Eisencarboxymaltose

Eisencarboxymaltose (Ferinject®)  ist ein Eisenkomplex, der zur intravenösen Behandlung von Eisenmangelzuständen empfohlen wird.


 

Chemie/Pharmakologie

Eisen ist essentiell für die Bildung von Hämoglobin und weiteren am Zellstoffwechsel beteiligten Metalloproteinen. Eisen wird über den Magen-Darm-Trakt aufgenommen; die systemische Verfügbarkeit ist allerdings klein und variiert stark. Bei erhöhtem Bedarf an Eisen  ( z.B. im Wachstum, in der Schwangerschaft )  und/oder bei vermehrtem Verlust  ( z.B. bei Menooder Metrorrhagien, gastrointestinalen Blutverlusten )  nehmen die gespeicherten Eisenreserven im Körper ab und es kann zu einem Eisenmangelzustand und einer Eisenmangelanämie kommen.

Eisencarboxymaltose ist ein Komplex, der dreiwertiges Eisenhydroxid enthält, das von einem Saccharidmantel umgeben ist und als kolloidale Lösung intravenös infundiert werden kann. In Abhängigkeit von der Dosis führt die Infusion von Eisencarboxymaltose bei einem Eisenmangelzustand zu einem Anstieg der Transferrin-Sättigung und der Ferritinwerte. Letztere steigen bei höheren Dosen auf übernormale Werte an. Bei einer Eisenmangelanämie wird durch das Auffüllen der Eisenspeicher die Hämoglobinsynthese verbessert.(1)

Pharmakokinetik

Wenn Eisencarboxymaltose intravenös verabreicht wird, kann der Eisenkomplex je nach Höhe der Dosis bis zu 72 Stunden nach einer Einzeldosis im Plasma nachgewiesen werden. Seine Plasmahalbwertszeit beträgt nach Angaben der Herstellerfirma 7 bis 12 Stunden. Ein kleinerer Teil des verabreichten Eisens wird ausgeschieden, der Hauptteil aber als Eisenionen freigesetzt und schliesslich von den Zellen des retikulo-endothelialen Systems aufgenommen. Die Serum-Eisenkonzentration steigt rasch an. In einer Studie bei Personen mit einem leichten Eisenmangel, die Einzeldosen von 100, 500, 800 und 1000 mg erhielten, wurde bei einer Dosis von 100 mg ein Spitzenwert von 37 mcg/ml nach 30 Minuten, bei 1000 mg ein Spitzenwert von 331 mcg/ml nach etwa 1 Stunde erreicht. Die Transferrinsättigung steigt ebenfalls in Abhängigkeit von der Dosis an, Maximalwerte werden nach etwa 24 Stunden gemessen. Maximale Ferritinwerte werden nach einer Dosis von 100 mg nach 48 Stunden, nach höheren Dosen nach etwa 120 Stunden erreicht.(2)

Klinische Studien

Im Rahmen von randomisierten Studien wurden Personen mit manifestem oder latentem Eisenmangel verschiedener Genese mit Eisencarboxymaltose behandelt. Verglichen wurde die intravenöse Behandlung meistens mit einer oralen Eisenbehandlung. Die meisten Studien wurden offen geführt, was ihre Aussagekraft bezüglich subjektiver Endpunkte wie Müdigkeit erheblich einschränkt. Gemäss den Daten, die von der amerikanischen Arzneimittelbehörde veröffentlicht wurden, wurde Eisencarboxymaltose in einzelnen Studien auch mit der intravenösen Gabe von Eisensaccharose (Venofer®)  verglichen. Diese Studien wurden aber offenbar bisher nicht in vollem Umfang veröffentlicht.(3)

