Lapatinib

Synopsis

Lapatinib (Tyverb®) wird zur Behandlung bei fortgeschrittenem Mammakarzinom empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Zur Gruppe der EGF-Rezeptoren («epidermal growth factor receptors») gehören vier transmembranäre Rezeptoren, die mit den Abkürzungen ErbB1 (EGFR, HER-1), ErbB2 (HER-2), ErbB3 (HER-3) und ErbB4 (HER-4) bezeichnet werden. Sie sind an der Regulierung des Zellwachstums beteiligt, indem ihr intrazellulärer Teil als Tyrosinkinase fungiert. In Mammakarzinom- Zellen findet sich in je 20 bis 30% der Fälle eine verstärkte Expression von HER-1 oder HER-2.

Lapatinib, ein 4-Anilinoquinazolin-Derivat, blockiert intrazelluär sowohl HER-1- wie HER-2-Rezeptoren. Dadurch wird deren Phosphorylierung und damit die weitere Signalübertragung unterbunden. Als eine andere Substanz, die ebenfalls HER-2 blockiert, kennt man den monoklonalen Antikörper Trastuzumab (Herceptin®), der sich im Unterschied zu Lapatinib aber an den extrazellulären Teil des Rezeptors bindet.(1,2)

Pharmakokinetik

Wegen seiner geringen Löslichkeit wird Lapatinib nur langsam und unvollständig resorbiert. Die Plasmaspitzenkonzentration ist nach durchschnittlich 4 Stunden erreicht, und die biologische Verfügbarkeit wird auf weniger als 25% geschätzt. Gleichzeitig eingenommenes Essen verzögert die Aufnahme zusätzlich, erhöht aber je nach Fettgehalt die Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve (AUC) um etwa das 2- bis 4-fache. Lapatinib wird umfassend über Zytochrome metabolisiert; daran sind hauptsächlich CYP3A4/5 und etwas weniger CYP2C8 beteiligt, aber auch CYP1A2, CYP2D6 und CYP2C9/19. Die Metaboliten werden grösstenteils über den Stuhl eliminiert. Die Halbwertszeit beträgt nach einer einzelnen Dosis 14 Stunden, im Fliessgleichgewicht («steady state») 24 Stunden. Bei mittelgradiger bis schwerer Leberinsuffizienz erhöht sich die Lapatinib-Exposition um 56 bis 85%.(3)

Klinische Studien

Die Hauptstudie, auf welcher der aktuelle Zulassungsstatus von Lapatinib beruht, umfasste 399 Frauen mit einem lokal fortgeschrittenen oder metastasierenden HER2-positiven Mammakarzinom (Stadien IIIB, IIIC oder IV). Einschlusskriterium war, dass sie vorgängig mindestens ein Anthrazyklin, ein Taxan und Trastuzumab bekommen hatten. Randomisiert, aber offen geführt behandelte man sie entweder mit Capecitabin (Xeloda®, 2-mal 1000 mg/m²/Tag) plus Lapatinib (1250 mg/Tag) oder mit Capecitabin (2-mal 1250 mg/m²/Tag) allein. Lapatinib wurde kontinuierlich verabreicht, Capecitabin dagegen zyklisch, jeweils an 2 von 3 Wochen. Die Zeit, die bis zum Fortschreiten der Krankheit oder bis zum Tod verstrich – der primäre Endpunkt –, dauerte mit der Capecitabin/Lapatinib-Kombination im Median 6,2 Monate, mit der Capecitabin-Monotherapie 4,3 Monate.(4,5) Mit der Kombination liess sich auch die Gesamtüberlebenszeit geringgradig (jedoch nicht signifikant) verlängern: gemäss einer aufdatierten Analyse betrugen die Medianwerte 74 Wochen bzw. 66 Wochen.(3) Ohnedies wohnte der Studie zu wenig «Power» inne, um bei der Gesamtüberlebenszeit einen Unterschied festmachen zu können.

