Nebenwirkungen aktuell

SIBUTRAMIN

Sibutramin wirkt als Appetitzügler, indem es die Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin im Hypothalamus hemmt und so das Sättigungsgefühl steigert. Die durchschnittliche Gewichtsabnahme, die man mit einer mindestens einjährigen Sibutramin-Behandlung erwarten kann, beträgt im Vergleich zu Placebo zusätzliche 4 bis 5 kg
Einen Überblick zu Sibutramin liefern:
Gysling E. pharma-kritik 1998; 20: 29-32
Rucker D et al. BMJ 2007; 335: 1194-9 [Medline]
Tziomalos K et al. Vasc Health Risk Manag 2009; 5: 441-52 [Medline]
Markenname: Sibutramin = Reductil®

QT-Verlängerung und Herzstillstand

Eine 40-jährige Frau, die seit gut dreieinhalb Wochen Sibutramin einnahm, wurde bewusstlos aufgefunden. Nach der Überführung auf die Notfallstation wies man ein Vorhofflimmern mit einer Kammerfrequenz von 80/min nach. Nachdem das Vorhofflimmern spontan in einen Sinusrhythmus gewechselt hatte, stellte sich eine deutliche QT-Verlängerung heraus (QTc Zeit = 0,60 s). Laborwerte, Echokardiographie und Koronarangiographie ergaben keine pathologischen Befunde. Die retrospektive Analyse eines Monate zuvor angefertigten EKG zeigte, dass bereits damals eine leichte QTc Verlängerung von 0,50 s vorhanden war. Der Verdacht auf eine hereditäre QT-Verlängerung («long QT syndrome») bestätigte sich, indem man eine Mutation des KCNQ1-Gens feststellte (das einen kardialen Kaliumkanal codiert). Man implantierte einen intrakardialen Defibrillator und begann eine Behandlung mit einem Betablocker. Bei der Kontrolle zwei Jahre später war die QTc Zeit mit 0,44 s normal. Das Problem scheint auch bei anderen mit Sibutramin behandelten Personen aufgetreten zu sein: In der neuseeländischen Datenbank stiess man auf fünf Fälle von Palpitationen und synkopalen Ereignissen, und in der WHO-Datenbank auf drei Fälle einer QT-Verlängerung und einen Fall einer tödlichen «Torsade de pointes»- Kammertachykardie (wobei in diesem Fall neben Sibutramin auch Cisaprid verwendet worden war).

Harrison-Woolrych M et al. Br J Clin Pharmacol 2006; 61: 464-9 [Medline]

Eine 51-jährige Frau, seit 4 Monaten mit Sibutramin behandelt, kollabierte, nachdem sie über Hitzegefühl und Unwohlsein geklagt hatte. Man stellte ein Kammerflimmern fest, das nach Kardioversion in einen langsamen AV Knoten-Rhythmus umschlug. Beim Eintreffen auf der Notfallstation fand man im EKG eine Sinustachykardie und eine QTc Verlängerung (545 ms), jedoch keine Ischämiezeichen. Der Blutdruck betrug 180/100 mmHg; Elektrolytwerte und Nierenfunktion lagen im Normbereich, der Troponinspiegel war geringgradig erhöht (0,07 mcg/l). Die am nächsten Tag angefertigte Echokardiographie ergab eine leichte linksventrikuläre Hypertrophie mit normaler systolischer Funktion und ohne Klappendysfunktion. Das EKG zeigte weiterhin einen Sinusrhythmus ohne ischämische Veränderungen; die QTc Zeit hatte sich unterdessen normalisiert. Auch die folgenden kardialen Abklärungen (inkl. Koronarangiographie) lieferten keinen Hinweis auf eine relevante Herzerkrankung. Zwei Jahre nach dem Ereignis wies die Patientin noch neurologische Residuen auf, war aber von kardialer Seite her in einem guten Zustand.

Ernest D et al. Ann Pharmacother 2008; 42: 1514-7 [Medline]

Aufhebung der Zulassung wegen erhöhtem Herzinfarkt- und Schlaganfall-Risiko

Vor einigen Jahren wurde die SCOUT-Studie («Sibutramine Cardiovascular Outcomes») gestartet, die als Auflage der europäischen Arzneimittelbehörde mit der Zulassung verbunden worden war. Knapp 10'000 übergewichtige Personen, bei denen eine kardiovaskuläre Erkrankung oder ein Typ 2-Diabetes bestand und die zusätzliche Risikofaktoren (Hypertonie, Nikotinabusus u.a.) aufwiesen, erhielten doppelblind Sibutramin oder Placebo. Nach einer bis zu sechs Jahren dauernden Beobachtungszeit war der primäre Endpunkt - die Kombination von nicht-tödlichem Herzinfarkt, nicht-tödlichem Schlaganfall, Reanimation wegen Herzstillstand oder kardiovaskulärem Todesfall - in der Sibutramin-Gruppe bei 11,4% und in der Placebo-Gruppe bei 10,0% eingetroffen. Dieser Unterschied beruhte vor allem auf den nicht-tödlichen Herzinfarkten und Schlaganfällen, die bei Sibutramin häufiger vorkamen. Aufgrund dieser Daten hat die europäische Arzneimittelbehörde im Januar 2010 die Zulassung für Sibutramin entzogen. Swissmedic ist diesem Schritt Ende März 2010 gefolgt.

