Vorsicht: Generika

Alle unabhängigen Fachleute sind sich darüber einig, dass Generika einen ausgezeichneten Beitrag zu einer wirtschaftlichen Pharmakotherapie leisten können. Wenn ich im Folgenden einige Probleme beschreibe, mit denen wir in der Schweiz bezüglich Generika konfrontiert sind, heisst dies daher keineswegs, dass ich Generika grundsätzlich für minderwertig oder sonstwie unbefriedigend halten würde. Besonders die Entwicklungen der letzten Jahre wirken sich jedoch in der Praxis teilweise recht ungünstig aus; es scheint mir wichtig, dass wir uns gewisser Tatsachen bewusst sind und nach Möglichkeit auch darauf hinwirken, dass sich die Situation bessert.

Angebot schwer durchschaubar

Die Zeiten sind vorbei, da man überwiegend Generika auswählen konnte, die von Schweizer Firmen angeboten wurden. Ausser der Firma Streuli, die sich offenbar noch in Familienbesitz befindet, sind wohl alle grösseren Generika-Firmen in die Liga des internationalen «Big Business» aufgestiegen (bzw. von diesem aufgesaugt worden). Es ist möglich, dass noch die eine oder andere kleine Firma existiert; einen nennenswerten Beitrag zur Generika-Szene dürften jedoch die kleinen Mitspieler nicht leisten. Das wäre an sich nicht schlimm und könnte sogar zu günstigeren Preisen beitragen. Das Nebeneinander von Produkten mit scheinbar verschiedenen Marken, die – trotz unterschiedlichen Preisen – von der selben Firma stammen, führt aber zu einem weitgehend undurchsichtigen Markt. Als unabhängiger Beobachter gewinnt man den Eindruck, die Industrie tue alles, um die Transparenz in diesem Bereich zu vernebeln. So gibt es von einer Firma (Novartis) neben dem Originalpräparat von Diclofenac (Voltaren®) mehrere andere Diclo­fenac-Präparate unter ganz unterschiedlichen Bezeichnungen (Tonopan® Neue Formel von Novartis Consumer Health, Di­clac® von Sandoz und Ecofenac® von Sandoz), alles zu Preisen, die sich wegen verschiedener Dosierung und verschiedenen Packungsgrössen ganz schlecht vergleichen lassen. Was die Novartis tut, machen natürlich auch andere: so verkauft z.B. Teva einhundert 40-mg-Simvastatin-Tabletten unter dem Label Teva für CHF 89.55, unter dem Label Mepha jedoch für CH 97.20. Weitere ähnliche Beispiele lassen sich anhand des Arzneimittel-Kompendiums noch in grosser Zahl finden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Preise nicht sehr stabil sind und es immer wieder vorkommt, dass das eine oder andere Präparat oder auch nur eine Packungsgrösse plötzlich verschwindet. Wie es unter diesen Umständen der durchschnittlichen Ärztin und dem durchschnittlichen Arzt noch möglich sein könnte, den Überblick zu wahren, ist nicht recht zu sehen.

Im Ausland oft viel billiger

Generika, die in grossen Mengen umgesetzt werden, sind im Ausland oft billiger als in der Schweiz. An sich habe ich Verständnis dafür, dass Generika wegen höherer Basiskosten in der Schweiz etwas teurer sind. Aber besonders, wenn es sich um internationale Firmen handelt, sind grössere Preisunterschiede weder gerechtfertigt noch akzeptabel. Wie ist es möglich, dass das Losartan-Hydrochlorothia­zid-Präparat (50/12,5 mg) der Firma Stada in der Schweiz unter dem Label Co-Losartan Spirig® 63 Rappen, in Deutsch­land (Losartan-HCT-STADA®) aber umgerechnet nur 37 Rappen pro Tablette kostet? Da fällt es schwer, sich des Gedankens zu erwehren, hier werde die dumme Schweizer Kuh gemolken.

