Sekundärprävention des Hirninfarktes
- Autor(en): Renato L. Galeazzi
- pharma-kritik-Jahrgang 37
, PK976, Online-Artikel
Redaktionsschluss: 12. Februar 2016
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2015.976
Mini-Review
Bisher wurde das Thema der Sekundärprophylaxe des Hirninfarktes in unserer Zeitschrift nicht zusammenfassend behandelt; hingegen wurden verschiedene Medikamente besprochen, die bei dieser Indikation eingesetzt werden (1-3).
Das unabhängige amerikanische Informationsblatt «Medical Letter on Drugs and Therapeutics» hat im Dezember 2014 (4) die von der «American Heart Association» und der «American Stroke Association» herausgegebenen neu revidierten Guidelines (5) zum Anlass genommen, die darin enthaltenen Vorschläge für die antithrombotische Prävention des Hirninfarktes zusammenzufassen. Es folgt eine ergänzte und kommentierte Zusammenfassung dieses Textes.
Die hier vorgestellten Optionen sind für Personen gedacht, welche bereits einen Hirninfarkt oder eine transitorische ischämische Attacke (TIA) durchgemacht haben.
Acetylsalicylsäure
Acetylsalicylsäure (Aspirin® und Generika) als Monotherapie reduziert das Risiko für einen zweiten Hirninfarkt um 15%. Unter dieser Medikation ist jedoch das Risiko, eine gefährliche gastro-intestinale Blutung zu erleiden, 0,4% pro Jahr und damit zweieinhalbmal so gross als ohne Acetylsalicylsäure.
Dipyridamol plus Acetylsalicylsäure
Die Kombination von Dipyridamol und Acetylsalicylsäure, in der Schweiz unter dem Namen Asasantin® retard als fixe Kombination erhältlich, wurde in der sogen. ESPRIT-Studie getestet. 2739 Teilnehmende erhielten nach dem Zufall retardiertes Dipyridamol (2x 200 mg/Tag) und Acetylsalicylsäure (30-250 mg/Tag) oder nur Acetylsalicylsäure. Alle Beteiligten hatten in den sechs Monaten vor Studienbeginn eine TIA oder einen ischämischen Schlaganfall mit moderater Behinderung («minor stroke») durchgemacht. Von den mit der Kombination Behandelten starben weniger (173) als von den Personen, die nur Acetylsalicylsäure erhielten (216). Hingegen setzten mehr Teilnehmende die Kombination ab, meistens wegen Kopfschmerzen (470 gegenüber 184) (6). Starke Kopfschmerzen und Durchfall sind häufige Nebenwirkungen von Dipyridamol, können jedoch bei fortgesetztem Gebrauch verschwinden.
Clopidogrel
In einer Doppelblindstudie (PRoFESS) wurde die Kombination von 25 mg Acetylsalicylsäure und 200 mg retardiertem Dipyridamol (2 Tabletten/Tag) mit Clopidogrel (Plavix® und Generika) 75 mg täglich in der Sekundärprophylaxe des Hirninfarktes verglichen. Über 20'000 Teilnehmende wurden während durchschnittlich 2,5 Jahren behandelt. Die Inzidenz von Hirninfarkten betrug 9,0% unter der Kombination und 8,8% unter Clopidogrel, die Inzidenz grösserer Blutungen 4,1% unter der Kombination (419 Fälle) und 3,6% unter Clopidogrel (365 Fälle). Das kombinierte Risiko für einen erneuten Hirninfarkt oder eine grössere Blutung war unter beiden Interventionen gleich hoch. Unter der Kombination waren jedoch intrakranielle Blutungen häufiger (147 gegenüber 103) und auch permanente Therapieabbrüche waren unter Acetylsalicylsäure/Dipyridamol häufiger (16,4% gegenüber 10,6%), meistens wegen Kopfschmerzen (7).
