Asenapin

Asenapin (Sycrest®) ist ein Neuroleptikum, das neu in der Schweiz zur Akutbehandlung von manischen Episoden im Rahmen einer bipolaren Krankheit vom Typ 1 zugelassen wurde.

Chemie/Pharmakologie

Asenapin ist ein Derivat von Mianserin (Tolvon® u.a.), ein Dibenzo-Oxepinopyrrol, und hat ähnliche Eigenschaften wie andere neuere Neuroleptika. Es wirkt als Antagonist an Dopamin-D2- und Serotonin-5-HT2a-Rezeptoren. Ausserdem bindet es sich an andere Dopamin- und Serotonin- sowie an alpha-adrenergische und H1-Rezeptoren, dagegen kaum an muskarinische Rezeptoren.(1) Die Wirkungsweise bei der Behandlung psychischer Erkrankungen ist nicht genau geklärt.

Pharmakokinetik

Nach oraler Aufnahme wird das Medikament praktisch überhaupt nicht systemisch verfügbar, da es anlässlich der ersten Leberpassage weitgehend zu inaktiven Verbindungen metabolisiert wird. Asenapin-Tabletten müssen unter die Zunge platziert werden, wo sie sich im Speichel auflösen. So kann eine Bioverfügbarkeit von etwa 35% erreicht werden. Wird die Tablette an anderen Stellen im Mund platziert, so kann die Verfügbarkeit recht deutlich abweichen.(2) Maximale Plasmaspiegel werden etwa 1 Stunde nach der Verabreichung erreicht. Die Substanz wird durch UGT-1A4 glukuronidiert und durch verschiedene Zytochrome (besonders CYP1A2) oxidiert. Die terminale Plasmahalbwertszeit beträgt etwa 24 Stunden; bei regelmässiger Verabreichung wird nach drei Tagen ein Fliessgleichgewicht erreicht. Die Exkretion erfolgt je etwa zur Hälfte mit dem Stuhl und mit dem Urin. Bei einer ausgeprägten Einschränkung der Leberfunktion (Child-Pugh-Klasse C) fand sich ein starker Anstieg der systemischen Exposition. Leberfunktionsstörungen geringeren Ausmasses und eine Niereninsuffizienz führen nicht zu einer bedeutsamen Veränderung der Kinetik.(3)

Klinische Studien

Akuttherapie manischer Episoden

Asenapin wurde in zwei sehr ähnlichen Doppelblindstudien bei Personen mit akuter Manie oder gemischt manisch-depressiven Symptomen mit Olanzapin (Zyprexa® u.a.) und Placebo verglichen.(4,5) Diese Studien dauerten drei Wochen; die Neuroleptika-Dosis wurde individuell angepasst und betrug durchschnittlich etwa 18 mg/Tag (Asenapin) bzw. 16 mg/Tag (Olanzapin). Gemäss den Studienautoren diente Olanzapin lediglich als «positive» Kontrolle für die Studie und sollte nicht direkt mit Asenapin verglichen werden. Beurteilt wurde die Wirkung primär anhand der «Young Mania Rating Scale» (YMRS, siehe Tabelle).(6) Insgesamt nahmen 967 Personen an den beiden Studien teil; in der Asenapin-Gruppe blieben rund 65% bis zum Schluss in der Studie, in der Placebo-Gruppe waren es rund 60% und in der Olanzapin-Gruppe etwa 80%. Der YMRS-Wert, der initial in allen Gruppen vergleichbar war, nahm unter Asenapin signifikant stärker ab als unter Placebo – in der einen Studie um 10,8, in der anderen um 11,5 (Placebo: -5,5 bzw. -7,8). Die Wirkung von Olanzapin war stärker ausgeprägt.

