Haben pränatale Steroide psychiatrische Folgen?

Die Verabreichung von Kortikosteroiden an Frauen, bei denen mit einer Frühgeburt vor der 34. Woche gerechnet werden muss, gilt als wichtiger Fortschritt in der Geburtshilfe. Bei sehr frühgeborenen Kindern kann so die Lungenreifung beschleunigt werden. Neuerdings wurde über eine Ausweitung der Indikation auf späte Frühgeburten (34.-36. Schwangerschaftswoche) und für Kaiserschnitte am Geburtstermin diskutiert. In einer retrospektiven Kohortenstudie aus Finnland wurde untersucht, ob eine pränatale Steroidbehandlung mit psychischen Störungen beim Kind assoziiert ist.1 Zwischen 2006 und 2017 konnten 14'868 Einzelgeburten mit pränataler Steroidexposition identifiziert und im Median 5,8 Jahre nachbeobachtet werden. Bei 1785 (12,0%) dieser Kinder fan­den sich psychische Störungen (Verhaltensauffälligkeiten, Autismus, ADHD u.a.), signifikant mehr als bei nicht-exponierten Kindern (6,4%). Der Unterschied ergab sich überwiegend bei den am Termin geborenen Kindern, für Frühgeborene betrug die entsprechende «Hazard Ratio» 1,0. Im begleitenden Editorial wird darauf hingewiesen,2 dass die Häufigkeit psychischer Störungen möglicherweise unterschätzt wurde, weil die Nachbeobachtungszeit relativ kurz war und nicht auch hausärztlich gestellte Diagnosen berücksichtigt wurden.

Verzerrungen vieler Art können in solchen Beobachtungsstudien nicht ausgeschlossen werden. Dennoch sollten Empfehlungen zur Ausweitung der Verabreichung von Steroiden wohl kritisch betrachtet werden, bis die Risiken, besonders für nahe am Termin geborene Kinder, besser untersucht sind.

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Haben pränatale Steroide psychiatrische Folgen? (30. August 2020)
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pharma-kritik, 42/No. 2
PK1108
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