Lichttherapie bei Depressionen
- Autor(en): Urspeter Masche
- Reviewer: Carlo Calanchini, Barbara Hochstrasser, Anna Wirz-Justice, Walter Zingg
- pharma-kritik-Jahrgang 24
, Nummer 12, PK62
Redaktionsschluss: 8. Januar 2003
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2002.62 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Übersicht
Depressionen können einen jahreszeitlichen Rhythmus zeigen. Um diese Sonderform zu spezifizieren, wurde der Begriff der saisonalen Depression («seasonal affective disorder», SAD) eingeführt. Man schätzt, dass etwa 1% der Bevölkerung an dieser Depressionsform leidet. Meistens tritt sie erstmals im Alter zwischen 20 und 30 Jahren auf. Frauen sind rund viermal häufiger betroffen als Männer. Damit eine Depression als saisonal bezeichnet werden kann, müssen sich die Symptome immer zur selben Jahreszeit einstellen – unabhängig von Belastungssituationen, die ebenfalls mit dem Jahresablauf verbunden sind; die Besserung muss ebenso regelmässig zu einer bestimmten Zeit eintreten.
Bei der saisonalen Depression unterscheidet man zwei Haupttypen: eine Winter- und eine Sommerdepression, bei denen die Symptome im Spätherbst bzw. im Frühling beginnen, wobei die Winterform bei weitem überwiegt. Winterdepressionen sind im Gegensatz zu den Sommerdepressionen häufig von so genannten atypischen Depressionssymptomen begleitet; dazu gehören zum Beispiel vermehrter Schlaf und verstärkter Appetit (vor allem für Kohlenhydrate) mit Gewichtszunahme. Vermutlich sind bei den beiden Typen unterschiedliche Faktoren beteiligt.
Bei der Winterdepression scheint das verminderte Tageslicht als Auslöser zu wirken, und man nimmt an, dass durch veränderte Melatonin- und Serotoninwirkungen zirkadiane Rhythmen und Schlaf-Wach-Rhythmen verschoben werden. Zwar sind die exakten Mechanismen nicht geklärt; doch die Tatsache, dass bei der Winterdepression die Lichttherapie gut hilft, untermauert die Rolle des Lichts. (1-3) Im Allgemeinen werden Winter- und Sommerdepressionen wie andere Depressionen behandelt, das heisst mit Antidepressiva und mit nicht-pharmakologischen Massnahmen. Bei Winterdepressionen steht jedoch die Lichttherapie als Behandlung im Vordergrund; im Folgenden soll deshalb diese Therapieform detaillierter vorgestellt werden.
Grundlagen zur Lichttherapie
Die Stärke einer Lichtquelle wird mit der SI-Basiseinheit Candela (cd) angegeben. Multipliziert man diese Lichtstärke mit dem Raumwinkel, der von der Lichtquelle bestrichen wird, und dividiert sie durch die Fläche, auf der das Licht eintrifft, erhält man die Beleuchtungsstärke mit der Einheit Lux (lx) – die physikalische Grösse, mit der man bei der Lichttherapie operiert. Die Beleuchtungsstärke hängt also nicht nur von der Stärke der Lichtquelle ab, sondern auch vom Abstand, den das beleuchtete Objekt zur Lichtquelle einnimmt. In einem Haus misst man eine durchschnittliche Beleuchtungsstärke von 100 lx, an gut beleuchteten Arbeitsplätzen 300 bis 500 lx. Im Freien hängt sie von Tageszeit, Wetter, Saison und geografischer Breite ab: einem verhangenen Wintertag beträgt sie ungefähr 2000 lx, einem sonnigen Sommertag bis 100'000 lx.
Bei der Lichttherapie liegt die empfohlene Beleuchtungsstärke zwischen 2500 und 10'000 lx. Meist wird eine Sitzung pro Tag verordnet; bei Bedarf können auch zwei Sitzungen durchgeführt werden. Die Dauer einer Sitzung bewegt sich in der Regel zwischen einer halben Stunde (bei 10'000 lx) und ein bis zwei Stunden (bei 2500 lx). Eine Möglichkeit natürlicher» Lichttherapie besteht darin, dass die Morgendämmerung simuliert wird («Dawn Simulation»): noch während die Betroffenen schlafen, wird ein Licht eingeschaltet und über ein bis zwei Stunden langsam heller gemacht, bis zur ungefähren Aufwachzeit die volle Lichtstärke erreicht ist.
