Felodipin

Synopsis

Felodipin (Plendil®), ein Kalziumantagonist, wird zur Behandlung der arteriellen Hypertonie empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Felodipin ist ein Dihydropyridin; seine chemische Struktur gleicht derjenigen von Nifedipin (Adalat®), dem Prototyp dieser Gruppe, in hohem Masse. Im Vergleich mit Verapamil (Isoptin®) zeichnen sich die Dihydropyridin- Kalziumantagonisten durch eine stärkere periphere Vasodilatation und das fast vollständige Fehlen von Auswirkungen auf die kardiale Elektrophysiologie aus.
Wie Nitrendipin (Baypress®) weist Felodipin eine vaskuläre Selektivität auf: Es hat eine sehr stark ausgeprägte Wirkung auf die glatte Muskulatur der Arteriolen, beeinflusst aber in therapeutischen Dosen die Myokard-Kontraktilität nicht negativ. (Nifedipin hat dagegen einen geringen negativ-inotropen Effekt; dieser hat allerdings klinisch kaum ungünstige Folgen.) Bei akuter Verabreichung führt die Gefässerweiterung durch Felodipin zu einer reflektorischen Gegenregulation mit Tachykardie.
Wie andere Dihydropyridin-Kalziumantagonisten führt Felodipin bei akuter Verabreichung zu einer Zunahme des renalen Blutflusses und einem natriuretischen und diuretischen Effekt. Die Natriurese soll auf einer Hemmung der tubulären Rückresorption beruhen.(1) Wird das Medikament längere Zeit eingenommen, so lassen sich nur noch geringe Veränderungen der renalen Hämodynamik und eine vermehrte Ausscheidung von Kalzium und Urat, jedoch keine Natriurese oder Diurese mehr nachweisen.(2) Felodipin führt zu einem Anstieg der Noradrenalin-Plasmaspiegel sowie zu einer erhöhten Plasma-Renin-Aktivität. (2) Blutzuckerwerte und Glukosetoleranz werden von Felodipin nicht beeinflusst.(3)

Pharmakokinetik

Felodipin wird gastrointestinal praktisch vollständig resorbiert. Infolge eines starken «First-Pass»-Metabolismus werden aber nur rund 15% einer Dosis systemisch verfügbar. Die Einnahme von Felodipin-Retardtabletten ergibt nach 4 bis 5 Stunden maximale Plasmakonzentrationen; 24 Stunden nach der Verabreichung betragen die Plasmaspiegel noch etwa ein Drittel der maximalen Werte.(4) Die Substanz hat zwar eine lange terminale Halbwertszeit (bei jungen Versuchspersonen um 15 Stunden); da die letzte Ausscheidungsphase aber auf sehr niedrigem Niveau erfolgt, lassen sich mit einer täglichen Verabreichung von gewöhnlichen Tabletten nicht während eines ganzen Tages therapeutische Spiegel aufrechthalten.
Die interindividuelle Variabilität der Plasmaspiegel ist beträchtlich; mit derselben Dosis können bei einem Individuum viermal höhere Plasmakonzentrationen als bei einem anderen erreicht werden. So ergaben sich insbesondere bei älteren Hypertonikern (im Alter von 67 bis 79 Jahren) viel höhere Plasmaspiegel, aber auch längere Eliminationshalbwertszeiten (im Mittel 28 Stunden) als bei jungen Individuen.(5)
Felodipin wird in der Leber durch mikrosomale Enzyme metabolisiert; die Metaboliten haben keine pharmakologische Aktivität. Die Metaboliten werden über die Nieren ausgeschieden; im Stuhl finden sich nur etwa 10% einer Dosis.(6)
Leberkranke haben wahrscheinlich eine reduzierte Clearance und ein geringeres Verteilungsvolumen.(7) Jedenfalls weisen Patienten mit Leberzirrhose nach üblichen Dosen höhere Plasmakonzentrationen als Normalpersonen auf. Eine leichte bis mittelschwere Niereninsuffizienz beeinflusst dagegen die Kinetik von Felodipin nicht nennenswert. (7)