Die andere grosse Studie, die bis anhin in vollem Umfang publiziert ist, bietet lediglich ergänzende Informationen. 579 Frauen mit metastasierendem Mammakarzinom, bei denen der HER2-Status negativ oder nicht bekannt war, behandelte man mit Paclitaxel (Taxol® u.a., 175 mg/m² alle 3 Wochen); zusätzlich erhielten sie doppelblind Lapatinib (1500 mg/Tag) oder Placebo. Die progressionsfreie und die gesamte Überlebenszeit liessen sich durch die Zugabe von Lapatinib zwar ausdehnen, doch war die Differenz gegenüber der Kontrollgruppe nicht signifikant. Einzig die Patientinnen, die retrospektiv einem positivem HER2-Status zugeordnet werden konnten, vermochten von der Kombination zu profitieren.(6)

Unerwünschte Wirkungen

Nebenwirkungen, die man bei Lapatinib häufiger zählte als in den Kontrollgruppen, waren Durchfall, Übelkeit und Erbrechen, Dyspepsie, Hautreaktionen (Ausschläge, palmar-plantare Erythrodysästhesie, Hautrockenheit), Schleimhautentzündungen, Rücken- und Extremitätenschmerzen, Schlaflosigkeit und Leberenzymveränderungen. Auch mit interstitiellen Lungenkrankheiten wurde das Mittel in Zusammenhang gebracht. Lapatinib kann zu einer Abnahme der linksventrikulären Funktion bzw. Auswurfsfraktion führen; das kardiotoxische Potential wird aber als geringer betrachtet als bei Trastuzumab.(1,3)

Interaktionen

Hemmer und Induktoren von CYP3A4 können erhebliche Veränderungen der Lapatinib-Exposition bewirken. Weitere Interaktionsmöglichkeiten ergeben sich daraus, dass Lapatinb selbst gewisse Zytochrome hemmt (CYP3A4, CYP2C8) und dass es sowohl Hemmer wie zum Teil auch Substrat verschiedener Transportproteine ist (P-Glykoprotein, «breast cancer resistance protein» [BCRP], organischer Anionentransporter OATP1B1).

Da in vitro die Löslichkeit von Lapatinib oberhalb eines pH von 4 stark abnimmt, lässt sich nicht ausschliessen, dass die Resorption von Lapatinib durch magensäurehemmende Substanzen beeinträchtigt wird.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Lapatinib (Tyverb®) wird als Tabletten zu 250 mg angeboten. Die Zulassung beschränkt sich momentan auf die Kombinationsbehandlung mit Capecitabin (Xeloda®) bei fortgeschrittenen HER2-positiven Mammakarzinomen, die auf Trastuzumab (Herceptin®) nicht mehr ansprechen. Die Tagesdosis beträgt bei 1-mal 1250 mg, eine Stunde vor oder nach einer Mahlzeit genommen. Bei schwerer Leberinsuffizienz gilt Lapatinib als kontraindiziert. Die Verwendung von Lapatinib während der Schwangerschaft ist möglichst zu vermeiden; ebenso sollte eine Lapatinib-Behandlung nicht mit Stillen kombiniert werden.

Lapatinib ist limitiert kassenzulässig und kostet 4171.10 Franken pro Monat.

Kommentar

Es wird sich nicht behaupten lassen, dass Lapatinib mit einer fundierten Dokumentation glänze: dass die Zulassung auf einer einzigen Studie gründet und die Indikation entsprechend eingeschränkt formuliert ist, hinterlässt einen kümmerlichen Eindruck – umso mehr, als es bei dieser Studie auch nicht gelungen ist, der Behandlung mit Lapatinib einen signifikanten Vorteil bezüglich Gesamtüberlebenszeit abzugewinnen.

Die Situation beim metastasierenden Mammakarzinom ist nach wie vor die, dass man nur Palliativbehandlungen anbieten kann. Auch wenn dazu rund ein Dutzend Zytostatika zur Verfügung stehen, die man einzeln oder kombiniert einsetzen kann, sind keine Standardtherapien definiert, die ein Optimum bezüglich Wirksamkeit und Verträglichkeit versprechen. In diesem grösseren Rahmen gesehen erscheint es umso fragwürdiger, dass Lapatinib bei solch geringem Erprobungsstand auf den Markt gebracht wird.

Standpunkte und Meinungen

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Lapatinib (1. September 2009)
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pharma-kritik, 31/No. 2
PK249
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