Nedocromil

Synopsis

Nedocromil (Tilade®) ist ein neues Antiasthmatikum, welches wie die Cromoglicinsäure die Freisetzung von Mediatoren aus Entzündungszellen hemmt.

Chemie/Pharmakologie

Nedocromil-Natrium (im folgenden Text kurz als Nedocromil bezeichnet) ist das Dinatriumsalz einer Pyranochinolinondicarbonsäure. Das Molekül ist strukturell entfernt mit der Cromoglicinsäure (Lomudal®) verwandt.
Wie die Cromoglicinsäure hemmt Nedocromil die Freisetzung von Mediatoren aus Entzündungszellen (Mastzellen, Makrophagen, Granulozyten, Thrombozyten, Monozyten u.a.) nach Stimulation mit einem Antigen oder mit einem anderen Reiz. Nedocromil hemmt so drei Phasen der Asthma-Pathogenese (die asthmatische Sofortreaktion, die asthmatische Spätreaktion und die Entstehung einer bronchialen Hyperreagibilität).(1)
In verschiedenen Tiermodellen zeigte Nedocromil eine ähnliche antiallergische Wirksamkeit wie die Cromoglicinsäure. Wirksamer als die letztere war Nedocromil bei Affen, die mit Ascaris sensibilisiert worden waren.(2)

Beim Menschen wurde die antiasthmatische Wirksamkeit von Nedocromil in zahlreichen Einzeldosis-Studien dokumentiert. Die Inhalation von 2 oder 4 mg Nedocromil 20 bis 30 Minuten vor einem bronchokonstriktorischen Reiz (Allergen, Schwefeldioxid, kalte Luft, körperliche Anstrengung u.a.) schützt vor Bronchospasmen. Diese Wirkung unterscheidet sich signifikant von der Placebowirkung; im Vergleich mit Cromoglicinsäure zeigt Nedocromil eine ebenbürtige oder (z.B. bei Adenosin-induziertem Asthma) stärkere Wirkung.(3)

Pharmakokinetik

Wie die Cromoglicinsäure liegt Nedocromil grösstenteils in ionisierter Form vor (pKa um 2) und ist deshalb für eine perorale Applikation ungeeignet. Aerosole ermöglichen es, Medikamente so zu verabreichen, dass sie in den Atemwegen die höchsten Konzentrationen erreichen. Es ist deshalb nicht von Belang, dass inhalierte Medikamente allgemein nur zu einem kleinen Teil resorbiert werden. So beträgt die biologische Verfügbarkeit einer mittels Dosieraerosol applizierten 4 mg-Dosis von Nedocromil lediglich 7 bis 9%, wovon 2 bis 3% aus dem Gastrointestinaltrakt und 5 bis 6% aus den Lungen aufgenommen werden. Untersuchungen mit C14-markiertem Nedocromil zeigten keine Metabolisierung.(4)Nach Inhalation beträgt die terminale Eliminationshalbwertszeit scheinbar zwischen 1,5 und 2,3 Stunden. Nach oraler Gabe ist die Halbwertszeit aber wesentlich länger (um 21 Stunden); da auch bei Verabreichung mittels Aerosol kleine Mengen gastrointestinal resorbiert werden, kommt es bei wiederholter Verabreichung zu einer gewissen Kumulation.(4)

