Therapie des Alkoholentzugssyndroms

Übersicht

Alkohol induziert im Gehirn schon nach einer einmaligen Dosis Gegenregulationsmechanismen: Bei demselben Blutalkoholspiegel sind die Alkoholwirkungen während des Konzentrationsanstiegs stärker als während des -abfalls,(1)  das heisst, es entwickelt sich rasch eine pharmakodynamische Toleranz. Chronischer Alkoholabusus führt zur physischen Abhängigkeit, weil die zentralen Gegenregulationsmechanismen körperliche Entzugserscheinungen hervorrufen, wenn der Blutalkoholspiegel unter eine individuelle kritische Schwelle sinkt. Bei wem und in welcher Ausprägung sich Abstinenzsymptome manifestieren, lässt sich im Einzelfall schwer voraussehen. Als Faustregel gilt, dass Entzugserscheinungen um so deutlicher auftreten werden, je höher die tägliche Alkoholdosis gewesen ist oder je länger der Beginn des regelmässigen Trinkens zurückliegt; als gefährdet werden insbesondere Personen betrachtet, die während 5 oder mehr Jahren täglich 100 g Alkohol (etwa einem Liter Wein entsprechend) getrunken haben.(2)
Viele Alkoholentzüge verlaufen ungeplant, weil ein Unfall oder eine Erkrankung den Alkoholiker am Trinken hindern. Die ersten Symptome eines Alkoholentzugssyndroms sind Übelkeit, Erbrechen, Gesichtserythem, ein erhöhter Sympathikotonus (Tremor, Schwitzen, leichter Anstieg von Herzfrequenz und Blutdruck), Schlaflosigkeit, Angst sowie Verstimmtheit. Bewusstseinstrübungen sind bei leichten Entzugssyndromen nicht vorhanden. Werden solche Entzugserscheinungen nicht mit einer erneuten Alkoholeinnahme unterdrückt, erreichen sie nach 1 bis 2 Tagen ein Maximum und klingen nach 5 bis 7 Tagen ab. In etwa 5% der Fälle wird dieser relativ harmlose Ablauf durch ernsthafte Komplikationen gestört: Es können epileptische Anfälle auftreten (zu 90% während der ersten beiden Tage). In der Regel sind es einzelne Grandmal- Anfälle, ein Status epilepticus ist sehr selten. Fokale Anfälle gelten als atypisch und sollten an andere Ursachen mahnen (z.B. begleitendes Schädel-Hirn-Trauma). Ein Delirium tremens tritt 2 bis 3 Tage nach der letzten Alkoholeinnahme auf und ist von Desorientiertheit, szenenhaften Halluzinationen und Illusionen sowie einer starken Hyperaktivität des autonomen Nervensystems mit massivem Schwitzen geprägt. Die Letalität beträgt heute noch rund 1%, mögliche Todesursachen sind Kreislaufversagen (Exsikkose!) und Hyperthermie. Weiter muss man mit einer Alkoholhalluzinose rechnen. Dieses eigenständige Krankheitsbild ist allerdings nicht an einen Entzug gebunden, es kann auch mitten in einer Trinkperiode auftreten. Charakteristisch sind vorwiegend akustische Halluzinationen (an den Patienten gerichtete Vorwürfe oder Drohungen) bei sonst klarem Bewusstsein.

