Influenza A (H5N1)

Das aviäre Influenza-A-(H5N1)-Virus hat in mehreren asiatischen Ländern zu Influenza-Erkrankungen beim Menschen geführt und wird deshalb als eine mögliche Ursache einer Pandemie angesehen. Die aviäre Influenza («Vogelgrippe», «klassische Geflügelpest») ist keine neue Krankheit; erst in den letzten Jahren ist es jedoch zur Ausbreitung des hochpathogenen Virus A (H5N1) gekommen.

Grundlagen

Die aviäre Influenza wurde erstmals vor über 100 Jahren beschrieben; 15 bei Vögeln infektiöse Virus-Subtypen sind bekannt. Alle Vögel können erkranken, wobei je nach Virus ein gutartiger oder ein rasch letaler Verlauf möglich ist.1 Zugvögel gelten als natürliches Reservoir für aviäre Influenzaviren; Hühner und Truten sollen für Epidemien mit hoher Mortalität besonders anfällig sein. Auch Schweine können von aviären Influenza- Viren infiziert werden.
Influenzaviren sind genetisch labil, was immer wieder zu Änderungen ihrer Antigeneigenschaften führt («antigenic drift»). Influenzaviren können zudem genetisches Material untereinander austauschen, was zu einem neuen Viren-Subtyp führt («antigenic shift»). Dieser Austausch erfolgt in erster Linie in Lebewesen, die von verschiedenen Influenzaviren infiziert werden können. Dies ist z.B. für Schweine der Fall; einzelne Subtypen der Influenzaviren können sich jedoch auch beim Menschen «mischen». So kann aus verschiedenen Influenza-A-Subtypen ein neuer Subtyp entstehen, der besonders deshalb zu Epidemien führen kann, weil gegen diesen Subtyp keine Immunität vorhanden ist.1

In den letzten Jahren sind in Südostasien grosse Vogelepidemien mit dem Influenza-A-(H5N1)-Virus aufgetreten. Bisher sind Erkrankungen bei Menschen fast nur bei Personen aufgetreten, die direkten Kontakt mit erkrankten Vögeln hatten.2 Einige Fälle sollen auf der Übertragung zwischen Menschen der gleichen Familie oder auf dem Verzehr ungenügend gekochten Geflügelfleisches beruhen. Gemäss den Daten der WHO sind in Vietnam, Thailand, Kambodscha und Indonesien bis zum 24. Oktober 2005 beim Menschen 121 (H5N1)- Infektionen mit 62 Todesfällen beobachtet worden.3 Die grosse Mehrzahl der Fälle trat in Vietnam auf. In Thailand hat das Virus im Jahr 2004 zu mehr als 2500 nachgewiesenen Fällen von Influenza bei Hühnern und Enten geführt; über 60 Millionen Vögel wurden getötet. Im gleichen Jahr wurden in Thailand 17 Menschen infiziert und 12 sind daran gestorben.4 Auch Katzen können angesteckt werden.
Da das Influenza-A-(H5N1)-Virus auch ausserhalb lebender Organismen überlebt, ist es theoretisch möglich, dass man z.B. beim Schwimmen in kontaminiertem Wasser oder nach manuellem Kontakt mit unbelebten Infektionsträgern angesteckt werden kann.2

Klinik

Es ist nicht bekannt, wie häufig leichte oder subklinische Formen einer Influenza-A-(H5N1)-Infektion vorkommen. Zum Nachweis des Virus eignen sich in erster Linie Rachenabstriche (während bei gewöhnlicher menschlicher Influenza Nasenabstriche die zuverlässigeren Resultate ergeben). Das Resultat von Antigen-Schnelltests ist nicht verlässlich. Das Virus kann im Einzelfall für mehr als zwei Wochen nachweisbar bleiben. Virale DNA lässt sich oft auch in Stuhlproben nachweisen. 2
Unsere Kenntnisse zur Klinik beschränken sich auf Personen, die mit hohem Fieber und Symptomen seitens der unteren Atemwege hospitalisiert werden mussten. Wässeriger Durchfall kann den anderen Symptomen vorausgehen. Auch Erbrechen, Bauchschmerzen und Blutungen aus der Nasenoder Mundschleimhaut wurden beobachtet.2 Nach einer Woche fand sich fast bei allen diesen Kranken eine Pneumonie mit variablen Lungeninfiltraten. Im ungünstigen Fall kommt es weiter zur Ausbildung eines Atemnotsyndroms und zu multiplem Organversagen. Säuglinge und Kinder scheinen besonders gefährdet zu sein.