Williams G. BMJ 2010; 340: c824 [Medline]
Schweizer Informationsschreiben zum Rückzug (März 2010): http://swissmedic-sibutramin.notlong.com

Bereits bei der Einführung von Sibutramin war dessen Blutdruck- und Herzfrequenz-steigernde Wirkung bekannt. Da es offenbar auch arrhythmogene Eigenschaften hat, erstaunt es nicht, dass es die kardiovaskuläre Morbidität erhöht. Einen ersten «Warnschuss» hatte Sibutramin 2002 erfahren, als es in Italien vorübergehend vom Markt genommen wurde. Nun ist dieser Entscheid europaweit und definitiv gefallen. Dass sich damit der letzte Appetitzügler verabschiedet, braucht man nicht zu betrauern. Wie alle Appetitzügler zeichnete sich Sibutramin nicht durch eine eindrucksvolle Wirksamkeit aus und war wegen seiner Kontraindikationen kein Mittel, das sich breit verschreiben liess. (UM)

STATINE

Es ist heute unbestritten, dass Statine (HMG-CoA-Reduktasehemmer) viele bedeutsame kardiovaskuläre Ereignisse (Herzinfarkte, Schlaganfälle usw.) verhüten können. Aber auch die Statine können Probleme verursachen, besonders bei der Interaktion mit anderen Medikamenten.
Aktuelle Übersichten zu den Statinen:
Sharma M et al. Ann Intern Med 2009; 151: 622-30 [Medline]
Brugts JJ et al. BMJ 2009; 338: b2376 [Medline]
O’Regan C et al. Am J Med 2008; 121: 24-33 [Medline]
Markennamen: Atorvastatin = Sortis®, Fluvastatin = Lescol® (und Generika), Pravastatin = Mevalotin®, Selipran® (und Generika), Rosuvastatin = Crestor®, Simvastatin = Zocor® (und Generika).

Myopathie und Rhabdomyolyse

Die amerikanische Arzneimittelbehörde (FDA) hat im März 2010 in einer Warnung darauf hingewiesen, dass Simvastatin in einer Tagesdosis von 80 mg mit einem erhöhten Risiko für eine Myopathie verbunden ist. Sie stützt sich dabei auf eine grosse klinische Studie («Study of the Effectiveness of Additional Reductions in Cholesterol and Homocysteine» - SEARCH), in der eine Tagesdosis von 80 mg Simvastatin mit einer solchen von 20 mg verglichen wurde. Die Resultate dieser Studie wurden im November 2008 am Kongress der «American Heart Association» vorgestellt, liegen jedoch bisher nicht in ausführlicher Form vor. Sie umfasste etwa 12‘000 Personen mit einer Herzinfarkt-Anamnese; ausser Simvastatin wurde auch Folsäure/Vitamin B12 getestet. Während einer Beobachtungszeit von median 6½ Jahren trat bei 52 (knapp 1%) der mit 80 mg/Tag Behandelten eine Myopathie auf, während unter 20 mg/Tag nur gerade ein einziger Fall (0,02%) beobachtet wurde. Bei 11 Personen, die täglich 80 mg Simvastatin erhielten, kam es zu einer Rhabdomyolyse – in der 20-mg-Gruppe wurde keine Rhabdomyolyse beobachtet. Die FDA warnt insbesondere auch vor möglichen Arzneimittel-Interaktionen. Entsprechende Kontraindikationen und Dosislimiten sind in der Tabelle 1 zusammengestellt.

http://www.fda.gov/Drugs/DrugSafety/PostmarketDrugSafetyInformationforPatientsandProviders/ucm204882.htm

Gemäss einer ausführlichen Übersicht lassen Beobachtungsstudien vermuten, dass bis zu 10% der Personen, die mit einem Statin behandelt werden, Muskelschmerzen verspüren. Am häufigsten wird ein Schweregefühl und eine Steifigkeit der Beinmuskeln beschrieben; auch Muskelkrämpfe und Schwäche bei Anstrengungen kommen vor. In kontrollierten Studien war eine eigentliche Myopathie unter Statinen oft kaum häufiger als unter Placebo (wahrscheinlich weil gefährdete Personen primär ausgeschlossen wurden). Da keine einheitliche Definition der Myopathie existiert, ist keine zuverlässige Aussage zur Häufigkeit in der Praxis möglich; eine Rhabdomyolyse ist jedenfalls ein seltenes Ereignis. Der Mechanismus, der der Myopathie zugrundeliegt, ist nicht geklärt. Eine Myopathie kann schon kurz nach Behandlungsbeginn, aber auch erst nach Monaten auftreten. Die wichtigsten Risikofaktoren für die Entstehung einer Statin-Myopathie sind in der Tabelle 2 zusammengestellt. Ältere Leute, die für mehrere Krankheiten behandelt werden müssen, sind besonders gefährdet. Erwähnenswert ist das erhöhte Risiko bei schlanken älteren Frauen, bei intensiv körperlich aktiven Personen und in der perioperativen Periode. Gut dokumentiert ist ferner, dass hohe Statindosen und verschiedene Arzneimittel-Interaktionen das Myopathie-Risiko erhöhen. Drei Statine haben wahrscheinlich ein kleineres Interaktions-Risiko als andere Statine: Pravastatin wird nicht über hepatische Zytochrome metabolisiert; für den Metabolismus von Fluvastatin und Rosuvastatin ist CYP2C9 – das seltener als CYP3A4 von anderen Medikamenten gehemmt wird – hauptverantwortlich.

Es gibt keine einheitlichen Empfehlungen, wie man bei einer Statin-Myalgie oder -Myopathie vorgehen soll. Mit Vorteil erfasst man vor einer Statin-Behandlung die bereits vorhandenen Muskelsymptome und – wenigstens bei gefährdeten Personen – auch den Kreatinkinase-Spiegel. Eine routinemässige Kontrolle der Kreatinkinase ist jedoch nicht angezeigt. Entwickeln sich unter dem Statin starke Muskelbeschwerden, so wird das Medikament am besten abgesetzt. Zur Weiterführung der Behandlung kann ein anderes Statin (am ehesten Fluvastatin, eventuell auch Rosuvastatin) oder allenfalls Ezetimib (Ezetrol®) gegeben werden. Für Ezetimib ist allerdings bisher nicht nachgewiesen, dass es kardiovaskuläre Ereignisse verhüten könnte. Eine weitere Möglichkeit ist, ein relativ langwirkendes Statin wie Rosuvastatin nicht täglich (z.B. nur dreimal wöchentlich) zu verabreichen. Aber auch für dieses Vorgehen fehlt der Nachweis eines klinisch bedeutsamen Nutzens.