Bei 504 Teilnehmenden, die eine der beiden beschriebenen Studien problemlos beendet hatten, wurde eine doppelblinde Studienverlängerung von 9 Wochen angefügt. Diejenigen, die in den ersten drei Wochen Placebo erhalten hatten, wurden nun auch mit Asenapin behandelt, wobei diese Gruppe nur bezüglich Verträglichkeit beurteilt wurde. Bei den anderen fand sich 12 Wochen nach Beginn der initialen Studien eine gegenüber Olanzapin «nicht-unterlegene» Wirkung von Asenapin, mit einer Abnahme des YMRS-Wertes um etwas mehr als 20 Punkte.(7)

Personen, die die neunwöchige Verlängerung wiederum erfolgreich abgeschlossen hatten, konnten in einer zusätzlichen Phase von 40 Wochen weiterhin doppelblind mit Asenapin oder Olanzapin behandelt werden. Dieser Studienabschnitt diente in erster Linie der Überprüfung der Verträglichkeit bzw. der unerwünschten Wirkungen.(8)

In einer Placebo-kontrollierten Doppelblindstudie wurde ausserdem untersucht, wie sich der Zusatz von Asenapin zu einer vorbestehenden Behandlung mit Lithium oder mit Valproat (Convulex® u.a.) auswirkt. 326 Personen, die während mindestens 2 Wochen schon mit Lithium oder Valproat behandelt waren, sollten für 12 Wochen zusätzlich Asenapin (zweimal täglich 5 bis 10 mg) oder Placebo erhalten. Das Resultat (die Veränderung des YMRS-Wertes) wurde nach 3 Wochen beurteilt; zu diesem Zeitpunkt wurden noch 204 Personen in der Studie behandelt. Unter Asenapin fand sich eine Abnahme um 10,3 Punkte, unter Placebo betrug die Abnahme 7,9 Punkte.(9) Nur 116 Personen blieben bis zum Ende in der Studie.

Schizophrenie

In den USA ist Asenapin auch zur Behandlung einer akuten Schizophrenie zugelassen. Gemäss der offiziellen Dokumentation ist das Medikament bei dieser Indikation in drei Placebo-kontrollierten Doppelblindstudien während 6 Wochen mit Halo¬peridol (Haldol®), Risperidon (Risperdal® u.a.) und Olanzapin verglichen worden. Die Resultate dieser Studien sind uneinheitlich.(10)

Unerwünschte Wirkungen

Unter Asenapin sind unerwünschte Symptome häufig und vielfältig, wobei die entsprechenden Daten aus verschiedenen Studien beträchtlich variieren. Häufig werden insbesondere Somnolenz, Schwindel, extrapyramidale Symptome und Gewichtszunahme beobachtet. Auch Geschmackstörungen und orale Hypoästhesie, Muskelrigidität und ein Anstieg der Transaminasen kommen häufig vor; weitere gelegentliche oder seltene Probleme sind eine orthostatische Hypotonie, ein Blut¬zuckeranstieg, eine Hyperprolaktinämie und epileptische Anfälle. Psychische Symptome (Schlafstörungen, Depression, Angst, suizidale Gedanken) sind schwierig zuzuordnen. Asenapin kann schwere allergische Reaktionen (Angioödem, Blutdruckabfall, Hautreaktionen) verursachen; die amerikanische Behörde (FDA) hat deswegen eine spezielle Warnung publiziert.(11) Da das Medikament zu einer Verlängerung des QTc-Intervalls führen kann, hat es auch ein arrhythmogenes Potential. Im Vergleich mit anderen Neuroleptika wie Olanzapin führt Asenapin offenbar seltener zu einer Gewichtszunahme, jedoch häufiger zu extrapyramidalen Symptomen.

