Aliskiren
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 29
, Nummer 10, PK185
Redaktionsschluss: 13. Dezember 2007
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2007.185 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Synopsis
Aliskiren (Rasilez®) ist ein direkter Reninhemmer, der zur Behandlung der arteriellen Hypertonie empfohlen wird.
Chemie/Pharmakologie
Mit dem Oktonamid Aliskiren wird erstmals eine (non-peptidische) Substanz eingeführt, die eine direkte Hemmwirkung auf humanes Renin besitzt. Unter der Einwirkung von Renin wird bekanntlich Angiotensinogen in das Dekapeptid Angiotensin I umgewandelt; aus diesem wiederum entsteht, vom «Angiotensin Converting Enzyme» (ACE) katalysiert, das blutdruckaktive Angiotensin II. Wie andere Medikamente, die das Renin-Angiotensin-System (RAS) beeinflussen – die ACE-Hemmer und die Angiotensin-Rezeptorenblocker (Sartane) – verdankt Aliskiren seine blutdrucksenkende Wirkung der Tatsache, dass durch die Hemmung des RAS die Bildung des blutdrucksteigernden Angiotensin II reduziert wird. ACE-Hemmer und Sartane führen (wie auch die Diuretika) zu einem Anstieg der Plasma-Renin-Aktivität. Obwohl sich dies theoretisch nachteilig auswirken könnte,(1) sprechen überzeugende klinische Resultate mit diesen Medikamenten gegen eine negative Wirkung einer erhöhten Plasma-Renin-Aktivität.(2) Der Reninhemmer Aliskiren führt dagegen nicht zu einem Anstieg der Plasma-Renin-Aktivität; die Proreninspiegel und damit die sogen. gesamte Plasma-Reninkonzentration steigen jedoch stark an. Einzelne Forscher sehen hier ein mögliches Problem, indem dies allenfalls dazu führen könnte, dass die Renin-bindende Kapazität von Aliskiren überfordert wird und deshalb die blutdrucksenkende Wirkung abnimmt.(3)Dieser Meinung ist jedoch von verschiedener Seite widersprochen worden und zur Zeit liegen keine Daten vor, wonach dieses Phänomen klinisch bedeutsam wäre.(2)
Pharmakokinetik
Nach oraler Verabreichung wird Aliskiren nur in geringem Ausmass resorbiert; die biologische Verfügbarkeit beträgt ungefähr 2,5% und findet sich noch stärker reduziert, wenn das Medikament mit einer fettreichen Mahlzeit zusammen eingenommen wird. Maximale Plasmaspiegel werden 2 bis 3 Stunden nach der Einnahme erreicht. Aliskiren hat eine Plasmahalbwertszeit von rund 24 Stunden.(4)Nach 7 bis 8 Tagen regelmässiger Einnahme wird ein Fliessgleichgewicht erreicht; die dabei erreichten Plasmaspiegel sind etwa doppelt so hoch wie nach der ersten Dosis. Mehr als 90% einer Dosis finden sich in unveränderter Form im Stuhl. Resorbiertes Aliskiren wird wahrscheinlich hepatobiliär eliminiert. Gemäss Studien in vitro spielt dabei das Zytochrom CYP3A4 eine Rolle.(4)
Bei Kindern und Jugendlichen ist Aliskiren bisher nicht untersucht worden. Bei Personen über 65 werden um rund 30% höhere Plasmaspiegel beobachtet. Eine eingeschränkte Nierenfunktion führt ebenfalls zu höheren Spiegeln, jedoch ohne dass ein Zusammenhang mit dem Ausmass der Funktionsstörung festgestellt werden könnte.(5) Leberfunktionsstörungen scheinen die Aliskiren-Spiegel nicht nennenswert zu beeinflussen.
Klinische Studien
Aliskiren ist in zahlreichen Doppelblindstudien bei leichter und mittelschwerer Hypertonie geprüft worden. Über 11'000 Patientinnen und Patienten waren an diesen Studien beteiligt.(4) Die Studiendauer betrug meistens 6 oder 8, gelegentlich 12 Wochen. Die Wirksamkeit wurde in erster Linie anhand des diastolischen Blutdrucks unmittelbar vor der Einnahme einer weiteren Dosis oder anhand des durchschnittlichen systolischen Blutdrucks während des Tages beurteilt.