Clopidogrel plus Acetylsalicylsäure
In einer Doppelblindstudie wurde die zusätzliche Gabe von Acetylsalicylsäure oder Placebo zu einer vorbestehenden Therapie mit Clopidogrel (75 mg/Tag) bei 7'599 Teilnehmenden geprüft; diese hatten kurz vor der Studie einen Hirninfarkt oder eine TIA durchgemacht. Die Kombination zeigte keinen Nutzen gegenüber Clopidogrel allein, jedoch war die Inzidenz lebensgefährlicher Blutungen doppelt so hoch (2,6% gegenüber 1,3%) (8). Studien, in denen Acetylsalicylsäure allein oder in Kombination mit Clopidogrel verglichen wurden, zeigten die gleichen Resultate. In einer chinesischen Doppelblindstudie (CHANCE) bei 5'170 Personen, innerhalb von 24 Stunden nach Eintritt eines Hirninfarktes oder einer TIA begonnen, wurde Clopidogrel während 3 Monaten mit Acetylsalicylsäure verglichen, wobei die Clopidogrel-Gruppe in den ersten 3 Wochen zusätzlich Acetylsalicylsäure erhielt. In der Gruppe mit der initialen Kombination fand man weniger Infarktrezidive (212 gegenüber 303) als unter Acetylsalicylsäure allein (9). In der Schweiz ist unter dem Namen Duoplavin® eine fixe Kombination von Acetylsalicylsäure (75 mg) und Clopidogrel (100 mg) erhältlich, jedoch nicht zur Sekundärprophylaxe des Schlaganfalls zugelassen.
Orale Antikoagulation
Randomisierte Studien, in denen orale Vitamin-K-Antagonisten (Warfarin) mit Acetylsalicylsäure verglichen wurden, ergaben keinen Vorteil für die orale Antikoagulation, jedoch höhere Raten von grösseren Blutungen unter Warfarin. Mit den in der Schweiz verwendeten Präparaten Phenprocoumon (Marcoumar®) oder Acenocumarol (Sintrom®) gibt es keine Untersuchungen.
Schlussfolgerungen im «Medical Letter»
Für die Prävention eines Infarktrezidivs werden für Kranke, welche einen ischämischen Hirninfarkt oder eine TIA erlitten haben, von der «American Heart Association» und der «American Stroke Association» in erster Linie Acetylsalicylsäure als Monotherapie mit 50 bis 325 mg oder eine Kombination von retardiertem Dipyridamol (200 mg) mit Acetylsalicylsäure 25 mg zweimal täglich empfohlen. Eine wahrscheinlich gleichwertige Alternative ist eine Therapie mit Clopidogrel (1x täglich 75 mg) als Monotherapie. In den Guidelines wird auch die Möglichkeit einer Kombination von Clopidogrel und Acetylsalicylsäure in Betracht gezogen, wenn die kombinierte Therapie innert 24 Stunden nach dem Ereignis angefangen und nicht länger als 3 Wochen beibehalten wird. Für eine Langzeittherapie ist diese Kombination wegen erhöhter Blutungsgefahr nicht geeignet.
Kommentar
Diese Zusammenfassung erwähnt nur die thrombozytenhemmende medikamentöse Therapie in der Sekundärprophylaxe des Hirninfarktes. Die Guidelines aber, deren neue Version der Grund für diese Zusammenfassung bilden, legen grössten Wert auf die Behandlung konkomitierender Erkrankungen (Hypertonie, Diabetes, Vorhofflimmern usw.) und auf Änderungen des Verhaltens wie Gewichtsabnahme, vermehrte körperliche Tätigkeiten, ausgewogene Diät, insbesondere mediterrane Diäten. Dies scheint immer wichtiger zu werden, denn die Thrombozyten-hemmenden Medikamente sind nicht Wundermittel, die NNT ist relativ hoch und die Nebenwirkungen potentiell lebensgefährlich.
Zusammengefasst und kommentiert von Renato L. Galeazzi
Literatur
- 1) Meyer-Abt PJ, Oelz O. pharma-kritik 1989; 11: 61-4
- 2) Tobler K. pharma-kritik 1993; 15: 41-2
- 3) Kappeler T. pharma-kritik 1994; 16: 61-4
- 4) Anon. Med Lett Drug Ther 2014; 56: 125-6
- 5) Kernan WN et al. Stroke 2014; 45: 2160-236
- 6) ESPRIT Study Group. Lancet 2006; 367: 1665-73
- 7) Sacco RL et al. N Engl J Med 2008; 359: 1238-51
- 8) Diener HC et al. Lancet 2004; 364: 331-7
- 9) Wang Y et al. N Engl J Med 2013; 369: 11-9
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