Arzneimittelinteraktionen mit Alkohol

Update

Alkoholische Getränke gehören bei Jung und Alt in so hohem Masse zur Alltagsrealität, dass eine gleichzeitige Einwirkung von Arzneimitteln und Alkohol wohl sehr häufig ist. Diese Interaktion hat erstaunlich selten offensichtliche negative Folgen, ist jedoch keineswegs allgemein belanglos. Besonders Personen, die mehrere Krankheiten haben und zahlreiche Medikamente einnehmen müssen, sind auch hinsichtlich Alkohol-Interaktionen gefährdet. Wichtig ist zudem die Erkenntnis, dass metabolische Auswirkungen teilweise davon abhängen, ob eine Person nur gelegentlich oder regelmässig Alkohol konsumiert. Hier folgt eine Beschreibung der bekannten Interaktionsmechanismen und eine kleine Übersichtstabelle.

Mechanismen

Zentralnervöse Dämpfung

Die Wirkung von Alkohol wird durch Medikamente mit dämpfender Wirkung auf das Zentralnervensystem verstärkt. Bei Personen, die Sedativa/Anxiolytika, Schlafmittel, sedative Antidepressiva oder Antihistaminika, Neuroleptika, Antiepileptika oder Opioide eingenommen haben, sind alkoholische Getränke mit einem erheblichen Risiko einer zentralnervösen Depression und entsprechenden Gefahren nicht nur anlässlich von Vergiftungen, sondern auch bei scheinbar moderaten Dosen (z.B. im Strassenverkehr) verbunden.

Magenschleimhautläsionen

Sowohl Alkohol als auch die Acetylsalicylsäure und andere nicht-steroidale Entzündungshemmer können im Magen Schleimhautläsionen verursachen. Obwohl die entsprechende Interaktion wenig dokumentiert ist, muss grundsätzlich mit einer additiven Wirkung von Alkohol und Entzündungshemmern gerechnet werden. Ob COX-2-Hemmer wie Celecoxib (Celebrex®) und Rofecoxib (Vioxx®) in dieser Hinsicht Ausnahmen darstellen, ist nicht gesichert.

Magenmotilität

Aus dem Magen wird Alkohol nur initial rasch resorbiert, später erfolgt die Resorption auch dann relativ langsam, wenn die Alkoholkonzentration im Magen noch hoch ist. Im Dünndarm wird Alkohol dagegen allgemein sehr rasch resorbiert. Die Geschwindigkeit der Magenentleerung beeinflusst deshalb den Blutalkoholspiegel. Medikamente wie Cisaprid (Prepulsid®), Metoclopramid (z.B. Paspertin) und Erythromycin (z.B. Erythrocin®), die zu einem Anstieg der Magenmotilität führen, können so den Alkoholspiegel ansteigen lassen.(1) Das Rauchen von Zigaretten verlangsamt dagegen die Magenentleerung und damit auch die Alkoholresorption.(2)
Die Bedeutung medikamentöser Einflüsse auf die Magenentleerung wird durch die Tatsache relativiert, dass eine beträchtliche inter- und intraindividuelle Variabilität der Alkoholresorption zu beobachten ist.

Gastrischer "First-Pass"-Stoffwechsel

Alkohol wird vorwiegend in der Leber, zu einem geringen Teil aber bereits in der Magenschleimhaut metabolisiert. Die Biotransformation erfolgt dort durch die Alkoholdehydrogenase. Dieser gastrische "First-Pass"-Metabolismus kann besonders dann von Bedeutung sein, wenn kleinere Mengen Alkohol längere Zeit im Magen verweilen (d.h. bei vollem Magen). Die Bedeutung dieses Phänomens ist jedoch umstritten.(3,4) Entsprechend wird einer Interaktion mit Medikamenten, die die Alkoholdehydrogenase hemmen - H2-Blocker wie Ranitidin (Zantic® u.a.) und Acetylsalicylsäure - eine untergeordnete Bedeutung zugesprochen. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass diese Medikamente im Rahmen eines "social drinking" (wiederholte kleine Alkoholmengen) dennoch zu höheren Alkoholspiegeln führen, die von praktischer Bedeutung sind (Fahrtüchtigkeit!). Der vorsichtige Ratschlag lautet deshalb, keinen oder sehr mässig Alkohol zu trinken, wenn man einen H2-Blocker oder Acetylsalicylsäure einnimmt. Es ist im übrigen nicht klar, ob eine reduzierte Alkoholdehydrogenase-Aktivität, wie sie bei Personen mit einer Helicobacter-Infektion beobachtet wird, Auswirkungen auf den Stoffwechsel hat.

