Generika: ein Trauerspiel

ceterum censeo

Generika: ein Trauerspiel

Vor wenigen Jahren kostete eine 20-mg-Tagesdosis von Omeprazol in Form von Antra® zwischen CHF 5.80 und 7.50 (je nach Packungsgrösse). Seither ist der Preis etwas heruntergekommen und die Herstellerin des Originalpräparates verkauft heute nur noch die speziell aufbereitete Form von Omeprazol («multiple unit pellet system» = MUPS).

Jetzt, im Sommer 2003, kommen Omeprazol-Generika auf den Markt und die entsprechenden 20-mg-Preise betragen bei den meisten Anbietern nur noch 2 bis 3 Franken. Unterdessen hat sich jedoch Astra-Zeneca, die bisher das Omeprazol-Monopol besass, etwas einfallen lassen. Esomeprazol, das linksdrehende Enantiomer von Omeprazol, das mg für mg wahrscheinlich etwas wirksamer ist als das Razemat Omeprazol, wurde unter dem Namen Nexium® ebenfalls als MUPS auf den Markt gebracht. Der Clou der Sache: Nexium® ist – obwohl wahrscheinlich etwas wirksamer – deutlich billiger als Antramups® und lässt sich wie das letztere, aber im Gegensatz zu «gewöhnlichen » Omeprazol-Kapseln, problemlos in zwei gleiche Stücke teilen.

So stehen wir jetzt vor der Tatsache, dass es der Originalherstellerin gelungen ist, durch geschickten Einsatz eines fragwürdigen Patentrechts nicht nur den «neuesten», sondern auch den kostengünstigsten Protonenpumpenhemmer anzubieten. Bei Verwendung einer 56er Packung kostet eine halbe 40-mg-MUPS-Tablette nämlich nur gerade CHF 1.77! Leider habe ich gewisse Zweifel, ob diese Zahlen bewirken können, dass nicht mehr jedes zweite oder dritte Rezept bei Spitalaustritt die stereotype Verordnung «Antramups® 20 mg täglich» enthält. (Die entsprechenden Tageskosten betragen auch heute noch mehr als 4 Franken.) Wem bei dieser Rechnerei schwindelig wird, kann getröstet werden: es handelt sich zweifellos um eine erwünschte Nebenwirkung.

Seit ich das letzte Mal in dieser Zeitschrift über Generika geschrieben habe, ist nicht nur Omeprazol, sondern eine ganze Reihe anderer nützlicher Medikamente aus dem Patentschutz entlassen worden. Vielleicht lohnt es sich, diese neu als Generika erhältlichen Substanzen aufzuzählen.

Unter den an Herz und Kreislauf wirksamen Medikamenten sind Amiodaron (Original: Cordarone®), Bisoprolol (Original: Concor®) und Indapamid (Original: Fludex® SR) in kostengünstigeren Varianten auf den Markt gekommen. Auch Metformin (Original: Glucophage®), das Biguanid- Antidiabetikum, ist jetzt als Generikum erhältlich. Die Herstellerin des Originalpräparates hat allerdings neu eine 1-g- Tablette herausgebracht, die mit den niedriger dosierten Generika konkurrenzfähig ist (natürlich nur, wenn eine hohe Dosis indiziert ist). Von Bedeutung ist der in der Schweiz beliebte Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Citalopram (Original: Seropram®): auch in diesem Fall lassen sich mit dem Generikum rund 26% der Therapiekosten einsparen.

Wählt man bei Isotretinoin (Original: Roaccutan®) das Generikum richtig, so sind gar Ersparnisse um 30% möglich. Erwähnenswert sind auch Ciprofloxacin (Original: Ciproxin ®) und Ciclosporin (Original: Sandimmun®). Auch vom Budesonid-Nasalspray (Original: Rhinocort®) ist jetzt ein billigeres Ersatzpräparat erhältlich.

