längerer Beobachtungszeit konnten diese positiven Wirkungen aber nicht mehr nachgewiesen werden. Für die Anwendung bei spinaler Stenose waren die Daten widersprüchlich; es konnte kein klarer Nutzen gezeigt werden. Dasselbe galt für den Vergleich zwischen unterschiedlichen Injektionstechniken und Steroidpräparaten bzw. -dosen. Unerwünschte Wirkungen nach epiduralen Kortikosteroidinjektionen waren insgesamt schlecht dokumentiert, schwere Nebenwirkungen scheinen aber selten zu sein.
Schlussfolgerungen
Aufgrund dieser Meta-Analyse zeigen epidurale Kortikosteroidinjektionen bei lumbaler Radikulopathie eine – allerdings nur kurzfristige – günstige Wirkung. Bei Spinalstenose konnte dagegen keine sichere Wirkung nachgewiesen werden.
Zusammengefasst von Felix Tapernoux
Einmal mehr ein Review-Artikel mit Meta-Analyse, der Kollegen, die an Statistik interessiert sind, Freude macht, jedoch ohne brauchbaren Nutzen für unseren klinischen Alltag ist. Wir alle wissen und haben dies an unseren Patientinnen und Patienten auch oft schon miterlebt, dass eine epidurale/transforaminale Infiltration bei Personen mit radikulären Schmerzen eine schnelle und sehr oft hervorragende Schmerzreduktion bewirken kann. Die Dauer der Wirkung ist aber in der Tat sehr unterschiedlich. Bevor wir die Indikation zur Infiltration stellen, klären wir ab, wodurch der radikuläre Schmerz verursacht wird. Die zu erwartende Wirkung einer epiduralen/transforaminalen Infiltration hängt entscheidend davon ab, ob eine akute Diskushernie, eine chronische foraminale oder rezessale Stenose oder sogar eine Instabilität die Ursache ist. Durch den MRI-Befund eines Bandscheibenvorfalls (Lage, Protrusion vs. Sequestration, Art des Gewebes etc.) können wir bereits vorhersagen, ob die Infiltration nützen wird oder ob allenfalls sogar ein operatives Vorgehen angezeigt ist. Die Ursache der radikulären Schmerzen wird in dieser Meta-Analyse überhaupt nicht berücksichtigt (statistisch: radikulärer Schmerz = radikulärer Schmerz)! Personen mit chronischen radikulären Schmerzen, dazu können auch die Spinalkanalstenose-Patienten gerechnet werden, klären wir a priori darüber auf, dass die Infiltration keine Heilung bringt. In dieser Gruppe hat die Infiltration häufig mehr diagnostischen als therapeutischen Wert. Die «Studienpatienten» klagten vorwiegend über chronische radikuläre Schmerzen! Die Kenntnis der vorliegenden Studie wird mich nicht davon abhalten, nächste Woche die chronischen, aktuell wieder sehr starken radikulären Schmerzen meiner 92-jährigen Mutter mit einer kombinierten epiduralen und foraminalen Infiltration zu behandeln. Die epidurale Steroidinfiltration wirkt während zwei bis drei Monaten deutlich besser und hat weniger Nebenwirkungen als eine orale medikamentöse Therapie und verbessert doch temporär die Lebensqualität.
Fazit: Statistik ist die mathematische Form der Lüge. Studien wie die vorliegende sollten umso kritischer beurteilt werden, wenn der Kostenträger im Gesundheitswesen der Auftraggeber ist.
Othmar Schwarzenbach
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