Joy TR, Hegele RA. Ann Intern Med 2009; 150: 858-68 [Medline]

Anhaltende Muskelbeschwerden

Es kommt nicht selten vor, dass nach dem Absetzen eines Statins die Muskelsymptome mehrere Monate lang anhal- ten; auch die Kreatinkinase (CPK) kann erhöht bleiben. 52 Personen, die länger als 3 Monate nach dem Absetzen des Medikamentes noch über Muskelschwäche und -schmerzen klagten und Kreatinkinase-Werte über 200 E/L hatten, wur- den elektromyographisch und mit einer Muskelbiospie un- tersucht. Bei 47 ergaben sich normale Befunde und bei der Mehrheit dieser Personen nahmen in der Folge die Be- schwerden (und die CPK-Spiegel) ab. Bei 5 Personen wur- den dagegen sowohl im Elektromyogramm als auch in der Biopsie abnorme Befunde erhoben: bei diesen beruhten die anhaltenden Beschwerden auf einer neuromuskulären Er- krankung (z.B. amyotrophe Lateralsklerose). Es wird emp- fohlen, bei anhaltenden Beschwerden nach dem Absetzen von Statinen primär mittels Elektromyographie nach einer neuromuskulären Erkrankung zu suchen. Nützlich wäre auch die Bestimmung der CPK vor einer Statinbehandlung (was in keinem der hier beschriebenen Fälle durchgeführt worden war).

Echaniz-Laguna A et al. N Engl J Med 2010; 362: 564-5 [Medline]

Interaktion mit Antikoagulantien

Die Daten des Medicaid-Programms in fünf Staaten der USA wurden verwendet, um einen möglichen Zusammen- hang zwischen einer lipidsenkenden Behandlung und gastro- intestinalen Blutungen bei antikoagulierten Personen zu do- kumentieren. ("Medicaid" steht als Krankenversicherung in erster Linie Personen mit geringem Einkommen zur Verfü- gung.) Es wurde eine Fall-Kontroll-Studie zu den Hospita- lisationen wegen Magen-Darm-Blutungen in den Jahren 1999 bis 2003 durchgeführt. Antikoagulierte, die neu mit Gemfibrozil (Gevilon®), Atorvastatin oder Simvastatin be- handelt wurden, hatten ein erhöhtes Risiko, an einer Magen- Darm-Blutung zu erkranken. Die Studienverantwortlichen schliessen, diese drei Medikamente führten über eine Hem- mung von CYP3A4 zu einer verstärkten Antikoagulantien-wirkung. Wurde die lipidsenkende Behandlung mit Pra- vastatin durchgeführt, so fand sich kein erhöhtes Blutungsri- siko.

Schelleman H et al. Am J Med 2010; 123: 151-7 [Medline]

Diabetes gehäuft

Die Frage, ob unter Statinen gehäuft ein Diabetes auftrete, wurde in einer grossen Meta-Analyse untersucht. In diese wurden nur randomisierte Statinstudien aufgenommen, die mindestens 1000 Teilnehmende umfassten und wenigstens 1 Jahr dauerten. 13 Studien mit insgesamt 91'140 Teilneh- menden entsprachen diesen Kriterien. Während der Behand- lung mit einem Statin kam es bei 9% mehr Personen zum Manifestwerden eines Diabetes als bei solchen, die kein Statin erhielten. Es fand sich nur eine geringe Heterogenität zwischen den verschiedenen Studien. In Studien mit älteren Teilnehmenden war das Diabetesrisiko am grössten. Dage- gen konnte kein Zusammenhang mit dem initialen Körper- Massen-Index (BMI) oder mit der Beeinflussung des LDL- Cholesterinwerts gezeigt werden. Die "Number Needed to Harm" betrug 255: so viele Personen mussten während 4 Jahren mit einem Statin behandelt werden, damit 1 zusätzli- cher Fall von Diabetes auftrat. In den Schlussfolgerungen dieser Arbeit wird darauf hingewiesen, dass das Diabetesri- siko nicht in einem Ausmass erhöht sei, welches den Ver- zicht auf die Statinbehandlung rechtfertigen würde.

Sattar N et al. Lancet 2010; 375: 735-42 [Medline]

Neuro-psychiatrische Probleme

Die University of California San Diego suchte über die Medien und das Internet nach Personen, die unerwünschte Wirkungen von Statinen hatten. Von den insgesamt 714 Personen, die sich meldeten, wurde am häufigsten über Muskelprobleme, am zweithäufigsten über kognitive oder Gedächtnis-Störungen berichtet. 171 der Personen mit dem letzteren Problem beantworteten einen speziellen Fragebogen zur Erfassung kognitiver Symptome. 143 hatten wegen dieser Nebenwirkung das Statin abgesetzt und die meisten (128) stellten anschliessend eine Besserung der kognitiven Störung fest, teilweise innerhalb weniger Tage. 29 Personen erhielten später wieder ein Statin; bei 19 davon traten erneut kognitive Probleme auf. Innerhalb dieser Gruppe konnte eine enge Beziehung zwischen der lipidsenkenden Wirksamkeit des Statins und der Auswirkung auf kognitive Funktionen festgestellt werden.

Evans MA, Golomb BA. Pharmacotherapy 2009; 29: 800-11 [Medline]

In einer randomisierten Studie erhielten 80 ältere Leute (Durchschnittsalter 70 Jahre) mit leicht erhöhten Cholesterinwerten für 15 Wochen Simvastatin (maximal 20 mg/Tag) oder Placebo. Die Teilnehmenden führten ein Tagebuch zu ihrer affektiven Stimmung und wurden zudem alle zwei Wochen mittels eines Fragebogens evaluiert. Es ergab sich eine signifikante Beeinträchtigung positiver Stimmungsmerkmale. Bei vier Personen unter Simvastatin und bei einer unter Placebo wurde eine Depression diagnostiziert.

