Carvedilol
- Autor(en): Beat Staub
- pharma-kritik-Jahrgang 18
, Nummer 15, PK435
Redaktionsschluss: 21. April 1997 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Synopsis
Carvedilol (Dilatrend®) ist ein neuer Betarezeptorenblocker, der auch die adrenergen a1-Rezeptoren blockiert. Das Medikament ist zur Behandlung der essentiellen Hypertonie und zur Anfallsprophylaxe bei chronischer Angina pectoris zugelassen.
Chemie/Pharmakologie
Wie Labetalol (Trandate®) ist Carvedilol ein Betablocker mit einer zusätzlichen a1-blockierenden Wirkung. Es hat deshalb auch gefässerweiterende Eigenschaften. Im Gegensatz zu Labetalol besitzt Carvedilol aber keine sympathomimetische Eigenaktivität. Obwohl in einzelnen Versuchen in vitro eine stärkere Wirkung an b1-Rezeptoren gefunden wurde, wird Carvedilol praktisch als nicht-selektiver Betablocker angesehen.(1) In Tiermodellen wirkte es in hohen Konzentrationen auch als Kalziumantagonist.(2) Der Substanz kommen gemäss weiteren experimentellen Befunden auch antioxidative und antiproliferative Eigenschaften zu.
Es scheint, dass Carvedilol den Lipidstoffwechsel praktisch nicht beeinflusst. Bei nicht-insulinpflichtigen Diabetikern veränderte es weder die Blutzuckerwerte noch den Glukosetoleranztest. (3)
Pharmakokinetik
Nach oraler Verabreichung wird Carvedilol rasch resorbiert; 1 bis 2 Stunden nach der Einnahme sind maximale Plasmaspiegel erreicht. Carvedilol erfährt eine ausgeprägte präsystemische Metabolisierung in der Leber; die Bioverfügbarkeit beträgt ungefähr 25%. Gleichzeitige Nahrungsaufnahme führte bei Gesunden zu einer Verzögerung der Resorption; die Bioverfügbarkeit wurde aber nicht beeinflusst. Carvedilol wird praktisch vollständig in der Leber metabolisiert. Dabei entstehen mehrere, teilweise aktive Metaboliten, die aber wahrscheinlich nur wenig zur gesamten Wirkung beitragen. Die Metaboliten werden zu etwa 60% mit dem Stuhl ausgeschieden; im Urin fanden sich weniger als 2% der Substanz in unveränderter Form. Die Plasmahalbwertszeit zeigt eine starke individuelle Variabilität (2 bis 8 Stunden);(4) nach Firmenangaben liegt sie meistens bei 6 bis 7 Stunden. Bei Kranken mit eingeschränkter Leberfunktion ist mit einer stark erhöhten Bioverfügbarkeit zu rechnen, ebenso bei Personen mit geringer Aktivität des für den Metabolismus wesentlichen Zytochroms (CYP2D6).
Klinische Studien
Zur Wirksamkeit von Carvedilol bei arterieller Hypertonie liegen zahlreiche Studien vor, die mehrere Tausend Behandelte umfassen. In bezug auf Angina pectoris ist die Dokumentation weniger umfangreich. Carvedilol wurde zudem in mehreren grossen Studien auf seine Wirksamkeit bei chronischer Herzinsuffizienz getestet.