Gastrointestinale Durchblutung

Einzelne Interaktionen sind nur von Bedeutung, wenn Alkohol nicht auf den leeren Magen getrunken wird. So erhöht die Acetylsalicylsäure die biologische Verfügbarkeit von Alkohol um 26% unter der Bedingung, dass sowohl Alkohol als auch das Medikament nach dem Essen eingenommen werden.(5) (Die Bioverfügbarkeit von Alkohol auf nüchternen Magen ist so hoch, dass kein zusätzlicher Effekt infolge Acetylsalicylsäure gemessen werden kann.) Es wird angenommen, die höhere Resorption beruhe auf der vermehrten Magendurchblutung in der Verdauungsphase. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein Teil des erwähnten "First-Pass"-Effektes durch die vermehrte Durchblutung zu erklären ist.

Hepatischer Stoffwechsel

In der Leberzelle stehen drei verschiedene Enzymsysteme zum Alkoholabbau zur Verfügung. Es handelt sich um die hepatische Alkoholdehydrogenase im Zytosol der Zelle, das "microsomal ethanol oxidizing system" (MEOS) und, von geringerer Bedeutung, die Katalase in den Peroxisomen.(3,6)

Die Alkoholdehydrogenase ist in der Regel das für den Alkoholmetabolismus wichtigste Enzym. Es existieren verschiedene Isoenzyme mit unterschiedlicher Affinität für Alkohol. Die Alkoholdehydrogenase wird durch Alkohol nicht induziert.

Das MEOS umfasst verschiedene Komponenten. Von Bedeutung ist insbesondere das Zytochrom-Isoenzym CYP2E1, das auch für den Metabolismus verschiedener Medikamente eine Rolle spielt. Inhalationsanästhetika wie Halothan, Enfluran (Ethrane®) u.ä., Isoniazid (Rimifon®) und Paracetamol (z.B. Treuphadol®) werden teilweise via CYP2E1 metabolisiert. Dieses Zytochrom wird durch regelmässigen Alkoholkonsum induziert; in diesem Fall erfolgt der Alkoholabbau rascher. Beschleunigt wird aber auch der Metabolismus der Medikamente, die Substrat von CYP2E1 sind und zwar dann besonders ausgeprägt, wenn das induzierte Enzym bei vorübergehender Alkoholabstinenz nicht für den Alkoholabbau "benötigt" wird. So sind toxische Auswirkungen von Paracetamol bei Personen mit chronischen Alkoholmissbrauch besonders dann beobachtet worden, wenn sie vorübergehend abstinent waren. CYP2E1 hat allgemein die ungewöhnliche Eigenschaft, reaktive Sauerstoff-Intermediärprodukte mit toxischen Eigenschaften zu erzeugen und kann z.B. industrielle Lösungsmittel in toxische Metaboliten umwandeln. Auch die hepatozelluläre Toxizität von Methotrexat wird wahrscheinlich durch eine alkoholinduzierte Zunahme der CYP2E1-Aktivität verstärkt.

Antabus-Reaktion

Das primäre Produkt der Biotransformation von Alkohol, Acetaldehyd, ist ebenfalls hochtoxisch und wird normalerweise rasch durch die mitochrondriale Aldehyddehydrogenase weiter umgewandelt. Dieses Enzym fehlt in Asien bei 25 bis 50% der Bevölkerung. Bei diesen Personen können schon kleine Alkoholmengen Flush, Tachykardie, Kopfschmerzen und Brechreiz auslösen. Die Aldehyddehydrogenase-Aktivität ist auch bei Personen mit chronischem Alkoholmissbrauch reduziert, was einen Teil der chronischen Alkoholtoxizität zu erklären vermag. Die Hemmung des Enzyms durch Disulfiram (Antabus®) wird bekanntlich adjuvant bei Alkoholkranken eingesetzt. Die Antabus-Reaktion umfasst die oben erwähnten Symptome; in Einzelfällen kann es jedoch zu einer schweren Hypotonie mit lebensbedrohlichen Folgen kommen. Chlorpropamid (Bestandteil von Diabiformin®) und verschiedene Antibiotika wie Cefamandol (Mandokef®), Cefotaxim (Claforan®) und Metronidazol (z.B. Flagyl®) können ebenfalls Antabus-Reaktionen auslösen.(lit)

Weitere metabolische Interaktionen

Bei Frauen, die nach der Menopause mit Estradiol (z.B. Estrofem®) behandelt wurden, führte ein alkoholhaltiges Mischgetränk (0,7 g Alkohol pro kg Körpergewicht) zu einem starken Anstieg des Estradiol-Plasmaspiegels. Der Mechanismus dieser Interaktion ist nicht bekannt.(8)

Aufgrund von Tierversuchen muss angenommen werden, dass Alkohol bei gleichzeitiger Verabreichung von Metformin (Glucophage® u.a.) das Laktat/Pyruvat-Verhältnis ungünstig verändert und so das Risiko einer Laktatazidose erhöht.







Standpunkte und Meinungen

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Arzneimittelinteraktionen mit Alkohol (14. Juli 2001)
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pharma-kritik, 23/No. 03
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