Alitretinoin

Alitretinoin (Toctino®) wird zur oralen Behandlung des chronischen Handekzems empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Beim chronischen Handekzem kann man verschiedene Unterformen abgrenzen. Als wichtigste Ursachen kommen eine atopische Dermatitis sowie eine Kontaktdermatitis in Frage. Prädisponiert sind Personen, die beruflich mit potentiellen Allergenen oder viel mit Wasser und Reinigungsmitteln hantieren. Die Behandlung des chronischen Handekzems besteht aus der Elimination auslösender Noxen, der Hautpflege und dann aus einer Lokalbehandlung mit Kortikosteroiden. Bei ungenügendem Ansprechen bieten sich eine Phototherapie oder systemisch verabreichte Medikamente an (wobei die meisten der verwendeten Substanzen dafür nicht offiziell zugelassen sind).

Alitretinoin (9-cis-Retinsäure), das sich wie alle Retinoide von Retinol (Vitamin A) ableitet, ist ein Isomer von Tretinoin (all-trans-Retinsäure) und Isotretinoin (13-cis-Retinsäure, Roaccutan® u.a.). Die Wirkung der Retinoide beruht auf ihrer Bindung an nukleäre Rezeptoren, von denen ein Typ A (RAR) und ein Typ X (RXR) bekannt sind. Je nach Retinoid besteht eine unterschiedliche Affinität zu diesen beiden Rezeptoren. Alitretinoin bindet sich an beide Rezeptoren, was die Vorraussetzung für die Wirkung beim chronischen Handekzem zu sein scheint. Durch die Aktivierung der Retinoid-Rezeptoren werden die Zelldifferenzierung und -proliferation beeinflusst; ferner sind damit immunmodulierende und entzündungshemmende Effekte verbunden.(1,2)

Pharmakokinetik

Nach Einnahme von Alitretinoin verstreichen 3 bis 4 Stunden, bis der Plasmaspitzenspiegel zu messen ist. Der Absolutwert der biologischen Verfügbarkeit ist nicht bestimmt. Im Vergleich zum Nüchternzustand vergrössert sich die Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve um das 4-fache, wenn Alitretinoin mit einer Mahlzeit kombiniert wird. Alitretinoin wird in der Leber durch CYP3A4 abgebaut, wobei als Hauptmetabolit 4-oxo-Alitretinoin entsteht. Zum Teil werden Alitretinoin und 4-oxo-Alitretinoin auch in ihre all-trans-Isomere umgewandelt. Eine Glukuronidierung leitet die endgültige Elimination ein, die vor allem über den Urin stattfindet. Die durchschnittliche Halbwertszeit bewegt sich zwischen 5 und 7 Stunden.(2,3)

Klinische Studien

Zur Anwendung von Alitretinoin beim chronischen Handekzem liegen zwei grössere Doppelblindstudien vor. Beide befassten sich mit Personen, die auf eine mehrmonatige Lokalbehandlung – die auch ein potentes Steroid beinhaltete – ungenügend angesprochen hatten. Die nach klinischen Gesichtspunkten beurteilte Wirksamkeit bildete in beiden Studien den primären Endpunkt. Als erfolgreich wurde die Behandlung bewertet, wenn das Ekzem abgeheilt oder höchstens noch eine minimale Rötung oder Schuppung sichtbar war.

Bei der ersten Untersuchung handelte es sich um eine Dosisfindungsstudie. 319 Personen wurden auf vier Gruppen verteilt, in denen drei verschiedene Aliretinoin-Dosen (1-mal 10, 20 oder 40 mg/Tag) oder Placebo verordnet wurde. Nach 12-wöchiger Behandlung betrug die Ansprechrate mit Alitretinoin 39% (10 mg/Tag), 41% (20 mg/Tag) bzw. 53% (40 mg pro Tag) und mit Placebo 27%.(4)