Dennoch frage ich mich, ob es denn überhaupt Sinn macht, hier über Generika zu schreiben und ihre Bedeutung hervorzuheben. Zwar «bekennen» sich alle Beteiligten immer wieder zu den Generika und scheinen das relativ hohe Sparpotential erkannt zu haben. Mehr und mehr komme ich aber zur Überzeugung, in der Schweiz sei praktisch niemand an der Realisierung dieses Sparziels interessiert. Woran liegt das?

Das Image des Minderwertigen

Interessierten Kreisen gelingt es auch heute noch, Generika als minderwertig zu charakterisieren. Besonders auffällig war dies im Zusammenhang mit der missratenen Volksinitiative zu den Generika, über die im Jahr 2002 abgestimmt wurde. Gewiss, der Initiativtext war unglücklich formuliert und das Ziel der Initiative übertrieben. Die Abstimmungskampagne wurde aber auch subtil dazu benutzt, beim Stimmvolk den Eindruck zu verbreiten, Generika seien qualitativ eben doch nicht wirklich auf der Höhe. Ich kenne verschiedene Personen, die die Initiative abgelehnt haben, weil sie nicht mit minderwertigen Medikamenten behandelt werden wollen.

Only the best

Zur gleichen Denkweise gehört die Überlegung, dass teurere Arzneimittel doch notwendigerweise die besseren seien. Das leuchtet doch ein? So darf sich die Patientin oder der Patient zu Recht fragen, weshalb sie oder er als Gegenleistung für die ständig steigenden Krankenkassenprämien nicht die besten Medikamente erhalten sollte. Ich bin letztes Jahr allen Ernstes gefragt worden, ob ich allenfalls für meine Angehörigen oder mich selbst auch Generika einsetzen würde, gewissermassen mit der Vermutung, für die Meinen würde ich – Hand aufs Herz – doch nicht so knauserig sein.

Experten wissen es besser

Täglich erhalten Ärztinnen und Ärzte Gratis-Fachzeitschriften, in denen sich Fachleute aller Disziplinen zu therapeutischen Fragen äussern. Über was berichten diese Fachleute? Vorwiegend über den medizinischen Fortschritt – d.h. im therapeutischen Bereich fast nur über Originalpräparate! Nicht selten waren die Fachleute ja an Studien mit Originalpräparaten beteiligt und konnten sich dabei von den Qualitäten dieser Arzneimittel überzeugen. Da die Ärzteschaft natürlich darauf hört, was der bekannte Gastroenterologe X oder der prominente Psychiater Y sagt, wird die Botschaft «(Neue) Originale sind die besten» kontinuierlich fortgepflanzt. Auf die wichtige Rolle der Liaison zwischen Industrie und Meinungsbildnern habe ich schon wiederholt hingewiesen. Wenn es darum geht, den Absatz der Originalpräparate sicherzustellen, ist diese Liaison von enormer Bedeutung.

Rolle der Spitäler

Das Ansehen unserer Spitäler in den Augen der Laien ist nach wie vor ausgezeichnet. Dass sich die meisten Spitäler nach wie vor weigern, im Spital Generika einzusetzen, ist deshalb im Hinblick auf Sparbemühungen im Medikamentenbereich deletär. Wenn wenigstens beim Spitalaustritt generisch verschrieben würde! Wie meine persönlichen Erfahrungen zeigen, ist aber auch hier nichts zu erhoffen. Die jungen Kolleginnen und Kollegen verlassen sich darauf, dass die im Spital verwendeten Mittel schon die richtigen seien und verschreiben ganz selbstverständlich Originalpräparate. Für ihre Vorgesetzten hat die Überprüfung der Verschreibungen beim Austritt offensichtlich eine der niedrigsten Prioritätsstufen.

Finanzielle Konsequenzen

Wenn es wahr ist, dass sich mit einer konsequenten Verwendung von Generika grosse Summen einsparen liessen, so ist auch wahr, dass diese Summen dann in anderen Kassen fehlen würden. Es lässt sich leicht errechnen, dass die Einnahmeeinbusse bei einer Apotheke schnell einmal in den Bereich über 10'000 Franken pro Jahr käme, wenn etwa ein Viertel aller Medikamente als Generika verschrieben würde. Mit anderen Worten: statt mit ständig steigenden Umsätzen (wie in den letzten Jahren) wäre mit einer Stabilisierung der Einnahmen zu rechnen. Auch selbstdispensierende Arztpraxen und Spitäler müssten mit einem entsprechenden Stopp der Wachstumskurve zurechtkommen. Ich halte es nicht für gut, dass diese Fakten bei der Diskussion über Generika immer diskret verschwiegen werden. Aus meiner Sicht sind sie möglicherweise hauptverantwortlich für den geringen Einsatz von Generika in der Schweiz.