Morales K et al. J Am Geriatr Soc 2006; 54: 70-6 [Medline]

Bei einem 79-jährigen Mann traten nächtliche Albträume auf, nachdem seine Simvastatin-Dosis von 10 auf 40 mg/Tag erhöht worden war. Eine Reduktion der Simvastatin-Dosis auf 20 mg/Tag brachte die Albträume nicht zum Verschwinden. Etwa 2 Monate nach dem Absetzen des Medikamentes wurde ein erneuter Versuch mit Simvastatin gestartet, der zuerst (mit 10 mg/Tag) problemlos verlief. Sobald die Dosis weiter erhöht wurde, kam es aber wieder zu Albträumen. Simvastatin wurde wieder abgesetzt und später Fluvastatin versucht. Dieses führte nach etwa 3 Monaten ebenfalls zu Albträumen. Schliesslich wurden die Statine ganz abgesetzt und durch Ezetimib (Ezetrol®) ersetzt.

Wood RL, Cummins DF. J Pharmacy Pract 2009; 22: 421-5 [Medline]

Erektile Dysfunktion

Innerhalb des französischen Pharmakovigilanz-Systems wurde nach einem Zusammenhang zwischen Statinen und erektiler Dysfunktion gesucht. Von den 4471 spontanen Berichten zu Statin-Nebenwirkungen betrafen 51 (1,1%) eine erektile Dysfunktion, während in den 106‘214 Berichten ohne Statin-Exposition dieses Symptom nur bei 0,4% aller Fälle vorkam. Mit Ausnahme von Fluvastatin und Pravastatin wurden Fälle von erektiler Dysfunktion unter allen Statinen beobachtet.

Do C et al. Drug Saf 2009; 32: 591-7 [Medline]

Offizielle Information ergänzt

Die britische Arzneimittelbehörde hat im November 2009 über eine umfassende Analyse einiger unerwünschter Wirkungen der Statine berichtet. Dabei wurden die Resultate klinischer Studien und veröffentlichte und nicht-veröffentlichte Berichte über Nebenwirkungen berücksichtigt.
Die Schlussfolgerungen lauten: Schlafstörungen (auch Parasomnien) entsprechen wahrscheinlich einem Klasseneffekt der Statine. Gedächtnisstörungen liessen sich in den klinischen Studien nicht eindeutig mit allen Statinen assoziieren; anderseits kann bei den «Post-Marketing»-Berichten ein kausaler Zusammenhang nicht sicher ausgeschlossen werden. Die vorliegenden Daten erlauben den Schluss, Atorvastatin und Rosuvastatin könnten eine Depression auslösen. Für die anderen Statine ist ein solcher Zusammenhang nicht genügend gesichert, aber möglich. Auch eine sexuelle Dysfunktion (insbesondere eine erektile Dysfunktion) scheint einem Klasseneffekt der Statine zu entsprechen. Sehr selten sind Statine als Ursache lebensbedrohlicher interstitieller Pneumopathien («Pneumonitis») anzusehen. Die britische Produkteinformation wurde durch die neu erkannten Probleme ergänzt. (Im Arzneimittelkompendium der Schweiz sind diese «neuen» Nebenwirkungen gar nicht erwähnt oder als «sehr selten» bezeichnet.)

http://www.mhra.gov.uk/home/idcplg?IdcService

Die Verabreichung von Statinen gehört heute besonders bei multimorbiden älteren Leuten zu den «Selbstverständlichkeiten». Ich bin aber nicht sicher, dass ich bisher den von der FDA definierten Interaktionen sorgfältig genug aus dem Weg gegangen bin. Jedenfalls werde ich zukünftig sicher besser darauf achten. Eine Rhabdomyolyse ist gewiss eine seltene Komplikation, aber doch so bedrohlich, dass ich sie nach Möglichkeit bei meinen Patientinnen und Patienten vermeiden möchte. Was die übrigen, vorwiegend neuro-psychiatrischen Probleme anbelangt, müssen wir uns bemühen, gut zuzuhören und versuchen, auch einmal ein seltenes Problem richtig zuzuordnen. (EG)

NATALIZUMAB

Natalizumab, ein monoklonaler Antikörper, blockiert Adhäsionsmoleküle (sog. Integrine), die sich auf den Leukozyten mit Ausnahme der neutrophilen Granulozyten befinden, und bremst gewisse immunologische Vorgänge. Es wird bei schweren Verlaufsformen von Multipler Sklerose (MS) zur Hemmung der Entzündungs- und Demyelinisierungsprozessen eingesetzt.
Informationen zu Natalizumab:
Masche UP. pharma-kritik 2007; 29: 43-4
Ludin HP. pharma-kritik 2008; 30: 57-60 
Goodin DS et al. Neurology 2008; 71: 766-73 [Medline]
Markenname: Natalizumab = Tysabri®

Progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML)

Bei einem 35-jährigen Mann mit MS wurde eine Therapie mit Natalizumab angefangen. Vier Monate später waren als einzige Symptome ein Kribbeln in der rechten Hand und gesteigerte Reflexe an den Beinen übriggeblieben. Nach rund eineinvierteljähriger Behandlung trat am linken Arm ein leichtes bewegungsabhängiges myoklonisches Zucken auf. In der Magnetresonanztomographie (MRI) sah man eine kleine rechtsseitige subkortikale Läsion, die man als MS-bedingt einstufte. Da sich das Zucken verstärkte und eine Schwäche im linken Arm hinzukam, folgten zwei weitere MRIs, die eine Zunahme der Läsion zeigten. Obschon im Liquor keine JC Viren (als Ursache der PML) nachgewiesen werden konnten, wurde eine PML postuliert. Man führte eine Plasmapherese durch, um Natalizumab zu entfernen und die Immunfunktion wiederherzustellen. Kurz darauf gelang es dank einer speziellen Polymerasen-Kettenreaktion (PCR) doch noch, Kopien von JC Virus-DNS festzuhalten. Man begann eine Therapie mit Mirtazapin (Remeron®), das den serotonergen 5 HT2-Rezeptor blockiert, der den JC-Viren als «Eingangstor» für die zelluläre Infektion zu dienen scheint. Drei Wochen nach der Plasmapherese entwickelten sich Fieber und Kopfschmerzen; die neurologischen Symptome hatten sich nun so verschlechtert, dass der Patient auf einen Rollstuhl angewiesen war. Dieses klinische Bild interpretierte man als Ausdruck eines sogenannten entzündlichen Immunrekonstitutionssyndroms, das sich als Komplikation bei wiedergewonnener Immunkompetenz manifestieren kann. Im weiteren Verlauf besserten sich die Symptome allmählich. Nach einem Jahr war immer noch eine partielle Parese vorhanden, der Patient konnte aber mit Hilfe eines Stocks 500 m weit gehen.