In einer Studie wurden 477 Frauen mit einer Eisenmangelanämie bei schweren Uterusblutungen untersucht. Einschlusskriterien waren ein durchschnittlicher Hämoglobinwert von höchstens 11 g/dl, eine Transferrinsättigung von höchstens 25% und ein Ferritinwert von höchstens 100 mcg/l. Nach dem Zufall erhielten sie entweder ein orales Eisenpräparat  (dreimal täglich 325 mg Fe als Eisensulfat)  oder Eisencarboxymaltose. Die intravenös zu verabreichende Gesamt-Eisendosis wurde gemäss der Ganzoni-Formel berechnet  (siehe Kästchen auf Seite 29) . Die maximale Gesamtdosis betrug 2500 mg, die Verabreichung erfolgte in wöchentlichen intravenösen Infusionen bis zu maximal 1000 mg. Unter dieser Behandlung stieg das Hämoglobin schneller an als unter oraler Eisengabe: In 6 Wochen war bei 82% gegenüber 62% der Frauen das Hämoglobin um mindestens 2 g/dl angestiegen; bei 73% gegenüber 50% wurde ein Hämoglobinwert von mindestens 12 g/dl erreicht. Die Ferritinwerte stiegen häufig auf übernormale Werte, während sie in der oral behandelten Gruppe meist im tiefnormalen Bereich blieben. Die Transferrinsättigung stieg hingegen in beiden Gruppen in vergleichbarem Ausmass an.(4)

Ähnlich war das Design von drei offen geführten randomisierten Studien bei Frauen mit einer postpartalen Anämie. Für die Dosierung von Eisencarboxymaltose wurde ebenfalls die Formel nach Ganzoni benutzt, wobei das Gewicht vor der Schwangerschaft als Referenz diente. In den Kontrollgruppen wurde ebenfalls Eisensulfat  (dreimal täglich 325 mg per os) verwendet. In die grösste dieser Studien wurden 361 Frauen innerhalb von 10 Tagen nach der Geburt aufgenommen. Ihr Hämoglobinwert betrug bei Aufnahme durchschnittlich 9 g/dl. Einen Anstieg um mindestens 2 g/dl wurde in der intravenös behandelten Gruppe nach durchschnittlich 7 Tagen, in der oral behandelten nach 14 Tagen erreicht. Nach 6 Wochen hatten die oral Behandelten aufgeholt: bei jeweils mehr als 90% war es zu einem Anstieg um mindestens 2 g/dl gekommen. Allerdings hatten zu diesem Zeitpunkt mehr intravenös Behandelte einen Hämoglobinwert über 12 g/dl erreicht  (91% gegenüber 69%).(5)

200 Personen mit einer Eisenmangelanämie bei einer entzündlichen Darmkrankheit wurden in einer ebenfalls offen geführten Studie untersucht. Sie wurden im Verhältnis von 2:1 einer intravenösen Behandlung mit Eisencarboxymaltose  ( Dosierung wie in den vorgängig zitierten Studien )  oder einer oralen Behandlung mit Eisensulfat  ( zweimal täglich 100 mg Fe )  zugeteilt. Nach 12 Wochen waren die Hämoglobinwerte in beiden Gruppen in einem ähnlichen Ausmass angestiegen. Während der ersten 4 Wochen war der Anstieg in der Eisencarboxymaltosegruppe schneller erfolgt.(6)

Ähnlich fielen auch die Resultate bei Personen mit einer chronischen Niereninsuffizienz, einem Eisenmangel und einer Anämie aus. Bei 255 nicht-dialysepflichtigen Personen mit einer glomerulären Filtrationsrate von höchstens 45 ml/min, einem Hämoglobin von höchstens 11 g/dl und einer Trasferrinsättigung von höchstens 25% stiegen die Hämoglobinwerte innerhalb von 8 Wochen stärker an, wenn sie Eisencarboxymaltose intravenös anstatt Eisensulfat oral erhielten. Bei 60% gegenüber 35% stieg das Hämoglobin um mindestens 1 g/dl an.(7)

