Editorial: Schwieriger Brückenschlag

Die vielleicht wichtigste Aufgabe von infomed-screen ist es, eine Brücke zwischen den Ergebnissen der medizinischen Forschung und unseren Aktivitäten im Praxis- und Klinikalltag zu bauen. Dieses «Bridging the gap» darf nicht Monopol derjenigen sein, die an der Applikation neuer Arzneimittel und Verfahren direkt interessiert sind. Neue Erkenntnisse, neue Entwicklungen haben einerseits das Potential, kranken Menschen bisher unerreichte Verbesserungen zu bringen, verursachen aber anderseits fast immer zusätzliche Kosten. Es ist deshalb sehr wichtig, dass Forschungsresultate aus unabhängiger Sicht betrachtet und kommentiert werden.
Der grössere Teil der sogenannten Fachinformation, die tagtäglich in unserem Briefkasten landet, ist von kommerziellen Interessen geprägt und deshalb eigentlich nicht geeignet, medizinische Entscheide rational zu beeinflussen. Wie steht es denn mit infomed-screen? Finanziert wird das Blatt ausschliesslich von seinen Abonnentinnen und Abonnenten. Wir haben das ungewöhnliche Privileg, weder auf inserierende Firmen noch auf mächtige Behörden oder Standesorganisationen Rücksicht nehmen zu müssen. Es wäre aber reichlich naiv anzunehmen, infomed-screen könnte eine objektive, gewissermassen naturwissenschaftliche Wahrheit vermitteln.
Was uns nämlich heute an Fakten zur Verfügung steht und so vertrauensvoll als Evidenz bezeichnet wird, ist zweifellos nur ein Bruchstück der Wahrheit. Wir können ja nur über Studien berichten, die tatsächlich durchgeführt, abgeschlossen und veröffentlicht worden sind. Solche Studien stehen aber notwendigerweise im Kräftefeld der verschiedensten, durchaus nicht nur wissenschaftlichen Einflüsse. So werden beispielsweise neue Arzneimittel vorzugsweise bei Indikationen getestet, die den Herstellerfirmen finanziell vielversprechend erscheinen. Dies ist völlig verständlich, jedoch nicht immer im besten Interesse des kranken Menschen.
Es ist deshalb nicht gerade einfach, für infomed-screen aus der übergrossen Fülle von Publikationen die richtigen auszuwählen. Natürlich bemühen wir uns, der Versuchung zu widerstehen, generell das Neueste als das Beste darzustellen. Dass wir dennoch über wichtige Neuerungen so rasch wie möglich berichten, versteht sich von selbst. Besonders wichtig erscheint uns, Studien auf ihre praktische Relevanz zu prüfen. Wie in der vorliegenden Nummer der Text zur Hausstaubmilben-Sanierung (Seite 4) zeigt, können zum Beispiel die Resultate von Metaanalysen nicht immer so selbstverständlich auf den Praxisalltag übertragen werden. In solchen Fällen ist es dann entscheidend, dass die Resultate durch einen unabhängigen Kommentar ins rechte Licht gerückt werden.
Mit Matthias Egger stand uns bisher ein versierter und kritischer Mitherausgeber zur Seite, der uns dank seiner vielfältigen Aktivitäten in Epidemiologie und Präventivmedizin gerade auch bei der Auswahl und Kritik der Publikationen eine grosse Hilfe war. Nun wird er uns vom neuen Jahrgang an nur noch gelegentlich als Kommentator helfen können; seine Tätigkeiten im «fernen» England haben zur Folge, dass eine regelmässige Kooperation bei infomed-screen unmöglich geworden ist. Ich bedaure es sehr, seine Meinung nicht mehr regelmässig hören zu dürfen und möchte ihm für die zwei Jahre intensiver Mitarbeit herzlich danken.
Wenn ich die Zukunft von infomed-screen dennoch optimistisch beurteile, so beruht dies in erster Linie auf den Erfahrungen des Jahres 1998. Die sogenannte Wiler Gruppe für «Evidence Based Medicine» hat in diesem Jahr Ausserordentliches geleistet, indem sie mit grosser Regelmässigkeit und Sorgfalt fast jeden Monat neue Studien zusammengefasst hat. Es ist uns zudem gelungen, eine ganze Reihe von kompetenten Kommentatorinnen und Kommentatoren hinzuzugewinnen und ich denke, dass dies auch in Zukunft so sein wird. Gerne benütze ich die Gelegenheit, all diesen Kolleginnen und Kollegen hier noch einmal sehr herzlich für die Zeit, die sie uns schenken, zu danken.

Etzel Gysling

Standpunkte und Meinungen
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Editorial: Schwieriger Brückenschlag ( 1999)