Rizatriptan
- Autor(en): Peter Ritzmann
- pharma-kritik-Jahrgang 23
, Nummer 1, PK257
Redaktionsschluss: 14. Juni 2001
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2001.257 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Synopsis
Rizatriptan (Maxalt®) ist das vierte Triptan, das in der Schweiz zur Behandlung von Migräneanfällen erhältlich ist.
Chemie/Wirkungsmechanismus
Triptane sind spezifische Serotoninrezeptoragonisten, die strukturell mit Serotonin (5-Hydroxytryptamin, 5-HT) verwandt sind und sich an bestimmte Subtypen des 5-HT1-Rezeptors binden. Der Prototyp ist Sumatriptan (Imigran®), das zuerst als Injektionslösung und später als Tabletten, Nasalspray und Suppositorien in die Migränetherapie eingeführt wurde. Zwei weitere Triptane, Naratriptan (Naramig®) und Zolmitriptan (Zomig®), sind nur als Tabletten verfügbar. Der genaue Wirkungsmechanismus ist wie die Pathogenese der Migräneanfälle selbst nicht restlos geklärt.(1)
Die vasokonstriktive Wirkung auf lokal erweiterte hirnversorgende Blutgefässe gilt als entscheidend für die Schmerzverminderung. Die direkte Freisetzung von bestimmten Neuropeptiden und eine Hemmung von aseptischen perivaskulären Entzündungen im Bereich der Dura-Gefässe werden als weitere Mechanismen diskutiert.
Rizatriptan unterscheidet sich in dieser Hinsicht kaum von anderen Triptanen. In vitro liess sich eine etwas stärkere maximale Kontraktion von zerebralen Arterien erzielen als mit Sumatriptan; an koronaren Arterien von Herzkranken war der Effekt etwas geringer. Eine klinische Bedeutung dieser Beobachtungen ist aufgrund der vorliegenden Daten aber unwahrscheinlich.
Pharmakokinetik
Rizatriptan wird nach oraler Aufnahme etwas schneller resorbiert als die anderen Triptane und erreicht Plasmaspitzenspiegel schon etwa nach einer Stunde. Die Resorption wird im Migräneanfall wenig verändert. Bei der Lingualtablette erfolgt die Resorption nicht schneller, möglicherweise sogar leicht verzögert.
Wegen einer erheblichen präsystemischen Metabolisierung beträgt die Bioverfügbarkeit nach oraler Verabreichung nur knapp 50%. Sie ist bei Frauen etwas höher als bei Männern. Die Eliminations-Halbwertszeit beträgt ungefähr 2 Stunden. Diese entspricht damit derjenigen von Sumatriptan und ist kürzer als bei Zolmitriptan und vor allem als bei Naratriptan. Die Metabolisierung erfolgt primär über die Monoaminooxidase A (MAO A). Einer der weniger bedeutsamen Metaboliten hat eine ähnliche pharmakologische Wirkung wie die Muttersubstanz, die übrigen Metaboliten sind inaktiv. Sie werden hauptsächlich mit dem Urin ausgeschiedenKlinische Studien
Rizatriptan wurde in zahlreichen Studien bei Migräneanfällen mit oder ohne Aura untersucht. Frauen stellten jeweils die grosse Mehrheit der Teilnehmenden, das Durchschnittsalter lag meistens um 40. Als Therapieerfolg wurde in der Regel gewertet, wenn "mittelstarke" oder "starke" Schmerzen innerhalb von 2 Stunden zum Verschwinden gebracht oder zu "leichten" Schmerzen reduziert wurden
Placebokontrollierte Studien
Eine Dosis von weniger als 5 mg war in einer Dosisfindungsstudie wenig wirksam. In einer zweiten Studie nahmen die erwünschten wie auch die unerwünschten Wirkungen dosisabhängig von 10 mg bis 40 mg zu.(3)
In den placebokontrollierten Studien konnte die Schmerzlinderung beim Migräneanfall belegt werden. Nicht vermindert wird aber das Risiko für Rückfälle. In einer Studie bei 1218 Personen war eine Stunde nach Einnahme erstmals eine signifikante Schmerzlinderung nachweisbar. Zwei Stunden nach der Verabreichung von 5 mg waren die Schmerzen bei 62% gebessert, nach 10 mg bei 71%, nach Placebo nur bei 35%. Schmerzfrei waren 33%, 42% und 10%. Gegenüber Placebo betrug die "Number Needed to Treat" (NNT) 4 für die niedrigere und 3 für die höhere Rizatriptan-Dosis. Auch der Unterschied zwischen den beiden Dosierungen war signifikant (NNT von 11). Rückfälle in den ersten 24 Stunden traten bei gut 40% auf.(4)