In der placebokontrollierten FAIR-HF-Studie wurde der symptomatische Nutzen einer intravenösen Eisenbehandlung bei 459 Personen mit einer Herzinsuffizienz und einem Eisenmangel untersucht. Aufnahmekriterien waren eine Herzinsuffizienz NYHA II bei einer linksventrikulären Auswurfsfraktion von höchstens 40% oder eine Herzinsuffizenz NYHA III bei einer Auswurffraktion von höchstens 45%. Ausserdem musste entweder ein Ferritinwert von weniger als 100 mcg/l oder eine Transferrinsättigung von weniger als 20% vorliegen. Der Hämoglobinwert durfte nicht weniger als 9,5 und nicht mehr als 13,5 g/dl betragen. Nach dem Zufall erhielten zwei Drittel der Untersuchten wöchentlich einen Bolus Eisencarboxymaltose mit 200 mg Fe oder eine Salzlösung injiziert. Die Behandelten und die Auswertenden  ( nicht aber diejenigen, die die Injektionen verabreichten )  waren für die Behandlung verblindet. Die Behandlung wurde weitergeführt bis zum Erreichen einer Gesamt-Eisendosis gemäss Ganzoni-Formel oder bis zu einem Hämoglobinwert von 16 g/dl. Die Hämoglobin- und Ferritinwerte stiegen in der Eisengruppe signifikant an. Nach 24 Wochen berichteten 50% in der Eisengruppe über eine mindestens mittelstarke Besserung ihres Allgemeinzustandes gegenüber 28% in der Placebogruppe. Auch hatten sich unter der Eisentherapie mehr Personen bezüglich ihrer NYHA-Klasse verbessert  ( Unterschiede signifikant ) . Dieses Resultat war in den Subgruppen mit oder ohne Anämie vergleichbar.

Unerwünschte Wirkungen

Eisenpräpate können bei intravenöser Verabreichung teilweise heftige Unverträglichkeitsreaktionen auslösen. In den kontrollierten Studien mit Eisencarboxymaltose wurden bei etwa 2 bis 5% leichtere Hautreaktionen wie Rötungen oder Juckreiz beobachtet. Schwerere Reaktionen während oder kurz nach der Verabreichung scheinen aber selten zu sein und wurden in den Studien praktisch nicht beobachtet.

Häufiger zu beobachtende unerwünschte Wirkungen sind Kopf- und Bauchschmerzen, Übelkeit, Verstopfung und andere Magen-Darm-Beschwerden sowie lokale Reaktionen an der Injektions- oder Infusionsstelle. Magen-Darm-Probleme waren allerdings in den Studien signifikant seltener als unter oralen Eisenpräparaten. Wie bei anderen Eisenpräparaten führt eine paravenöse Injektion zu einer in der Regel bleibenden Hautverfärbung im Bereich des Extravasates.

In ihrer klinischen Bedeutung nicht völlig geklärt sind Hypophosphatämien, die fast regelmässig nach der Gabe grösserer Dosen Eisencarboxymaltose aufzutreten pflegen. Vermutlich ist die Zunahme der Phosphatausscheidung im Urin der Grund dafür. In einer Studie bei Frauen mit blutungsbedingten Eisenmangelanämien wurde beispielsweise bei 70% der Behandelten ein Abfall des Phosphatspiegels unter 0,65 mmol/l  (Normwerte 0,8 bis 1,4 mmol/l)  gemessen; der tiefste Wert betrug 0,3 mmol/l. Die Abnahme der Phosphatspiegel scheint unabhängig von Störungen des Kalziumstoffwechsels aufzutreten und in der Regel keine Symptome zu verursachen.(4)
In einem neueren Fallbericht wurde aber eine lebensbedrohliche Hypophosphatämie bei einer 42-jährigen Frau mit einem Nierentransplantat publik, die wegen allgemeiner Schwäche ins Spital aufgenommen wurde. Nach mehreren Eisencarboxymaltose-Infusionen war ihr Phosphatspiegel auf 0,16 mmol/l gesunken.(9)

Es wird diskutiert, ob Hypophosphatämien das Risiko für kardiale Ereignisse erhöhen. In den Studien mit Eisencarboxymaltose wurde zwar kein signifikant erhöhtes Sterberisiko nachgewiesen, allerdings fiel der amerikanischen Arzneimittelbehörde  (FDA)  in den Vergleichsstudien ein Überwiegen von Todesfällen in den Eisencarboxymaltose-Gruppen auf. In den randomisierten Studien stand 5 Todesfällen unter dem Präparat lediglich 1 Todesfall unter einer Vergleichsbehandlung gegenüber  (Sterberisiko von 0,4% gegenüber 0,1%) . Auch kardiale Ereignisse waren häufiger unter Eisencarboxymaltose als unter oraler Eisentherapie (1,1% gegenüber 0,4%) .(3) Diese im Expertenbericht als «Sicherheitssignal» gewerteten Zahlen waren der Hauptgrund, weshalb die FDA dem EisencarboxymaltosePräparat die Zulassung für die USA verweigerte.(10)