Klinische Studien

Über 1200 Hypertoniker haben Felodipin in kontrollierten Studien erhalten; die blutdrucksenkende Wirkung von Felodipin ist somit gut dokumentiert. Die weitaus grösste Zahl der bisher publizierten Arbeiten bezieht sich allerdings auf Studien, die mit gewöhnlichen Tabletten durchgeführt wurden. Über Studien, in welchen die in der Schweiz verfügbaren Retardtabletten zur Anwendung gelangten, sind bisher fast nur vorläufige Mitteilungen (Kongressberichte) vorhanden.
Nur Studien, in welchen der Blutdruck auch kurz vor der Einnahme einer nächsten Dosis gemessen wird, ermöglichen eine Beurteilung der Wirkungsdauer. Die folgenden Beispiele wurden nach diesem Kriterium ausgelesen.
Unter den Doppelblindstudien, in welchen Felodipin als Monotherapie im Vergleich mit Placebo geprüft wurde, sind insbesondere drei Arbeiten erwähnenswert:
In einer multizentrischen Studie erhielten 94 Personen mit einer leichten bis mittelschweren Hypertonie (mit einem diastolischen Blutdruck zwischen 95 und 110 mm Hg) während 8 Wochen zweimal täglich 2,5 mg, 5 mg oder 10 mg Felodipin als gewöhnliche Tabletten; Blutdruckwerte, die zwei Stunden nach der Einnahme des Medikamentes gemessen wurden, waren signifikant (durchschnittlich um 17/15 mm Hg) niedriger als unter Placebo. Die Herzfrequenz war bei aktiv Behandelten höher, wobei der Unterschied nur z.T. signifikant war. Das Behandlungsziel -- ein diastolischer Wert von maximal 90 mm Hg -- wurde allerdings zwölf Stunden nach Medikamenteneinnahme nicht mehr von vielen Patienten erreicht; lediglich in der Gruppe, die zweimal 10 mg täglich erhielt, waren es mehr als die Hälfte der Behandelten.(8)
Weniger überzeugend waren die Resultate einer kleinen Crossover-Studie, in der 16 Personen (ebenfalls mit einer leichten bis mittelschweren Hypertonie) mit individuell titrierten Dosen zwischen zweimal 2,5 mg und zweimal 20 mg Felodipin täglich (bzw. entsprechenden Placebotabletten) behandelt wurden. Die ambulante Aufzeichnung des Blutdrucks ergab zwar unter Felodipin eine Blutdrucksenkung um durchschnittlich 15/8 mm Hg, was sich aber nicht signifikant von der Blutdrucksenkung unter Placebo unterschied. (9)
Über die Anwendung von Felodipin-Retardtabletten wurde an einem Kongress berichtet: Während Placebo-Tabletten nur zu einer Blutdrucksenkung von 11/7 mm Hg führten, ergab eine Felodipin-Retardtablette zu 10 mg nach zwei Stunden eine signifikant stärkere Senkung (um 17/15 mm Hg), die doppelte Felodipindosis sogar um 23/18 mm Hg. Nach 24 Stunden war der antihypertensive Effekt der 10 mg-Retardtablette aber kaum mehr nachweisbar (Senkung um 10/7 mm Hg; Placebo: 8/4 mm Hg).(10)
Als zweites oder drittes blutdrucksenkendes Medikament ist Felodipin in zahlreichen Studien nicht nur mit Placebo, sondern mit verschiedenen anderen Antihypertensiva verglichen worden. Meistens wurde das neue Medikament als Zusatz zu einer Betablocker-Behandlung geprüft. Leider liegt nur eine kleine Vergleichsstudie mit Nifedipin (Adalat ®), dem Prototyp der Gruppe, vor: 18 Patienten, deren Blutdruck mit einem Betablocker ungenügend gesenkt werden konnte, erhielten zusätzlich Felodipin (3mal 5 bis 10 mg täglich) oder Nifedipin (3mal 10 bis 20 mg täglich). Blutdruckmessungen 2 Stunden nach Einnahme ergaben ungefähr gleichwertige Resultate, 12 Stunden nach der Einnahme fanden sich unter Felodipin bessere Werte.(11)
In einer grösseren Studie wurden 76 Patienten, die bereits Metoprolol (Lopresor®) einnahmen, zusätzlich mit Felodipin (2mal 5 mg/Tag) oder Hydrochlorothiazid (Esidrex®, 2mal 12,5 mg/Tag) behandelt. Bei ungenügender Blutdrucksenkung wurde nach 4 Wochen die Dosis des Zusatzmedikamentes verdoppelt. Nach 8 Wochen hatten 20 von 36 Patienten mit der Kombination Metoprolol + Felodipin, jedoch nur 15 von 40 Patienten mit Metoprolol + Hydrochlorothiazid einen diastolischen Blutdruck von £ 90 mm Hg erreicht.(12)
Gemäss einem Kongressbericht sind -- in Kombination mit einem Betablocker -- auch gewöhnliche und Retard-Tabletten von Felodipin miteinander verglichen worden. Nach sechs Wochen Behandlung wurden mit beiden galenischen Formen bei rund zwei Dritteln der Patienten befriedigende Blutdruckwerte (gemessen unmittelbar vor der Verabreichung einer nächsten Dosis) gefunden.(13)
Felodipin ist (als zusätzliches Antihypertensivum) auch mit Propranolol (Inderal®), Hydralazin (in der Schweiz als Slow-Apresolin® erhältlich), Prazosin (Minipress®) und Minoxidil (Loniten®) verglichen worden und hat jeweils eine gleichwertige oder bessere Blutdrucksenkung ergeben.
Felodipin ist auch schon in der Behandlung der Herzinsuffizienz und der koronaren Herzkrankheit eingesetzt worden; die Erfahrungen in diesen Bereichen sind noch sehr beschränkt.