Die zweite Untersuchung stellt die Hauptstudie dar. 1032 Personen erhielten 24 Wochen lang Alitretinoin (1-mal 10 oder 30 mg/Tag) oder Placebo. Die niedrigere Alitretinoin-Dosis führte in 28% der Fälle zu einem positiven Ergebnis, die höhere in 48% und Placebo in 17%.(5) Wie eine kleine Folgestudie zeigte, besteht bei einem Rückfall eine bis zu 80%ige Chance, dass Alitretinoin ein zweites Mal wirksam ist.(6)

Unerwünschte Wirkungen

Nebenwirkungen, die unter Alitretinoin beobachtet wurden, waren Kopfschmerzen, Hautrötung («Flush»), trockene Lippen, Anstieg von Cholesterin- und Triglyzerid-Spiegel sowie erniedrigte TSH-Konzentration.(2)

Für Retinoide sind weitere Probleme beschrieben, mit denen bei Alitretinoin ebenfalls zu rechnen ist. Dazu gehören Trockenheit von Haut und Schleimhäuten, Haarausfall, Photosensitivität, Anämie, Muskel- und Gelenkschmerzen, Veränderungen in der Knochenmineralisierung und extraossäre Verkalkungen, depressive Verstimmung, Schlaflosigkeit, Konjunktivitis, Verschlechterung des Nachtsehens, gastrointestinale Störungen, Blutzucker-Anstieg und Erhöhung des Schädelinnendrucks. Alle Retinoide sind teratogen und mit einem hohen Risiko für schwere Missbildungen behaftet.

Interaktionen

CYP3A4-Hemmer können die Alitretinoin-Exposition deutlich erhöhen, und zwar, wie in Kombination mit Ketoconazol gezeigt wurde, um bis zu 40%.(3)

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Alitretinoin (Toctino®) wird als Kapseln zu 10 und 30 mg angeboten. Es ist zugelassen zur Behandlung eines chronischen Handekzems, das auf eine umfassende Lokalbehandlung nicht angesprochen hat. Alitretinoin soll einmal pro Tag zusammen mit einer Mahlzeit eingenommen werden, wobei 30 mg/Tag als übliche Dosis gelten; mit der niedrigeren Dosis von täglich 10 mg sollte man starten, wenn eine Hyperlipidämie oder ein Diabetes mellitus besteht.(2) Die Therapiedauer sollte 24 Wochen nicht überschreiten.

Unter einer Behandlung mit Alitretionoin müssen die Lipidwerte kontrolliert werden. Die Verabreichung von Alitretinoin bei Leber- oder fortgeschrittener Nierensuffizienz ist nicht untersucht und gilt als kontraindiziert. Frauen im gebärfähigen Alter dürfen Alitretinoin nur verwenden, wenn eine Schwangerschaft ausgeschlossen und eine strikte Kontrazeption gewährleistet ist. (Bei Männern findet sich Alitretinoin in der Samenflüssigkeit, allerdings nicht in einer Menge, die bei schwangeren Partnerinnen als riskant eingestuft wird.) Auch in der Stillzeit sollte auf Alitretinoin verzichtet werden.

Die Packung Alitretinoin mit 30 Kapseln kostet in beiden Dosierungen CHF 650.95. Das Mittel ist limitiert kassenzulässig.

Kommentar

Zweifelsohne lässt sich mit Alitretinoin in vielen Fällen auch ein hartnäckigeres chronisches Handekzem zum Verschwinden bringen. Wie hoch die Chance liegt, dass mit Alitretinoin das Problem längerfristig gelöst wird, bleibt aber vage. Angesichts dessen, dass für das chronische Handekzem verschiedene «Off-label»-Behandlungen im Umlauf sind, liesse es sich als wünschenswert erscheinen, dass der Stellenwert von Alitretinoin in diesem Therapiefeld besser abgesteckt wird. Von Alitretinoin gehen wie bei allen Retinoiden Gefahren aus, die man nicht unterschätzen darf. Im Vordergrund steht das teratogene Risiko, das sich letztlich nicht in einer solch absoluten Weise abwenden lassen dürfte, wie man es sich im Idealfall vorstellt. Somit wird man Alitretinoin einstweilen lediglich als Ausnahmebehandlung empfehlen können.

Standpunkte und Meinungen

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Alitretinoin (24. Juni 2015)
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