Hypertonie
Gemäss einer placebokontrollierten Dosisfindungsstudie bei 44 Personen mit diastolischen Blutdruckwerten zwischen 95 und 114 mm Hg lässt sich mit einer täglichen Carvedilol-Dosis von 12,5 mg, 25 mg oder 50 mg eine Drucksenkung erreichen. Der Effekt der beiden niedrigeren Dosierungen war nicht eindeutig dosisabhängig. Am deutlichsten war die Blutdrucksenkung zwischen 3 und 7 Stunden nach Verabreichung des Medikaments.(5)
Zahlreiche Vergleiche mit anderen Antihypertensiva zeigen, dass Carvedilol in einer Tagesdosis von 25 bis 50 mg eine ähnliche antihypertensive Wirkung erreicht wie z.B. Atenolol (Tenormin® u.a.), Captopril (Lopirin® u.a.), Diuretika, Labetalol (Trandate®), Nifedipin (Adalat® u.a.) in üblicher Dosierung. In frühen Studien wurde Carvedilol oft zweimal täglich verabreicht, z.T. in Tagesdosen bis zu 100 mg. Gemäss einer von der Herstellerfirma durchgeführten Meta-Analyse kann jedoch die Mehrheit der Patientinnen und Patienten mit einer täglichen Dosis von 25 mg adäquat behandelt werden. Die Wirkungssteigerung, die mit einer höheren Tagesdosis (50-100 mg) gewonnen wird, ist vergleichsweise gering.(6)
In Vergleichen mit Atenolol war Carvedilol allerdings oft leicht unterlegen, wenn der Blutdruck am Morgen (vor Verabreichung der täglichen Dosis) gemessen wurde. Ein Beispiel: In einer Doppelblindstudie bei 325 Personen mit leichter bis mittelschwerer Hypertonie erhielt die Hälfte Carvedilol (zuerst 25 mg einmal täglich), die andere Hälfte Atenolol (zuerst 50 mg täglich). Die Dosis der Medikamente konnte bei ungenügendem Ansprechen nach vier Wochen verdoppelt werden. Nach acht Wochen Behandlung war das Behandlungsziel (Senkung des diastolischen Drucks unter 90 mm Hg oder um mindestens 10 mm Hg) bei 75% der mit Carvedilol Behandelten und bei 81% der mit Atenolol Behandelten erreicht.(7)
Carvedilol kann erfolgreich mit anderen Antihypertensiva – insbesondere mit Diuretika, aber auch mit Kalziumantagonisten – kombiniert werden. So erhielten z.B. mit Hydrochlorothiazid (Esidrex®) Behandelte, deren Blutdruck noch zu hoch war, zusätzlich entweder Carvedilol (25 mg/Tag) oder Atenolol (50 mg/Tag). In beiden Gruppen gelang es, den Blutdruck noch weiter zu senken; nach sechs Wochen lag der diastolische Blutdruck unter Carvedilol bei 67%, unter Atenolol bei 71% bei 90 oder weniger mm Hg. (8)
Angina pectoris
In einer doppelblinden Vergleichsstudie bei 163 Kranken mit chronisch-stabiler Angina pectoris erwies sich Carvedilol (2mal 25 mg/Tag) als ungefähr gleich gut antianginös wirksam wie retardiertes Nifedipin (2mal 20 mg/Tag). Sowohl die pektanginösen Symptome als auch der Nitroglycerin-Verbrauch wurden in beiden Gruppen vergleichbar verbessert.(9)
Bei nur 27 Personen mit chronischer Angina pectoris wurde die Wirksamkeit von Carvedilol (2mal 25 mg/Tag) während sechs Monaten mit derjenigen von Propranolol (Inderal® u.a., 2mal 80 mg/Tag) plus Isosorbiddinitrat (Sorbidilat® u.a., 2mal 20 mg/Tag) verglichen: Unter Berücksichtigung der Arbeitsdauer und der Zeit bis zum Auftreten einer ST-Senkung um 1 mm war Carvedilol etwas wirksamer als die Kombination Propranolol/Isosorbiddinitrat.(10)
Andere Studien bei Angina pectoris waren nur einfachblind oder untersuchten nur die Wirkung von Einzeldosen.(4)
Herzinsuffizienz
Im Rahmen eines grösseren Untersuchungsprogramms wurden die Auswirkungen von Carvedilol auf das Überleben und die Hospitalisationsrate bei Personen mit chronischer Herzinsuffizienz (linksventrikuläre Auswurffraktion von höchstens 35%) untersucht. Beteiligt waren 838 Männer und 256 Frauen; bei 52% davon war die Herzinsuffizienz durch eine nicht-ischämische Kardiomyopathie verursacht, die anderen litten an einer koronaren Herzkrankheit. Fast alle waren mit Diuretika und ACE-Hemmern vorbehandelt, einige auch mit Digitalis und Vasodilatatoren.
