Prostatakarzinom unter Vitamin E gehäuft
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 33
, Nummer 5, PK852
Redaktionsschluss: 12. Dezember 2011
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2011.852 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Im Oktober 2011 sind die neuesten Resultate der sogen. SELECT-Studie veröffentlicht worden. Die SELECT-Studie ist eine sehr grosse Studie, in der geprüft wurde, ob unter (1) Vitamin E, (2) Selen oder (3) beiden Mittel zusammen weniger Prostatakarzinome aufträten als unter (4) Placebo. Über 35'000 Männer über 50 erhielten in vier ungefähr gleich grossen Gruppen randomisiert eine dieser Behandlungen. Die Tagesdosis von Vitamin E (DL-alpha-Tocopherol) betrug 400 IE, von Selen 200 mcg. Nach einer medianen Studiendauer von 5½ Jahren wurde die Einnahme aller Mittel abgebrochen, da zu dieser Zeit (2008) offensichtlich geworden war, dass das vermutete (vorteilhafte) Resultat auch bei längerer Verabreichung nicht erreicht werden könnte. Zu jener Zeit konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen den verschiedenen Behandlungsgruppen festgestellt werden.(1)
Die nun publizierten längerfristigen Resultate zeigen ein signifikant erhöhtes Prostatakrebs-Risiko für Männer, die Vitamin E allein erhalten haben: Bei den Männern der Placebogruppe (n=8'896) traten 529 Fälle von Prostatakarzinom auf, bei den Männern der Vitamin-E-Gruppe (n=8'737) dagegen 620. Auch diejenigen, die mit Selen allein oder mit der Vitamin-E-Selen-Kombination behandelt worden waren, hatten mehr Prostatakarzinome als die nicht aktiv Behandelten, für diese Gruppen war der Unterschied jedoch nicht signifikant.(2)
Kommentar
Die Resultate der SELECT-Studie stehen in offensichtlichem Gegensatz zu denjenigen der ähnlich grossen ATBC-Studie, in der sich die Inzidenz des Prostatakarzinoms unter Vitamin E signifikant reduziert fand.(3) Aber lassen sich die beiden Studien überhaupt vergleichen? In der ATBC-Studie wurden finnische Raucher mit einer wesentlich kleineren Vitamin-E-Dosis (110 IE/Tag) als in der nun vorliegenden neuen Studie behandelt. Besonders frappant ist jedoch der Unterschied in der Krebsinzidenz: In der finnischen Studie wurden während einer ähnlich langen Beobachtungszeit in allen Gruppen rund zehnmal weniger Prostatakarzinome beobachtet – z.B. nur 43 Fälle bei 7300 Männern unter Vitamin E bzw. 67 Fälle bei 7300 Männern unter Placebo. Zwar waren die Teilnehmer in der SELECT-Studie durchschnittlich 5 Jahre älter als in der ATBC-Studie. Ob dies aber genügt, um den enormen Unterschied bei der Krebsinzidenz zu erklären? Meine Schlussfolgerung lautet jedenfalls, ein Nutzen oder ein Schaden von Vitamin E sei nicht klar erwiesen. Ob es je eine sinnvolle «Chemoprophylaxe» von Alterskrankheiten geben wird, darf wohl zu Recht bezweifelt werden.
Standpunkte und Meinungen
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