Unerwünschte Wirkungen

Unerwünschte Wirkungen von Felodipin sind zum grössten Teil dosisabhängig und haben in mehreren Studien über 50% der Patienten betroffen. Am häufigsten wurden Knöchelödeme, Schwindel, Hitzewallungen, Kopfschmerzen, Müdigkeit und Herzklopfen beobachtet. Auch über Schwitzen, Magen-Darm-Beschwerden, Dyspnoe, Muskelschmerzen und Schlafstörungen wurde berichtet. Das Knöchelödem scheint nicht auf einer Flüssigkeitsretention, sondern auf der Erweiterung präkapillärer Arteriolen zu beruhen. Bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit ist es möglich, dass höhere Felodipin-Dosen Angina-pectoris-Anfälle auslösen.(14) In kontrollierten Studien, bei welchen Felodipin als einziges Medikament verwendet wurde, musste es bei 10 bis 30% der aktiv Behandelten wegen unerwünschten Wirkungen abgesetzt werden.
In Kombination mit einem Betablocker scheint Felodipin nach den bisherigen Studien weniger unerwünschte Wirkungen zu verursachen. Allerdings hatte das neue Medikament als Zusatz zu Atenolol (Tenormin®) in einem (offenen) Langzeit-Vergleich signifikant mehr Nebenwir- kungen als Nifedipin (beide Medikamente während je einem Jahr verabreicht).(15)

Interaktionen

Da Felodipin vom Cytochrom-P-450-System metabolisiert wird, ist mit Interaktionen zu rechnen, an denen Enyzminduktoren oder -hemmer beteiligt sind. So hemmt Cimetidin (Tagamet®) die Felodipin-Elimination und führt zu höheren Plasmaspiegeln. Die enzyminduzierenden Antiepileptika wie Carbamazepin (z.B. Tegretol®) und Phenytoin (z.B. Antisacer®) verursachen dagegen eine ausgeprägte Abnahme der Felodipin-Plasmakonzentrationen. (16)
Nach den bisher vorliegenden Daten führt Felodipin nur initial vorübergehend zu einem Anstieg der Plasmaspiegel von gleichzeitig verabreichtem Digoxin. In einem Kongressbericht wird eine signifikante Verstärkung der hämodynamischen Felodipin-Wirkungen durch Alkohol rapportiert.(17)

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Felodipin (Plendil®) ist als Retardtabletten zu 5 mg und zu 10 mg erhältlich; das Medikament ist zur Zeit nicht kassenzulässig. In der Behandlung einer arteriellen Hypertonie soll die Tagesdosis üblicherweise 10 mg (als Einzeldosis am Morgen verabreicht) betragen. Es wird empfohlen, die Dosis individuell anzupassen (im Bereich von 5 bis 20 mg/Tag). Initial ist namentlich bei älteren Individuen und bei Patienten mit Leberfunktionsstörungen eine Reduktion der Dosis angezeigt. Schwangere und stillende Frauen sollten kein Felodipin erhalten. Die monatlichen Behandlungskosten sind mit Fr. 53.40 (1 Tablette zu 10 mg/Tag) ungefähr gleich wie mit Adalat®, welches monatlich Fr. 55.90 kostet, wenn zwei 20 mg-Tabletten täglich verabreicht werden. Nifedipin ist auch in billigeren Varianten erhältlich (z.B. Ecodipine®, welches für die gleiche Dosis Monatskosten von nur Fr. 37.50 verursacht).

Kommentar

Kalziumantagonisten haben in den letzten Jahren mehr und mehr an Bedeutung gewonnen. Es ist deshalb verständlich, dass sich die Industrie bemüht, einen noch «besseren» Kalziumantagonisten zu finden. Es scheint mir aber, die Stufe zu einer Substanz, die Nifedipin wirklich überlegen wäre, sei noch nicht erklommen. Dies gilt auch für Felodipin, welches zwar «selektiver» und länger anhaltend auf die peripheren Arteriolen wirkt, aber möglicherweise auch mehr unerwünschte Wirkungen als Nifedipin hervorruft. Es ist schade, dass das neue Medikament bisher erst in so geringem Masse klinisch mit Nifedipin verglichen worden ist.

Literatur

  1. 1) G. Leonetti et al.: Drugs 34: Suppl. 3, 59, 1987
  2. 2) U.L. Hulthén und P.L. Katzman: J. Hypertension 6: 231, 1988
  3. 3) P.L. Katzman et al.: Drugs 34: Suppl. 3, 93, 1987
  4. 4) T. Hedner et al.: Drugs 34: Suppl. 3, 125, 1987
  5. 5) S. Landahl et al.: Clin. Pharmacokin. 14: 374, 1988
  6. 6) B. Edgar et al.: Clin. Pharmacol. Ther. 38: 205, 1985

Standpunkte und Meinungen

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Felodipin (28. August 1988)
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pharma-kritik, 10/No. 16
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