Generikum manchmal teurer als Original

Die Meinung, Generika seien immer substantiell billiger als die entsprechenden Originalpräparate, entspricht nicht den Tatsachen. In Abhängigkeit von der Dosierung, der Packungsgrösse und auch aufgrund der Möglichkeit, eine Tablette auf einfache Art und Weise zu teilen, entsteht ein höchst unterschiedliches Sparpotential.  Benötigt jemand z.B. 40 mg Simvastatin täglich, so kostet die Behandlung – bei Verwendung der jeweils grössten Originalpackung – mit einer halben 80-mg-Tablette von Simvastatin-Actavis® nur knapp 41 Rappen pro Tag, während die normale 40-mg-Tablette Zocor® täglich CHF 1.15 kostet. In sehr vielen Fällen spart man mit dem Generikum jedoch nur zwischen 5 und 20% gegenüber dem Preis des Originals. Es gibt sogar eine Reihe von Wirkstoffen, bei denen ein Generikum mehr kostet als das Originalpräparat. Dies beruht auf dem Umstand, dass die Generikapreise nicht automatisch gesenkt werden, wenn der Preis des Originals reduziert wird. Zurzeit (Ende März 2012) ist Paclitaxel ein besonders krasses Beispiel: Beim Originalpräparat Taxol® kosten 100 mg (Infu­sionskonzentrat) CHF 102.50; fast alle Generika sind teurer, z.B. Paclitaxel Mepha/Teva CHF 153.80.

Pseudo-Generika

Nicht jedes Generikum ist ein echtes Generikum. Mittels sogen. Ko-Marketing kann ein Originalpräparat unter einem anderen Namen von einer anderen Firma vermarktet werden, wobei der Preis identisch oder auch kleiner sein kann. Für die Verschreibenden sind diese Hintergründe nicht immer transparent. Dank einem Deal mit der Herstellerin des Originals konnte z.B. Mepha schon ein Jahr vor dem Patentablauf von Cosaar® ein Losartan-Präparat verkaufen. Neuerdings ist es Mode geworden, dass die Patentinhaber selbst vor Ablauf des Patentes ein weiteres Präparat mit demselben Wirkstoff, aber einem anderen Namen in den Handel bringen. Dies ist z.B. mit Esomeprazol geschehen: neben Nexium® wurde ein bestenfalls rund 20% billigeres Präparat (Esomep®) eingeführt. Die Absicht ist klar: so gelingt es, mindestens einen Teil des Marktes «anzubinden», da dann nach dem Ablauf des Patentes das vermeintlich besonders günstige Esomep® weiter verschrieben wird. Zurzeit stehen mehrere echte Esomeprazol-Generika vor der Einführung, die jedoch viel billiger sein werden (um 50%). Da nächstens das Patent für Atorvastatin (Sortis®) abläuft, wendet Pfizer denselben Trick an, indem sogar zwei Präparate (Atorva® und Atorvastatin-Pfizer®) eingeführt worden sind. Man merkt die Absicht …

Fragen der Bioäquivalenz

Nicht neu, aber doch wert, wieder einmal in Erinnerung gerufen zu werden, ist die Feststellung, dass Generika untereinander nicht notwendigerweise bioäquivalent sind. Die Bioäquivalenz von Generika wird gegen das Original getestet, wobei eine gewisse Schwankungsbreite toleriert wird. Für die Behörden ist ein Generikum bioäquivalent, wenn seine Verfügbarkeit (Area under the Curve, AUC) mit 95%iger Wahrscheinlichkeit nicht mehr als 20% von derjenigen des Originals abweicht. Was die maximalen Plasmaspiegel anbelangt, werden Abweichungen bis höchstens 30% toleriert. Daraus ergibt sich zwanglos, dass ein Generikum mit Werten im Bereich der unteren Toleranzgrenze zu einem Generikum mit Werten an der oberen Toleranzgrenze nicht bioäquivalent ist. Bei Wirkstoffen, bei denen die Dosis bzw. die Verfügbarkeit eine wichtige Rolle spielt, ist es also nicht belanglos, mit welchem Generikum behandelt wird. Besonders an der Schnittstelle Spital/ambulante Medizin sind hier Konflikte denkbar – beim Spitalaustritt wird möglicherweise ein «beliebiges» Generikum verschrieben und in der Apotheke erhält der Patient oder die Pa­tientin dann eventuell ein Präparat, das nicht den Ver­schreibungsgewohnheiten der hausärztlichen Praxis entspricht. Dazu lässt sich natürlich anmerken, dass diese Überlegung nicht sehr viele Medikamente betrifft. So weiss man ja beispielsweise, dass man mit 500 mg Paracetamol eine annähernd ebenbürtige Analgesie erreicht wie mit 1000 mg. Ich halte es dennoch für wichtig, dass wir uns dieser möglichen Unterschiede bewusst sind.

