Prucaloprid

Prucaloprid (Resolor®) wird zur Behandlung einer chronischen Obstipation angeboten. Das Medikament soll sich in erster Linie für Frauen eignen, bei denen andere Massnahmen (Diät, andere Laxantien) nicht genügend wirken.

Chemie/Pharmakologie

Prucaloprid, ein Benzofuran, wirkt als selektiver Serotoninrezeptor-Agonist mit einer hohen Affinität für 5-HT4-Rezeptoren. In seiner Wirkung, wenn auch nicht in seiner Struktur, gleicht Prucaloprid den 5-HT4-Rezeptoragonisten Cisaprid (Prepulsid®) und Tegaserod (Zelmac®), zwei Medikamenten, die wegen ihrer kardialen Risiken zurückgezogen wurden. Wie die letzteren führt auch das neue Medikament zu einer Beschleunigung des gastro-intestinalen Transits.(1)

Pharmakokinetik

Nach oraler Einnahme von Prucaloprid werden innerhalb von etwa 2 Stunden maximale Plasmaspiegel erreicht. Die biologische Verfügbarkeit beträgt über 90%. Das Medikament wird nur in geringem Ausmass und langsam metabolisiert; der wichtigste Metabolit (R107504) entspricht weniger als 4% der im Urin oder Stuhl nachgewiesenen Dosismenge. Etwa 60% einer Dosis werden unverändert mit dem Urin ausgeschieden; im Stuhl finden sich mindestens 6%, ebenfalls in unveränderter Form. Nach etwa 3 Tagen regelmässiger Verabreichung befinden sich die Plasmaspiegel im Fliessgleichgewicht; die terminale Halbwertszeit beträgt dann zwischen 24 und 30 Stunden.(2) Bei eingeschränkter Nierenfunktion sind erhöhte Plasmaspiegel zu beobachten; beträgt die Kreatininclearance weniger als 25 ml/min, so liegen die Prucaloprid-Plasmakonzentrationen bei 230% der Werte, die sich bei Nierengesunden finden. Auch bei älteren Personen sind um fast 30% höhere Plasmaspiegel als bei jungen Erwachsenen festzustellen.(2) Bei eingeschränkter Leberfunktion wurde das Medikament nicht geprüft.

Klinische Studien

Die Zulassung von Prucaloprid beruht im Wesentlichen auf drei Doppelblindstudien bei insgesamt fast 2000 Erwachsenen, die seit mindestens sechs Monaten wöchentlich höchstens zwei spontane Stuhlgänge hatten.(3-5) Diese Personen hatten zudem bei mindestens 25% der Stuhlgänge harten Stuhl oder das Gefühl, sich stark anstrengen zu müssen bzw. keine vollständige Darmentleerung zu erreichen. Rund 90% der in diesen Studien Behandelten waren Frauen. Personen mit sekundärer Obstipation (z.B. als Folge endokriner Erkrankungen oder medikamentös verursacht) wurden ausgeschlossen.

Nach einer initialen Phase von 2 Wochen ohne Medikamente erhielten sie während 12 Wochen Placebo oder Prucaloprid in einer Dosis von 2 oder 4 mg/Tag.  Abführende Mittel – Bisacodyl (Dulcolax® Bisacodyl u.a.), allenfalls Einläufe – waren nur erlaubt, wenn jemand länger als 2 Tage keinen Stuhl hatte. Die Beteiligten waren gehalten, ihre Stuhlgänge in einem Tagebuch aufzuzeichnen. Der primäre Studienendpunkt entsprach der Zahl von Behandelten, die durchschnittlich mindestens drei spontane Stuhlgänge pro Woche hatten, über die ganze Studiendauer gerechnet. Untersucht wurde auch, wieviele Personen gegenüber dem Anfang mindestens einen Stuhl mehr pro Woche hatten. Verschiedene Fragebögen dienten einer ergänzenden Beurteilung der Zufriedenheit und der Lebensqualität. Die Resultate der drei Doppelblindstudien weichen nicht entscheidend voneinander ab und zwischen der 2-mg-Dosis und der 4-mg-Dosis ergaben sich keine nennenswerten Unterschiede.(6) Das angestrebte Therapieziel – drei spontane Stuhlgänge wöchentlich – wurde mit der aktiven Behandlung nur bei 20 bis 30% der Behandelten erreicht, allerdings statistisch signifikant mehr als mit einer Placebotherapie (bei etwa 10%). Mit anderen Worten: um bei einer Person diese Verbesserung zu erreichen, müssen ungefähr 7 Personen mit Prucaloprid statt mit Placebo behandelt werden («Number Needed to Treat», NNT). Von den aktiv Behandelten hielten etwa 35% die Behandlung subjektiv für wirksam; in der Placebogruppe traf dies auf knapp 20% zu. Immerhin war der Bedarf für zusätzliche abführende Mittel in den aktiv behandelten Gruppen nur etwa halb so gross wie unter Placebo.(6) Ob Prucaloprid bei Männern wirksamer ist als Placebo, lässt sich aufgrund der bisher vorliegenden Daten nicht sicher feststellen.(7)

