Wie häufig sind «Überdiagnosen» durch Mammakarzinom-Screening?

  • a -- Coldman A, Phillips N. Incidence of breast cancer and estimates of overdiagnosis after the initiation of a population-based mammography screening program. CMAJ 2013 (9. Juli); 185: E492-8 [Link]
  • Zusammenfassung: Anne Witschi
  • infomed screen Jahrgang 17 (2013) , Nummer 6
    Publikationsdatum: 10. Dezember 2013
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In den USA ist die Inzidenz des Mammakarzinoms seit der Einführung des Screening-Programms im Jahr 1988 stärker gestiegen als erwartet, auch im Vergleich zu Europa. Die hohe Frequenz der Mammographie, die weit gefassten Alterskategorien und falsch positive Beurteilungen könnten eine Überdiagnostik des Mammakarzinoms bewirkt haben. Zusätzlich stellt sich die Frage nach der klinischen Relevanz des oft diagnostizierten duktalen Carcinoma in situ. Die vorliegende Studie hatte zum Ziel herauszufinden, ob das Mammakarzinom tatsächlich häufiger geworden ist, oder ob die Diagnose «Brustkrebs» im Rahmen des Screenings fälschlicherweise zu oft gestellt wurde. Mit Daten des «British Columbia Cancer Registry» wurde die Häufigkeit des Mammakarzinoms von Frauen zwischen 40 und 89 Jahren in den Jahren 1970 bis 1979 (vor Einführung des Screenings) und in den Jahren 2005 bis 2009, in denen das Screening etabliert war, berechnet. Die Häufigkeit einer Überdiagnose wurde für 2005 bis 2009 einerseits durch den Vergleich der Anzahl Mammakarzinome von Frauen mit oder ohne Screening berechnet und andererseits aus der Differenz zwischen der Anzahl Karzinome, die man aufgrund der Zahlen von 1970 bis 1979 erwartet hatte, und der Anzahl der diagnostizierten Erkrankungen.

Zwischen 2005 und 2009 waren 1'387'197 Screenings durchgeführt worden, wovon 197'928 Erstscreenings. Im Vergleich zu den 70er-Jahren nahm die Häufigkeit des invasiven Mammakarzinoms von 2005 bis 2009 bei den Frauen zwischen 60 und 79 und die Häufigkeit des duktalen Carcinoma in situ in allen Altersgruppen zu. In den Jahren 2005 bis 2009 hatten Frauen unter 80 mit Screening häufiger ein invasives Karzinom als ohne Screening, das duktale Carcinoma in situ war in allen Altersgruppen mit Screening häufiger. Die geschätzte kumulative Rate des invasiven Karzinoms betrug für Frauen, die das Screening mit 40 begonnen und es bis zum Alter von 89 fortgesetzt hatten, 137/1'000 gegenüber 130/1'000 in der Gruppe ohne Screening. Das bedeutet, dass 5,4% der invasiven Karzinome Überdiagnosen waren. Wurde das Carcinoma in situ einbezogen, betrug der Anteil von Überdiagnosen 17,3%.

Eine «Überdiagnostik» des Mammakarzinoms kann einerseits durch Fehlbeurteilungen von Mammographien oder Biopsien erklärt werden und andererseits dadurch, dass im Rahmen von Screenings Carcinomata in situ gefunden werden, die klinisch nie relevant geworden wären. In Grossbritannien schätzt man, dass auf 10'000 Frauen, die sich ab dem 50. Altersjahr 20 Jahre lang «screenen» lassen, 43 Karzinomtodesfälle (0,4%) vermieden und 129 Karzinome (1,3%) «überdiagnostiziert» werden, die sich klinisch nie manifestiert hätten.1 Diese Frauen werden unnötigerweise chirurgisch und oft auch radio- und chemotherapeutisch behandelt. Die Diskussion, ob der Nutzen oder ein möglicher Schaden des Mammakarzinom-Screenings für Frauen zwischen 50 und 70 Jahren überwiegt, bleibt offen. Auf jeden Fall soll jede Frau durch transparente und objektive Information selber entscheiden können, ob sie an einem Screening teilnehmen will oder nicht («informed deci­sion»).

Zusammengefasst und kommentiert von Anne Witschi

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infomed-screen 17 -- No. 6
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Wie häufig sind «Überdiagnosen» durch Mammakarzinom-Screening? ( 2013)