Klinische Studien

Nedocromil ist in einer Reihe von kontrollierten Studien als Asthma-Basistherapeutikum getestet worden. Die Patienten hatten meistens 4mal täglich 4 mg Nedocromil oder ein entsprechendes Placebo-Aerosol zu inhalieren. Etwa die Hälfte dieser Studien dauerte allerdings nur vier Wochen. Untersucht wurde die Wirkung auf subjektive Beschwerden, auf den Bronchodilatator-Bedarf und auf Atemfunktionstests, insbesondere die maximale Atemstossstärke («Peak Expiratory Flow Rate» = PEFR).
Eine Studie, die von 57 Allgemeinpraktikern durchgeführt wurde, umfasste 159 Patienten mit reversibler chronisch-obstruktiver Lungenkrankheit (wovon 87% Asthmatiker), die ohne Kortikosteroide behandelt werden konnten. In einer initialen Phase erhielten alle Patienten regelmässig Salbutamol (Ventolin®) als Aerosol. In der anschliessenden, 12 Wochen dauernden Doppelblindphase wurde 2mal täglich 4 mg Nedocromil oder Placebo inhaliert; der Bronchodilatator war nur noch im Bedarfsfall zugelassen. Im ganzen brachen 40 Patienten (26 aus der Nedocromil- Gruppe) die Studie wegen vermehrten Asthmabeschwerden oder Nebenwirkungen vorzeitig ab. Die Patienten der Nedocromil-Gruppe benötigten den Bronchodilatator seltener und hatten nach ärztlicher Einschätzung weniger Symptome. Alle anderen Vergleiche (insbesondere auch die Atemfunktionstests und die Schlussbeurteilung) ergaben keine signifikanten Unterschiede zwischen der Nedocromil- und der Placebo-Gruppe.(5) In einer anderen Studie bei 167 Asthmatikern ohne Steroide wurde Nedocromil in zwei verschiedenen Dosierungen (2mal, bzw. 4mal 4 mg/Tag) mit Placebo verglichen. Die niedrigere Dosis ergab eigenartigerweise deutlich bessere Resultate (d.h. eine stärkere Reduktion der Asthmasymptome).(6)
In mehreren Studien wurde versucht, eine inhalative Kortikosteroid- Behandlung (z.B. mit Beclomethasondipropionat = Becotide® u.a.) unter Nedocromil abzusetzen: Bei 71 Asthmatikern, die während 12 Wochen mit Nedocromil (4mal 4 mg/Tag) oder Placebo behandelt wurden, erfolgte der Entzug des Steroidaerosols allmählich. In der Folge musste die Studie wegen zu starken Asthmabeschwerden bei 24 Patienten der Placebogruppe, aber nur bei 14 Patienten der Nedocromilgruppe abgebrochen werden. Der Vergleich der Ergebnisse der Atemfunktionstests ergab dagegen kaum signifikante Unterschiede zwischen den beiden Gruppen.(7) In einer anderen Studie wurde die Dosis des inhalierten Kortikosteroids bei einem Teil der Patienten reduziert, so dass alle 89 untersuchten Asthmatiker etwa gleich viel Symptome hatten. Darauf folgte eine vierwöchige Doppelblindphase. Die Patienten unter Nedocromil (4mal 4 mg/Tag) hatten weniger Symptome und einen geringeren Bronchodilatator- Bedarf als die Patienten der Placebogruppe. In der Schlussbeurteilung durch Patienten und Ärzte wurde Nedocromil bei rund 40%, Placebo bei 25% als wirksam bezeichnet (ein nicht-signifikanter Unterschied).(8)
Der abrupte Entzug eines Steroid-Aerosols bleibt auch unter Nedocromil nicht ohne ungünstige Folgen: Bei 58 Asthmatikern, die seit drei Wochen Nedocromil (4mal 4 mg/Tag) oder Placebo erhielten, wurden die inhalierten Steroide plötzlich abgesetzt. Es kam bei allen Patienten zu einer Zunahme der Asthmasymptome; auch die Resultate der Atemfunktionstests verschlechterten sich. Deswegen konnte nur ein Teil der Patienten während den geplanten 12 Wochen in der Studie verbleiben; Patienten der Nedocromil-Gruppe schnitten aber in dieser Hinsicht signifikant besser ab (nur 12 von 27 Patienten dieser Gruppe beendeten die Studie vorzeitig). Dennoch raten die Autoren dieser Studie davon ab, Steroidaerosole unter Nedocromil plötzlich abzusetzen.(9) Über die langfristige Anwendung von Nedocromil liegen zwei Berichte von offenen Studien vor. In diesen Studien erhielten total 130 Asthmatiker Nedocromil in einer Dosis von 4mal 4 mg/Tag. 104 Patienten verwendeten das Medikament während eines ganzen Jahres, wobei die Wirkung offenbar erhalten blieb.(10,11)
Gemäss einem placebokontrollierten Einzeldosis-Vergleich mit Cromoglicinsäure (20 mg) ist die Wirkungsdauer von Nedocromil (4 mg) deutlich kürzer als diejenige der Vergleichssubstanz; nach 2 Stunden liess sich die Nedocromil- Wirkung auf ein anstrengungsinduziertes Asthma nicht mehr von der Placebowirkung unterscheiden.(12)
Keine der bisher veröffentlichten klinischen Studien mit längerdauernder Nedocromil-Verabreichung diente dem Vergleich mit Cromoglicinsäure.