In einer nur 4 Wochen dauernden Doppelblindstudie wurde Prucaloprid bei 300 Personen (70% Frauen) mit chronischer Obstipation im Alter über 65 mit Placebo verglichen.(8) Prucaloprid wurde in einer Tagesdosis von 1, 2 oder 4 mg verabreicht. Die Endpunkte (nach 4 Wochen) waren analog definiert wie in den beschriebenen längeren Studien. Unter Prucaloprid waren die Stuhlgänge häufiger als unter Placebo, wobei die 1-mg-Dosis mindestens so wirksam war wie die höheren Dosen. Bezüglich des primären Endpunktes (mehr als drei spontane Stuhlgänge wöchentlich) konnte jedoch für keine der Prucaloprid-Dosierungen ein statistisch signifikanter Unterschied zu Placebo errechnet werden. Der Prozentsatz von Behandelten, die die aktive Therapie für subjektiv wirksam ansahen, war ähnlich gross wie in den grösseren Studien (um 35%).(8)

Gemäss einer Übersicht wurden noch mehrere weitere Doppelblindstudien durchgeführt,(6) die jedoch bisher nicht veröffentlicht sind. Resultate von Studien, in denen Prucaloprid mit anderen aktiven Substanzen verglichen worden wäre, liegen nicht vor.

1455 Personen (90% Frauen), die in einer der beschriebenen Doppelblindstudien behandelt worden waren, ergriffen die Möglichkeit, in einer offenen Anschlussstudie weiter Prucaloprid einzunehmen. Sie erhielten das Medikament bis zu 18 Monate lang; die meisten beurteilten die Behandlung während dieser Zeit als subjektiv ähnlich wirksam wie am Ende der Doppelblindstudien.(9)

Unerwünschte Wirkungen

In den erwähnten Studien trat im Zusammenhang mit dem Medikament («treatment emergent») bei rund 45% der mit Prucaloprid Behandelten mindestens eine unerwünschte Wirkung auf; unter Placebo betrug die entsprechende Zahl lediglich 27%.  Vorwiegend zu Beginn der Behandlung werden unter Prucaloprid am häufigsten Kopfschmerzen, Brechreiz, Durchfall und Bauchschmerzen – je bei etwa 25% der Behandelten – beobachtet. Unerwünschte Wirkungen, die zum Abbruch der Therapie führten, traten unter der 2-mg-Tagesdosis von Prucaloprid bei 5,9%, unter Placebo bei 3,6% auf.

Hohe bis sehr hohe Prucaloprid-Dosen führen in bestimmten Tierversuchen zu einem Blutdruck- und Herzfrequenzanstieg, einer Verlängerung des QT-Intervalls oder einer Hyperprolaktinämie. Bei Untersuchungen einer möglichen Karzinogenese wurden Ratten verschiedene Tumoren, insbesondere Adenome der Leber und der Schilddrüse gefunden.(7) In den klinischen Studien ergaben sich aber keine Anhaltspunkte für eine Häufung von Krebsfällen. Kardiovaskuläre Ischämien traten in den Doppelblindstudien unter Prucaloprid bei 0,2%, unter Placebo bei 0,1% auf. Zur Frage des Arrhythmie-Potentials erhielten 120 gesunde Versuchspersonen für zwei Wochen täglich 2 oder 10 mg Prucaloprid. Das Medikament führte weder in der üblichen noch in der hohen Dosis zu einer relevanten QT-Verlängerung, jedoch zu einer leichten Zunahme der Herzfrequenz.(10) Ob Prucaloprid auch beim Menschen zu einer Hyperprolaktinämie führen kann, ist nicht genau untersucht. In den klinischen Studien traten Spontanaborte auf; es ist bisher nicht geklärt, ob ein Zusammenhang mit dem Medikament besteht.

