Nikotin transdermal

Synopsis

Transdermales Nikotin (Nicotinell® TTS) wird zur Unterstützung der Raucherentwöhnung empfohlen.

Grundsätzliche Überlegungen

Nikotin kann als Adjuvans zur Raucherentwöhnung verwendet werden, um die körperlichen Entzugssymptome abzuschwächen und dadurch dem Raucher das Durchbrechen seiner psychischen Abhängigkeit zu erleichtern. Mit Nikotinkaugummis wird die Rauchergewohnheit einer diskontinuierlichen Nikotinzufuhr imitiert: auf abfallende Nikotinspiegel folgt das Verlangen nach Nikotinkonsum; ansteigende Nikotinkonzentrationen führen zu einem Befriedigungsgefühl.
Mit dem transdermalen Nikotinsystem versucht man dieses Raucherritual zu durchbrechen, indem ein ständig ungefähr gleichbleibender Nikotinspiegel das Verlangen dauernd verhindern soll. Süchtige empfinden in den ersten Abstinenzwochen die stärksten Entzugssymptome; nach etwa 3 bis 4 Monaten sind sie abgeklungen. Deshalb wird die transdermale Nikotinsubstitution über drei Monate in abnehmender Dosierung verwendet.

Nikotin-Kinetik

Das Profil der Nikotinplasmakonzentration eines Rauchers ist charakterisiert durch schnell an- und abflutende Konzentrationsspitzen, die wenige Minuten nach dem Rauchen einer Zigarette auftreten. Bei Personen, die regelmässig rauchen, finden sich individuell recht unterschiedliche Nikotin-Plasmakonzentrationen. Konzentrationsspitzen nach dem Rauchen liegen im Mittel bei 35 ng/ml; unmittelbar vor der nächsten Zigarette ist der Wert um etwa 10 ng/ml niedriger. Am frühen Morgen (vor der ersten Zigarette) beträgt der Plasmaspiegel etwa 2 bis 3 ng/ml.
Langsamer steigt und fällt die Nikotinplasmakonzentration beim Kauen eines Nikotinkaugummis. Die Spitze wird erst nach 30 Minuten erreicht. Nach einem Kaugummi mit 2 mg Nikotin beträgt sie 10-15 ng/ml, bei wiederholten Dosen von 4 mg kann sie ähnlich hoch sein wie nach wiederholtem Zigarettenrauchen.(1)

Nicotinell® TTS ist prinzipiell wie andere transdermale therapeutische Systeme (z.B. Nitroderm®, Estraderm®) aufgebaut. Die Haftfläche des Systems gibt eine konstante Menge Nikotin (in 24 Stunden 0,7 mg pro cm2) an die Haut ab. Im Gegensatz zu Kaugummis erzeugt deshalb ein Nikotinpflaster einen weitgehend konstanten und flachen Plasmakurvenverlauf. Im «steady state» ergibt Nicotinell ® TTS (20 cm2) Plasmaspiegel um 10 ng/ml.(2)

Nikotin wird hauptsächlich in der Leber metabolisiert. Es hat eine Plasmahalbwertszeit von 2 Stunden. Es wird dabei in verschiedene Metaboliten umgebaut, die vermutlich pharmakologisch nicht von Bedeutung sind. Ein kleinerer Teil wird unverändert und pH-abhängig durch die Nieren ausgeschieden.(3)

Klinische Studien

Bisher sind erst zwei Studien veröffentlicht worden, in denen Nicotinell® TTS kritisch geprüft worden ist: Während drei Monaten nahmen in 21 verschiedenen Arztpraxen 199 Raucher an einer Doppelblindstudie teil. Nicotinell ® TTS wurde in drei Grössen (10, 20 und 30 cm2, entsprechend einer Dosis von 7, 14 bzw. 21 mg/24 Std) verwendet. Die «Placebo»-Systeme hatten das gleiche Aussehen wie Nicotinell® TTS, setzten aber im Vergleich mit den «aktiven» Systemen nur rund 10% der Nikotinmenge frei. Täglich war ein frisches Pflaster zu applizieren. Personen, die mehr als 20 Zigaretten täglich geraucht hatten, begannen die Kur mit einem System von 30 cm2, die übrigen mit einem Pflaster von 20 cm2. Einmal monatlich fand eine Konsultation in der Arztpraxis statt. Bei erfolgreicher Abstinenz wurde auf das nächstkleinere, bei einem Rückfall auf das grössere Pflaster umgestellt. Die Probanden wurden nach der Anzahl der gerauchten Zigaretten gefragt und die Aussage mittels CO-Messung in der Ausatmungsluft überprüft. Eine psychologische Beratung erhielten die Raucher nicht. Individuen, die mit Nikotin «behandelt» wurden, waren nach 1 Monat zu 41%, nach 2 Monaten und nach 3 Monaten zu 36% abstinent (d.h. sie hatten im vorausgehenden Monat nicht geraucht). Für Personen mit «Placebo»-Pflastern lauteten die entsprechenden Zahlen 19%, 20% und 22%. Sechs Monate nach Beendigung der Kur konnte jedoch kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen mehr festgestellt werden; 22% der Nikotingruppe und 12% der Placebogruppe waren noch abstinent. Während der Studie nahmen das Verlangen nach Zigaretten und andere Entzugssymptome in beiden Gruppen kontinuierlich ab. In dieser Hinsicht fanden sich nur geringe Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Dagegen stieg das Körpergewicht bei den Abstinenten ohne Nikotinunterstützung um 4,4 kg an, während es bei den Abstinenten mit Nicotinell®-Pflaster konstant blieb.(4)