Unerwünschte Wirkungen

Verhältnismässig häufig beklagen sich Patienten über den «bitteren» Geschmack von Nedocromil. Nach Firmenangaben betrifft dies etwa 13% der Behandelten,(3) in einer Studie waren es aber mehr als 50% der Patienten, welche den Geschmack beanstandeten.(7) Andere Symptome, die möglicherweise mit dem Medikament zusammenhängen, sind Kopfschmerzen (4,8% der Patienten), Übelkeit (4,0%) und Erbrechen (1,8%).(3)
Nur 3% der Patienten setzten Nedocromil wegen unerwünschten Wirkungen ab; die meisten Therapieabbrüche (12%) waren auf eine ungenügende Wirksamkeit zurückzuführen. (3)

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Nedocromil (Tilade®) ist nur als Dosieraerosol (1 Hub = 2 mg) erhältlich; das Medikament ist kassenzulässig. Die Herstellerfirma empfiehlt, 2mal täglich 2 Hübe zu applizieren. Das Medikament ist allerdings in den meisten Studien viermal täglich verabreicht worden; über die notwendige Dosierung besteht deshalb keine Klarheit. Da Nedocromil bisher kaum bei Kindern geprüft worden ist, soll es Asthmatikern unter 12 Jahren nicht verabreicht werden. Für die kleinere Dosis (2mal 4 mg/Tag) errechnen sich Tageskosten von Fr. 3.55; bei viermaliger Verabreichung ist mit den doppelten Kosten zu rechnen. Zum Vergleich: Mit Cromoglicinsäure (Lomudal®) als Dosieraerosol kostet eine Behandlung mit 4mal täglich 2 mg (2 Hübe) Fr. 3.90 im Tag. Steroid-Aerosole sind billiger: Auch hohe Dosen Beclomethasondipropionat (Becloforte ®, 4mal 0,25 mg) oder Budesonid (Pulmicort®, 4mal 0,2 mg) kosten nur etwa Fr. 2.50 pro Tag.

Kommentar

Die Aerosoltherapie des Asthma bronchiale beruht heute in erster Linie auf geeigneten Bronchodilatatoren und Kortikosteroiden. Nedocromil ist ganz offensichtlich als verbessertes Nachfolgepräparat der Cromoglicinsäure -- welche bei Erwachsenen oft enttäuscht -- gedacht. Für den verschreibenden Arzt wären deshalb klinische Vergleiche zwischen diesen beiden Medikamenten von besonderem Interesse. Dass bisher kaum solche Vergleiche vorliegen, kann sich nur aus der Tatsache erklären, dass beide Präparate vom gleichen Hersteller stammen.
Die vorhandenen Studien lassen annehmen, dass Nedocromil insbesondere die subjektiven Asthmasymptome günsti- ger als ein Placebo beeinflusst. Objektive Messwerte (z.B. die maximale Atemstossstärke) werden meistens nicht signifikant gebessert. Im Durchschnitt erreicht Nedocromil jedenfalls die Wirksamkeit der (deutlich billigeren) Steroid-Aerosole nicht. Da die heute verfügbaren Steroid-Aerosole nur selten nennenswerte Probleme verursachen, ist kaum je eine Dosisreduktion oder ein Absetzen des Steroids notwendig. Der Platz von Nedocromil innerhalb der antiasthmatischen Therapie ist somit noch ganz unbestimmt.

Literatur

  1. 1) M.K. Church: Ann. Allergy 62: 215, 1989
  2. 2) D.M. Jackson und R.P. Eady: Eur. J. Respir. Dis. 69: Suppl. 147, 202, 1986
  3. 3) J.P. Gonzalez und R.N. Brogden: Drugs 34: 560, 1987
  4. 4) M.G. Neale et al.: Br. J. Clin. Pharmacol. 24: 493, 1987
  5. 5) H.N. Williams: Curr. Med. Res. Opin. 11: 417, 1989
  6. 6) A. van As et al.: Eur. J. Respir. Dis. 69: Suppl. 147, 143, 1986
  7. 7) R.E. Ruffin et al.: Austr. N.Z. J. Med. 17: 557, 1987
  8. 8) M.F. Bone et al.: Thorax 44: 654, 1989
  9. 9) M. Paananen et al.: Eur. J. Respir. Dis. 69: Suppl. 147, 330, 1986
  10. 10) S. Lal et al.: Eur. J. Respir. Dis. 69: Suppl. 147, 136, 1986
  11. 11) E. Carrasco und R. Sepulveda: J. Internat. Med. Res. 16: 394, 1988
  12. 12) P. König et al.: J. Allergy Clin. Immunol. 79: 64, 1987

Standpunkte und Meinungen

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Nedocromil (14. August 1989)
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