Grundsätzliche Überlegungen zur Therapie

Bei einem Patienten mit Abstinenzsymptomen ist es wichtig, zu wissen, wie eventuelle frühere Entzüge verlaufen sind und ob noch andere Substanzen mit Suchtpotential (z.B. Benzodiazepine) regelmässig eingenommen werden. Indikationen für eine Hospitalisierung sind bekannte Komplikationen während eines vorangegangenen Entzugs (Konvulsionen, Delir), somatische Begleiterkrankungen, ein unmotivierter Patient oder ein ungünstiges soziales Umfeld.(3) Eine Polytoxikomanie überfordert wohl ebenfalls die ambulanten Möglichkeiten. Einen Alkoholiker ambulant zu entgiften, stellt an alle hohe Anforderungen. Der Arzt muss auf die Unterstützung einer dem Patienten nahestehenden Person zählen können und den Zustand des Patienten täglich neu beurteilen; der Einsatz überbrückender Medikamente und die anschliessende Rehabilitation (Mithilfe von Fürsorgern; «Anonyme Alkoholiker ») sind klar zu regeln, damit keine neuen Abhängigkeiten entstehen. Im Zweifelsfall soll immer der stationären Behandlung der Vorzug gegeben werden.
Nicht-medikamentöse Massnahmen spielen bei jedem körperlichen Entzug eine wichtige Rolle. Eine ruhige, nicht bedrohende Atmosphäre und eine aufmerksame Pflege sollen dem Patienten helfen, den Realitätsbezug aufrechtzuerhalten.(4) 1024 Alkoholiker, die allerdings nicht näher beschrieben sind, wurden ohne Medikamente mit bemerkenswertem Erfolg behandelt: Bei 38 (3,7%) entwickelten sich Halluzinosen, bei 12 (1,2%) Konvulsionen und bei einem (0,1%) ein Delir.(5) In einer placebokontrollierten Doppelblindstudie wurde geprüft, ob Lorazepam (Temesta ®, Gesamtdosis 6 mg) den Verlauf eines milden Alkoholentzugssyndroms verändert. Bei den 21 mit Lorazepam Behandelten wurde das Ergebnis in einem Fall, in der Placebogruppe bei 3 von 20 Patienten als unbefriedigend bezeichnet, und mit Lorazepam trat die Zustandsverbesserung etwas rascher ein.(6) Demzufolge können die meisten Alkoholiker mit leichteren Abstinenzsyndromen auch ohne Medikamente betreut werden. Andererseits mindern Medikamente die unangenehmen Symptome und beugen -- ein wichtiges Argument -- ziemlich zuverlässig Komplikationen vor.
Viele Alkoholiker sind fehl- oder mangelernährt, der Elektrolythaushalt kann gestört sein (vor allem Kalium- und Magnesiummangel); bei leichteren Entzugssyndromen kommen sowohl Volumenüberschuss wie -mangel vor, beim Delir steht die Exsikkose im Vordergrund. Ausser beim deliranten Patienten, bei dem die Flüssigkeits- und Elektrolytzufuhr eine entscheidende Massnahme ist, existieren keine allgemeinen Regeln, was man in welcher Menge ersetzen muss. Vielmehr sollen Abweichungen jeweils individuell korrigiert werden. Dies gilt auch für Vitamine: so ist es nicht belegt, dass Multivitaminpräparate, die prophylaktisch gegeben werden, den Verlauf des Entzugssyndroms günstig beeinflussen.(7) Einzige Ausnahme ist Vitamin B1 (Thiamin, Benerva®), von dem mindestens einmal 100 mg parenteral verabreicht werden sollten, um einer Wernicke-Enzephalopathie vorzubeugen. Besonders wichtig ist dies vor einer alleinigen Zufuhr von Kohlenhydraten (z.B. Glukose-Infusion), weil bei deren Abbau eventuell die letzten Vitamin-B1-Reserven verbraucht werden.

Medikamentöse Therapie

Am meisten werden Benzodiazepine, Clomethiazol oder Barbiturate verwendet. Wegen ähnlicher zentraler Wirkungen können sie den Alkohol ersetzen (Kreuztoleranz), so dass sich damit praktisch alle Symptome eines Entzugssyndroms beherrschen lassen. Alle diese Substanzen sind selbst Suchtmittel und müssen deshalb während des Entzugs konsequent reduziert werden. Andere Medikamente weisen zwar kein Abhängigkeitspotential auf, sind aber noch wenig erprobt (Carbamazepin, Clonidin) oder beeinflussen nur einzelne Abstinenzerscheinungen (Neuroleptika, Betablocker).
Ein Entzug mit Alkohol selbst ist nicht zu empfehlen. Erstens wäre es psychologisch ungeschickt, wenn der Alkoholiker merkte, dass sich seine Entzugserscheinungen offenbar doch nur mit Alkohol beheben lassen, und zweitens müsste Alkohol wegen seiner kurzen Halbwertszeit und der geringen therapeutischen Breite mit höchster Sorgfalt dosiert werden.

