Propacetamol

Synopsis

Propacetamol (Pro-Dafalgan®) wird zur Behandlung von leichten bis mittelschweren Schmerzen empfohlen, wenn eine perorale Anwendung nicht möglich ist (z.B. unmittelbar nach Operationen).

Chemie/Pharmakologie

Paracetamol ist bei physiologischen pH-Werten nur beschränkt löslich. Aus diesem Grund waren in der Schweiz bis vor kurzem nur orale und rektale Formen von Paracetamol erhältlich. Um die Löslichkeit zu erhöhen und die Substanz damit auch parenteral nutzbar zu machen, wurde sie mit der Karbonsäure Diethylglycin verestert. Der als Propacetamol bezeichnete Ester ist leicht protonierbar und als Hydrochlorid-Salz gut wasserlöslich. Propacetamol ist ein klassisches «Prodrug», das im Blut zum pharmakologisch wirksamen Paracetamol hydrolysiert wird.
Paracetamol wirkt schmerzlindernd und fiebersenkend. Auf welchen Wirkmechanismen diese Eigenschaften beruhen, ist auch heute noch nicht völlig geklärt. Sicher ist, dass Paracetamol die Prostaglandinbiosynthese hemmt und dass seine Affinität zur zentralen Zyklooxygenase grösser ist als zu den Zyklooxygenasen in der Peripherie.(1) In kontrollierten Studien ist sowohl eine zentral als auch eine peripher vermittelte Analgesie von Paracetamol nachgewiesen worden.(2, 3) Da es peripher nur sehr schwach antiphlogistisch wirkt, dürften neben der Zyklooxygenasehemmung noch andere Mechanismen zu seiner analgetischen Wirksamkeit beitragen.

Pharmakokinetik

Propacetamol wird im Blut rasch zu Paracetamol und zu Diethylglycin hydrolysiert. Bei gesunden Probanden wurden maximale Paracetamol-Konzentrationen unmittelbar nach Beendigung einer 15minütigen Infusion von 1 g Propacetamol gemessen. Verglich man die Plasmakonzentrationen von Paracetamol nach der Infusion von 1 g Propacetamol und nach der peroralen Gabe einer 500-mg-Tablette, so ergaben sich nach der Infusion anfänglich signifikant höhere Werte, nach 1-2 Stunden waren die Kurven jedoch identisch.(4) In der Zerebrospinalflüssigkeit wurden durchschnittlich 4 Stunden nach der Applikation von 2 g Propacetamol maximale Paracetamol-Konzentrationen gemessen.(5)
Paracetamol wird gemäss einem offenen Zweikompartiment-Modell schnell in die Gewebe verteilt. Die Metabolisierung findet hauptsächlich in der Leber statt: Etwa 80% von Paracetamol werden mit Glukuron- oder Schwefelsäure konjugiert. 10% werden durch Zytochrom-P450-Enzyme zu einem toxischen Intermediärprodukt oxidiert, das normalerweise durch Glutathion rasch inaktiviert wird. Die Plasma-Eliminationshalbwertszeit von Paracetamol beträgt ungefähr zwei Stunden. Die Ausscheidung der Metaboliten und einer kleinen Menge von unverändertem Paracetamol erfolgt mit dem Urin.(1) Die Diethylglycin-Fraktion wird nach Firmenangaben unverändert über die Nieren ausgeschieden.

Klinische Studien

Propacetamol ist in Frankreich, Belgien und Luxemburg schon in den 80er Jahren zugelassen worden. In Frankreich darf es auch zur symptomatischen Therapie von Fieber verwendet werden. Kontrollierte Studien sind allerdings fast ausschliesslich bei Schmerzpatienten durchgeführt worden. Dabei wurden insgesamt rund 400 Patienten mit Propacetamol behandelt. In der folgenden Auswahl sind nur publizierte Arbeiten berücksichtigt.