Eine nach einem ganz ähnlichen Prüfungsplan vorgenommene Studie bei 112 Studenten bestätigte im allgemeinen die Resultate der Praktikerstudie. Diese jungen (höchstens 30 Jahre alten) Probanden erreichten zu Beginn eine um 10% höhere Abstinenzrate (in beiden Gruppen). Nach neun Wochen war die Zahl von Abstinenten mit 39% in der Nicotinell®-Gruppe und mit 20% in der «Placebo»- Gruppe wegen einer grösseren Aussteiger- und Rückfallquote im gleichen Bereich wie in der Praktikerstudie.(4)
Mit anderen Nikotinpflastern sind auch Studien durchgeführt worden, in denen die teilnehmenden Personen zusätzlich eine Verhaltenstherapie oder eine psychologische Stützung erhielten. In diesen Untersuchungen nahm die Abstinenzrate -- möglicherweise dank der psychologischen Stützung -- im Laufe der Studien stetig zu: In einer Doppelblindstudie bei 80 Personen wurden Nikotinpflaster verwendet, die ähnliche Nikotin-Plasmaspiegel wie Nicotinell ® TTS erzeugten. Psychologische Beratung und Abstinenzkontrollen fanden jede Woche statt. Nach 6 Wochen waren 20 (50%) der Teilnehmer der Nikotingruppe und 7 (18%) der Placebogruppe abstinent.(5)

In einer anderen Doppelblindstudie wurden die 131 Teilnehmer in drei Gruppen eingeteilt. 42 Raucher erhielten Nikotinpflaster (Standarddosierung 30 mg/24 Std), 43 Placebopflaster und 46 dienten als Kontrolle (ohne Pflaster). Alle nahmen an einem wöchentlichen verhaltenstherapeutischen Programm teil. Nach einer sechswöchigen Behandlung waren 69% der Nikotingruppe, 51% der Placebogruppe und 44% der Kontrollgruppe abstinent. Der Langzeiterfolg wurde nur mittels schriftlicher Befragung erfasst: nach einem Jahr sollen noch 11 Personen (26%) der Nikotingruppe, 9 Personen (21%) der Placebogruppe und 7 Personen (15%) der Kontrollgruppe abstinent gewesen sein.(6)

Unerwünschte Wirkungen

Wie andere transdermale Systeme sind auch Nikotinpflaster relativ häufig für Hautreaktionen verantwortlich. Nikotinpflaster verursachen bei 25 bis 30% der Behandelten eine Hautrötung und Juckreiz; eine stärkere Rötung fand sich bei 7%. «Placebo»-Pflaster führten dagegen nur zu etwa halb so vielen Reaktionen. Ein Abbruch der Behandlung war bei rund 6% der Personen, die Nikotinpflaster erhielten, notwendig.(4) Die Hautreaktionen waren mehrheitlich auf den Applikationsort beschränkt und nach dem Entfernen des Pflasters reversibel.(4,5) Doch sind auch Einzelfälle von generalisierten Exanthemen beschrieben worden.(7)

Andere unerwünschte Symptome sind schwierig zu interpretieren, da sie teils Entzugserscheinungen, teils Nikotinwirkungen entsprechen können. Sicher ist mit mehr Nikotinwirkungen zu rechnen, wenn jemand ein Nikotinpflaster anwendet und raucht.

Gemäss Angaben der Herstellerfirma sind bisher mit «aktivem » Pflaster mindestens doppelt soviele systemische Effekte wie mit «Placebo»-Pflaster beobachtet worden. Symptome seitens des Zentralnervensystems -- Schlafstörungen, Nervosität, Angst, Verstimmung, Kopfschmerzen -- waren relativ häufig; seltener wurde über gastrointestinale Beschwerden (Bauchschmerzen, Brechreiz, Erbrechen) sowie Mundtrockenheit, Schweissausbrüche und Parästhesien berichtet. Das Suchtpotential von Nikotinpflastern wird als gering eingeschätzt, da ihre Wirkung langsam eintritt und keine hohen Plasmaspiegel erreicht werden.(8)

Interaktionen: Bisher sind keine Interaktionen von transdermalem Nikotin mit Medikamenten bekannt. Bei Personen, die das Rauchen aufgeben, bildet sich die vom Rauchen verursachte Enzyminduktion allmählich zurück. Dies kann sich insbesondere auf die Kinetik von Theophyllin auswirken (längere Plasmahalbwertszeit bei Nichtrauchern).