Man vermutet, dass bei der Lichttherapie nicht alle Spektralfarben und auch nicht der UV-Anteil für die Wirkung nötig sind.(4) Üblicherweise wird breitspektrales Licht eingesetzt, das dem natürlichen Licht nahe kommt (z.B. weisse Leuchtstoffröhren, wobei das UV-Licht herausgefiltert wird). Als optimaler Zeitpunkt, um während des Tages eine Lichttherapie einzubauen, werden die Morgenstunden kurz nach dem Aufwachen genannt; die persönlichen Umstände sollen aber im Einzelfall mitentscheiden. Da die Wirkung der Lichttherapie allein über die Augen vermittelt wird, sollen sie offen gehalten werden, ohne dass direkt ins Licht geschaut wird – womit auch gleichzeitige Aktivitäten wie zum Beispiel Lesen möglich sind.(1,2)
Die Wirkung der Lichttherapie setzt nach einigen wenigen Tagen ein. Wenn die Lichttherapie beendet wird, können die Symptome zurückkehren bzw. kann ein Rückfall eintreten. Es wird deshalb empfohlen, eine Lichttherapie solange durchzuführen, bis die Frühjahrssonne wieder mehr Licht liefert.
Klinische Studien
Bei der Lichttherapie besteht das Problem, sie unter guten kontrollierten Bedingungen zu prüfen. Man hat verschiedene Lösungen versucht, um eine adäquate Placebobehandlung zu definieren; verwendet wurden zum Beispiel Licht von niedriger Beleuchtungsstärke (abgedunkeltes Rotlicht) oder Ionengeneratoren.
Ende der 1980er Jahre wurde eine Metaanalyse veröffentlicht mit insgesamt 332 Personen; gut 40% dieses Kollektivs hatten Studien teilgenommen, die kontrolliert durchgeführt worden waren. Die Metaanalyse enthielt Studien, bei denen die Lichttherapie am Morgen, über Mittag, am Abend oder sowohl Morgen wie auch am Abend stattgefunden hatte. Alle Therapieschemen führten – anhand der «Hamilton Depression » gemessen – zu einer signifikanten Reduktion der Depressionssymptome. Bei der Mehrzahl der kontrollierten Studien der Unterschied zur Kontrollgruppe nicht signifikant, sondern ergab sich erst, nachdem man die Resultate «gepoolt» Eine Abnahme der depressiven Symptome um mindestens 50% und ein Abfall unter 8 Punkte auf der Hamilton-Skala, was als Kriterium für eine klinische Remission gilt, trat einer Lichttherapie zwischen 30 und 50% der Fälle auf; beschränkte man sich auf die kontrollierten Studien, waren etwa 10 bis 30%. Morgendliches Licht zeigte sich wirksamer als abendliches.(5)
In den letzten Jahren sind Studien erschienen, die repräsentativer sind, weil sie sowohl kontrolliert durchgeführt worden sind als auch relativ grosse Kollektive einbezogen haben.(6) Bei 124 Personen mit einer saisonal bedingten Depression («major depressive episode with seasonal pattern») wurde die morgendliche Lichttherapie mit der abendlichen verglichen (10'000 lx über 30 min), und zwar sowohl im «Crossover»-Verfahren als auch mit Parallelgruppen. Als Kontrollen dienten zwei Gruppen, bei denen mit einem entsprechenden Gerät negative Ionen in hoher und in niedriger Dichte produziert wurden. Es fanden zwei Behandlungsperioden zu je 10 bis 14 Tagen statt. Um einen positiven Spontanverlauf auszuschliessen, wurden nur die Daten von Individuen berücksichtigt, bei denen nach Ende der Therapie ein Rückfall eingetreten war. Eine klinische Remission wurde mit der Lichttherapie bei 45% der Behandelten erzielt, in den Kontrollgruppen bei 15%. Die morgendliche Lichttherapie war wirksamer als die abendliche (54%ige gegenüber 33%iger Remissionsrate); einzelne Personen sprachen allerdings besser auf die abendliche Therapie an.(6)
71 Personen, die an saisonaler Depression erkrankt waren, behandelte man vier Wochen lang entweder mit morgendlichem oder abendlichem Licht; als Placebo diente ein ausgeschalteter Ionengenerator. Der Durchschnittswert auf der Hamilton- Skala reduzierte sich in allen drei Gruppen gleich. Die Remissionsrate betrug mit morgendlichem Licht 55%, mit abendlichem 28% und in der Placebogruppe 16%.(8)
Eine weitere Untersuchung ergab dagegen ernüchternde Ergebnisse: Bei 57 Personen, die in Allgemeinpraxen rekrutiert worden waren, wurde während zwei Wochen helles Weisslicht 10'000 lx) mit abgeschwächtem Rotlicht (500 lx) verglichen. Dabei liess sich zwischen den beiden Gruppen kein Unterschied feststellen, sowohl was den Durchschnittswert auf der Hamiltonskala als auch die Remissionsrate betraf.(9)
Auch zur «Dawn Simulation» gibt es positive Berichte. So zeigte Licht, das man während des morgendlichen Schlafs über 1½ Stunden allmählich bis auf 250 lx (ungefähr Zimmerbeleuchtung) steigerte, eine bessere Wirkung als eine Lichtquelle, die während einer halben Stunde konstant mit 10'000 lx strahlte.(10)
Unerwünschte Wirkungen
Die Lichttherapie verursacht kaum schwere Nebenwirkungen. Relativ häufig treten Kopfschmerzen und Augenprobleme müde, irritierte oder brennende Augen, verschwommenes Sehen – auf. Seltener sind Übelkeit, Schwindel, Agitiertheit, Sedierung und Schwitzen. Auch Schlafstörungen sind beschrieben, besonders wenn die Lichttherapie erst am Abend durchgeführt wird. Im Allgemeinen sind die Nebenwirkungen am ausgeprägtesten an den ersten Tagen der Lichttherapie und verschwinden meist wieder.