Herkunft

Auf eine weitere Problematik, die nicht nur, aber in besonderem Masse die Generika betrifft, habe ich schon vor bald fünf Jahren hingewiesen:(1) Von keinem unserer Medikamente – Originalpräparate und Generika – wissen wir, woher die chemischen Bestandteile (die aktiven Stoffe und die Exzipientien) stammen und wo die Fertigung des Präparates erfolgt. Ich stelle fest, dass sich seit meinem früheren Text überhaupt nichts geändert hat. Es ist absolut skandalös, dass uns diese wichtige Information vorenthalten wird. Dass weder Behörden noch Politik in dieser Hinsicht aktiv werden, lässt sich wohl nur so deuten, dass die Pharmalobby an diesen Stellen einen übermächtigen Einfluss ausübt. Es ist nämlich keineswegs so, dass die Regeln einer «Good Manufacturing Practice» wirklich überall eingehalten würden. Schon früher gab es dazu in China Skandale. Anfangs 2012 erhielten in Pakistan rund 40‘000 Herzkranke kontaminierte Medikamente.(2) In der Folge traten schwere Komplikationen auf; über 125 Personen sind gestorben. Es gibt gar keinen vernünftigen Grund, weshalb diese grundlegenden Informationen zur Herkunft unserer Medikamente fehlen – es sei denn, die Industrie hätte etwas zu verbergen.

So nicht – aber wie?

Ich würde es für sinnvoll halten, dass sich die medizinischen Stände zusammentun und darauf hinarbeiten, dass Generika ein Minimum an Anforderungen erfüllen müssen. Diese Anforderungen wären namentlich:
- Preistransparenz bezüglich Vergleichspräparaten, die vom gleichen Konzern stammen
- Preise von Generika und Pseudo-Generika, die initial mindestens um einen namhaften Prozentsatz unter den Originalpreisen und langfristig niemals über denjenigen der Originale liegen müssten
- Summarische Angaben zur Bioäquivalenz jedes Generikums
- Genaue Angaben zur Herkunft der Inhaltsstoffe und zum Produktionsland

Standpunkte und Meinungen

  • Datum des Beitrags: 20. Mai 2012 (15:24:06)
  • Verfasst von: Prof.Dr. Richard Herrmann, em. Chefarzt (Basel)
  • Atorvastatin Generikum 8 mal teurer
    seit einiger Zeit nehme ich Sortis 10 mg pro Tag, um meinen Cholesterinspiegel zu normalisieren. Bisher habe ich mir immer 20 mg Tabletten besorgt und diese recht und schlecht halbiert. Jetzt gibt es ja Generika und da habe ich mir mal die Mühe gemacht die Preise zu vergleichen. Das Pfizergenerik Atorvastatin ist teilbar (im Gegensatz zum gleich teuren Atorvastatin der gleichen Firma). Beim Einkauf von 100 Tabl. a 20 mg würde das für mich Tageskosten von 82 Rappen bedeuten. Wenn ich allerdings über die Grenze nach Deutschland gehe und dort Atorvastatin Hexal 100 Tabl. a 40 mg (diese kann man vierteln) kaufe, bedeutet dies für mich Tageskosten von 8,37 EuroCent. Damit spare ich im Jahr ca. Fr.260,-. Hochgerechnet auf die ganze Schweiz sollten sich allein bei diesem Medikament bei den Krankenkassenprämien Einsparungen von mehreren Franken pro Jahr realisieren lassen.
Vorsicht: Generika (19. April 2012)
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pharma-kritik, 33/No. 10
PK869
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