Depressionen: Vererbung wichtig

  • m -- Sullivan PF, Neale MC, Kendler KS. Genetic epidemiology of major depression: review and meta-analysis. Am J Psychiatry 2000 (Oktober); 157: 1552-62 [Link]
  • Kommentar: Thomas E. Schläpfer
  • infomed screen Jahrgang 5 (2001) , Nummer 1
    Publikationsdatum: 1. Januar 2001
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Studienziele

In den vergangenen Jahren sind mehrere Studien veröffentlicht worden, in denen der genetische Hintergrund schwerer Depressionen untersucht wurde. In dieser Metaanalyse gehen die Autoren folgenden Fragen nach: 1. In welchem Ausmass sind schwere Depressionen familiäre Erkrankungen? 2. Welches ist allenfalls die relative Rolle von Erbfaktoren bzw. von Umgebungsfaktoren? 3. Gibt es klinische Merkmale von Depressionen, die auf eine familiäre Häufung hinweisen?

Methoden

Primärstudien wurden mittels Medline-Suche und aufgrund von Literaturangaben früherer Reviewarbeiten ausfindig gemacht. Familien-, Adoptions- und Zwillingsstudien wurden als geeignete Studientypen angesehen. Es wurden nur Studien in die Metaanalyse aufgenommen, die genau definierten Qualitätskriterien entsprachen, z.B. bezüglich Diagnose.

Ergebnisse

Unter den Familienstudien erfüllten 5 die Einschlusskriterien. In allen 5 Studien ergab sich klar, dass zwischen schweren Depressionen bei einem Individuum und schweren Depressionen bei den nächsten Verwandten ein Zusammenhang besteht. Trotz gewissen Vorbehalten sprechen die Familienstudien dafür, dass schwere Depressionen gehäuft familiär vorkommen. Keine der drei Adoptionsstudien genügte den Einschlusskriterien, die Resultate wurden deshalb nur qualitativ gewertet. Zwei dieser Studien lassen sich mit der Existenz signifikanter Erbfaktoren bei einer schweren Depression vereinbaren. Bei den Zwillingsstudien erfüllten 5 die Einschlusskriterien. Die Metaanalyse ergab, dass die familiäre Häufung schwerer Depressionen in erster Linie genetisch bedingt ist und dass verschiedenen Geschwistern gemeinsame Umgebungsfaktoren eine minimale Rolle spielen. Für eine einzelne Person sind jedoch individuelle Umgebungsfaktoren von Bedeutung. Rückfälle lassen offenbar am zuverlässigsten auf ein familiäres Problem schliessen.

Schlussfolgerungen

Schwere Depressionen sind familiäre Erkrankungen, die vorwiegend genetisch bestimmt sind. Umgebungseinflüsse, die spezifisch auf ein Individuum einwirken, sind ätiologisch ebenfalls signifikant. Eine schwere Depression ist ein komplexes Krankheitsbild, das sowohl genetisch bedingt wie auch von äusseren Einflüssen verursacht wird.(TW)

Metaanalysen sind nicht der Weisheit letzter Schluss, sie können aber bei geeigneter Methodenwahl vorhandenes Wissen wertfrei zusammenfassen und somit Fakten erhärten. Die vorliegende Analyse bestätigt, dass schwere Depressionen familiär gehäuft auftreten und dass diese Häufung primär genetisch bedingt ist. Es ist eine besondere Schwierigkeit der Psychiatrie, dass Depression und Angstkrankheiten wie die Schizophrenie wahrscheinlich einem «double-hit»-Mechanismus unterliegen: Auf dem Boden einer genetischen Prädisposition kann sich nach einem zweiten «hit» die Krankheit entwickeln. Die gegenwärtige Aufgabe dürfte sein, die Natur dieses zweiten «hit» näher zu untersuchen.

Thomas Schläpfer

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Depressionen: Vererbung wichtig ( 2001)