Glycopyrronium

Glycopyrronium (Seebri Breezhaler®) ist ein Anticholinergikum, das zur Inhalationsbehandlung bei chronisch-obstruktiver Lungenkrankheit empfohlen wird.

Chemie/Pharmakologie

Glycopyrronium (Glycopyrrolat) – wie Ipratropium (Atrovent®), Tiotropium (Spiriva®) und das ebenfalls neue Aclidinium (Eklira Genuair®) zu den quaternären Ammoniumverbindungen gehörend – bindet sich kompetitiv an die fünf muskarinischen Rezeptortypen M1 bis M5. Am stärksten werden der M1- und der M3-Typ blockiert, die beiden Rezeptoren, welche die Acetylcholin-bedingte Bronchokonstriktion vermitteln. Die bronchodilatierende Wirkung von Glycopyrronium tritt rasch ein und hält gemäss Tierversuchen bis zu 24 Stunden an.(1,2)

Glycopyrronium ist kein neuer Wirkstoff und wird in verschiedenen Ländern seit längerem als Anticholinergikum zur oralen oder intravenösen Verabreichung angeboten, zum Beispiel zur Behandlung von starkem Speichelfluss. In der Schweiz ist ein Kombinationspräparat von Glycopyrronium und Neostigmin (Robinul-Neostigmine®) zur Antagonisierung von nicht-depolarisierenden Muskelrelaxantien im Handel.

Pharmakokinetik

Nach Inhalation von Glycopyrronium gelangen 40 bis 45% der Wirkstoffmenge in den systemischen Kreislauf; die Aufnahme ins Blut findet zu 90% über die Lungen, zu 10% über den Gastrointestinaltrakt statt. Glycopyrronium wird zu zwei Dritteln unverändert über die Nieren ausgeschieden. Der Rest wird direkt in die Galle sezerniert oder – über verschiedene Wege – zuerst noch metabolisiert; unter anderem scheinen Zytochrome beteiligt zu sein, wobei CYP2D6 als wichtigstes angesehen wird. Die effektive Plasmahalbwertszeit nach inhalativer Verabreichung wird in einen Bereich von 16 bis 22 Stunden eingeordnet. Bei Niereninsuffizienz verzögert sich die Elimination: je nach Einschränkung der renalen Clearance kann die Fläche unter der Konzentrations Zeit-Kurve bis aufs Doppelte ansteigen.(2,3)

Klinische Studien

Es sind drei Phase III-Studien veröffentlicht, in denen man Glycopyrronium bei einer durch Rauchen verursachten chronisch-obstruktiven Lungenkrankheit (COPD) untersucht hat. Rekrutiert wurden Patienten und Patientinnen im Alter von über 40 Jahren, die ein mittelschweres bis schweres Krankheitsstadium aufwiesen, entsprechend den Stufen 2 und 3 gemäss der «Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease» (GOLD). Glycopyrronium wurde einmal pro Tag in einer Dosis von 50 mcg verwendet. Zusätzlich erlaubte COPD-Medikamente waren inhalative Steroide und als Notfallmittel Salbutamol (Ventolin®u.a.).

In der ersten Studie (GLOW1), die 822 Personen zählte, verglich man Glycopyrronium während 26 Wochen doppelblind mit Placebo. Den primären Endpunkt bildete die forcierte Erstsekundenkapazität (FEV1) nach 12 Wochen, wobei der Sohlenwert in der 24. Stunde nach der letzten Inhalation galt. Mit Glycopyrronium wurde ein FEV1-Wert von 1,41 erreicht, mit Placebo ein FEV1-Wert von 1,30. Einer der sekundären Endpunkte war der Anteil der Personen, bei denen mindestens eine COPD-Exazerbation auftrat; er betrug bei Studienende in der Glycopyrronium-Gruppe 18% und in der Placebo-Gruppe 24%.(4)

