Ranolazin
- Autor(en): Urspeter Masche
- pharma-kritik-Jahrgang 32
, Nummer 13, PK803
Redaktionsschluss: 25. März 2011
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2010.803 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Ranolazin (Ranexa®) wird zur symptomatischen Behandlung bei stabiler Angina pectoris empfohlen.
Chemie/Pharmakologie
Die elektrische Reizung der Herzmuskelzellen führt über einen Natriumeinstrom zur Depolarisation. Normalerweise schliessen sich die daran beteiligten Natriumkanäle rasch wieder; bei einer Ischämie oder anderen myokardialen Schädigung verzögert sich dieser Vorgang jedoch, was einen verlängerten Natriumeinstrom und einen Anstieg der Natriumkonzentration zur Folge hat; schliesslich entwickelt sich, indem Natrium gegen Kalzium ausgetauscht wird, eine intrazelluläre Kalziumakkumulation, welche die myokardiale Funktion auf verschiedene Weise beeinträchtigen kann.
Ranolazin, ein Piperazin-Derivat, hat einen nicht vollständig geklärten Wirkungsmechanismus. Man geht davon aus, dass es vor allem den späten Natriumeinstrom blockiert, der – wie oben angeführt – unter pathologischen Verhältnissen zu beobachten ist. Im Tierversuch wurde gezeigt, dass Ranolazin die diastolische Relaxation und den Blutfluss verbessert, den myokardialen Sauerstoffverbrauch senkt und die Herzmuskelzellen elektrisch stabilisiert. Dass Ranolazin über eine Hemmung der Fettsäurenoxidation wirke, wie ursprünglich vermutet wurde, scheint dagegen bei therapeutischer Konzentration keine Rolle zu spielen.(1-3)
Pharmakokinetik
Ranolazin wird in retardierter Form eingenommen, weshalb es 2 bis 5 Stunden dauert, bis die maximale Plasmakonzentration erreicht ist. Beim Retardpräparat ist die biologische Verfügbarkeit nicht bestimmt; bei nicht-retardiertem Ranolazin (das klinisch nicht verwendet wird) bewegt sie sich zwischen 30 und 50%. Ranolazin wird grossenteils metabolisiert. Es sind 14 verschiedene Stoffwechselwege bekannt, von denen zwei, eine NAlkylierung und eine ODemethylierung, im Vordergrund stehen. Der Abbau erfolgt über CYP3A4 und etwas weniger über CYP2D6. Bei verminderter CYP2D6-Aktivität («poor metabolizers») ist die Fläche unter der KonzentrationsZeit-Kurve (AUC) um 25 bis 62% höher als bei normaler Aktivität («extensive metabolizers»). Ranolazin ist auch ein Substrat des Transportproteins PGlykoprotein. Die endgültige Ausscheidung findet mehrheitlich über den Urin statt. Die Halbwertszeit von Ranolazin liegt bei 2 bis 3 Stunden; bei der Retardform wird sie scheinbar auf 7 Stunden hinausgeschoben, da die Resorption als eliminationsbestimmender Schritt wirkt. Sowohl bei eingeschränkter Nieren- wie Leberfunktion ist mit einer Zunahme der Ranolazin-Exposition zu rechnen.(4,5)
Klinische Studien
Die Ranolazin-Retardform ist bei Personen mit koronarer Herzkrankheit in vier als zentral zu gewichtenden Doppelblindstudien geprüft worden.