Interaktionen

Die Kombination von Asenapin mit anderen Medikamenten, die sich auf das Zentralnervensystem auswirken, – oder mit Alkohol – kann zu verstärkten neuropsychiatrischen Symptomen führen. Da Fluvoxamin (Floxyfral® u.a.) verschiedene Zytochrome und besonders auch CYP1A2 hemmt, können Asenapin-Plasmaspiegel bei gleichzeitiger Verabreichung stark ansteigen. Ob auch andere CYP1A2-Hemmer relevante Interaktionen verursachen, ist nicht genauer dokumentiert. Asenapin ist ein schwacher CYP2D6-Hemmer. Deshalb ist auch mit Interaktionen mit Medikamenten zu rechnen, die CYP2D6-Substrate sind. Wegen seiner Aktivität als Alpha-Adrenozeptor-Antagonist kann Asenapin eventuell zu einer Verstärkung blutdrucksenkender Medikamente führen. Vorsicht ist auch bei der Kombination mit allen Medikamenten angezeigt, die das QTc-Intervall verlängern – wie z.B. Amiodaron (Cordarone® u.a.), Methadon und Clarithromycin (Klacid® u.a.).

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Asenapin (Sycrest®) ist als Sublingualtabletten zu 5 und zu 10 mg erhältlich und in der Schweiz limitiert kassenzulässig. Die Anfangsdosis beträgt täglich zweimal 10 mg (Monotherapie) bzw. 5 mg (in Kombination mit anderen Psychopharmaka). Später kann die Dosis im Rahmen von 10 bis 20 mg/Tag individualisiert werden. Es ist wichtig, dass die Sublingualtabletten mit trockenen Händen sorgsam der Packung entnommen werden, damit sie nicht beschädigt werden. Die Tabletten müssen unter die Zunge platziert werden; anschliessend soll man für mindestens 10 Minuten weder essen noch trinken. In der Schweiz wird in Anbetracht des komplexen Einnahmemodus empfohlen, die Behandlung in der Klinik zu beginnen.
 
Das Medikament ist bei jungen Leuten (bis 18) nicht und bei älteren Personen (über 65) nur wenig dokumentiert. Es soll weder in der Schwangerschaft noch während der Stillzeit eingenommen werden. Auch die Anwendung bei Personen mit einer fortgeschrittenen Leberinsuffizienz ist kontraindiziert.

Im üblichen Dosisbereich (10-20 mg/Tag) kostet Asenapin CHF 221.45 monatlich. Dies ist fast das Dreifache der Kosten von Olanzapin-Generika (10 mg/Tag, zwischen 75 und 85 Franken monatlich). Andere Neuroleptika, die bei manischen Episoden eingesetzt werden können, sind noch billiger. Von Risperidon sind 3-mg-Tagesdosen schon für rund 40 Franken/Monat erhältlich.

Kommentar

Asenapin ist ein bezüglich seiner Wirksamkeit bei manischen Episoden recht bescheiden dokumentiertes Neuroleptikum. Es ist offensichtlich wirksamer als ein Placebo; ob es jedoch tatsächlich die Wirksamkeit z.B. von Olanzapin erreicht, ist weniger eindeutig. Ebenso wenig überzeugt es, dass Asenapin das besser verträgliche Neuroleptikum wäre. Es führt zu einer Gewichtszunahme, die geringer ist als diejenige unter Olanzapin. Dennoch stellt sich die Frage, ob eine «klinisch signifikante» Gewichtszunahme bei 19% der während 3 Monaten mit Asenapin Behandelten als besonders gut verträglich bezeichnet werden kann.(7)Extrapyramidale Nebenwirkungen sind dagegen unter Asenapin häufiger als unter verschiedenen neueren Neuroleptika. Problematisch ist die Notwendigkeit, das Medikament nach vergleichsweise komplexen Vorschriften einzunehmen. Schliesslich bereitet auch die Möglichkeit einer (zwar seltenen, aber gefährlichen) allergischen Reaktion Sorge. Zusammenfassend gibt es deshalb aktuell keine guten Gründe, weshalb Asenapin bei manischen Episoden anderen, besser dokumentierten (und bei weitem billigeren!) Neuroleptika vorgezogen werden sollte.

Standpunkte und Meinungen

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Asenapin (6. Dezember 2013)
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pharma-kritik, 35/No. 9
PK914
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