Die europäischen Arzeimittelbehörden (EMA) kamen zum Schluss, die vorliegenden Daten genügten, um die Verträglichkeit der maximalen Tagesdosis (2 mg) zu dokumentieren. Da aber ein Zusammenhang zwischen Prucaloprid und ischämischen Ereignissen nicht definitiv ausgeschlossen werden kann, empfehlen sie entsprechende Wachsamkeit. (In den USA ist Prucaloprid bisher nicht zugelassen.)

Interaktionen

Man kann aufgrund von Untersuchungen mit Ketaconazol (Nizoral®) vermuten, dass starke Hemmer von  CYP3A4 und von P-Glykoprotein zu einem deutlichen Anstieg der Prucaloprid-Spiegel führen können. Weitere Interaktionen, z.B. mit Anticholinergika, sind denkbar, jedoch nicht ge­nauer untersucht.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Prucaloprid (Resolor®) ist als Filmtabletten zu 1 und zu 2 mg erhältlich. Das Präparat ist limitiert kassenzulässig. Die empfohlene Dosis beträgt 1 mg/Tag; bis zum Alter von 65 kann die Dosis nach Bedarf verdoppelt werden. Es ist zur Behandlung der idiopathischen Obstipation zugelassen, wenn «die bisherige Therapie mit diätetischen Massnahmen und Laxantien nicht ausreichend wirksam» ist. In der Schweiz wird zwar erwähnt, dass Wirksamkeit und Verträglichkeit bei Männern nicht genügend dokumentiert sind. Die Verwendung bei Männern wird jedoch nicht expressis verbis ausgeschlossen. Nicht angewendet werden soll Prucaloprid bei Kindern, Jugendlichen, schwangeren und stillenden Frauen sowie bei Personen mit deutlich eingeschränkter Leber- oder Nierenfunktion. Weitere Kontraindikationen sind entzündliche Darmkrankheiten und obstruierende Darmveränderungen. Bei einer Tagesdosis von 1 mg kostet Prucaloprid knapp 72 Franken monatlich. Andere Laxantien sind wesentlich billiger; z.B. kostet die Behandlung mit einer üblichen Macrogol-3350-Dosis unter Verwendung von Molaxole® weniger als 20 Franken monatlich.

Kommentar

Prucaloprid hat bei hartnäckiger Verstopfung die bessere abführende Wirkung als ein Placebo. Weshalb kann dieses Mittel zur Zeit dennoch nicht zur Anwendung empfohlen werden? Für eine negative Beurteilung sprechen namentlich zwei Gründe: 1. Der Stellenwert dieses neuen Mittels im Vergleich mit anderen Laxantien ist völlig unklar. Nicht nur sind bisher keine kontrollierten Vergleiche bekannt; man weiss nicht einmal, ob in den vorliegenden Studien vor der Anwendung von Prucaloprid tatsächlich andere medikamentöse Optionen optimal eingesetzt worden sind – die Anwendung von Laxantien war kein verbindliches Aufnahmekriterium. 2. Obwohl die aktuell vorhandenen Daten keine Anhaltspunkte ergeben, dass den vielfältigen Bedenken (kardiovaskuläre Probleme, Hyperprolaktinämie, Tumoren) wirklich klinische Relevanz zukommt, sind die Bedenken auch noch nicht definitiv ausgeräumt. In Anbetracht der Erfahrungen mit anderen 5-HT4-Rezeptoragonisten muss gefordert werden, dass zunächst auch die langfristige Verträglichkeit von Prucaloprid umfassend gesichert wird.

Standpunkte und Meinungen

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Prucaloprid (2. März 2012)
Copyright © 2024 Infomed-Verlags-AG
pharma-kritik, 33/No. 8/9
PK865
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