Benzodiazepine

In den USA werden bei Alkoholentgiftungen fast nur Benzodiazepine benutzt, unter anderem weil dort Clomethiazol nicht zur Verfügung steht. In einer zehntägigen Doppelblindstudie erhielten 537 Alkoholiker am ersten Behandlungstag alle 6 Stunden entweder 50 mg Chlordiazepoxid (Librium®) oder 100 mg Chlorpromazin (z.B. Largactil®) oder 100 mg Hydroxyzin (Atarax®) oder 100 mg Vitamin B1 oder Placebo; die Dosen wurden in den folgenden Tagen sukzessive herabgesetzt. Unter allen fünf Therapien besserte sich der Zustand der meisten Patienten rasch; Delirien oder Konvulsionen traten aber eindeutig am wenigsten unter Chlordiazepoxid (bei 2 von 103 Patienten), am häufigsten unter Chlorpromazin (bei 16 von 98 Patienten) auf.(8)
Prinzipiell lassen sich alle Benzodiazepine zur Therapie des Alkoholentzugssyndroms verwenden; am häufigsten sind bisher Chlordiazepoxid (Librium®), Diazepam (z.B. Valium®), Lorazepam (Temesta®) und Oxazepam (z.B. Seresta®) eingesetzt worden. Je 25 Alkoholiker erhielten in einer Doppelblindstudie Diazepam (20 mg peroral) oder Placebo. Die Tablettengabe wurde alle 1 bis 2 Stunden (höchstens fünfmal) wiederholt, bis der Patient sediert war oder sich sein Zustand gebessert hatte. 7 Patienten aus der Diazepam- und 11 aus der Placebogruppe sprachen auf diese primäre Therapie nicht an; sie wurden alle mit Diazepam (20 mg alle 1 bis 2 Std.) weiterbehandelt. Komplikationen (Konvulsionen, Halluzinationen) traten nur in der Placebogruppe bei 6 Patienten auf, davon bei zwei in der offenen Phase unter Diazepam. Bei 50% aller Patienten reichte eine Gesamtdosis von 60 mg Diazepam, weitere 40% benötigten 60 bis 180 mg.(9)
Diazepam und Chlordiazepoxid sind Benzodiazepine mit einer langen Halbwertszeit. Ihre Wirkung bleibt nach einer forcierten Aufsättigung («Loading») über Tage aufrechterhalten, so dass sich weitere medikamentöse Massnahmen meist erübrigen. Diazepam wird besser resorbiert als Chlordiazepoxid und kann, sofern ausnahmsweise nötig, auch parenteral verabreicht werden. Beide werden in der Leber im ersten Abbauschritt oxydiert und kumulieren bei eingeschränkter Leberfunktion (Zirrhose, höheres Alter) vermehrt, so dass ein Patient leicht übersediert und den Risiken einer -- unnötig langen -- Bettlägerigkeit (Venenthrombose, Pneumonie) ausgesetzt wird.(10) Der hepatische Metabolismus von Lorazepam oder Oxazepam wird von Lebererkrankungen kaum betroffen, weil sie beim Abbau nur glukuronidiert werden. Wegen der kürzeren Halbwertszeit genügt bei Lorazepam und Oxazepam die einmalige Aufsättigung nicht, so dass sie wiederholt verabreicht werden müssen: Zu Beginn erhält der Patient so viel Lorazepam (bis zu viermal 2,5 mg/Tag) oder Oxazepam (bis zu viermal 60 mg/Tag), bis er genügend sediert ist. Diese individuelle Anfangsdosis wird dann täglich um etwa ein Viertel reduziert, wobei die Einzeldosis verkleinert und nicht das Dosierungsintervall verlängert werden sollte. Damit werden starke Blutspiegelschwankungen, die immer wieder Entzugssymptome provozieren könnten, vermieden.

Clomethiazol

Clomethiazol (Distraneurin®, Hemineurine®) wirkt hypnotisch und antikonvulsiv, kann aber auch eine Atemdepression hervorrufen. Es wird in Europa beim Alkoholentzugssyndrom häufig verwendet sowie gelegentlich bei verwirrten geriatrischen Patienten als Schlafmittel eingesetzt. Die biologische Verfügbarkeit von Clomethiazol ist gering (man findet Angaben von 12 bis 42%). Der hepatische Metabolismus hängt von der Leberdurchblutung ab, so dass eine orale Dosis bei eingeschränkter Durchblutung (z.B. Zirrhose) reduziert werden muss.(11) Es sind ambulant betreute Alkoholiker beschrieben, die mit einer Clomethiazol- Überdosis Suizid begingen; dabei liess sich bei der Obduktion in 2 Fällen kein Alkohol im Körper nachweisen, weshalb der Tod wahrscheinlich allein durch das Medikament verursacht wurde.(12) Es wird allgemein vor dem grossen Abhängigkeitspotential gewarnt, das einen ambulanten Einsatz verbiete. Ob die Gefahr einer Abhängigkeit beim Alkoholiker aber höher ist als bei anderen Hypnotika, lässt sich aufgrund der vorliegenden Daten nicht entscheiden.
In 2 Doppelblindstudien ist Clomethiazol mit Chlordiazepoxid, beide nach einem fixen Schema dosiert, verglichen worden. In der einen Studie (87 Patienten) entwickelte sich unter Clomethiazol bei keinem, unter Chlordiazepoxid bei 4 Behandelten ein Delir. Der Unterschied ist nicht signifikant; zudem nahm eine grosse Zahl der Patienten während der einwöchigen Therapie mindestens einmal wegen Schlaflosigkeit ein zusätzliches Hypnotikum (Methaqualon) ein, was darauf hinweist, dass Clomethiazol und das Benzodiazepin falsch dosiert wurden.(13) In der anderen Studie (40 Patienten) wirkten Clomethiazol und Chlordiazepoxid auch bei schweren Entzugssyndromen gleich gut.(14)
Aufgrund dieser Studien ist nicht einzusehen, weshalb -- hierzulande noch gang und gäbe -- Clomethiazol beim Alkoholentzugssyndrom als Mittel der Wahl betrachtet wird.