Lindå H et al. N Engl J Med 2009; 361: 1081-7 [Medline]

Ein 72-jähriger Mann mit einer seit vielen Jahren bekannten MS wurde auf Natalizumab umgestellt. Ein knappes Jahr später fielen depressive Symptome und eine linksseitige, beinbetonte Hemiparese auf. Ein MRI zeigte eine neue Läsion im rechten Thalamusgebiet, so dass man - in der Annahme, es handle sich um einen MS-Schub - zusätzlich hochdosierte Steroide verschrieb. Weil sich der Zustand weiter verschlechterte, wurde der Patient hospitalisiert. Bei Eintritt wirkte er schläfrig, unaufmerksam und wies eine schlaffe Hemiparese links auf, die Stehen oder Sitzen verunmöglichte. Das Babinsky-Zeichen war links positiv. Ferner beobachtete man kognitive Störungen, Stimmungsschwankungen, die sich in Form von depressiven Symptomen und aggressiven Episoden äusserten, sowie eine Dysarthrie. Im MRI des Schädels fand man nun Veränderungen, die den Verdacht auf eine PML lenkten, was durch Nachweis von JC Viren im Liquor bestätigt wurde. Man stoppte Natalizumab und führte eine Plasmapherese sowie eine Immunabsorption durch. Ergänzend wurden Mirtazapin verabreicht und Mefloquin (Lariam® u.a.), dem eine Aktivität gegenüber JC-Viren zugeschrieben wird. Nach einer vorübergehenden Besserung traten ein Stupor und eine die Atemmuskulatur einschliessende Tetraparese auf. Ein erneut angefertigtes MRI zeigte eine Zunahme der Läsionen, was man in Verbindung mit dem klinischen Zustand als Immunrekonstitutionssyndrom deutete. Nach Steroidgabe begannen sich die neurologischen Symptome zurückzubilden. Auch die Viruskonzentration im Liquor sank deutlich. Ein halbes Jahr nach Absetzen von Natalizumab bestand immer noch die linksseitige Hemiparese; der Zustand hatte sich aber soweit stabilisiert, dass der Patient nach Hause entlassen werden konnte.

Wenning W et al. N Engl J Med 2009; 361: 1075-80 [Medline]

In einer Übersicht sind die Erfahrungen zusammengefasst, die man mit den unter Natalizumab vorgekommenen PML-Fällen gesammelt hatte. Bislang wurden 31 Fälle gemeldet. Daraus lässt sich das PML-Risko abschätzen, das mit einer Natalizumab-Behandlung einhergeht. Mit zunehmender Therapiedauer ansteigend, bewegt es sich in der Grössenordnung von 1 zu 1000. Bei allen Betroffenen kündigte sich die PML mit neu auftretenden neurologischen Symptomen an, wobei Verhaltensänderungen, motorische Ausfälle, epileptische Anfälle, Sprach- und Sehstörungen im Vordergrund standen. In einigen Fällen fiel der Verdacht zunächst auf einen MS-Schub, einen Schlaganfall oder ein epileptisches Leiden, was aber den Weg zur korrekten Diagnose im Allgemeinen nicht relevant verzögerte. Die Diagnose der PML liess sich anhand von klinischem Bild, MRI-Befund und Virusnachweis im Liquor stellen. Da die sogenannte Viruslast oft niedrig ist, kann jedoch ein negatives PCR-Ergebnis eine PML nicht ausschliessen. Nach der Diagnose einer PML und dem Absetzen von Natalizumab wurde üblicherweise eine Plasmapherese oder Immunabsorption durchgeführt, um das Medikament rasch aus dem Körper zu beseitigen. Als Ergänzung wurde zum Teil Mefloquin oder Mirtazapin versucht, bei denen man sich gemäss In vitro-Daten eine Wirkung gegenüber der JC Virus-Infektion verspricht. Meistens entwickelte sich im Verlauf ein entzündliches Immunrekonstitutionssyndrom, das durch eine Exazerbation der PML-Symptome gekennzeichnet ist und mit hochdosierten Steroiden behandelt wurde. Acht von diesen 31 Personen sind an den Folgen der PML gestorben.

Clifford DB et al. Lancet Neurol 2010; 9: 438-46 [Medline]

Disseminierter Soor

Bei einer 61-jährigen Frau trat nach der fünften Natalizumab-Infusion ein lokalisierter Soor in der Genitalregion auf, der unter lokaler Applikation von 2% igem Clotrimazol (Canesten® u.a.) wieder verschwand. Als die Patientin die elfte Natalizumab-Infusion erhalten hatte, kehrte die Candida-Infektion mit juckenden Hautrötungen inguinal, genital, axillär und lumbal zurück. Innerhalb von 14 Tagen breitete sich der Soor über mehr als 30% der Körperoberfläche aus und führte zu Ulzerationen glutäal. Man startete eine systemische Behandlung mit Fluconazol (400 mg/Tag, Diflucan® u.a.), was die weitere Ausbreitung der Infektion bremste. Fünf Wochen später wurde die Fluconazol-Dosis auf 200 mg/Tag halbiert, und binnen zwölf Wochen war der Soor abgeheilt.

