Pioglitazon und Blasenkrebs
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 32
, Nummer 18, PK825
Redaktionsschluss: 19. Juli 2011
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2010.825 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Pioglitazon (Actos® und Bestandteil von Competact®) ist das letzte noch auf dem Markt vorhandene Antidiabetikum der Gruppe der Thiazolidindione (Glitazone). Die Wirkung der Glitazone soll auf einer Aktivierung des Peroxisom-Proliferator-aktivierten Rezeptors gamma (PPAR-gamma) beruhen. Es ist möglich, dass PPAR-gamma-Agonisten in der Blase eine tumorfördernde Wirkung haben.(1) Dass Pioglitazon für die Entstehung von Blasentumoren verantwortlich sein könnte, hatte sich in Tierversuchen gezeigt: mit Pioglitazon behandelte männliche Ratten hatten häufiger Blasentumoren als solche, die Placebo erhielten.
Ein weiterer Hinweis darauf, dass die Inzidenz von Blasentumoren unter Pioglitazon erhöht sein könnte, ergab sich aus den Daten der PROactive-Studie, in der das Medikament doppelblind gegen Placebo geprüft wurde. In dieser Studie erkrankten von 2605 mit Pioglitazon Behandelte 14, in der Placebogruppe (n=2633) aber nur 6 an einem Blasenkrebs; ob jedoch alle (auch die im ersten Studienjahr manifesten) Fälle der Behandlung zuzuschreiben sind, wird von Fachleuten als ungesichert bezeichnet.(2)
Die amerikanische Arzneimittelbehörde (FDA) beauftragte deshalb die Herstellerfirma, die Inzidenz von Blasenkarzinomen unter Pioglitazon genauer untersuchen zu lassen. Diese Untersuchung erfolgte als Kohortenstudie bei den Diabeteskranken einer grossen Gesundheitsorganisation («Kaiser Permanente Northern California»). Gemäss einem Interim-Bericht zu dieser Studie besteht bei Personen, die mehr als 24 Monate lang mit Pioglitazon behandelt werden, ein signifikant erhöhtes Blasenkrebs-Risiko («Hazard Ratio» 1,4 mit einem 95%-Vertrauensintervall von 1,03 bis 2,0). Eine kürzere Exposition konnte jedoch nicht mit einer erhöhten Blasenkrebs-Inzidenz assoziiert werden.(3) Die FDA hat dazu im September 2010 eine «Safety Communication» veröffentlicht, in der festgestellt wird, Pioglitazon könne nicht schlüssig als Ursache von Blasenkrebs bezeichnet werden, die entsprechenden Untersuchungen würden jedoch weitergeführt.(4)
In Frankreich haben die Arzneimittelbehörden anfangs 2011 die nationale Krankenkassenorganisation beauftragt, anhand der ihr zur Verfügung stehenden Daten das Blasenkrebs-Risiko von Pioglitazon zu prüfen. Für die entsprechende Kohortenstudie wurden die Daten von zwei grossen Datenbanken verknüpft. Die Kohorte umfasst knapp 1½ Millionen medikamentös behandelte Diabeteskranke, die 2006 zwischen 40 und 79 Jahre alt waren. Bei diesen wurden alle Blasenkrebs-Fälle, die von 2006 bis 2009 neu auftraten, erfasst. Etwa 155‘000 Personen dieser Kohorte wurden mit Pioglitazon behandelt. Im Vergleich mit Personen, die kein Pioglitazon erhielten, hatten mit Pioglitazon behandelte ein signifikant erhöhtes Risiko, an einem Blasenkrebs zu erkanken («Hazard Ratio» 1,22 mit einem 95%-Vertrauensintervall von 1,05 bis 1,43). Je höher die kumulative Pioglitazon-Dosis und je länger die Pioglitazon-Behandlungsdauer, desto höher war das Blasenkrebs-Risiko. Eine Signifikanz konnte allerdings nur für männliche Patienten errechnet werden.(5)
Als Konsequenz dieses Berichtes wurde Pioglitazon im Juni 2011 in Frankreich die Zulassung entzogen. Die deutschen Behörden folgten mit der Empfehlung, vorläufig auf die Neuverschreibung von Pioglitazon zu verzichten.
Kommentar
Das wahrscheinlich verhältnismässig geringfügige Blasenkrebs-Zusatzrisiko von Pioglitazon muss im Zusammenhang mit den bisher bekannten Daten zu Nutzen und Risiken dieses Antidiabetikums gesehen werden. Im Jahr 2006 kam eine Cochrane-Analyse zum Schluss, die Substanz hätte hinsichtlich klinisch relevanter Endpunkte keinen erwiesenen Nutzen.(6) Die oben erwähnte PROactive-Studie, in der Herz- und Kreislaufereignisse erfasst wurden, erbrachte in Bezug auf den primären (zusammengesetzten) Endpunkt kein signifikantes Resultat.(2) Pioglitazon kann jedoch eine Anzahl von Problemen (Ödeme, Gewichtszunahme, Herzinsuffizienz, erhöhtes Frakturrisiko bei Frauen) verursachen. Damit liegt der Schluss nahe, die Blasenkrebs-Problematik hätte das Fass zum Überlaufen gebracht. Unabhängig von den (noch ausstehenden) Entscheiden der grossen Arzneimittelbehörden (EMA, FDA) kann schon jetzt festgestellt werden, dass Pioglitazon in einer rationalen Pharmakotherapie des Diabetes kein Platz mehr zukommt.
Literatur
- 1) Yoshimura R et al. Int J Cancer 2003; 104: 597-602
- 2) Dormandy JA et al. Lancet 2005; 366: 1279-89
- 3) Lewis JD et al. Diabetes Care 2011; 34: 916-22
- 4) http://www.fda.gov/Drugs/DrugSafety/ucm226214.htm
- 5) http://www.afssaps.fr/content/download/34024/445581/version/1/file/RapportEtudeCNAMTS-Pioglitazone-juin-20113.pdf
- 6) Richter B et al. Cochrane Database Syst Rev 2006; (4): CD006060
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