In einer placebokontrollierten Dosisfindungsstudie untersuchte man bei 175 Personen mit stabiler Angina pectoris drei verschiedene Ranolazin-Dosen (2mal 500, 750 oder 1000 mg/Tag); andere antianginös wirkende Mittel wurden gestoppt. Alle drei Ranolazin-Dosen führten – unter offenkundiger Dosisabhängigkeit – innerhalb einer Woche zu einem signifikant besseren Ergometrie-Resultat als Placebo.(6)
791 Patienten und Patientinnen mit stabiler Angina pectoris, die mit Atenolol (Tenormin® u.a., 1mal 50 mg/Tag), Amlodipin (Norvasc® u.a., 1mal 5 mg/Tag) oder Diltiazem (Dilzem® u.a., 1mal 180 mg/Tag) behandelt waren, erhielten während 12 Wochen zusätzlich Ranolazin (2mal 750 oder 1000 mg/Tag) oder Placebo. Primärer Endpunkt war die Verbesserung der durch eine Ergometrie bestimmten Gesamtbelastungsdauer. Sie betrug zu Beginn in allen drei Gruppen knapp 7 Minuten; mit Placebo liess sie sich um 1 Minute 32 Sekunden verlängern, mit der niedrigeren Ranolazin-Dosis um 1 Minute 55 Sekunden und mit der höheren um 1 Minute 56 Sekunden. Das Auftreten von Angina pectoris bzw. einer signifikanten EKG-Veränderung (STSenkung um mindestens 1 mm) wurde unter Placebo um 1 Minute 54 Sekunden bzw. um 2 Minuten 5 Sekunden verzögert; unter der niedrigeren Ranolazin-Dosis waren es 2 Minuten 24 Sekunden bzw. 2 Minuten 25 Sekunden, unter der höheren 2 Minuten 20 Sekunden bzw. 2 Minuten 26 Sekunden. Die Zahl der wöchentlichen Anginapectoris-Anfälle lag zu Studienbeginn bei ungefähr 4,5; in der Placebogruppe reduzierte sie sich auf 3,3, in den Ranolazin-Gruppen auf 2,5 bzw. 2,1.(7)
564 Personen, die trotz einer maximalen Amlodipin-Dosis von 10 mg/Tag noch mindestens dreimal pro Woche unter pektanginösen Beschwerden litten, verabreichte man Ranolazin (1 Woche lang 2mal 500 mg/Tag, danach 6 Wochen 2mal 1000 mg/Tag) oder Placebo; ausserdem gebrauchten zwischen 40 und 50% der Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen ein langwirkendes Nitrat, was als einzige weitere antianginöse Medikation erlaubt war. In der Ranolazin-Gruppe wurde die wöchentliche Frequenz von Anginapectoris-Anfällen im Durchschnitt von 5,6 auf 2,9 gesenkt, in der Placebo-Gruppe von 5,7 auf 3,3.(8)
Die grösste Studie (n = 6560) fand bei Personen statt, bei denen ein akutes Koronarsyndrom ohne STHebung feststand und man die Standardbehandlung mit Ranolazin (während 12 bis 96 Stunden i.v., danach 2mal 1000 mg täglich per os) oder Placebo ergänzte. Nach einer medianen Beobachtungszeit von knapp einem Jahr war in der Ranolazin-Gruppe bei 21,8% und in der Placebo-Gruppe bei 23,5% ein kardiovaskulär bedingter Todesfall, ein Myokardinfarkt oder eine erneute kardiale Ischämie eingetreten – Ereignisse, die in Kombination den primären Endpunkt bildeten. Ein signifikanter Unterschied zugunsten von Ranolazin ergab sich lediglich beim Anteil derjenigen Personen, die über eine Verschlechterung der pektanginösen Beschwerden berichtet hatten (4,2 gegenüber 5,9%).(9)
Unerwünschte Wirkungen
Als Nebenwirkungen von Ranolazin werden Schwindel, Asthenie, gastrointestinale Symptome (Übelkeit, Verstopfung, Dyspepsie, Bauchschmerzen), Kopfschmerzen und periphere Ödeme genannt. Auch ein leichter Anstieg des Kreatinin- und Harnstoffspiegels kann sich entwickeln. Besonders in höherer Dosierung können Synkopen vorkommen (die beobachteten Fälle wurden alle als orthostatisch bzw. vasovagal eingestuft). Generell nimmt die Nebenwirkungsrate in hohen Dosen überproportional zu.(4)
Ranolazin kann dosisabhängig das QTIntervall verlängern. Eine erhöhte Arrhythmie-Inzidenz hat sich noch nicht manifestiert, womöglich weil Ranolazin auch elektrophysiologische Eigenschaften besitzt, die gegenüber Arrhythmien schützend wirken.(10)
Interaktionen
Substanzen, die mit einer relevanten Hemmung von CYP3A4, CYP2D6 oder des PGlykoproteins einhergehen, erhöhen die Ranolazin-Konzentration. Ranolazin wiederum übt ebenfalls eine Hemmwirkung auf CYP3A4, CYP2D6 und das PGlykoprotein aus, was zum Beispiel die Plasmaspiegel von gleichzeitig verabreichtem Simvastatin (Zocor® u.a.) ansteigen liess.(4)
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Ranolazin (Ranexa®) wird als Retardtabletten zu 375, 500 und 750 mg angeboten, die zweimal täglich einzunehmen sind. Die Therapie sollte mit der 375mg-Tablette begonnen werden; je nach Ansprechen kann die Dosis auf maximal 1500 mg/Tag erhöht werden. Die 750mg-Tablette enthält den Azofarbstoff Tartrazin, der Allergien auslösen kann. Ranolazin ist freigegeben zur ergänzenden Behandlung bei stabiler Angina pectoris, wenn die Medikamente der ersten Wahl (Betablocker, Kalziumantagonisten, Nitrate) ungenügend wirken oder nicht vertragen werden. Es ist kontraindiziert bei einer Nierenfunktionsstörung mit einer Clearance unter 30 ml/min, bei einer fortgeschrittenen Leberinsuffizienz und in Kombination mit starken CYP3A4-Hemmern. Vorsicht ist geboten, wenn Ranolazin mit anderen Medikamenten verabreicht wird, die das QTIntervall verlängern. Die Anwendung bei schwangeren und stillenden Frauen ist nicht erkundet.