Gutwinski S et al. Neurology 2010; 74: 521-3 [Medline]

Okuläre Toxoplasmose

Bei einem 28-jährigen an MS erkrankten Mann, bei dem noch ein Alkoholabusus bekannt war, fing man eine Behandlung mit Natalizumab an. Ein knappes Jahr danach klagte er über «Mouches volantes» und eine verminderte Sehschärfe in seinem linken Auge. Bei der ophthalmologischen Untersuchung sah man eine Entzündung von Iris und Glaskörper, ferner im Fundus drei chorioretinale Narben und eine akute peripapilläre Nekrose - Befunde, die vereinbar waren mit einer Toxoplasmose. Bei der Gesichtsfeldprüfung stellte man ein Skotom fest. Im Blut fanden sich für Toxoplasmose deutlich positive IgG- und negative IgM-Titer; andere Erreger konnten serologisch nicht nachgewiesen werden. Die Behandlung mit Natalizumab wurde abgebrochen, und man verordnete für fünf Wochen Pyrimethamin (Daraprim®), Sulfadiazin, Prednisolon und Calciumfolinat, was einen Rückgang der Läsionen im Auge bewirkte.

Zecca C et al. Neurology 2009; 73: 1418-9 [Medline]

Auftreten von Melanomen …

Eine 46-jährige Frau bemerkte nach ihrer ersten Natalizumab-Dosis ein sich rasch veränderndes Muttermal auf der Schulter. Es stellte sich als Melanom heraus, das bereits in die regionären Lymphknoten metastasiert hatte. Eine andere Frau, 45 Jahre alt, hatte einen choroidalen Nävus, der seit Jahren stabil gewesen war. Bei einer Routinuntersuchung entdeckte man, dass sich daraus ein okuläres Melanom entwickelt hatte, und zwar nachdem sie einige Dosen Natalizumab erhalten hatte.
Aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs zwischen der Natalizumab-Gabe und der raschen malignen Entartung von jahrelang sich nicht verändernden Nävi vermuten die Autoren eine kausale Verbindung. Deshalb sei mit Natalizumab zu besonderer Vorsicht geraten, wenn in der persönlichen oder in der Familienanamnese ein Melanom bekannt ist oder wenn jemand einen atypischen oder okulären Nävus aufweist.

Mullen JT et al. N Engl J Med 2008; 358: 647-8 [Medline]

Eine 48-jährige Frau beobachtete an ihrem rechten Schienbein einen sich vergrössernden Nävus, fünf Monate nachdem man die Behandlung mit Natalizumab unterbrochen hatte, von dem sie insgesamt 35 Dosen bekommen hatte. Eine andere immunsupprimierende Therapie hatte sie nie erhalten. Der Nävus wurde exzidiert, die histologische Diagnose lautete auf ein In-situ-Melanom.

Ismail A et al. J Neurol 2009; 256: 1771-2 [Medline]

… und ZNS-Lymphom

Bei einem 40-jährigen Mann wurde, nach 21 Natalizumab-Infusionen, wegen einer neu aufgetretenen rechtsseitigen Hypästhesie ein Kontroll-MRI angefertigt. Es zeigte eine neue, Gadolinium-anreichernde und die Mittellinie verschiebende Läsion in der linken Hemisphäre. Eine Biopsie führte zur Diagnose eines B Zell-Lymphoms. Eine extrazerebrale Manifestation des Lymphoms liess sich nicht feststellen. Man stoppte Natalizumab, führte sieben Plasmapheresen durch und begann eine Chemotherapie auf der Basis von hochdosiertem Methotrexat.

Schweikert A et al. Ann Neurol 2009; 66: 403-6 [Medline]

Perikariditis

Bei einer jungen Frau traten während der dritten Natalizumab-Infusion diffuse thorakale Schmerzen auf, wenig später auch eine Dyspnoe und Tachykardie. Es bestanden keine anderen Symptome wie Fieber, Arthralgie oder Urtikaria, die auf eine allergische Reaktion hingewiesen hätten. Herzenzyme, EKG und Thoraxröntgenbild waren normal. Hingegen entdeckte man bei der Echokardiographie einen Perikarderguss. Die Blutsenkungsgeschwindigkeit war leicht erhöht, serologische Untersuchungen aber negativ. Unter einer zweiwöchigen Behandlung mit Acetylsalicylsäure bildete sich der Perikarderguss zurück. Die vierte Natalizumab-Infusion wurde unter einer Prämedikation mit einem Antihistaminikum und niedrigdosiertem Prednison durchgeführt und gut toleriert. Bei der fünften Natalizumab-Verabreichung entwickelte sich indessen wieder ein Perikarderguss, so dass man zusätzlich Colchicin verordnete. Die Therapie mit Natalizumab wurde definitiv beendet, als bei der sechsten Infusion der Perikarerguss erneut auftrat. Antikörper gegen Natalizumab konnten bei dieser Patientin nicht nachgewiesen werden.

Cohen M et al. Neurology 2009; 72: 1616-7 [Medline]

Leberschäden

Die FDA hat sechs Fälle von Leberschädigungen zusammengestellt, die unter Natalizumab aufgetreten waren und als ernsthaft eingestuft wurden. In einem Fall wurde histologisch eine Autoimmunhepatitis diagnostiziert. Am schnellsten entwickelte sich der Leberschaden bei einer 26 jährigen Frau, bei der sechs Tage nach der ersten Natalizumab-Dosis ein Leberenzym-Anstieg notiert wurde. Mehrheitlich äusserte sich der Leberschaden mit erhöhter Transaminasen-Aktivität und Bilirubin-Konzentration. In zwei Fällen bestand eine Koagulopathie mit erhöhtem INR-Wert, und in einem Fall fand sich ein Aktivitätsanstieg der alkalischen Phosphatase. Zwei der sechs Betroffenen mussten hospitalisiert werden. In keinem Fall war der Verlauf so gravierend, dass man sich zu einer Lebertransplantation entschliessen musste oder dass die betroffene Person starb. In einem Fall fand nochmals ein Behandlungsversuch mit Natalizumab statt, was ein Wiederauftreten des Leberschadens mit Ikterus auslöste (positiver «Rechallenge»).

