Telmisartan
- Autor(en): Urspeter Masche
- pharma-kritik-Jahrgang 21
, Nummer 07, PK312
Redaktionsschluss: 17. Februar 2000 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Synopsis
Telmisartan (Micardis®) ist ein neuer Angiotensin-II-Rezeptorantagonist, der zur Behandlung der arteriellen Hypertonie empfohlen wird.
Chemie/Pharmakologie
Das Peptidhormon Angiotensin II ensteht - grossenteils unter dem Einfluss des "Angiotensin Converting Enzyme" (ACE) - aus Angiotensin I und beeinflusst über den Rezeptor-Subtyp AT1 den Blutdruck, wobei verschiedene Mechanismen beteiligt sind: Angiotensin II bewirkt eine Vasokonstriktion, erhöht allgemein die Aktivität des sympathischen Nervensystems, führt zu einer verstärkten Natriumrückresorption in den Nieren und fördert die Sekretion von Aldosteron in den Nebennieren.
Telmisartan ist wie die anderen Angiotensin-II-Rezeptor-antagonisten (oder Sartane, wie sie auch genannt werden) ein Benzimidazol-Derivat. Es hemmt selektiv den Angiotensin-II-Rezeptor-Subtyp AT1 und senkt so den Blutdruck.(lit)Pharmakokinetik
Telmisartan wird rasch resorbiert; maximale Plasmaspiegel werden nach durchschnittlich 1 Stunde gemessen. Die biologische Verfügbarkeit ist dosisabhängig, weil der First-Pass-Effekt sättigbar ist; sie liegt zwischen 40 und 60%. Gleichzeitig eingenommene Nahrung kann die Resorption minim verringern. Die Elimination findet zu über 98% in der Leber statt. Telmisartan wird an Glukuronsäure gekoppelt und via Galle mit dem Stuhl ausgeschieden. Ein enterohepatischer Kreislauf scheint nicht zu bestehen. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt ungefähr 24 Stunden.(lit)
Klinische Studien
Im Rahmen von klinischen Studien haben bisher ungefähr 3'700 Personen Telmisartan erhalten. Allerdings ist erst knapp die Hälfte dieser Daten in vollem Umfang veröffentlicht.
Telmisartan wurde mit Placebo und verschiedenen anderen Antihypertensiva verglichen. Die meisten Studien umfassten Männer und Frauen aller Alterskategorien; als Einschlusskriterium war eine leichte bis mittelschwere arterielle Hypertonie definiert (diastolische Blutdruckwerte zwischen 95 und 114 mm Hg).
In zwei placebontrollierten Dosisfindungsstudien konnte die antihypertensive Wirkung von Telmisartan dokumentiert werden. Im Bereich von 20 bis 80 mg/Tag besteht vermutlich eine - nicht sehr ausgeprägte - Dosis-Wirkungsbeziehung; oberhalb von 80 mg/Tag kann man keinen zusätzlichen antihypertensiven Effekt mehr erwarten.(2,3)
In einer Doppelblindstudie erhielten 385 Personen Telmisartan und 193 Personen Lisinopril (Prinil®, Zestril®). Die Anfangsdosis betrug bei Telmisartan 1mal 40 mg/Tag, bei Lisinopril 1mal 10 mg/Tag. Wenn der diastolische Blutdruck nach 4 Wochen nicht unter 90 mm Hg gesunken war, wurde in beiden Gruppen die Dosis verdoppelt; dasselbe galt nochmals nach weiteren 4 Wochen. Anschliessend wurde mit der individuell angepassten Dosis 48 Wochen lang weiterbehandelt. In dieser Phase erhielten alle Personen, bei denen eine Monotherapie nicht genügte, offen zusätzlich ein Thiaziddiuretikum (Hydrochlorothiazid = Esidrex®, 12,5 oder 25 mg/Tag). Die ganze Studiendauer von 1 Jahr wurde in der Telmisartan-Gruppe von 285, in der Lisinopril-Gruppe von 138 Personen durchlaufen. Eine Monotherapie mit Telmisartan genügte in 44% der Fälle; der Blutdruck liess sich damit im Durchschnitt um 18/16 mm Hg reduzieren. Für Lisinopril betrugen die entsprechenden Zahlen 48% bzw. 19/16 mm Hg. In Kombination mit Hydrochlorothiazid erzielte man mit Telmisartan eine Blutdrucksenkung von 24/17, mit Lisinopril von 20/16 mm Hg.(4)
Nach einem ähnlichen Schema wurde Telmisartan während einem halben Jahr mit Enalapril (Reniten®) verglichen. Die Untersuchung umfasste 272 Personen, die mindestens 65 Jahre alt waren. Die Telmisartan-Dosis betrug 1mal 20 bis 80 mg, die Enalapril-Dosis 1mal 5 bis 20 mg pro Tag. Beide Substanzen zeigten eine vergleichbare antihypertensive Wirkung; auch die Anzahl Personen, die zusätzlich mit Hydrochlorothiazid behandelt wurden, lag in derselben Grössenordnung.(5)
In einer 6wöchigen Doppelblindstudie erhielten 222 Personen entweder Placebo, Telmisartan (1mal 40 oder 80 mg/Tag) oder Losartan (Cosaar®, 1mal 50 mg/Tag). Die durchschnittliche Blutdrucksenkung betrug unter Telmisartan 14/9 mm Hg (40 mg/Tag) bzw. 16/10 mm Hg (80 mg/Tag), unter Losartan 10/6 mm Hg; zwischen der höheren Telmisartan-Dosis und Losartan war der Unterschied signifikant.(6)