Ranolazin, für das eine limitierte Kassenpflicht besteht, kostet unabhängig von der verordneten Dosis 100 Franken pro Monat. Es handelt sich somit um das teuerste antianginös wirkende Mittel. Mit den anderen Medikamenten erreichen die monatlichen Therapiekosten auch in höchster Dosierung kaum mehr als 15 bis 20 Franken; Ausnahmen bilden die Nitratpflaster (40-50 Franken), Nicorandil (Dancor®, 46 Franken) und Ivabradin (Procoralan®, 91 Franken).
Kommentar
Ranolazin wurde weder direkt mit anderen antiischämisch wirkenden Mitteln verglichen noch bei Patienten und Patientinnen geprüft, die bereits unter einer ausgebauten antianginösen Behandlung standen. Es fällt deshalb etwas schwer, zu erkennen, wo das Mittel im klinischen Alltag einen Platz finden sollte – umso mehr als es bei Koronarkranken keinerlei Verbesserung der Prognose verspricht und zu einem Preis angeboten wird, der innerhalb dieser therapeutischen Gruppe als prohibitiv zu bezeichnen ist. Dass Ranolazin anfällig gegenüber pharmakokinetischen Interaktionen zu sein scheint, trägt ebenfalls nicht zur Attraktivität bei. Es bleibt der Eindruck, dass mit Ranolazin – dessen erstmalige Patentierung 25 Jahre zurückliegt – ein «Ladenhüter» vorgelegt wird, der vor allem ökonomischen Erwägungen zu dienen hat.
Literatur
- 1) Stone PH. Cardiol Clin 2008; 26: 603-14
- 2) Nash DT, Nash SD. Lancet 2008; 372: 1335-41
- 3) Keating GM. Drugs 2008; 68: 2483-503
- 4) http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/EPAR_-_Public_assessment_report/human/000805/WC500045942.pdf
- 5) Dobesh PP, Trujillo TC. Pharmacotherapy 2007; 27: 1659-76
- 6) Chaitman BR et al. J Am Coll Cardiol 2004; 43: 1375-82
- 7) Chaitman BR et al. JAMA 2004; 291: 309-16
- 8) Stone PH et al. J Am Coll Cardiol 2006; 48: 566-75
- 9) Morrow DA et al. JAMA 2007; 297: 1775-83
- 10) Tafreshi MJ, Fisher E. Ann Pharmacother 2006; 40: 689-93
Standpunkte und Meinungen
- Es gibt zu diesem Artikel keine Leserkommentare.
Copyright © 2024 Infomed-Verlags-AG
PK803
Gratisbuch bei einem Neuabo!
pharma-kritik abonnieren
-
Jahrgang 46 / 2024
Jahrgang 45 / 2023
Jahrgang 44 / 2022
Jahrgang 43 / 2021
Jahrgang 42 / 2020
Jahrgang 41 / 2019
Jahrgang 40 / 2018
Jahrgang 39 / 2017
Jahrgang 38 / 2016
Jahrgang 37 / 2015
Jahrgang 36 / 2014
Jahrgang 35 / 2013
Jahrgang 34 / 2012
Jahrgang 33 / 2011
Jahrgang 32 / 2010
Jahrgang 31 / 2009
Jahrgang 30 / 2008
Jahrgang 29 / 2007
Jahrgang 28 / 2006
Jahrgang 27 / 2005
Jahrgang 26 / 2004
Jahrgang 25 / 2003
Jahrgang 24 / 2002
Jahrgang 23 / 2001
Jahrgang 22 / 2000
Jahrgang 21 / 1999
Jahrgang 20 / 1998
Jahrgang 19 / 1997
Jahrgang 18 / 1996
Jahrgang 17 / 1995
Jahrgang 16 / 1994
Jahrgang 15 / 1993
Jahrgang 14 / 1992
Jahrgang 13 / 1991
Jahrgang 12 / 1990
Jahrgang 11 / 1989
Jahrgang 10 / 1988
Kennen Sie "100 wichtige Medikamente" schon?
Die Liste der 100 Medikamente sehen Sie auf der Startseite von 100 Medikamente.