Interaktionen

Eine parenterale Eisentherapie führt zu einer verminderten Aufnahme von gleichzeitig eingenommenen oralen Eisenpräparaten aus dem Magen-Darm-Trakt. Andere pharmakokinetische Interaktionen sind nicht bekannt.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Eisencarboxymaltose (Ferinject®)  ist als braunrote Lösung mit einem Gehalt von 50 mg Fe/ml in Ampullen zu 2 ml  (100 mg Fe)  und 10 ml  (500 mg Fe)  erhältlich. Das Medikament ist zugelassen zur Behandlung von Eisenmangelzuständen bei Personen, «bei welchen eine orale Eisentherapie ungenügend wirksam, unwirksam oder nicht durchführbar ist». Es ist krankenkassenpflichtig.

Die Verabreichung soll streng intravenös erfolgen, entweder unverdünnt als Bolus  (bis zu maximal dreimal pro Woche 200 mg Fe pro Dosis) oder als Infusion in einer 0,9-prozentigen NaCl-Lösung verdünnt  (bis zu maximal einmal pro Woche 1000 mg Fe bzw. 15 mg Fe/kg Körpergewicht) . 

Die kumulative Gesamtdosis gemäss der Ganzoni-Formel soll nicht überschritten werden.

Eine Einzeldosis von 800 mg Fe  (maximale Einzeldosis für eine 55 kg schwere Patientin)  kostet CHF 283.60. Dazu kommen die Kosten für Konsultation, Infusion und Überwachung. In der gleichen Dosierung kostet das andere in der Schweiz erhältliche intravenöse Eisenpräparat (Venofer®)  CHF 232.10. Da dessen maximale Einzeldosis geringer ist, würden für die gleiche Dosis vier Konsultationen für vier Injektionen oder zwei für Infusionen von je 3,5 Stunden Dauer nötig. Viel günstiger sind demgegenüber orale Eisenpräparate, bei denen eine dreimonatige Behandlung in einer üblichen Dosis etwa CHF 30.- kostet.

Kommentar

Eisencarboxymaltose ist zweifellos ein wirksames Mittel zur Behandlung einer Eisenmangelanämie. Vermutlich trifft auch zu, dass Überempfindlichkeitsreaktionen bei der Verabreichung seltener sind als bei anderen parenteralen Eisenpräparaten (leider wurden direkte Vergleichsstudien aber bisher nicht veröffentlicht). Mit Eisencarboxymaltose lassen sich Eisenmangelanämien schneller korrigieren als mit oralen Eisenpräparaten, letztere verursachen ausserdem häufiger MagenDarm-Beschwerden. Rechtfertigen diese Vorteile aber den heute zu beobachtenden Boom von parenteralen Eisenbehandlungen in der Schweiz? Wir glauben nicht und mahnen zur Zurückhaltung: Erstens ist der symptomatische Nutzen von Eisentherapien bei Eisenmangelzuständen ohne Anämie schlecht belegt. Gemäss einem Medienbericht spricht eine am Universitätsspital Zürich durchgeführte Studie dafür, dass ein grosser Teil des symptomatischen Nutzens von Eiseninfusionen als Placeboeffekt zu taxieren ist.(11) Zweitens ist eine parenterale Eisentherapie mit ein oder zwei Infusionen zwar für die Behandelten bequemer als eine mehrwöchige orale. Es ist aber aufgrund der Studienergebnisse durchaus denkbar, dass dieser Komfortgewinn mit einem erhöhten Risiko für kardiale Ereignisse und einem höheren Sterberisiko erkauft wird. Und drittens sind die Kostenfolgen einer «grosszügigen» Indikationsstellung für parenterale Eisentherapien enorm.

Standpunkte und Meinungen

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Eisencarboxymaltose (7. Februar 2011)
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pharma-kritik, 32/No. 8
PK772
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