Kein Glück mit Crevetten
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 23
, Nummer 08, PK267
Redaktionsschluss: 12. November 2001
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2001.267 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
ceterum censeo
Es ist eine heikle Sache, die eigene Krankengeschichte in aller Öffentlichkeit darzustellen, setzt man sich doch damit leicht dem Risiko aus, eingebildet oder weinerlich auszusehen. Wenn ich es dennoch tue, dann nur deshalb, weil mir das zu schildernde Erlebnis eine Problematik zum Bewusstsein gebracht hat, die wir meistens übersehen.
Vor einigen Wochen bin ich wenige Tage, nachdem ich eine kleine Menge Crevetten gegessen hatte, an einem generalisierten Exanthem erkrankt. Das Ganze glich in sehr hohem Ausmass einem multiformen Exanthem, ähnlich zum Beispiel den Ausschlägen, die ich vor Jahren bei einzelnen Patientinnen und Patienten nach der Einnahme von Cotrimoxazol (z.B. Bactrim®) gesehen hatte. Nur: ich hatte seit längerer Zeit keine Medikamente eingenommen. Oder etwa doch?
So kam ich darauf, die Crevetten zu verdächtigen. Allergien auf Crevetten haben zwar in der Regel den Charakter einer IgE-vermittelten Reaktion mit Urtikaria, gastrointestinalen oder auch respiratorischen Symptomen.(1,2)
Eine rasche Suche nach Zusammenhängen zwischen Crevetten und Medikamenten deckte dann schnell auf, dass es sich hier um ein echtes Problem handelt. Dieses Problem ist von einer derart grossen allgemeinen Bedeutung, dass es völlig belanglos ist, ob meine persönliche Erkrankung tatsächlich mit den Crevetten zusammenhing oder nicht.
Das Risiko, dass man sich mit Crevetten auch Antibiotika zuführt, ist nämlich sehr beträchtlich. Der grösste Teil der Crevetten (Shrimps, Garnelen), die in Europa und Nordamerika verspeist werden, stammt aus sogenannten Aquakulturen. Aquakulturen, wie sie sich in Asien (z.B. in Thailand) oder auch in Südamerika finden, weisen eine so hohe Tierdichte auf, dass es auch zu einer sehr reichlichen Besiedelung mit den verschiedensten Bakterien kommt. Oft sind diese Bakterien - Salmonellen, Shigellen, Vibrio cholerae, Listerien - auch für den Menschen pathogen. Entsprechend ist es auch schon zu Massenerkrankungen nach dem Verzehr von Crevetten und anderen Meeresfrüchten gekommen.(3)
Aquakulturen werden deshalb, aber noch aus anderen Gründen, mit Antibiotika versetzt. Sie sollen nicht nur der Prophylaxe und Behandlung von Crevettenerkrankungen dienen, sondern gelten zudem als "wachstumsfördernd". Auch gewissen Hormonen, die dem Wasser der Aquakulturen beigegeben werden, werden wachstumsfördernde Eigenschaften zugeschrieben. Daneben gelangen Pestizide in grossen Mengen zur Anwendung. Die Liste der hier eingesetzten antimikrobiellen Substanzen ist lang und beschränkt sich keineswegs auf Wirkstoffe, die sich nur für den Veterinärbereich eignen würden. Sulfonamide, Trimethoprim, Tetrazykline, Chinolone, Chloramphenicol und weitere werden angewandt. Über die Quantität kann man nur spekulieren - es gibt offenbar in vielen Ländern keine adäquate Kontrolle.(4) Anderseits entspricht die Aquakultur von Crevetten in einzelnen asiatischen Ländern einem milliardenschweren Exportgut; allein in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts soll sich der Crevettenkonsum in Europa, Nordamerika und Japan verdreifacht haben.(5)
Es ist somit durchaus plausibel, dass sich nach dem Essen von Crevetten eine Arzneimittelallergie manifestieren kann. Gemäss einer britischen Studie fanden sich in annähernd einem Viertel untersuchter Proben von gekochten Crevetten Trimethoprim (Bestandteil von Bactrim® u.a., Monopräparat: Monotrim®) oder Gentamicin (Garamycin®).(6) In den Crevetten, die Trimethoprim enthielten, konnten aber zudem Bakterien mit hoher Trimethoprim-Resistenz nachgewiesen werden. Darin liegt auch das wahrscheinlich weit schlimmere Problem der Antibiotikaverfütterung an Crevetten: die Zucht antibiotikaresistenter Erreger.
In den letzten Jahren war die Menge Antibiotika, die in der einen oder anderen Form Tieren verfüttert wurde, ebenso gross wie diejenige, die den Menschen - ebenfalls nicht immer wirklich indiziert - verabreicht wurde.(7) So ist es unvermeidlich, dass mehr und mehr Krankheitserreger gegen viele Antibiotika resistent werden.
Der Gebrauch von Antibiotika als "Wachstumsförderer" beschränkt sich keineswegs auf Crevetten. Bis vor wenigen Jahren wurden weltweit antimikrobielle Substanzen fast routinemässig dem Tierfutter beigemischt. Seitens der Industrie wurde als Argument vorgebracht, diese Beimischung verbessere die Verdaulichkeit des Jungviehfutters.(8) Bereits 1996 haben holländische Mikrobiologen festgehalten, es sei von ausserordentlicher Wichtigkeit, keinerlei Substanzen mit antimikrobiellen Eigenschaften den Tieren als Wachstumsförderer zu verfüttern.(9) In der Schweiz ist diese Anwendung erst seit 1999 offiziell verboten. Dass es fast unmöglich ist, den Antibiotikagehalt importierter Ware systematisch zu prüfen, ist klar. Stichproben, wie sie heute durchgeführt werden, lassen grosse Lücken offen. Bei Stichproben kann ja definitionsgemäss nur ein Bruchteil der Importe überprüft werden.