Aliskiren als Monotherapie führte in einer Tagesdosis von 150 mg zu einer durchschnittlichen Blutdrucksenkung von ungefähr 11/8 mm Hg, mit einer Dosis von 300 mg ergab sich eine Senkung von rund 15/11 mm Hg, während der Blutdruck unter Placebo nur um 5/5 mm Hg abnahm.(4) In zwei Studien wurde auch eine Tagesdosis von 600 mg Aliskiren getestet; diese hatte jedoch gegenüber der 300-mg-Dosis keine nennenswerte zusätzliche Blutdrucksenkung zur Folge.(6,7)
Vergleich und Kombination mit anderen Antihypertensiva: In einer grossen, 8 Wochen dauernden Studie wurde die Wirkung verschiedener Dosen von Aliskiren und von Hydrochlorothiazid (Esidrex®) sowie der Kombination der beiden Medikamente geprüft. Eine kleine Diuretikadosis (6,25 mg Hydrochlorothiazid) war ähnlich gut wirksam wie 150 mg Aliskiren – beide senkten den diastolischen Druck um etwa 9 mm Hg. Eine deutlich stärkere Blutdrucksenkung liess sich mit der Kombination der beiden Medikamente erreichen; so ergab sich z.B. unter der Kombination von 300 mg Aliskiren und 12,5 mg Hydrochlorothiazid eine Senkung um 20/14 mm Hg.(8)
Aliskiren wurde auch mit mehreren Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten verglichen. In einer 8-wöchigen Studie mit 1123 Teilnehmenden wurde mit Aliskiren (150 bis 300 mg/Tag) eine ähnliche blutdrucksenkende Wirkung wie mit Valsartan (Diovan®, 80 bis 320 mg/Tag) erreicht; die Kombination der beiden Medikamente ergab ein ähnliches Resultat wie die Kombination von Valsartan (160 mg) mit Hydrochlorothiazid (12,5 mg/Tag), nämlich eine Blutdrucksenkung um etwa 17/12 mm Hg.(9) Aliskiren in einer Tagesdosis von 150 mg senkte den Blutdruck auch ebenso deutlich wie Irbesartan (Aprovel®, 150 mg/Tag).(6)
In einer grossen Doppelblindstudie erhielten 1797 Personen mit einem durchschnittlichen diastolischen Blutdruck zwischen 95 und 109 mm Hg zuerst während 4 Wochen täglich 150 mg Aliskiren, 160 mg Valsartan, beide Medikamente zusammen oder Placebo. Anschliessend wurden die Dosis der Medikamente für 4 weitere Wochen verdoppelt. Am Ende der Studie fand sich der durchschnittliche Blutdruck gegenüber den Anfangswerten unter Placebo um 5/4, unter Aliskiren allein um 13/9, unter Valsartan allein um 13/10 und unter der Kombination Aliskiren/Valsartan um 17/12 mm Hg gesenkt.(10)
In bisher noch nicht ausführlich veröffentlichten Studien wurde Aliskiren auch mit dem ACE-Hemmer Ramipril (Triatec® u.a.) und mit Amlodipin (Norvasc® u.a.) verglichen oder kombiniert worden und hat sich dabei als wirksame Komponente einer antihypertensiven Therapie gezeigt.(4)Studien, in denen eine Auswirkung von Aliskiren auf «harte» klinische Endpunkte (z.B. Schlaganfälle) gezeigt worden wäre, liegen bisher nicht vor.
Unerwünschte Wirkungen
Aliskiren verursacht dosisabhängig Durchfall. Unter der 300-mg-Tagesdosis wurde bei 2,3% der Behandelten Durchfall beobachtet, rund doppelt so häufig wie unter Placebo. Bei Frauen und Leuten über 65 tritt schon unter 150 mg/Tag ähnlich häufig Durchfall auf. Andere gastro-intestinale Symptome sind erst unter der 600-mg-Tagesdosis gehäuft. Es ist nicht klar, worauf diese Symptome beruhen. In Tierversuchen wurden unter hohen Aliskirendosen eine Hypertrophie der Kolonschleimhaut und zwei Fälle von Darmtumoren beobachtet.(11)
In Placebo-kontrollierten Studien wurde nur bei 1,1% der mit Aliskiren Behandelten Husten beobachtet (unter Placebo: 0,6%). In den Studien war Husten unter ACE-Hemmern zwei- bis dreimal häufiger als unter Aliskiren.
Andere Symptome, die unter Aliskiren häufiger als unter Placebo auftraten, waren: Exantheme (bei 1% der Behandelten), erhöhte Harnsäure oder Gicht, Nierensteine. Berichte über Einzelfälle von tonisch-klonischen Anfällen liegen vor.
Ein Angioödem unter Aliskiren ist offenbar eine sehr seltene Komplikation; generell traten Ödeme in den Aliskirengruppen nicht häufiger auf als in den Placebogruppen.(11) Dies trifft auch auf andere Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel, Müdigkeit usw. zu.