Vor der Studie wurden getestet, wie weit die Probandinnen und Probanden innerhalb von 6 Minuten gehen konnten. Je nach ihrer Leistung wurden sie in eine von vier «Studien» eingeteilt. Unter Weiterführung der bisherigen Behandlung erhielten alle zuerst für zwei Wochen Carvedilol in einer Dosis von 2mal 6,25 mg pro Tag. Wurde diese Therapie vertragen, so erhielten sie doppelblind Placebo oder Carvedilol in unterschiedlicher Dosierung, mit der Möglichkeit einer Dosisanpassung. Am Ende der sechsmonatigen Untersuchung betrug bei den aktiv Behandelten die Carvedilol-Dosis durchschnittlich 45 mg/Tag. In der Placebogruppe starben 31 Personen (7,8% von 398), in der Carvedilolgruppe ereigneten sich signifikant weniger, nämlich nur 22 Todesfälle (3,2% von 696). Dieser Effekt war unabhängig vom initial bestimmten Schweregrad der Herzinsuffizienz und erklärte sich vor allem durch eine Abnahme kardialer Todesfälle in der Carvedilolgruppe. Auch die Hospitalisationsrate wurde reduziert: 19,6% der Personen der Placebogruppe mussten während der Behandlungsphase mindestens einmal aus kardiovaskulären Gründen hospitalisiert werden, in der Carvedilol-Gruppe waren es nur 14,1%.(11)
In eine andere, zwölf Monate dauernde Doppelblindstudie wurden nur Personen mit Herzinsuffizienz infolge koronarer Herzkrankheit aufgenommen. Von den 415 Beteiligten waren 80% Männer; das Durchschnittsalter betrug 67 Jahre. In einer offenen Testphase wurden diejenigen Personen ausgelesen, die wenigstens 2mal täglich 6,25 mg Carvedilol vertrugen. Anschliessend wurde nach dem Zufallsprinzip entweder mit Carvedilol oder mit Placebo behandelt. Die Carvedilol-Dosis konnte schrittweise gesteigert werden; sie betrug am Ende der Studie durchschnittlich 41 mg/Tag. Die bei praktisch allen bereits bestehende Medikation (in 85% ACE-Hemmer) blieb unverändert. Zu Beginn der Untersuchung, nach 6 und nach 12 Monaten wurden Messungen der linksventrikulären Auswurffraktion und der Herzgrösse sowie Tests zur Bestimmung der körperlichen Leistungsfähigkeit durchgeführt. In der Carvedilolgruppe konnte schon nach 6 Monaten ein deutlicher Anstieg der linksventrikulären Auswurffraktion um gut 5% beobachtet werden (bestätigt nach 12 Monaten); in der Placebogruppe veränderte sich die Auswurffraktion kaum. Die Herzgrösse nahm in beiden Gruppen ab, allerdings unter Carvedilol deutlicher als unter Placebo. Die beiden Gruppen unterschieden sich nach 12 Monaten in der körperlichen Leistungsfähigkeit nicht.
Nach 19 Monaten konnten in beiden Gruppen rund 180 Personen nachuntersucht werden, von denen je ungefähr gleich viele die Studienmedikation nach wie vor einnahmen. Bis zu diesem Zeitpunkt konnten für folgende Einzel-Endpunkte keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen gefunden werden: Zahl der Episoden einer Verschlechterung der Herzinsuffizienz, Zahl der Spitaleinweisungen und Zahl der Todesfälle. Dagegen ergibt sich in bezug auf den kombinierten Endpunkt «Tod und/oder Spitaleinweisung» ein signifikanter Vorteil für die Carvedilol-Gruppe (Senkung des relativen Risikos um 26%).(12)
Unerwünschte Wirkungen
Unerwünschte Wirkungen treten eher zu Beginn der Therapie und häufiger unter Dosen von mehr als 25 mg pro Tag auf.(13) Am häufigsten (bei mehr als 1% der Behandelten) sind orthostatische Beschwerden (Hypotonie, Schwindel), Müdigkeit, Bradykardie, Kopfschmerzen, Bronchospasmen, Brechreiz oder Durchfall. Seltener sind Schlafstörungen, Depression, Mundtrockenheit, Ödeme, Exantheme, erektile Dysfunktion u.a. Etwa 5 bis 7% der mit Carvedilol behandelten Personen brechen die Therapie wegen unerwünschten Wirkungen ab.
Interaktionen
Carvedilol kann zu einem leichten Anstieg der Plasmaspiegel sowie der gesamthaft verfügbaren Menge von gleichzeitig verabreichtem Digoxin führen.(14)
Wegen des ausgeprägten hepatischen Metabolismus können Medikamente, welche Leberenzyme induzieren oder hemmen, die Pharmakokinetik von Carvedilol beeinflussen. Dies betrifft z.B. den Enzymhemmer Cimetidin (Tagamet® u.a.) und den Enzyminduktor Rifampicin (Rimactan® u.a.).