In einer anderen Studie wurden Rizatriptan-Lingualtabletten (5 mg und 10 mg) bei 554 Personen mit Placebo verglichen. Nach zwei Stunden waren 59% bzw. 74% gebessert (Placebogruppe 28%). Mit der höheren Dosis war ein Therapieerfolg bereits 30 Minuten nach Einnahme nachweisbar (22% gegenüber 11% in der Placebogruppe). (lit)
Vergleiche mit anderen Triptanen
In einer randomisierten Crossoverstudie bei 1329 Personen wurden jeweils zwei aufeinander folgende Migräneanfälle untersucht. Nach dem Zufall erhielten die Teilnehmenden beim ersten Anfall entweder Rizatriptan (5 oder 10 mg) oder Sumatriptan-Tabletten (25 oder 50 mg) und beim zweiten Anfall das andere Mittel. Verglichen wurden jeweils die niedrigeren und die höheren Dosierungen. Dabei war Rizatriptan etwas wirksamer als Sumatriptan. Der Unterschied war für die niedrigere Dosierung 2 Stunden nach Einnahme knapp signifikant (68% gegenüber 62%, NNT 17). (6)
In einer anderen Studie mit 1099 Personen wurde Rizatriptan (5 mg oder 10 mg) mit einer höheren oralen Sumatriptan-Dosis (100 mg) und Placebo verglichen. 10 mg Rizatriptan führten zu einer etwas schnelleren Schmerzlinderung als Sumatriptan (Therapieerfolg nach 1 Stunde 37% gegenüber 28%). Rückfälle waren in der 5-mg-Gruppe am häufigsten, unerwünschte Wirkungen unter Sumatriptan.(7)
In zwei Studien wurde 10 mg Rizatriptan auch mit Zolmitriptan und mit Naratriptan verglichen. Dabei fand sich im Vergleich mit Zolmitriptan (2,5 mg) kein signifikanter Unterschied bezüglich Therapieerfolg. Rizatriptan war aber wirksamer als Naratriptan (2,5 mg), zumindest in den ersten zwei Stunden nach Einnahme (69% gebessert gegenüber 49%, 45% schmerzfrei gegenüber 21%; NNT von 5). Rückfälle und unerwünschte Wirkungen waren aber häufiger unter Rizatriptan.(3,8)
Nicht direkt verglichen wurde Rizatriptan bisher mit anderen Migränemitteln wie Dihydroergotamin (z.B. Dihydergot®) oder mit anderen Applikationsarten von Sumatriptan (Injektion, Nasalspray, Suppositorien).
Wiederholte Anwendung
In den oben zitierten Studien blieben die Ansprechraten auch bei der Behandlung von Rückfällen innerhalb von 24 Stunden etwa unverändert.(4,5,6)
Bis zu vier aufeinanderfolgene Attacken wurden in einer randomisierten Studie bei 407 Personen mit 10 mg Rizatriptan oder Placebo behandelt. Auch in dieser Studie blieben die Ansprechraten ungefähr konstant.(lit)
Unerwünschte Wirkungen
Die häufigsten unerwünschten Wirkungen von Rizatriptan betreffen das zentrale Nervensystem. Mehr als 5% der Behandelten berichten über Müdigkeit, Schwindel oder Schwächegefühl. Nach einer Einzeldosis von 10 mg beobachteten 20% neurologische Symptome. In einer offenen Beobachtungsstudie berichteten 18% der Behandelten über Unruhe, 18% über Schwäche oder Müdigkeit und ebenfalls 18% über Nervosität, Parästhesien, Taubheitsgefühle oder Schwitzen. (10) Auch Symptome seitens des Verdauungstraktes (Brechreiz, Erbrechen, Bauchbeschwerden u.a.) und Brustschmerzen, Tachykardie/Herzklopfen sind häufig.(10)Triptane haben auf Grund ihrer serotoninergen Wirkung allgemein das Potential, zentralnervöse und kardiovaskuläre Probleme zu verursachen. Fast regelmässig verursachen sie einen Anstieg des Blutdrucks. Auch im Zusammenhang mit der Einnahme von Rizatriptan wurden kardiovaskuläre Ereignisse (auch Herzinfarkte) beobachtet.(11) In den USA wird empfohlen, bei Verdacht auf eine koronare Herzkrankheit die erste Rizatriptan-Dosis in der ärztlichen Praxis (eventuell unter EKG-Kontrolle) zu verabreichen. Triptane sind auch als Ursache von ischämischen Schlaganfällen und peripheren Durchblutungsstörungen vermutet worden. Ob und in welchem Ausmass es auch unter Rizatriptan - wie unter anderen Triptanen - zu einer Gewöhnung kommen kann (1), ist nicht dokumentiert.
