Dexlansoprazol
- Autor(en): Urspeter Masche
- pharma-kritik-Jahrgang 37
, Nummer 12, PK986
Redaktionsschluss: 16. März 2016
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2015.986 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Dexlansoprazol (Dexilant®) ist ein neuer Protonenpumpenhemmer, der zur Behandlung bei gastroösophagealer Refluxkrankheit zur Verfügung steht.
Chemie/Pharmakologie
Lansoprazol (Agopton® u.a.) ist wie alle Protonenpumpenhemmer ein Razemat aus einer rechtsdrehenden R- und einer linksdrehenden S-Form. Man geht davon aus, dass die Wirkung von Lansoprazol beim Menschen zum grossen Teil auf der R-Form beruht, die weniger rasch metabolisiert wird und zu einer erheblich grösseren Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve (AUC) führt als die S-Form. Unter dem generischen Namen Dexlansoprazol ist das R-Enantiomer nun auch in Reinform erhältlich.
Protonenpumpenhemmer gelangen über den systemischen Kreislauf in die Belegzellen des Magens, wo sie – als schwache Basen – in die aktive Form umgewandelt werden und dosisabhängig die H+/K+-ATPase hemmen. Dieses Enzym ist verantwortlich dafür, dass Protonen im Austausch gegen Kaliumionen ins Magenlumen befördert werden. Protonenpumpenhemmer blockieren sowohl die basale wie die stimulierte Magensäuresekretion. Die Bindung an die H+/K+-ATPase ist irreversibel, weshalb die Säurehemmung so lange anhält, bis das Enzym neu gebildet ist.
Dexlansoprazol wird in einer Zweiphasen-Retardform («dual delayed release») angeboten. Die Kapsel enthält zwei Arten von magensaftresistenten Granula, die bei unterschiedlichen pH-Werten löslich sind: 25% der Granula setzen den Wirkstoff bei einem pH von 5,5 im Duodenum frei, die restlichen 75% bei einem pH von 6,75 in distaleren Dünndarmabschnitten. Dadurch soll die Zeitdauer verlängert werden, in welcher der pH-Wert des Magens in dem als günstig betrachteten Bereich von über 4 angehoben bleibt.(1,2)
Pharmakokinetik
Mit der Zweiphasen-Retardform tritt die erste Plasmakonzentrationsspitze nach 1 bis 2 Stunden und die zweite, rund doppelt so hohe, nach 4 bis 5 Stunden auf. Zur biologischen Verfügbarkeit existieren keine exakten Angaben; man wird aber einen ähnlichen Wert wie bei Lansoprazol annehmen können, der sich um 80% bewegt. Dexlansoprazol wird in der Leber über CYP2C19 hydroxyliert und über CYP3A4 zum Sulfon oxidiert. Die Metaboliten werden ungefähr zu gleichen Teilen mit dem Urin und mit dem Stuhl ausgeschieden. Die Halbwertszeit beträgt 1 bis 2 Stunden. Bei Personen mit verminderter CYP2C19-Aktivität («poor metabolizers») oder mit Leberinsuffizienz ist eine verstärkte Dexlansoprazol-Exposition zu erwarten.(1,2)
Klinische Studien
Klinische Phase-3-Studien sind ausschliesslich bei Patienten und Patientinnen mit gastroösophagealer Refluxkrankheit durchgeführt worden. Alle Untersuchungen, die im Folgenden zitiert werden, waren doppelblind gehalten. Dexlansoprazol und die Vergleichssubstanzen wurden jeweils einmal pro Tag verabreicht.
929 Personen mit gastroösophagealer Refluxkrankheit, bei der endoskopisch kein Hinweis für eine erosive Ösophagitis bestand, behandelte man 4 Wochen lang mit Dexlansoprazol (30 oder 60 mg/Tag) oder Placebo. Primärer Endpunkt war die Anzahl Tage, an denen keinerlei Sodbrennen beklagt wurde. Mit der niedrigeren Dexlansoprazol-Dosis war das an 55% der Tage der Fall, mit der höheren an 50% und mit Placebo an 19% (Medianwerte).(3) Mit einer zweiten Studie (n = 305) liess sich bestätigen, dass Dexlansoprazol (30 mg) auch insbesondere nächtliches Sodbrennen besser lindert als Placebo.(4)
In zwei Studien wurde Dexlansoprazol (60 oder 90 mg/Tag) bei Personen, die an einer erosiven Ösophagitis litten, mit Lansoprazol (30 mg/Tag) verglichen. Beide Studien basierten auf dem gleichen Protokoll und sind gemeinsam publiziert worden. Mit der niedrigeren Dexlansoprazol-Dosis war die Ösophagitis nach 8-wöchiger Verabreichung in der einen Studie bei 85% der Behandelten abgeheilt, in der anderen Studie bei 87%; mit der höheren Dexlansoprazol-Dosis betrugen diese Prozentsätze 86% bzw. 89% und mit Lansoprazol 79% bzw. 85%.(5)
Mit Patienten und Patientinnen, die an diesen zwei Studien teilgenommen und unter Dexlansoprazol oder Lansoprazol eine Abheilung der Ösophagitis erfahren hatten, wurden zwei placebokontrollierte Folgestudien durchgeführt, in denen man die Erhaltungstherapie mit Dexlansoprazol prüfte. In der einen Studie (n=445) war nach 6 Monaten unter beiden Dexlansoprazol-Dosen (30 oder 60 mg/Tag) in 34% der Fälle ein Ösophagitis-Rezidiv aufgetreten, unter Placebo in 86%.(6) In der anderen Studie, in der Dexlansoprazol in einer Tagesdosis von 60 oder 90 mg eingesetzt worden war, betrugen die Rückfallraten nach 6 Monaten 34% (60 mg), 36% (90 mg) und 86% (Placebo).(7)
Unerwünschte Wirkungen
Als häufigste Nebenwirkungen von Dexlansoprazol wurden Durchfall, Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Infektionen der oberen Luftwege und Flatulenz angegeben.