232 Personen erhielten während 12 Wochen entweder Telmisartan (40 bis 120 mg/Tag), Amlodipin (Norvasc®, 5 bis 10 mg/Tag) oder Placebo. Die beiden Antihypertensiva wurden zunächst in der niedrigsten Dosis gegeben; wenn sich der diastolische Blutdruck damit nicht genügend senken liess, erhöhte man die Dosis. Mit Telmisartan sank der Blutdruck um durchschnittlich 17/12, mit Amlodipin um 18/12 mm Hg - bei beiden Mitteln gegenüber Placebo ein signifikanter Unterschied. In der Telmisartan-Gruppe genügte bei 62% der Behandelten die Anfangsdosis nicht; in der Amlodipin-Gruppe waren es lediglich 40%. Auch in dieser Studie wurde beobachtet, dass eine Telmisartan-Dosis von über 80 mg/Tag kaum mehr eine zusätzliche blutdrucksenkende Wirkung besitzt.(7)
Gemäss einer nur in Kurzform publizierten Studie wirkt Telmisartan (1mal 40 bis 80 mg/Tag) gleich gut wie Atenolol (Tenormin® u.a., 1mal 50 bis 100 mg/Tag).(8)
Unerwünschte Wirkungen
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Interaktionen |
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Einzige offizielle Indikation für Telmisartan ist die arterielle Hypertonie. Ob Telmisartan und andere Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten wie ACE-Hemmer auch bei Herzinsuffizienz von Nutzen sind, ist bisher noch kaum durch Studien dokumentiert.
Telmisartan (Micardis®) ist kassenzulässig und als Tabletten zu 40 und 80 mg erhältlich. Obwohl einzelne Personen bereits von einer Dosis von 20 mg/Tag profitiert haben, sollen die Tabletten laut Herstellerfirma wegen ihrer physiko-chemischen Eigenschaften nicht geteilt werden. Das Mittel wird einmal pro Tag verabreicht. Als Anfangsdosis werden 40 mg/Tag angegeben. Die maximale Wirkung ist im Verlauf von 4 Wochen zu erwarten. Bei Bedarf kann die Dosis auf 80 mg/Tag verdoppelt werden. Telmisartan lässt sich gut mit einem Thiaziddiuretikum kombinieren. Telmisartan sollte bei vorbestehendem Volumenmangel vorsichtig, bei schwerer Niereninsuffizienz nicht eingesetzt werden. Bei Leberfunktionsstörungen wird geraten, je nach Schweregrad die Dosis zu reduzieren bzw. das Mittel nicht zu verwenden. Laut der Herstellerfirma ist "Vorsicht geboten" bei der Anwendung bei Personen mit vorbestehenden gastrointestinalen Erkrankungen. Wie alle Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten ist Telmisartan in der Schwangerschaft kontraindiziert (Nierenschäden beim Fetus). Erfahrungen zur Verwendung bei stillenden Frauen und Kindern liegen nicht vor. Telmisartan (40 mg/Tag) kostet 59 Franken pro Monat, gleich viel wie andere Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten in niedriger Dosierung. Allerdings sind die äquipotenten Dosen zu wenig definiert, als dass ein exakter Preisvergleich möglich wäre.
Kommentar
Telmisartan ist ein neuer Angiotensin-II-Rezeptorantagonist, der gleich gut blutdrucksenkend wirkt wie andere gängige Antihypertensiva. Im Vergleich mit den anderen Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten hat Telmisartan die längste Halbwertszeit und möglicherweise ein geringeres Interaktionspotential, weil der Abbau in der Leber nicht über das Zytochrom-P450-System erfolgt. Beides mag man als Vorteil in die Waagschale werfen, dürfte indessen kaum von nennenswerter praktischer Bedeutung sein. Noch gibt es keine Studienresultate, die zeigen, dass Telmisartan oder andere Angiotensin-II-Rezeptor-antagonisten bei Hypertoniekranken die Mortalität zu reduzieren vermögen. Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten sind weit weniger dokumentiert als ACE-Hemmer und sollten zurückhaltend zum Einsatz kommen - im Prinzip wahrscheinlich nur, wenn ACE-Hemmer nicht vertragen werden.
Literatur
- 1) McClellan KJ, Markham A. Drugs 1998; 56: 1039-44
- 2) Neutel JM, Smith DHG. Adv Ther 1998; 15: 206-17
- 3) Smith DHG et al. Adv Ther 1998; 15: 229-40
- 4) Neutel JM et al. Am J Ther 1999; 6: 161-6
- 5) Karlberg BE et al. J Hypertens 1999; 17: 293-302
- 6) Mallion JM et al. J Hum Hypertens 1999; 13: 657-64
- 7) Lacourcière Y et al. Blood Press Monit 1998; 3: 295-302
- 8) Elliott HL. Am J Hypertens 1998; 11: 124A
- 9) Neutel JM et al. Int J Clin Pract 1999; 53: 175-8
Standpunkte und Meinungen
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