Bei Personen, die an Erkrankungen der Augenlinse oder der Retina leiden, sowie bei älteren Leuten, bei denen solche Augenkrankheiten häufig vorkommen, soll eine Lichttherapie erst nach einer ophthalmologischen Kontrolle durchgeführt werden. Vorsicht ist auch geboten, wenn unter einer Lichttherapie photosensibilisierende Substanzen (z.B. Johanniskrautpräparate und gewisse andere Antidepressiva) eingenommen werden.(3,11)
Praktische Aspekte
Die Lichttherapie kann entweder zu Hause mit Tischlampen oder in einer ärztlichen Praxis bzw. in einer Klinik stattfinden. In der Schweiz bieten alle fünf universitären psychiatrischen Poli-)Kliniken die Lichttherapie an; auch in einigen anderen psychiatrischen Kliniken sowie in ein paar Privatpraxen besteht die Möglichkeit, eine Lichttherapie durchzuführen. Auf der Internetseite http://www.chronobiology.ch/licht.html findet sich eine Liste, welche die Schweizer Institutionen angibt, in denen eine Lichttherapie möglich ist. Diese Internetseite liefert auch weitere nützliche Informationen (z.B. Adressen von Firmen, die Tischgeräte für die Heim-Lichttherapie vertreiben). Die Anschaffung einer Lichttherapielampe wird in der Schweiz von den Krankenkassen mit 800 Franken unterstützt, sofern die Diagnose einer saisonalen Depression vorliegt (andere Anwendungen der Lichttherapie, z.B. bei chronobiologischen Schlafstörungen, sind nicht kassenpflichtig).
Schlussfolgerungen
Die Lichttherapie wird bei der Winterdepression als eine Therapie der ersten Wahl betrachtet, vor allem wenn eine weniger schwere depressive Symptomatik besteht. Ein paar neue, sorgfältig angelegte Studien liefern gute Argumente für eine positive Wirkung der Lichttherapie; sie vermögen jedoch nicht die letzten Zweifel zu beseitigen, dass die Lichttherapie von einem beträchtlichen Placeboeffekt zehrt (was sich in gewisser Weise auch gegenüber den Antidepressiva vorbringen lässt). Der Vorteil einer Lichttherapie besteht darin, dass es sich um eine nebenwirkungsarme Therapie handelt, für die es abgesehen von einigen Augenerkrankungen keine Kontraindikationen gibt und die von vielen Depressiven als eine «natürliche» Behandlung geschätzt wird; zudem kann ein rascher Wirkungseintritt erwartet werden (nach ein bis zwei Wochen). Andererseits handelt es sich um eine Therapie, die Motivation voraussetzt und – zumindest am Anfang – eher teuer ist. (3) Auf welchen Wirkungen auch immer der Erfolg der Lichttherapie begründet – es wird damit unterstrichen, dass man Leuten, die im Winter an Depressionen leiden, Aufenthalte im Freien bzw. an der Sonne nahe legen soll.
Literatur
- 1) Partonen T, Lönnqvist J. Lancet 1998; 352: 1369-74
- 2) Saeed SA, Bruce TJ. Am Fam Physician 1998; 57: 1340-6
- 3) Wirz-Justice A, Graw P. Ther Umsch 2000; 57: 71-5
- 4) Lee TM et al. Acta Psychiatr Scand 1997; 96: 117-21
- 5) Terman M et al. Neuropsychopharmacology 1989; 2: 1-22
- 6) Wirz-Justice A. Arch Gen Psychiatry 1998; 55: 861-2
- 7) Terman M et al. Arch Gen Psychiatry 1998; 55: 875-82
- 8) Eastman CI et al. Arch Gen Psychiatry 1998; 55: 883-9
- 9) Wileman SM et al. Br J Psychiatry 2001; 178: 311-6
- 10) Avery DH et al. Biol Psychiatry 2001; 50: 205-16
- 11) Kogan AO, Guilford PM. Am J Psychiatry 1998; 155: 293-4
Standpunkte und Meinungen
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