Eine längerfristige Behandlung mit Protonenpumpenhemmern erhöht möglicherweise das Risiko eines Magnesium- und eines Vitamin-B12-Mangels sowie das Risiko von Infektionen (Pneumonien, Clostridium-difficile-Kolitis). Auch eine Verminderung der Knochendichte, verbunden mit einer erhöhten Frakturrate, wird diskutiert.
Neuere Daten lassen annehmen, dass Protonenpumpenhemmer nephrotoxisch wirken und zu einer akuten oder chronischen Niereninsuffizienz führen können.(9) Auch stellt sich aufgrund einer aktuellen Studie die Frage, ob Protonenpumpenhemmer die Entwicklung einer Demenz fördern können.(10)
Interaktionen
In Kombination mit CYP2C19- oder CYP3A4-Hemmern ist mit einer Zunahme der Dexlansoprazol-Exposition zu rechnen, in Kombination mit CYP2C19- oder CYP3A4-Induktoren mit einer Abnahme. Gemäss Untersuchungen, die in vitro durchgeführt worden sind, hat Dexlansoprazol eine schwache Hemmwirkung gegenüber CYP2C19 und CYP3A4; bislang gibt es keinen Hinweis, dass dies zu klinisch bedeutsamen Interaktionen führt.
Protonenpumpenhemmer können die biologische Verfügbarkeit von Medikamenten vermindern, deren Resorption pH-abhängig abläuft; Beispiele sind Itraconazol (Sporanox® u.a.), Atazanavir (Reyataz®) oder Eisensalze.
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Dexlansoprazol (Dexilant®) wird als Kapseln zu 30 und 60 mg angeboten, die einmal pro Tag einzunehmen sind. Die höhere Dosis ist vorgesehen zur Behandlung einer erosiven Ösophagitis, die niedrigere zur Erhaltungstherapie bei einer abgeheilten Ösophagitis bzw. zur Behandlung von Refluxbeschwerden ohne Ösophagitis. Offiziell ist Dexlansoprazol nur bei gastroösophagealer Refluxkrankheit zugelassen. Die in den Dexlansoprazol-Kapseln enthaltenen Granula dürfen weder zerkaut noch zerdrückt werden; die Kapseln können indessen geöffnet und die Granula zum Beispiel mit Fruchtkompott geschluckt werden. Für Personen mit fortgeschrittener Leberfunktionsstörung beträgt die Tagesdosis maximal 30 mg.
Von einer Anwendung während der Schwangerschaft oder Stillzeit wird abgeraten. Bei Kindern ist Dexlansoprazol nicht untersucht.
Dexlansoprazol ist kassenpflichtig. Mit den 30-mg-Kapseln beträgt der Preis für eine Monatsbehandlung CHF 28.85, mit den 60-mg-Kapseln CHF 37.85. Lansoprazol, von dem mehrere Generika erhältlich sind, kostet mit einer Dosis von 30 mg/Tag im günstigsten Fall CHF 20.80.
Kommentar
Mit Lansoprazol/Dexlansoprazol wiederholt sich, was wir von Omeprazol/Esomeprazol her kennen. Nachdem das Patent für den razemischen Wirkstoff abgelaufen ist, findet ein Relaunch statt, indem das für die Wirkung massgebende Enantiomer als «neuer» Wirkstoff vermarktet wird. Dabei lässt man es auch etwas halbwissenschaftlich zugehen, um Dexlansoprazol zu guten Startchancen zu verhelfen. Anders lässt es sich nicht bezeichnen, dass man beim Direktvergleich Dexlansoprazol-Dosen gewählt hat, für die eine mindestens 1,5- bzw. 3-mal stärkere Wirkung anzunehmen ist als für die Lansoprazol-Dosis. Auch die duale Wirkstoff-Freisetzung erscheint als Spielerei, die keinen wesentlichen Mehrwert beinhaltet. Protonenpumpenhemmer haben eine so lange Wirkungs-Halbwertszeit, dass eine einmal tägliche Dosis sehr oft ausreicht, um Refluxbeschwerden zuverlässig über 24 Stunden zu lindern. Wenn es als nötig erachtet wird, den Schutz gegen nächtliches Sodbrennen zu verbessern, lässt sich jeder Protonenpumpenhemmer problemlos auch zweimal pro Tag verabreichen.
Literatur
- 1) Aslam N, Wright R. Expert Opin Pharmacother 2009; 10: 2329-36
- 2) Emerson CR, Marzella N. Clin Ther 2010; 32: 1578-96
- 3) Fass R et al. Aliment Pharmacol Ther 2009; 29: 1261-72
- 4) Fass R et al. Am J Gastroenterol 2011; 106: 421-31
- 5) Sharma P et al. Aliment Pharmacol Ther 2009; 29: 731-41
- 6) Metz DC et al. Aliment Pharmacol Ther 2009; 29: 742-54
- 7) Howden CW et al. Aliment Pharmacol Ther 2009; 30: 895-907
- 8) Croxtall JD, Scott LJ. Drugs 2010; 70: 1593-601
- 9) Schoenfeld AJ, Grady D. JAMA Intern Med 2016; 176: 172-4
- 10) Gomm W et al. JAMA Neurol 2016 Feb 15. doi: 10.1001/jamaneurol.2015.4791. [Epub ahead of print]
Standpunkte und Meinungen
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