Vorgehen bei Personen mit Verdacht auf (H5N1)-Infekt

Bei Verdacht auf eine Infektion mit dem Influenza-A-(H5N1)- Virus empfiehlt die von der WHO beauftragte Arbeitsgruppe das folgende Vorgehen: Die erkrankte Person soll möglichst isoliert hospitalisiert werden und nach Bedarf zusätzlichen Sauerstoff und eine assistierte Ventilation zur Verfügung haben. Besondere Vorsicht ist geboten, um eine nosokomiale Verbreitung von mit der Luft verbreiteten Erregern zu verhindern. 2
Möglichst rasch soll eine Behandlung mit einem Neuraminidasehemmer begonnen werden – die beste Dosierung und die notwendige Verabreichungsdauer sind jedoch nicht bekannt. Tierversuche lassen vermuten, dass eine (H5N1)-Infektion mit höheren Dosen von Oseltamivir (Tamiflu®) und länger als eine gewöhnliche menschliche Influenza-Infektion behandelt werden sollte.2 Dabei ist zu beachten, dass in Vietnam bereits ein partiell gegen Oseltamivir resistentes (H5N1)-Virus beobachtet worden ist.5
Gegen Amantadin (Symmetrel®) und das verwandte, in der Schweiz nicht erhältliche Rimantadin sind die (H5N1)-Viren resistent. Ob andere antivirale Medikamente oder Immunmodulatoren (z.B. Kortikosteroide) einen Nutzen erbringen, ist unklar.

Vorbeugende Massnahmen

In Tabelle 1 ist eine Auswahl der von der WHO-Arbeitsgruppe erarbeiteten Empfehlungen zur Prävention zusammengestellt. Für Kontaktpersonen von Kranken mit einer (H5N1)-Infektion ist es primär von Bedeutung, elementare Hygieneprinzipien (Händewaschen, separate Verwendung von Besteck und Geräten) zu beachten und eventuell Schutzmasken zu tragen. Während einer Woche nach dem letzten Kontakt mit dem oder der Kranken sollten Kontaktpersonen zweimal täglich ihre Körpertemperatur messen und besonders auch auf Symptome achten. Eine prophylaktische Behandlung mit Oseltamivir (einmal täglich 75 mg, für 7 bis 10 Tage) wird ebenfalls empfohlen; verdichtet sich der Verdacht auf eine Ansteckung, so wird eine empirische Behandlung (zweimal täglich 75 mg) empfohlen.2

Kommentar

Die Schätzungen, wieviele Opfer eine Pandemie mit dem (H5N1)-Virus fordern würde, gehen weit auseinander. Auch ist trotz der neuerdings beobachteten Fälle bei Vögeln in Europa eine Pandemie nicht imminent. Dennoch ist es richtig, dass die WHO und die nationalen Gesundheitsbehörden Strategien ausgearbeitet haben, die einer allfälligen Pandemie mit Influenza- A-(H5N1)-Viren entgegenwirken. Die weitaus beste denkbare Massnahme wäre zweifellos eine spezifische Impfung gegen dieses Virus. Wann ein entsprechender Impfstoff bereit sein wird, ist jedoch zur Zeit noch unklar.
So beruht nun ein grosser Teil der geplanten Massnahmen auf Oseltamivir (Tamiflu®), ohne dass wir uns dabei auf harte Fakten stützen könnten. Es handelt sich vielmehr um eine Hoffnung, mit Oseltamivir etwas erreichen zu können, weil dieses Medikament über einen Wirkungsmechanismus verfügt, der es gegenüber allen Influenza-Viren als wirksam erscheinen lässt. Tatsächlich konnte in Tierversuchen auch eine Aktivität gegenüber (H5N1)-Viren gezeigt werden.6 Anderseits hat bisher nicht nachgewiesen werden können, dass Oseltamivir bei Risikopersonen gefährliche Komplikationen einer gewöhnlichen Influenza verhindert. In welchem Ausmass allenfalls mit gegen Oseltamivir resistenten (H5N1)-Viren gerechnet werden müsste, ist völlig unklar. Ob die aktuell gehorteten Oseltamivir- Mengen genügen würden, wenn höhere Dosen benötigt würden, ist ebenfalls unklar. In diesem Zusammenhang muss man sich auch fragen, weshalb die Option einer Kombination mit Probenecid (früher in der Schweiz: Benemid®) bisher nie untersucht wurde. (Mit Probenecid lässt sich die renale Ausscheidung von Oseltamivir stark reduzieren, was zu höheren Spiegeln des antiviralen Mittels führt.) Zusammenfassend lässt sich deshalb nur hoffen, dass Oseltamivir nicht benötigt wird.

Standpunkte und Meinungen

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Influenza A (H5N1) (25. Oktober 2005)
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pharma-kritik, 27/No. 6
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