Warum gerade ich?

Es stellt sich doch für alle Fachleute, die im Gesundheitswesen Leistungen erbringen, immer wieder auch die Frage: Warum sollte denn gerade ich dazu beitragen, dass sich die Kosten stabilisieren? Sehr leicht lässt sich argumentieren, dass der individuelle Beitrag, der z.B. durch das Verschreiben von Generika geleistet wird, relativ gering ist, gemessen an der enormen allgemeinen Kostensteigerung im Laufe der letzten Jahrzehnte. Dazu kommt, dass sich – vom Preis abgesehen – eigentlich gar nichts gegen Originalpräparate einwenden lässt. Die Indikationen für Originalpräparate und Generika sind normalerweise dieselben, medizinisch ist das Verschreiben der teureren Präparate einwandfrei. Es gibt zwar den ominösen Artikel 32 im schweizerischen Bundesgesetz über die Krankenversicherung, der besagt, die ärztliche Behandlung müsse «wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich » sein. Dieses Prinzip ist jedoch meines Wissens bisher noch nie auf den Entscheid zwischen Original und Generikum angewandt worden.

Wäre es möglich?

Alle wissen es: in vielen Ländern, nicht zuletzt auch in Deutschland, werden weit mehr Generika verschrieben als in der Schweiz. Wenn Generikafirmen – wie z.B. die verschiedenen Novartis-Töchter – florieren, so beruht dies auf der einfachen Tatsache, dass Generika vielerorts, auch jenseits des atlantischen Ozeans, en vogue sind. Selbstverständlich ginge das auch in der Schweiz, ohne dass grosse finanzielle Katastophen über diejenigen hereinbrechen würden, die Medikamente verkaufen. Wie bereits erläutert, helfen gut eingesetzte Generika lediglich mit, die ständige Zunahme der Medikamentenkosten zu bremsen. Es ginge um eine verhältnismässig einfache Massnahme: das Bundesamt für Sozialversicherung müsste den Krankenkassen vorschreiben, für Wirkstoffe, die auch in Form von Generika erhältlich sind, nicht mehr 90%, sondern z.B. höchstens 75% des Preises des Originalpräparates zu vergüten. Generika würden so weiterhin zu 90% entschädigt, da sie ja primär billiger sind. Es lässt sich leicht voraussehen, dass die meisten Versicherten das gleichwertige, aber billigere Generikum vorziehen würden.

Kein politischer Wille

Wie sagt es Morgenstern? Doch wie es kommt so öfter eben ... Ich denke, die Chance, dass die soeben skizzierte (oder eine ähnliche) Lösung realisiert wird, ist klein. Es nützt nicht viel, wenn ich persönlich überzeugt bin, dass wir die Generika brauchen, weil wir auch die teuren Originalpräparate brauchen. Es nützt auch nicht viel, wenn Krankenkassenfachleute zum Rezeptieren von Generika aufrufen. Solange der politische Wille nicht da ist, etwas zu ändern, dürfte die aktuelle Situation mehr oder weniger so bleiben, wie sie ist. Mit anderen Worten: Jahr für Jahr werden auch die Medikamente weiterhin zur Kostensteigerung beitragen. So bildet das etwas absurde Theater um Omeprazol und andere Protonenpumpenhemmer den vorläufig letzten Akt der Schweizer Generika-Story, die sich eigentlich nur als Trauerspiel bezeichnen lässt.

Etzel Gysling

Standpunkte und Meinungen

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Generika: ein Trauerspiel (6. August 2003)
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pharma-kritik, 25/No. 8
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