Bezabeh S et al. Aliment Pharmacol Ther 2010; 31: 1028-35 [Medline]

So sehr Natalizumab von neurologischen Fachpersonen als potentes Medikament bei Multipler Sklerose gelobt wird, so unbestritten sind die schwerwiegenden Nebenwirkungen, die mit Natalizumab assoziiert sind. Besonders fällt die progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) auf, die auf einer Reaktivierung des opportunistischen JC Virus beruht. Diese Erkrankung, die man lange Zeit nur als Komplikation einer HIV-Infektion kannte, drängt sich nun als verheerende Nebenwirkung neuer, immunsuppressiv wirkender Medikamente ins Bewusstsein. Im Falle von Natalizumab ist besonders beunruhigend, dass Symptome von Grundkrankheit (MS) und potentieller Nebenwirkung (PML) schwierig zu unterscheiden sind. (UM)

FORMOTEROL/SALMETEROL

Die beiden langwirkenden Betamimetika («long-acting beta-agonists», LABA) haben in der Asthmatherapie grosse Bedeutung erlangt. Schon seit einigen Jahren wird jedoch empfohlen, Formoterol und Salmeterol nicht ohne eine Asthma-Basistherapie (in der Regel inhalative Kortikosteroide) anzuwenden.
Übersichten zur LABA-Problematik:
Jörger M, Kuhn M. pharma-kritik 2007; 29: 21-4 [Medline]
Walters EH et al. Cochrane Database Syst Rev 2007; (1): CD001385 [Medline]
Markennamen:
Formoterol = Foradil®, Oxis®. Formoterol in Kombination mit Budesonid: Symbicort®, Vannair® Salmeterol = Serevent®. Salmeterol in Kombination mit Fluticason: Seretide®

Langwirkende Betamimetika nur noch in Kombinationen?

Die amerikanische Arzneimittelbehörde (FDA) hat eine Meta-Analyse von 110 klinischen Studien mit LABA durchführen lassen und diese einer Kommission mit Fachleuten aus dem Arzneimittelsicherheitsbereich sowie der Pädiatrie und Pneumologie vorgelegt. Bei Personen, die mit LABA behandelt worden waren, war das Risiko von Asthma-bedingten Todesfällen, Intubationen und Hospitalisationen grösser als bei Personen ohne LABA-Therapie. Signifikant war dieser Zusammenhang nur für Salmeterol, da mehr als zwei Drittel der Daten aus Salmeterol-Studien stammten. Für die Kombination von Salmeterol mit Fluticason konnte kein erhöhtes Komplikationsrisiko gefunden werden. Die Kommission empfiehlt, LABA nicht mehr als Monopräparate zuzulassen.

http://www.fda.gov/ohrms/dockets/ac/08/briefing/2008-4398b1-01-FDA.pdf

Asthmakomplikationen mit und ohne Kortikosteroide

In einer Meta-Analyse wurden die Daten von 36’588 Patientinnen und Patienten aus Studien mit LABA zusammengefasst. Diese Untersuchung unterscheidet sich von bisher veröffentlichten Meta-Analysen zum gleichen Thema durch die Berücksichtigung einer grösseren Zahl von bis Ende 2008 durchgeführten (auch nicht-veröffentlichten) randomisierten Studien; es wurden aber nur Studien berücksichtigt, in denen über mindestens eine bedeutsame Asthmakomplikation berichtet wurde. Asthma-bedingte Todesfälle und Intubationen waren als «katastrophale» Ereignisse definiert. Solche Ereignisse traten unter LABA bei 59, ohne LABA bei 26 Personen auf. Die Häufung von «katastrophalen» Ereignissen unter LABA ist signifikant. Gegenüber einer Placebobehandlung waren diese knapp doppelt so häufig. Der Vergleich der Resultate bei Personen, die kombiniert mit LABA und Kortikosteroiden behandelt wurden mit denjenigen bei Personen, die nur Kortikosteroide erhielten, zeigte für die Kombinationsbehandlung eine rund dreimal höhere Inzidenz von «katastrophalen» Ereignissen. Subgruppen-Analysen ergaben keine nennenswerten Unterschiede zwischen einer simultanen Kortikosteroid-Verabreichung gegenüber einer variablen Verabreichung. Auch zwischen Formoterol und Salmeterol sowie zwischen Kindern und Erwachsenen konnten keine signifikanten Unterschiede gefunden werden. Gemäss den Schlussfolgerungen der Arbeit muss – trotz gewissen Einschränkungen – angenommen werden, dass LABA auch dann gefährliche Asthmakomplikationen hervorrufen können, wenn sie mit inhalativen Kortikosteroiden zusammen gegeben werden. Die Tatsache, dass die Asthmamortalität in den letzten beiden Jahrzehnten allmählich abgenommen hat, könnte sich dadurch erklären, dass in diesen Jahren immer mehr (inhalative) Kortikosteroide verschrieben worden sind, die Verordnung von LABA aber nicht im gleichen Ausmass zugenommen hat.