Aliskiren allein verursacht kaum einen Anstieg des Kaliumspiegels.Bei Diabeteskranken sind aber mit ACE-Hemmern zusammen bei rund 5% Kaliumspiegel über 5,5 mmol/l beobachtet worden, weshalb in solchen Fällen eine regelmässig Kontrolle der Kaliumspiegel und der Nierenfunktion empfohlen wird. Selten kann auch die Kreatinkinase ansteigen, was in Einzelfällen mit Muskelsymptomen assoziiert war.
Die Tatsache, dass Aliskiren nach dem Absetzen eventuell noch zwei Wochen lang nachwirkt, kann sich beim Auftreten einer Hypotonie ungünstig auswirken.
Interaktionen
Obwohl Irbesartan, Valsartan und Metformin (Glucophage® u.a.) zu einer mässigen Abnahme und Atorvastatin (Sortis®), Amlodipin sowie Ramipril zu einer Zunahme der Aliskiren-Plasmaspiegel führen können, dürfte diesen Interaktionen kaum klinische Bedeutung zukommen. Ketoconazol (Nizoral®) dagegen kann als starker CYP3A4-Hemmer praktisch eine Verdoppelung der Aliskiren-Plasmaspiegel verursachen. Wird Aliskiren zusätzlich zu Furosemid (Lasix® u.a.) verabreicht, so können die Furosemid-Spiegel um gegen die Hälfte abnehmen.(4)
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Aliskiren (Rasilez®) ist als Filmtabletten zu 150 mg und zu 300 mg erhältlich und ist in der Schweiz zur Behandlung der essentiellen Hypertonie kassenzulässig. Initial sollen einmal täglich 150 mg gegeben werden; die Dosis kann später auf das Doppelte gesteigert werden. Das Medikament kann mit anderen Antihypertensiva kombiniert werden. Wie andere Medikamente, die das RAS hemmen, ist auch Aliskiren in der Schwangerschaft mit Gefahren für das ungeborene Kind verbunden und sollte bei schwangeren Frauen möglichst rasch abgesetzt werden. Da eine Dokumentation bei stillenden Frauen sowie bei Kindern und Jugendlichen fehlt, darf Aliskiren bei diesen Personen nicht verwendet werden. Für Personen mit einer Kreatininclearance von weniger als 30 ml/min existieren keine Daten.
Die Monotherapie mit Aliskiren kostet CHF 1.70 bis 2.- täglich, also etwa drei- bis viermal mehr als eine ähnlich wirksame Therapie mit einem Generikum eines ACE-Hemmers.
Kommentar
Ein neuer Wirkungsmechanismus, eine gut dokumentierte blutdrucksenkende Wirkung: genügen diese Argumente, dass wir unseren Patientinnen und Patienten Aliskiren verschreiben sollten? Für eine negative Antwort auf diese Frage spricht primär die Tatsache, dass wir heute über mehrere Substanzen verfügen, die nicht nur den Surrogatendpunkt «Blutdruck» vorteilhaft beeinflussen, sondern nachgewiesenermassen die deletären Folgen der Hypertonie – Herzinfarkt, Schlaganfall – reduzieren. Noch weitere, auch nicht ganz belanglose Überlegungen sprechen gegen eine voreilige Adoption von Aliskiren. So ist nicht recht klar, ob das Medikament langfristig nicht doch gastro-intestinale Probleme verursachen könnte. Generell sind noch kaum Langzeiterfahrungen vorhanden. Ob der im Vergleich mit den ACE-Hemmern (und einzelnen Sartanen) deutlich höhere Preis gerechtfertigt ist, muss mindestens zur Diskussion gestellt werden. Vorderhand empfiehlt sich deshalb zweifellos, schon länger bekannten Antihypertensiva den Vorzug zu geben.
Literatur
- 1) Alderman MH et al. Am J Hypertens 1997; 10: 1-8
- 2) Moser M et al. J Clin Hypertens 2007; 9: 701-5
- 3) Sealey JE, Laragh JH. Am J Hypertens 2007; 20: 587-97
- 4) Frampton JE, Curran MP. Drugs 2007; 67: 1767-92
- 5) Vaidyanathan S et al. Clin Pharmacokinet 2007; 46: 661-75
- 6) Gradman AH et al. Circulation 2005; 111: 1012-8
- 7) Oh BH et al. J Am Coll Cardiol 2007; 49: 1157-63
- 8) Villamil A et al. J Hypertens 2007; 25: 217-26
- 9) Pool JL et al. Am J Hypertens 2007; 20: 11-20
- 10) Oparil S et al. Lancet 2007; 370: 221-9
- 11) http://www.fda.gov/cder/foi/label/2007/021985lbl.pdf
Standpunkte und Meinungen
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