Spezieller Warnhinweis

Nikotin ist kein Medikament, sondern ein gefährliches Gift! Die Nikotindosis, die in einem Nicotinell® 30-System enthalten ist, könnte bei oraler Einnahme zum Tod eines Erwachsenen führen. Bei Kindern kann sogar die transdermale Anwendung tödliche Folgen haben. Nikotinpflaster sind deshalb ausserhalb der Reichweite von Kindern aufzubewahren. Da die Pflaster bei der Entfernung immer noch aktiv sind, muss auch der Entsorgung grösste Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Bei Individuen mit fortgeschrittenen Herz-, Kreislauf-, Leber- oder Nierenerkrankungen, Diabetes oder Hyper- thyreose ist die Anwendung von Nikotinpflastern nur ausnahmsweise gerechtfertigt. In der Schwangerschaft und Stillzeit soll ebenfalls auf Nikotinpflaster verzichtet werden.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Nicotinell® TTS ist in den Grössen von 10, 20, und 30 cm2 erhältlich. Die Pflaster werden täglich neu appliziert, wobei die Hautstelle (z.B. am Abdomen oder am Oberschenkel) zu wechslen ist.
Mit Beginn der Anwendung von Nicotinell® TTS soll das Rauchen gänzlich aufgegeben werden. Gelingt dies nicht, so wird zum Abbruch der transdermalen Nikotinapplikation geraten. Personen, die mehr als 20 Zigaretten pro Tag geraucht haben, wird empfohlen, während 4 Wochen Nicotinell ® TTS 30 zu verwenden, dann für weitere 4 Wochen Nicotinell® TTS 20, und zuletzt noch etwa 4 Wochen Nicotinell® TTS 10. Mässige Raucher applizieren während 8 Wochen Nicotinell® TTS 20 und noch 4 Wochen lang Nicotinell® TTS 10. Die Anwendung soll höchstens drei Monate dauern.
Eine nach dieser Vorschrift durchgeführte Behandlung kostet zwischen 440 und 450 Franken. Das Präparat ist nicht kassenzulässig. Zum Vergleich: Eine dreimonatige Verwendung von täglich 10 Nikotin-Kaugummis (Nicorette ®) kostet auch mindestens 250 Franken.

Kommentar

Innerhalb von drei Monaten haben sich in zwei Studien mit Nikotinpflastern (ohne zusätzliche psychologische Hilfe) Abstinenzraten ergeben, wie sie bisher kaum in der Praxis, sondern nur in speziellen «Raucherentwöhnungs-Kliniken» mit Verhaltenstraining und/oder Nikotinkaugummis erreicht wurden. Sechs Monate nach Beginn einer «Nikotinpflaster- Kur» sind aber nur noch 22% der behandelten Personen abstinent, nicht signifikant mehr als solche, die nur mit «Placebo»-Pflaster behandelt wurden. Da nur der langfristige Erfolg von Bedeutung sein kann,(9) ist somit auch die Intervention mit Nikotinpflastern in der grossen Mehrzahl der Fälle erfolglos. Raucherentwöhnung ist nicht in erster Linie ein pharmakologisch-toxikologisches Problem. Solange nicht langfristig ein signifikanter Unterschied zwischen Nikotin- und Placebo-Applikation nachgewiesen ist, wären wohl Placebo-Pflaster als gefahrlosere Alternative vorzuziehen.

Literatur

  1. 1) Russell MAH. In: Pomerleau OF et al, eds. Nicotine Replacement: A Critical Evaluation. New York: Alan R Liss, 1989: 63-94
  2. 2) Dubois JP et al. Meth Find Exp Clin Pharmacol 1989; 11: 187-95
  3. 3) Svensson CK. Clin Pharmacokin 1987; 12: 30-40
  4. 4) Abelin T et al. Meth Find Exp Clin Pharmacol 1989; 11: 205-14
  5. 5) Mulligan SC et al. Clin Pharmacol Ther 1990; 47: 331-7
  6. 6) Buchkremer G et al. Nervenarzt 1988; 59: 488-90
  7. 7) Eichelberg D et al. Meth Find Exp Clin Pharmacol 1989; 11: 223-5
  8. 8) Hughes JR. Biomed Pharmacother 1989; 43: 11-7
  9. 9) Kochen M. pharma-kritik 1987; 9: 33-6

Standpunkte und Meinungen

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Nikotin transdermal (14. Juni 1990)
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pharma-kritik, 12/No. 11
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