Vergleich mit Placebo
Im Rahmen einer einfachblinden Studie erhielten 130 Patienten nach gynäkologischen oder orthopädischen Operationen oder nach einer Cholezystektomie Propacetamol (1 g i.m.) oder eine Placeboinjektion. Die Beurteilung der Schmerzen erfolgte nach einer verbalen, 5punktigen Skala. In der ersten Stunde nach der Verabreichung wurde unter Propacetamol und unter Placebo eine ähnliche Reduktion der Schmerzintensität registriert, innerhalb der zweiten Stunde ergaben sich unter Propacetamol signifikant bessere Resultate. Eine maximale Schmerzlinderung wurde 2 bis 4 Stunden nach der Injektion von Propacetamol verzeichnet.(6)

Vergleich mit anderen Schmerzmitteln
In einem einfachblinden Vergleich zwischen Lysinacetylsalicylat (Aspégic®, 900 mg i.m.) und Propacetamol (1 g i.m.) ergaben sich bei Patienten mit postoperativen Schmerzen keine Unterschiede zwischen den zwei Substanzen.(7)
Propacetamol wurde in einer Doppelblindstudie auch mit einem Metamizol-haltigen Schmerzmittel (Baralgin®, in der Schweiz nicht mehr erhältlich) verglichen. Dazu erhielten 90 Patienten kurz nach einer Operation an der Aorta abdominalis entweder Propacetamol (2 g i.v.) oder Baralgin® (entsprechend 2,5 g Metamizol-Natrium, i.v.) oder eine Placeboinjektion. Innerhalb der ersten 6 Stunden waren beide aktiven Behandlungen gleichwertig und der Placebo-Behandlung signifikant überlegen. Tendenziell ergab sich für das Metamizol-haltige Schmerzmittel nach ungefähr 3 Stunden allerdings eine länger anhaltende und eine wirksamere Analgesie.(8)
In einer einfachblinden Vergleichsstudie mit Pentazocin (Fortalgesic®) erhielten 60 Patienten nach orthopädischen Operationen Propacetamol (2 g i.m.) oder Pentazocin (30 mg i.m.) oder eine Placebobehandlung. Die Intensität der Schmerzen wurde anhand einer verbalen Skala beurteilt. Die beste Analgesie wurde unter allen drei Behandlungen 1 Stunde nach der Applikation erzielt. Die aktiven Therapien waren im Zeitraum von 30 Minuten bis 6 Stunden nach der Applikation immer signifikant wirksamer als Placebo; zwischen der Propacetamol- und der Pentazocin-Gruppe wurden in bezug auf die Schmerzintensität keine Unterschiede festgestellt. In den zwei aktiven Behandlungsgruppen wurde ähnlich häufig nach der erlaubten Zusatzmedikation verlangt (in der Placebogruppe früher und öfter).(9)