Dosierung/Verabreichung/Kosten
Carvedilol (Dilatrend®) ist als Tabletten zu 12,5 mg und 25 mg erhältlich und in der Schweiz kassenzulässig. Um symptomatische Hypotonien zu vermeiden, soll die Behandlung an den ersten beiden Tagen mit je einer Dosis von 12,5 mg begonnen werden. Zur Behandlung einer Hypertonie kann eine tägliche Dosis von 25 mg genügen. Bei ungenügendem Ansprechen sowie bei Angina pectoris empfiehlt sich, täglich 2mal 25 mg zu verabreichen. Bei älteren Leuten sollte diese Dosis nicht überschritten werden.
Kontraindiziert ist Carvedilol bei Personen mit chronisch-obstruktiver Lungenkrankheit, Asthma bronchiale, unkontrollierter Herz-insuffizienz, deutlich eingeschränkter Leberfunktion sowie in der Schwangerschaft und während der Stillzeit.
Eine Behandlung mit täglich 25 mg Carvedilol kostet knapp 50 Franken pro Monat. Eine ähnlich wirksame Atenolol-Behandlung (50 mg/Tag) ist viel billiger (bei Verwendung von Generika: weniger als 20 Franken pro Monat).
Kommentar
Obwohl Carvedilol einige zusätzliche Eigenschaften besitzt, muss es in erster Linie an anderen Betablockern gemessen werden. Seine antihypertensive Wirksamkeit ist recht gut dokumentiert, im Vergleich mit anderen Betablockern jedoch keineswegs spektakulär. Man darf annehmen, dass sich mit Atenolol in üblicher Dosierung ein mindestens ebenbürtiges Resultat zu günstigerem Preis erreichen lässt. Was die Prophylaxe von pektanginösen Anfällen anbelangt, kann das neue Medikament mangels entsprechenden Studien nicht mit anderen Betablockern verglichen werden. In Anbetracht der gefässerweiternden Wirkung von Carvedilol wäre es dringend wünschenswert, dass solche Studien durchgeführt würden.
Den Carvedilol-Studien bei Herzinsuffizienz kommt das Verdienst zu, die Diskussion über die Wirkungen von Beta-blockern bei dieser Indikation neu eröffnet zu haben. Im Vergleich mit den Daten, die uns z.B. zur Wirksamkeit der ACE-Hemmer zur Verfügung stehen, sind die bisher vorliegenden Resultate noch bescheiden. Beim heutigen Wissensstand lässt sich noch kaum eine verbindliche Aussage zum Nutzen von Carvedilol (und schon gar nicht allgemein von Betablockern) bei Herzinsuffizienz machen. Der nächste logische Schritt wäre wohl, die Wirkung von Carvedilol in grösseren placebokontrollierten Studien mit derjenigen anderer Betablocker zu vergleichen.
Literatur
- 1) Van Zwieten PA. Drugs 1993: 45: 509-17
- 2) Ruffolo RR et al. Eur J Clin Pharmacol 1990; 38 (Suppl 2): S82-8
- 3) Morgan T. Clin Pharmacokinet 1994; 26: 335-46
- 4) McTavish D et al. Drugs 1993; 45: 232-58
- 5) McPhilipps JJ et al. Drugs 1988; 36 (Suppl 6): 82-91
- 6) Stienen U, Meyer Sabellek W. Clin Investig 1992; 70 (Suppl 1): 65-72
- 7) Ruilope LM. Am J Hypertens 1994; 7: 129-36
- 8) van der Does R et al. Eur J Clin Pharmacol 1990; 38 (Suppl 2): S147-52
- 9) van der Does R et al. Eur Heart 1991; 12: 60-4
- 10) Nahrendorf W et al. J Cardiovasc Pharmacol 1992; 19 (Suppl 1): S114-6
- 11) Packer M et al. N Engl J Med 1996; 334: 1249-55
- 12) Australia/New Zealand Heart Failure Research Collaborative Group. Lancet 1997; 349: 375-80
- 13) Rittinghausen R. Drugs 1988; 36 (Suppl 6): 92-101
- 14) Wermeling DP et al. Pharmacotherapy 1994; 14: 600-6
Standpunkte und Meinungen
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