In der zweiten Studie (GLOW2), die ein Jahr dauerte, behandelte man 1060mit Glycopyrronium, Placebo oder Tiotropium (1 mal 18 mcg/Tag). Die Zuteilung zur Glycopyrronium- und Placebo-Gruppe erfolgte doppelblind, während die Behandlung mit Tiotropium offen gehalten war (die Teststärke der Studie war zu gering, um einen etwaigen Unterschied zwischen Glycopyrronium und Tiotropium aufzudecken). Der FEV1-Wert nach 12 Wochen, ebenfalls als primärer Endpunkt definiert, lag bei Glycopyrronium um 97 ml und bei Tiotropium um 83 ml höher als bei Placebo; nach einem Jahr betrugen die Unterschiede 108 ml und 89 ml. Der Zeitpunkt bis zum Auftreten einer ersten COPD-Exazerbation wurde durch beide Medikamente ebenfalls signifikant hinausgeschoben: nach der Kaplan Meier-Methode berechnet, ergab sich für Glycopyrronium eine «hazard ratio» (HR) von 0,66. Die «number needed to treat» (NNT), damit sich im Verlaufe eines Jahres eine mittel- bis schwergradige Exazerbation verhüten lasse, beträgt entsprechend 13. Bei Tiotropium betrug die HR 0,61 und die NNT 10.(5) In beiden Studien erfasste man – mit Hilfe des «St. George's Respiratory Questionnaire» – auch die Lebensqualität. Sowohl mit Glycopyrronium wie mit Tiotropium wurde sie als etwas höher bewertet als mit Placebo, allerdings fiel der Unterschied im Durchschnitt klinisch nicht signifikant aus.(4,5)

Als ergänzende Untersuchung ist die GLOW3-Studie zu verstehen, die mit 108 Personen im Crossover-Verfahren durchgeführt wurde. Nach 3-wöchiger Behandlung mit Glycopyrronium oder Placebo bestimmte man mit einer Fahrradergometrie unter submaximaler Belastung die Zeit bis zur Erschöpfung. Bei Glycopyrronium betrug sie 8 min 26 s, bei Placebo 6 min 57 s.(6)

Unerwünschte Wirkungen

Bei den Nebenwirkungen von Glycopyrronium ist in erster Linie Mundtrockenheit zu erwähnen. Andere Nebenwirkungen, die im Vergleich zu Placebo häufiger beobachtet wurden, waren Schmerzen in den Extremitäten, Hautausschläge, Rhinitis und Sinusitis, Dysurie, Dyspepsie, Gastroenteritis, Asthenie, Vorhofflimmern, Prostata-Symptome und Glaukom.(2)

Interaktionen

Klinisch bedeutsame Interaktionen sind bis anhin nicht beobachtet worden und nicht zu erwarten.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Glycopyrronium (Seebri Breezhaler®) wird als Hartkapseln angeboten, die 50mcg des Wirkstoffs in Pulverform enthalten. Offizielle Indikation ist die Erhaltungstherapie der chronisch-obstruktiven Lungenkrankheit (für die Akutbehandlung ist das Mittel nicht geeignet). Die Inhalation sollte einmal pro Tag erfolgen, mit Hilfe eines speziellen Geräts («Breezhaler»), das mitgeliefert wird. Der «Breezhaler» scheint eine gewisse Geschicklichkeit zu verlangen, die sich nicht bei allen Leuten voraussetzen lässt;(7) die deutsche Atemwegsliga hat ein Video veröffentlicht, in dem die Handhabung demonstriert wird (zu finden unter http://www.atemwegsliga.de/breezhaler.html). Die Anwendung von Glycopyrronium in der Schwangerschaft oder Stillzeit ist nicht geprüft worden.

Glycopyrronium ist kassenzulässig und kostet CHF 53.25 pro Monat. Der Preis für Tiotropium (CHF 59.45/Monat) und Aclidinium (CHF 50.35/Monat) bewegt sich in derselben Grössenordnung, während Ipratropium (CHF 24.60/Monat) weniger als halb so teuer ist.

Kommentar

Glycopyrronium kann man ohne weiteres mit Tiotropium vergleichen, dem Prototypen der langwirkenden inhalativen Anticholinergika: nennenswerte Unterschiede sind nicht zu erkennen. Man muss sich an dieser Stelle nochmals bewusst werden, dass man diese Anticholinergika in Bezug auf ihre Wirksamkeit nicht überbewerten sollte. Ihr grösster Nutzen lässt sich darin sehen, dass sie das Risiko von ernsthafteren COPD-Exazerbationen etwas zu senken vermögen; wie man die damit verbundene NNT in der Grössenordnung von 10 bis 15 (die sich auf eine einjährige Behandlung bezieht) einschätzen will, bleibt Ermessenssache. Zweifellos marginal ist indessen aus klinischer Sicht der Einfluss auf spirometrische Messgrössen und auf die Lebensqualität. Die nach wie vor nicht abschliessend geklärte Frage, ob Anticholinergika das Risiko von kardiovaskulären Ereignissen erhöhen, sollte auch bei Glycopyrronium im Auge behalten werden.

Standpunkte und Meinungen

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Glycopyrronium (12. Februar 2014)
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pharma-kritik, 35/No. 11
PK920
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