Zentrale Analgetika plus Propacetamol
123 Patientinnen wurden unmittelbar nach einer gynäkologischen Operation oder nach einem Kaiserschnitt randomisiert und einfachblind einer Monotherapie mit Nalbuphin (Nubain®, 20 mg i.v.) oder einer Kombinationsbehandlung mit der halben Dosis Nalbuphin (10 mg) plus Propacetamol (2 g, Infusion über 10 Min.) zugeteilt. Innerhalb der ersten 2 Stunden wurden die zwei Behandlungen aufgrund einer visuellen Schmerzskala als gleichwertig beurteilt, später ergab sich für die Kombinationsbehandlung sogar ein signifikant besseres Resultat. Die Möglichkeit einer Zusatzmedikation wurden in beiden Gruppen von je 5 Patientinnen genutzt.(10) Dass zentrale Analgetika mit Propacetamol niedriger dosiert werden können, wurde auch für Morphin bestätigt: In einer Doppelblindstudie erhielten 60 Patienten nach einer Knieoperation alle 6 Stunden eine 15minütige Infusion mit Propacetamol (2 g) oder Placebo (Kochsalzlösung). Zudem erhielten die Patienten Bolusinjektionen von Morphin i.v. (initial 4 mg, dann nach Bedarf 1 mg alle 10 Minuten). Die Patienten, die Propacetamol erhalten hatten, benötigten Morphin signifikant weniger häufig. Bei der Gesamtbeurteilung durch die Patienten und auf der visuellen analogen Schmerzskala wurden trotz kleinerem Morphinverbrauch keine Unterschiede zwischen den zwei Behandlungen festgestellt.(11)
Nach einer Operation an der Lendenwirbelsäule erhielten 40 Patienten randomisiert eine 20minütige Infusion von Propacetamol (alle 6 Stunden 2 g) oder Placebo (Kochsalzlösung). Nach Bedarf konnte zusätzlich ein Opiat (Piritramid, in der Schweiz nicht erhältlich) verlangt werden. In der Placebogruppe machten 15 Patienten von diesem Angebot Gebrauch, in der Propacetamolgruppe 11 Patienten (kein signifikanter Unterschied). Verglich man die Linderung der Schmerzen in den zwei Gruppen mittels einer visuellen Analogskala, ergaben sich keine relevanten Unterschiede. Die Patienten der Placebogruppe nahmen 6 bis 9 Stunden nach der Operation zwar signifikant höhere Dosen des Opiates zu sich, kumuliert über 24 Stunden war der Opiatverbrauch in beiden Gruppen aber gleich hoch.(12)

Unerwünschte Wirkungen

In Frankreich ist Propacetamol auch zur tiefen intramuskulären oder intravenösen Injektion innerhalb von 2 Minuten zugelassen. Bei diesen Methoden klagen bis zu 20% der Patienten über Schmerzen im Bereich der Injektion. Führt man Propacetamol mittels einer 15minütigen Miniinfusion zu, lassen sich derartige lokale Nebenwirkungen weitgehend vermeiden. Gemäss Herstellerangaben wird nach der Verabreichung von Propacetamol am häufigsten über Schwindel, Übelkeit und Hitzewallungen geklagt. Verschiedentlich ist über allergisch bedingte Kontaktekzeme beim Pflegepersonal berichtet worden. Die Betroffenen reagierten nur auf Propacetamol, nicht aber auf Paracetamol oder Diethylglycin allergisch.(13)
Im übrigen entsprechen die unerwünschten Wirkungen denjenigen von Paracetamol. Das gleiche gilt für Interaktionen mit anderen Medikamenten oder mit Alkohol.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Propacetamol-Hydrochlorid ist in Trockenampullen zu 1 oder 2 g erhältlich. Mitgeliefert wird ein Citrat-haltiges Lösungsmittel (5 bzw. 10 ml). Die Applikation hat sofort nach dem Auflösen als Miniinfusion (0,9% NaCl oder 5% Glukose) von maximal 125 ml Volumen innert 10-15 Minuten zu erfolgen. Die Notwendigkeit der relativ kurzen Infusionszeit hat zwei Gründe: In Lösung wird Propacetamol schnell in das beschränkt lösliche Paracetamol und Diethylglycin gespalten. Ferner konnte unter einer Dauerinfusion (8 g/24 h) keine analgetische Wirkung von Propacetamol nachgewiesen werden.(14) Bei Erwachsenen und Kindern über 13 Jahre wird Propacetamol in einer Dosierung von 1 bis 2 g empfohlen. Nach Bedarf können täglich bis zu 4 Infusionen verabreicht werden. Die Herstellerin empfiehlt, die Anwendung auf 2 Tage zu beschränken. Bei schwerer Leber- oder Niereninsuffizienz, Glukose-6-Phosphatdehydrogenase-Mangel und Morbus Meulengracht ist Propacetamol kontraindiziert. Da Propacetamol Kontaktallergien verursachen kann, empfehlen verschiedene Autoren, beim Umgang mit dieser Substanz Handschuhe zu tragen.(13)Propacetamol ist zur Zeit nicht kassenpflichtig. Die Kosten einer 1-g-Dosis Propacetamol betragen 7 Franken, 2 g kosten 11 Franken. Das injizierbare Lysin-Acetylsalicylat (Aspégic®) kostet nur die Hälfte (CHF 3.50 für eine 900-mg-Ampulle). Im Herkunftsland Frankreich ist Propacetamol viel billiger (umgerechnet 2 bis 3 Franken pro Dosis).