Salpeter SR et al. Am J Med 2010; 123: 322-8 [Medline]

Die langwirkenden Betamimetika sind ein wichtiges Beispiel für unsere Schwierigkeiten im Umgang mit sehr seltenen, aber «katastrophalen» Nebenwirkungen. Da ist einmal das Problem der adäquaten Erfassung dieser seltenen Ereignisse. Es besteht ja kein Zweifel, dass in der Praxis die Dunkelziffer – d.h. die Zahl von medikamentös bedingten, aber nicht entsprechend eingeordneten Komplikationen – recht gross ist. Aber selbst wenn wir diese Ereignisse genauestens erfassen könnten, ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem (allenfalls durchaus beträchtlichen) symptomatischen Nutzen und dem Risiko seltener, aber lebensgefährlicher Komplikationen unbeantwortet. Aus den verschiedensten Gründen tendieren wir ja alle dazu, den Nutzen der Therapien zu überschätzen, die gerade «en vogue» sind. Nun sind aber besonders für Personen mit einem leichten bis mittelschweren Asthma bronchiale inhalative Kortikosteroide und LABA nicht die einzigen therapeutischen Optionen. Anstelle der LABA können auch kurzwirkende Betamimetika oder Anticholinergika «nach Bedarf» und eventuell auch einmal ein Leukotrien-Rezeptorantagonist oder eine niedrige Theophyllin-Dosis gegeben werden. (EG)

SEROTONIN-WIEDERAUFNAHMEHEMMER

Die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und verwandte Medikamente werden häufig zur medikamentösen Behandlung einer Depression eingesetzt. Oft stellt sich auch die Frage, ob sie problemlos in der Schwangerschaft verschrieben werden können. Die Beurteilung der entsprechenden Daten hat sich in den letzten Jahren gewandelt.
Übersichten zu den Serotonin-Wiederaufnahmehemmern:
Arroll B. Cochrane Database Syst Rev 2009; (3): CD007954 [Medline]
Mukai Y, Tampi RR. Clin Ther 31: 945-61 [Medline]
Gysling E. pharma-kritik 2005; 27: 41-4
Markennamen:
Citalopram (Seropram®, Generika),
Escitalopram (Cipralex®), Fluoxetin (Fluctine®, Generika), Fluvoxamin (Floxyfral®, Generika), Paroxetin (Deroxat®, Generika), Sertralin (Zoloft®, Generika)

Angeborene Herzfehler

Anhand von Daten aus nationalen Registern wurde für Kinder, die zwischen 1996 und 2005 in Dänemark geboren wurden, nach einem Zusammenhang zwischen der Einnahme eines Serotonin-Wiederaufnahmehemmers (SSRI) während des ersten Schwangerschaftstrimesters und der Inzidenz von Fehlbildungen gesucht. Allgemein konnte kein Zusammenhang zwischen Fehlbildungen und einer SSRI- Exposition gefunden werden.

Herzseptumdefekte waren jedoch bei Kindern, deren Mütter in der Frühschwangerschaft SSRI genommen hatten, signifikant gehäuft ("Odds Ratio" 1,99, 95%-Vertrauensintervall 1,13-3,53). Ein Zusammenhang war besonders für Sertralin und Citalopram nachweisbar. Kinder von Frauen, denen mehrere SSRI verschrieben worden war, hatten ein beson- ders hohes Risiko. Nur 0,5% der Kinder ohne SSRI- Exposition hatten einen Septumdefekt; mit SSRI- Exposition ergab sich eine Prävalenz von 0,9% (Mehrfach- Exposition: 2,1%).

Pedersen LH et al. BMJ 2009; 339: b3569 [Medline]

Die britische Arzneimittelbehörde hat sieben Kohortenstu- dien zur Fluoxetin-Exposition in der Schwangerschaft ana- lysiert. Aus fünf Studien konnte für angeborene Herzfehler eine "Odds Ratio" von 1,43 (95% Vertrauensintervall 0,83-2,47) errechnet werden. Die kardialen Fehlbildungen waren nicht einheitlich (z.T. Kammerseptum-Defekte, aber auch andere Herzfehler). Nicht-kardiale Fehlbildungen waren nach Fluoxetin-Exposition nicht gehäuft. Die Behörde kommt zum Schluss, Fluoxetin erhöhe wahrscheinlich das Risiko von angeborenen Herzfehlern.

http://www.mhra.gov.uk/Publications/Safetyguidance/ DrugSafetyUpdate/CON076095

Schwangerschaft verkürzt, neonatale Probleme

In einer prospektiven Kohortenstudie, die in der Universitätsklinik Aarhus (Dänemark) durchgeführt wurde, wurden alle Geburten zwischen 1989 und 2006 erfasst. 329 Frauen hatten während der Schwangerschaft SSRI erhalten, 4902 hatten eine psychiatrische Anamnese (ohne SSRI erhalten zu haben) und 51'770 hatten keine psychiatrische Vorgeschichte. Die Schwangerschaft dauerte bei Frauen, die SSRI erhielten, signifikant (um 5 Tage) weniger lang als bei Frauen ohne psychiatrische Anamnese; die "Odds Ratio" für eine Frühgeburt betrug bei SSRI-Exposition 2,0 (95%- Vertrauensintervall 1,3-3,2). Neugeborene, die einer SSRI- Einwirkung ausgesetzt waren, mussten zudem häufiger auf die Intensivstation aufgenommen werden und hatten häufiger einen 5-Minuten-Apgar-Wert von weniger als 8.

Lund N et al. Arch Pediatr Adolesc Med 2009; 163: 949-54 [Medline]

Das Problem gehäufter angeborener Herzfehler beschränkt sich somit nicht auf eine Paroxetin-Exposition, sondern betrifft ziemlich sicher auch Citalopram, Fluoxetin und Sertralin. Obwohl keine sicheren Daten vorliegen, ist zu vermuten, dass es sich um einen Klasseneffekt handelt. Auch die ungünstigen Auswirkungen auf die Schwanger schaftsdauer und den Zustand der Neugeborenen sind wohl allen SSRI gemeinsam. Depressionen sind in der Schwan- gerschaft nicht selten und die Verabreichung von Antide- pressiva lässt sich nicht immer vermeiden. Dennoch sollten wir wohl alles daran setzen, dass diese Frauen möglichst nicht-medikamentös behandelt werden können. (EG)

Standpunkte und Meinungen

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Nebenwirkungen aktuell (28. April 2010)
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pharma-kritik, 31/No. 14/15
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