So ist der Bericht, dass das schweizerische Bundesamt für Veterinärwesen im September 2001 in einer Probe von Crevetten "zu hohe" Chloramphenicol-Werte nachgewiesen hat, schwierig zu interpretieren. Wie häufig erfolgen Kontrollen? Weshalb ist man überhaupt dazu gekommen, für ein Problem-Antibiotikum wie Chloramphenicol einen "für den Konsum geeigneten Grenzwert" festzulegen? In der EU wurde zum Beispiel darauf verzichtet, Höchstgrenzen für Chloramphenicol-Rückstände in Esswaren zu bestimmen. Mit anderen Worten: Lebensmittel dürfen überhaupt kein Chloramphenicol enthalten. (In der ganzen EU ist es verboten, Nutztieren Chloramphenicol zu verabreichen.)(4) Natürlich lässt sich argumentieren, Chloramphenicol sei heute in der Humanmedizin von geringer Bedeutung; die ausgeprägte Chloramphenicol-Resistenz von humanpathogenen Erregern sei deshalb belanglos. Chloramphenicol ist aber nur ein Beispiel für die vielen Substanzen, die Crevetten und anderen Tieren verfüttert werden.
Eine kürzlich publizierte Studie zu Krankheitserregern in Hackfleisch zeigt das alarmierende Ausmass von Antibiotikaresistenz, wie sie heute wohl weltweit nachgewiesen werden könnte: Von 200 Hackfleischproben, die in der Region von Washington in Supermärkten eingekauft worden waren, fanden sich 41 (20%), die Salmonellen enthielten. Am häufigsten waren Salmonellen in Hühner- und Truthahnfleisch (in 35 bzw. 24% der untersuchten Proben), seltener in Schweinefleisch (16%) und Rindfleisch (6%). Mehr als die Hälfte der isolierten Salmonellen (insgesamt 13 verschiedene Serotypen) waren gegenüber mindestens drei Antibiotika resistent; nur für 16% der Isolate konnte mit den verwendeten Tests gar keine Antibiotikaresistenz nachgewiesen werden. Besonders häufig waren Resistenzen gegen Tetrazykline, Streptomycin und Sulfamethoxazol (Bestandteil z.B. von Bactrim®). 16% der Isolate waren aber auch gegen Ceftriaxon (Rocephin®), das auch bei schweren Salmonelleninfekten eingesetzt wird, resistent!(10)
Mittels Bakteriophagentypisierung konnte in dieser Studie unter anderem ein Serotyp von S. enterica (typhimurium DT104), der für klinisch bedeutsame Erkrankungen verantwortlich ist, identifiziert werden. Dieser Serotyp findet sich häufig in verschiedenen Fleischsorten und unpasteurisierten Milchprodukten. Die Antibiotikaresistenz solcher Erreger beruht auf bestimmten Genen, die mittels sogenannten Integronen (mobilen DNA-Anteilen) auf andere Bakterienarten übertragen werden können. Integrone sind von besonderer Bedeutung, weil Antibiotika einen starken Selektionsdruck ausüben und so zu einer Mobilisierung und schliesslich zur Verbreitung von verwandten Erregern mit Mehrfachresistenzen führen können. Die Schlussfolgerungen aus dieser Studie lauten jedenfalls dahin, dass bei Nutztieren sehr viel vorsichtiger mit Antibiotika umgegangen werden sollte.(10)
Welche Konsequenzen sollten wir ziehen?
Aus ärztlicher Perspektive ist unbedingt zu fordern, dass dem massiven Antibiotika-Missbrauch bei Tieren ein Ende gesetzt wird. Dabei ist das Augenmerk auch auf sogenannte therapeutische Anwendungen zu richten - Infektionskrankheiten bei Tieren werden ja oft durch die Massenhaltung konditioniert und liessen sich besser durch eine vernünftigere Tierhaltung als durch Antibiotika vermeiden. Die Kapazität der Industrie, innovative Antibiotika zu schaffen, ist beschränkt. Viele "neuen" Antibiotika sind tatsächlich Derivate längst bekannter Substanzen und unterscheiden sich bezüglich der Resistenzen oft nur marginal vom Bisherigen. Wenn wir Infektionskrankheiten beim Menschen auch in Zukunft erfolgreich behandeln wollen, dann ist eine strikte Beschränkung bei Tieren unerlässlich. Dementsprechend sollten wesentlich häufigere Kontrollen erfolgen und fragwürdige Grenzwerte abgeschafft werden.
Literatur
- 1) Schmid MH, Wüthrich B. Hautarzt 1997; 48: 541-6
- 2) Goetz DW, Whisman BA. Ann Allergy Asthma Immunol 2000; 85: 461-6
- 3) Cheftel E et al. Santé 1997; 7: 295-9
- 4) http://www.greenpeace.de/GP_DOK_3P/HINTERGR/C10HI89.PDF
- 5) http://www.heureka.clara.net/gaia/shrimps.htm
- 6) Willis C et al. Commun Dis Public Health 1999 ; 2 : 210-4
- 7) Teuber M. Curr Opin Microbiol 2001; 4: 493-9
- 8) Mudd AJ. Lancet 1996; 348: 1454-5
- 9) van den Bogaard AE, Stobberingh EE. Lancet 1996; 348: 619
- 10) White DG et al. N Engl J Med 2001; 345: 1147-54
- 11) http://www.greenpeace.ch/journal/journal_2_01/forderungen.html
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