Kommentar

Dass Paracetamol nun auch in einer parenteral applizierbaren Form zur Verfügung steht, ist begrüssenswert. Propacetamol ist aber weder stärker noch schneller wirksam als perorales Paracetamol. Die offizielle Einschränkung «bei leichten bis mittelschweren Schmerzen, wenn eine perorale Anwendung nicht möglich ist» ist also durchaus sinnvoll. Auch wenn die Dokumentation 15 Jahre nach der Zulassung in Frankreich noch immer bedenklich mager ist, kann Propacetamol zur Behandlung postoperativer Schmerzen wohl in all jenen Fällen in Erwägung gezogen werden, in denen nichtsteroidale Entzündungshemmer nicht bedenkenlos eingesetzt werden können oder - mit Vorbehalten - in denen mit Opiaten gespart werden soll. In welchen Situationen für die eine oder andere Dosierung entschieden werden soll und ob die höhere Dosierung der niedrigen wirklich überlegen ist, bleibt leider unklar.

Literatur

  1. 1) Clissold SP. Drugs 1986; 32 (Suppl 4): 46-59
  2. 2) Piletta P et al. Clin Pharmacol Ther 1991; 49: 350-4
  3. 3) Moore UJ et al. Clin Pharmacol Ther 1992; 52: 292-6
  4. 4) Depré M et al. Fundam Clin Pharmacol 1992; 6: 259-62
  5. 5) Bannwarth B et al. Br J Clin Pharmacol 1992; 34: 79-81
  6. 6) Delacroix P et al. Sem Hôp Paris 1985; 61: 2739-42
  7. 7) De Marneffe R, Mokassa L. Comptes Rendues Thér Pharmacol Clin 1985; 3: 23-7
  8. 8) Farkas JC et al. Curr Ther Res 1992; 51: 19-27
  9. 9) Ang ET et al. Eur J Pain 1990; 11: 137-42
  10. 10) Monrigal C et al. Ann Fr Anesth Réanim 1994; 13: 153-7
  11. 11) Delbos A, Boccard E. J Pain Symptom Manag 1995; 10: 279-86
  12. 12) Hans P et al. Acta Anaesth Belg 1993; 44: 129-33
  13. 13) Barbaud A et al. Lancet 1995; 346: 902
  14. 14) Luthy CS et al. Clin Pharmacol Ther 1993; 53: 171 (Abstract)

Standpunkte und Meinungen

  • Es gibt zu diesem Artikel keine Leserkommentare.
Propacetamol (3. März 1997)
Copyright © 2024 Infomed-Verlags-AG
pharma-kritik, 18/No. 11
PK428
Untertitel Login

Gratisbuch bei einem Neuabo!

Abonnieren Sie jetzt die pharma-kritik und erhalten Sie das Buch «100 wichtige Medikamente» gratis. Im ersten Jahr kostet das Abo nur CHF 70.-.

pharma-kritik abonnieren
Aktueller pharma-kritik-Jahrgang

Kennen Sie "100 wichtige Medikamente" schon?

Schauen Sie ein Probekapitel unseres Medikamentenführers an. Die Medikamente in unserem Führer wurden sorgfältig ausgesucht und konzentrieren sich auf die geläufigsten Probleme in der Allgemeinmedizin. Die Beschränkung auf 100 Medikamente beruht auf der Überzeugung, dass sich rund 90% aller allgemeinmedizinischen Probleme mit 100 Medikamenten behandeln lassen.

Die Liste der 100 Medikamente sehen Sie auf der Startseite von 100 Medikamente.
Passwort beantragen infomed mailings

Propacetamol