Kontraindikationen: Basilarismigräne, "Migraine accompagnée", nicht-kontrollierte Hypertonie, manifeste koronare Herzkrankheit (auch vasospastischer Natur), Vorgeschichte von zerebrovaskulären Insulten oder transitorischen ischämischen Attacken. Da die Ungefährlichkeit bei schwangeren und stillenden Frauen sowie bei Kindern und Jugendlichen bis zum Alter von 18 Jahren nicht dokumentiert ist, sollen diese Personen kein Rizatriptan erhalten. Weitere Kontraindikationen: siehe "Interaktionen".
Interaktionen
Andere Triptane und die Ergotaminderivate (z.B. Dihydroergotamin) wirken in ähnlicher Weise wie Rizatriptan vasokonstriktiv. Sie sollen deshalb nicht kurz vor oder nach Rizatriptan gegeben werden. In den USA wird ausdrücklich davor gewarnt, Rizatriptan und Ergotaminderivate oder andere Triptane innerhalb eines Zeitraums von 24 Stunden einzunehmen.
Weil sie den primären Abbauweg hemmen, erhöhen MAO-A-Hemmer wie Moclobemid (Aurorix®) die Plasmaspiegel von Rizatriptan in unvorhersehbarer Weise. Bis 2 Wochen nach dem Absetzen von Moclobemid ist deshalb die Anwendung von Rizatriptan kontraindiziert. Bei Personen, die mit Propranolol (Inderal® u.a.) behandelt werden, sollte eine Dosis von 5 mg Rizatriptan nicht überschritten werden, da Propranolol zum Anstieg der Rizatriptanspiegel führt. Andere Betablocker sind in dieser Hinsicht offenbar problemlos.(lit)Dosierung/Verabreichung/Kosten
Rizatriptan (Maxalt®) ist in Form von Tabletten und Lingualtabletten zu 5 mg und 10 mg erhältlich und kassenzulässig. In der Akutbehandlung von Migräneanfällen (mit oder ohne Aura) werden 5 mg oder 10 mg als Einzeldosis verabreicht. Triptane sind unwirksam, wenn sie vor Beginn der Schmerzen ("prophylaktisch") eingenommen werden. Bei Rückfällen kann die Dosis nach einem Intervall von mindestens 2 Stunden wiederholt werden. In 24 Stunden soll eine Maximaldosis von 30 mg nicht überschritten werden.
Unabhängig von Dosis und Darreichungsform kostet eine Tablette CHF 16.60 (Sechserpackung) oder CHF 18.85 (Dreierpackung). Damit ist es in der Schweiz das teuerste orale Triptan. Zolmitriptan (2,5 mg, Zomig®) und Naratriptan (2,5 mg, Naramig®) kosten je CHF 11.65 pro Tablette und Sumatriptan 50 mg (Imigran®) CHF 15.10 (jeweils Sechserpackung). Andere Medikamente, die bei einem Migräneanfall eingesetzt werden können (Analgetika, Entzündungshemmer, Ergotderivate) sind erheblich billiger (zwischen CHF 0.20 und CHF 2.50).
Kommentar
Nach längerem Zögern hat die Herstellerfirma Rizatriptan jetzt auch in der Schweiz eingeführt. Die Wirksamkeit bei der symptomatischen Behandlung von Migräneanfällen ist gut belegt. Interessant ist an der Substanz vor allem die vergleichsweise rasche Aufnahme aus dem Magen-Darm-Trakt. Ein etwas schnellerer Wirkungseintritt im Vergleich mit Sumatriptan und Naratriptan konnte klinisch dokumentiert werden. Gegen den Einsatz in der Praxis spricht der hohe Preis von Rizatriptan. Schade, dass die Herstellerfirma eine solche Hochpreispolitik verfolgt. Um eine 5-mg-Dosis zum halben Preis zu erhalten, müsste die 10-mg-Tablette halbiert werden. In der Akutsituation ist dies allerdings etwas umständlich (fehlende Bruchrille). Es sei in diesem Zusammenhang wieder einmal daran erinnert, dass Triptane nur bei Personen eingesetzt werden sollen, bei denen Analgetika oder Entzündungshemmer keinen Erfolg bringen oder nicht vertragen werden.
Literatur
- 1) Spanaus K. pharma-kritik 1998; 20: 45-8
- 2) Jhee SS et al. Clin Pharmacokinet 2001; 40: 189-205
- 3) Tfelt-Hansen P et al. Drugs 2000; 60: 1259-87
- 4) Teall J et al. Headache 1998; 38: 281-7
- 5) Ahrens SP et al. Cephalalgia 1999; 19: 525-30
- 6) Goldstein J et al. Headache 1998; 38: 737-47
- 7) Tfelt-Hansen P et al. Headache 1998; 38: 748-55
- 8) Bomhof M et al. Eur Neurol 1999; 42: 173-9
- 9) Kramer MS et al. Neurology 1998; 51: 773-81
- 10) Göbel H et al. Headache 2001; 41: 264-70
- 11) http://www.fda.gov/medwatch/safety/2000/dec00.htm
Standpunkte und Meinungen
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