Barbiturate

Barbiturate werden seit Anfang dieses Jahrhunderts beim Alkoholentzug benützt, sind aber fast vollständig verdrängt worden. Vereinzelt werden sie noch empfohlen, so zum Beispiel -- bei milden bis mässigen Abstinenzsyndromen -- Phenobarbital (Luminal®) oder Tetrabamat (ein Komplex aus drei Barbituraten, Atrium®).(15) Die mittlerweile geringe Verbreitung von Barbituraten verringere die Gefahr, dass ein Alkoholiker in eine neue Abhängigkeit gleite.(16) Dass Barbiturate zur Therapie des Alkoholentzugssyndroms sehr wirksam sind, konnte eine grosse Doppelblindstudie zeigen: 109 Alkoholiker (davon 30 mit Zeichen eines Delirs) wurden nach Bedarf mit Barbital (Diäthylbarbitursäure, Veronal®, in der Schweiz nicht mehr im Handel) oder Diazepam (jeweils 20 mg intramuskulär) behandelt. Bei den leichten bis mittelschweren Fällen wirkte Diazepam minim besser, bei den deliranten Patienten aber fiel der Vergleich signifikant zugunsten von Barbital aus.(16) Trotzdem sind Zweifel berechtigt, ob man heute noch Barbiturate verwenden sollte, wenn mit den Benzodiazepinen anerkanntermassen weit sicherere Substanzen zur Verfügung stehen.

Carbamazepin

Bei 63 Alkoholikern verglich man doppelblind 6 Tage lang die Wirkung von Carbamazepin (z.B. Tegretol®, mittlere Gesamtdosis 1,5 g) und von Barbital (mittlere Gesamtdosis 2,9 g). Alle Patienten bekamen zusätzlich Disulfiram (Antabus®) und Diphenhydramin (z.B. Benadryl®). Unter Carbamazepin trat bei einem Patienten ein Grand-mal- Anfall auf, unter Barbital bei einem ein Delir. Im übrigen fand sich zwischen Carbamazepin und Barbital kein nennenswerter Unterschied.(17)


Clonidin

Clonidin (Catapresan®) ist ein zentral wirkender a2-Rezeptoren- Agonist. Eine Stimulierung dieser Rezeptoren vermindert die Aktivität noradrenerger Neuronen und somit den bei Entzugssyndromen erhöhten Sympathikotonus. Man nimmt an, dass Clonidin vor allem noradrenerge Neuronen im Locus coeruleus, einem Kern im Boden des vierten Ventrikels, hemmt und dass im Locus coeruleus endogene und exogene Reize («Stress») verarbeitet werden. In einer 60 Stunden dauernden Doppelblindstudie erhielten 47 Alkoholiker mit milden bis mässigen Entzugssymptomen Clonidin (Gesamtdosis 1,4 mg) oder Chlordiazepoxid (Gesamtdosis 350 mg); die Tablettenzahl wurde vom zweiten bis zum vierten Tag von drei auf eins reduziert. Man konnte zeigen, dass Clonidin mindestens so wirksam ist wie das Benzodiazepin.18 Clonidin senkt zusätzlich den beim Entzug oft erhöhten Blutdruck. Die Gefahr eines deutlichen Blutdruckanstiegs beim Absetzen -- ein aus der Hypertoniebehandlung bekannter unerwünschter Clonidin-Effekt -- scheint gering zu sein, wenn man die Substanz kurzfristig verwendet und die Behandlung nicht brüsk, sondern ausschleichend beendet.

