100 wichtige Medikamente Buchprojekt vor dem Abschluss
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 15
, Nummer 15, PK514
Redaktionsschluss: 14. August 1993 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
ceterum censeo
Nach einer Inkubationszeit von nahezu drei Jahren erscheint im kommenden Winter eine neue pharma-kritik- Publikation mit dem Titel «100 wichtige Medikamente». Ich möchte erläutern, weshalb es zu diesem Projekt kam, was es beinhaltet und warum es gerade in der heutigen Zeit als Modell dafür dienen könnte, wie eine optimale Pharmakotherapie verhältnismässig kostengünstig gestaltet werden kann.
Wenn in pharma-kritik über neue Medikamente berichtet wird, lautet die Schlussfolgerung sehr oft, die neue Substanz biete «nicht mehr als die schon länger verfügbaren, besser dokumentierten Arzneimitttel». Natürlich stehen einige Informationsquellen zur Verfügung, welche wir zu diesen schon länger eingeführten Medikamenten konsultieren können. Lehrbücher, Kompendien und andere Nachschlagewerke haben aber alle gewisse Nachteile. Oft wirkt ihr Inhalt praxisfremd, manchmal zu ausführlich, manchmal zu summarisch. Als schlimmsten Mangel empfinde ich, dass sie fast alle der Frage nach dem Nutzenvergleich aus dem Wege gehen. Die therapeutischen Optionen, die für ein gegebenes Problem angeboten werden, sind ja heute oft sehr zahlreich. Mit welchem der vielen wirksamen Antibiotika behandle ich eine Zystitis am besten? Welche Medikamente haben sich in der Sekundär prophylaxe des Herzinfarkts wirklich bewährt? Mit Fragen dieser Art muss ich mich doch in der Praxis ständig auseinandersetzen.
So lag es eigentlich nahe, den Versuch zu unternehmen, die für die Praxis wichtigsten Medikamente nach pharmakritik- Prinzipien auszuwählen, die aktuelle Literatur zu sichten und das Resultat synoptisch darzustellen. Das Unterfangen erwies sich als weit aufwendiger, als ich dies zuerst angenommen hatte. Einigermassen willkürlich hatten wir festgelegt, einhundert Medikamente zu berücksichtigen. Nun existiert ja die Liste der «essentiellen Arzneimittel » der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die etwa 270 Medikamente umfasst. Ich halte diese Liste für sehr nützlich und wichtig. Es handelt sich aber um eine Auswahl, die auch die Behandlung verhältnismässig seltener Probleme berücksichtigt und sich zudem nach sehr unterschiedlichen Bedürfnissen (insbesondere auch der Drittweltländer) richten muss. Unsere Auswahl erhebt nicht den Anspruch, umfassend zu sein, sondern konzentriert sich auf die häufigen Probleme der Alltagspraxis. Ich habe zudem versucht, möglichst viele der Arzneimittel aufzunehmen, die in der Schweiz häufig verschrieben werden. Damit ist sichergestellt, dass die «100 wichtigen Medikamente » praxisnahe bleiben und eine genügende Zahl von therapeutischen Alternativen enthalten.
Die Auswahl der hundert Substanzen war eine der harmloseren Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert waren. Wirklich zeitaufwendig war es, die zugehörige Literatur durchzusehen und sinnvoll zusammenzustellen. Im Gegensatz zu den von den Behörden und der Industrie genehmigten Texten soll eine «pharma-kritik-gerechte» Information abwägen, vergleichen, einzelne Indikationen in den Vordergrund rücken, andere eher ablehnen. Es lag mir auch daran, möglichst aktuelle Literatur und neue Studien zu berücksichtigen. Wer glaubt, man wüsste längst alles über die tagtäglich verschriebenen Mittel, täuscht sich gewaltig. Ich darf sagen, dass ich bei der Arbeit an den «100 wichtigen Medikamenten » sehr viel dazugelernt habe.
Besonders bemüht haben wir uns um aussagekräftige Information zur Pharmakotherapie bei Personen mit besonderen Risiken. Fragen zur Behandlung schwangerer Frauen, stillender Mütter, von Kindern, alten Leuten, Nierenund Leberkranken sollten so gut wie möglich beantwortet werden. Leider zeigte sich, dass gewisse Daten (z.B. zu den möglichen Gefahren, denen ein brustgestilltes Kind ausgesetzt sein kann) einfach nicht vorhanden sind. Nichtssagende Floskeln wie «...soll nur verabreicht werden, wenn der potentielle Nutzen das fötale Risiko übersteigt» vermeidet unser Text jedoch konsequent.
Nicht nur in bezug auf den Inhalt wird das Buch vom üblichen abweichen, auch die Darstellung soll mithelfen, Benützerinnen und Benützern raschen Zugang zu relevanter Information zu verschaffen. Es ist gelungen, Daten und Texte zu jedem Medikament einheitlich auf zwei gegenüberliegenden Seiten anzuordnen. Auf diese Weise weiss man rasch, wo man jeweils suchen muss, wenn man z.B. etwas über Interaktionen oder Kinderdosen usw. wissen muss. Dieses feste «Format» verpflichtet mich bei der Schlussredaktion, allenfalls überbordende Texte zu kürzen. Auch dies, die garantierte Kürze, dürfte sich zum Vorteil der zukünftigen Leserinnen und Leser auswirken.
Die ausgewählten hundert Substanzen sind zum grössten Teil sehr gute Arzneimittel. Ich möchte aber durchaus nicht behaupten, es seien «die besten». Eine solche Behauptung liesse sich niemals überzeugend belegen. Es handelt sich aber sicher um eine Auswahl, die genügt, um rund 90% aller in der Primärmedizin vorkommenden Probleme adäquat zu behandeln, soweit die Probleme überhaupt einer Pharmakotherapie zugänglich sind. Unter Primärmedizin verstehe ich hier die hausärztliche (allgemein- oder internmedizinische) Praxis und die ärztliche Aktivität in kleineren Spitälern. Es ist mir bewusst, dass für die restlichen 10% der Probleme wohl nochmals 200 oder mehr Medikamente benötigt werden. Im Praxisalltag ist aber entscheidend, dass wir die häufigen Probleme mit einem optimalen Wissensstand angehen. Um dieses Wissen zu sichern, ist es unerlässlich, sich auf ein kleines Arzneimittelsortiment -- wie es in den «100 wichtigen Medikamenten » dargestellt wird -- zu beschränken. Dass eine optimale Pharmakotherapie auch vergleichsweise kostengünstig sein kann, ergibt sich aus der Möglichkeit der Substitution von Originalpräparaten durch Generika. Unser Text wird daher für alle Medikamente aktuelle Vergleichszahlen enthalten.
Ich kann hier nur wiederholen, was ich schon mehrfach geschrieben habe: Therapeutische Entscheide sollten aus ärztlicher Sicht getroffen (und nicht von der Industrie souffliert) werden. Nur wenn wir uns zusammenfinden und eine wohlüberlegte Auswahl treffen, ist eine Behandlung im besten Interesse der Kranken möglich. (Ähnliche Überlegungen gelten natürlich auch für Apothekerinnen und Apotheker, wenn es um rezeptfreie Medikamente geht.) Die von pharma-kritik im kommenden Winter vorgelegte Auswahl könnte gut als Modell für eine aktivere, bessere «Pharmakopolitik» der Ärzteschaft dienen.
Etzel Gysling
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