Antiepileptika

Den meisten der oben besprochenen Substanzen kommt eine antikonvulsive Wirkung zu; im allgemeinen ist daher kein zusätzliches Antiepileptikum notwendig, um Konvulsionen zu verhüten. 20 Alkoholiker, die während eines früheren Entzuges bereits Konvulsionen erlitten hatten und deshalb besonders gefährdet waren, erhielten Diazepam (60 mg innerhalb der ersten 3 Stunden, anschliessend individuell dosiert). Bei keinem der Patienten entwickelte sich ein epileptischer Anfall.(19)Hingegen darf eine antiepileptische Therapie, die schon vor der Abstinenzphase bestanden hat, nicht unterbrochen werden.
Falls während eines Entzugs dennoch Konvulsionen auftreten, werden sie wie andere Grand-mal-Anfälle behandelt, zum Beispiel mit Benzodiazepinen, Phenytoin (Diphenylhydantoin, z.B. Epanutin®) oder Carbamazepin. Da entzugsbedingte Anfälle nicht Ausdruck eines chronischen Krampfleidens sind, kann diese antikonvulsive Behandlung nach wenigen Tagen wieder beendet werden.

Neuroleptika

Allein verabreicht haben sich Neuroleptika in der Entzugsbehandlung nicht bewährt. Wie oben bereits dargelegt, traten unter Chlorpromazin Delirien oder Krämpfe sogar häufiger auf als unter Placebo.(8) Bei 15 deliranten Patienten, die als einziges Mittel Haloperidol (z.B. Haldol ®, intravenös 20 bis 115 mg/Tag) erhielten, war das Resultat ebenfalls enttäuschend.(20) Neuroleptika (wie auch Antidepressiva) senken die Krampfschwelle des Gehirns und können den Ablauf eines Alkoholentzugssyndroms negativ beeinflussen. Deswegen sollen bei psychotischen Episoden Neuroleptika (z.B. Haloperidol 0,5 bis 5 mg) nur unter dem Schutz einer antiepileptisch wirksamen Substanz eingesetzt werden. Zur primären Behandlung des Delirs sind sie nicht indiziert.

Betablocker

Der Einsatz von Betablockern beim Alkoholentzugssyndrom wird in den meisten Übersichtsarbeiten zurückhaltend bewertet.(4,7) Zwar erwies sich in einer sechstägigen Doppelblindstudie niedrig- und hochdosiertes Propranolol (z.B. Inderal®, 40 oder 160 mg/Tag) bei leichten Entzugssyndromen gegenüber Chlordiazepoxid (100 mg/Tag) als ebenbürtig,(21) indem Propranolol sehr wirkungsvoll die Symptome des erhöhten Sympathikotonus beeinflusste. In einer weiteren Studie war Propranolol (120 mg/Tag) Diazepam (30 mg/Tag) sogar überlegen.(22) Auch Atenolol (Tenormin ®) ist geprüft worden; in einem Doppelblindvergleich war dieser Betablocker deutlich wirksamer als Placebo.(23) Allerdings erhielt in diesen beiden letzten Studien ein Teil der Patienten zusätzlich ein Schlafmittel.
Betablocker wirken weder sedierend noch antikonvulsiv und tragen zur Prophylaxe von Komplikationen wenig bei, so dass sich ihr Nutzen wahrscheinlich auf Fälle mit schwerem Tremor, Herzrhythmusstörungen oder starkem Blutdruckanstieg beschränkt.

Schlussfolgerungen

Das Vorgehen bei einem Alkoholentzugssyndroms muss immer auf den einzelnen Patienten zugeschnitten werden; gerade weil psychische und soziale Momente entscheidend mitspielen, lassen sich keine starren Regeln aufstellen. Eine optimale Pharmakotherapie ist nur ein Baustein für einen erfolgreichen Entzug. Wenn man sich entschliesst, medikamentös zu behandeln, sind Benzodiazepine Mittel der Wahl, denn ihre Anwendung ist sicherer als die von Clomethiazol oder Barbituraten. Bei einer gegebenen Indikation kann die Therapie mit Neuroleptika, Betablockern oder Antiepileptika ergänzt werden.
Die bisherigen Erfahrungen mit Carbamazepin und Clonidin weisen darauf hin, dass diese beiden Substanzen die therapeutischen Möglichkeiten um einiges erweitern könnten; solange aber nicht unter kontrollierten Bedingungen geprüft worden ist, wie sich schwere Entzugssyndrome mit Delirien behandeln lassen, kann ihr routinemässiger Einsatz nicht empfohlen werden.

Literatur

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Therapie des Alkoholentzugssyndroms (28. Oktober 1988)
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