Urininkontinenz bei Frauen

Das Wichtigste in Kürze

  • Ein ungewollter Harnverlust ist bei Frauen ein häufiges Problem, das altersabhängig zunimmt. Neben einer verminderten Lebensqualität ist die Urininkontinenz vor allem bei älteren Frauen auch mit einer erhöhten Morbidität verbunden.
  • Die häufigsten Formen sind die Belastungsinkontinenz, der Harnverlust bei hyperaktiver Blase – "Dranginkontinenz" – und die Mischinkontinenz mit Symptomen der beiden Typen.
  • Diagnose und Erstabklärung beinhalten eine gute Anamnese, eine gezielte internistische und vaginale Untersuchung sowie die Erhebung des Urinstatus und des Restharnes. Bei der Dranginkontinenz gehört ein Miktionstagebuch zum Standard.
  • Empfohlen wird eine schrittweise Therapie, die sich an der Art der Blasenschwäche und am Leidensdruck orientiert.
  • Bei der Belastungsinkontinenz steht ein möglichst intensives Beckenbodentraining im Vordergrund. Wenn sich so kein genügender Erfolg erreichen lässt, kann eine Operation mittels suburethraler Schlingenplastik helfen. Manchmal bringen therapeutische Pessare Hilfe. 
  • Für die Dranginkontinenz empfiehlt sich primär ein gezieltes Blasen- und Verhaltenstraining. Bei den Medikamenten (Anticholinergika und Mirabegron) müssen die unerwünschten Wirkungen gut beachtet werden. In schwierigen Fällen kommen Injektionen von Botulinumtoxin oder selten eine sakrale Neuromodulation in Frage.

Update

Seit 1994, als das Thema Urininkontinenz in dieser Zeitschrift letztmals besprochen wurde (1), hat eine Vielzahl von neuen Behandlungsmöglichkeiten Einzug in den klinischen Alltag gefunden. Neben einer Fülle von Medikamenten, meist zur Therapie der Dranginkontinenz, gibt es gute Daten zur Wirksamkeit des Blasen- und Beckenbodentrainings. Die Operationstechniken im Bereich der Belastungsinkontinenz haben sich mit der Schlingentechnik revolutioniert. Lokale Therapien wie urethrale Unterspritzungen, Injektionen von Botulinumtoxin und Neuromodulation vervollständigen die Palette der verfügbaren Optionen. Der vorliegende Text orientiert sich an verschiedenen neueren Übersichtsarbeiten und Meta-Analysen (2,3,4,5,6).

Die Urininkontinenz, definiert als unwillkürlicher Harnverlust, betrifft etwa 17% der erwachsenen Frauen mit steigender Tendenz im Alter. Es wird geschätzt, dass über 60% der Frauen in Altersheimen an einer Inkontinenz leiden. Mehr als die Hälfte der Betroffenen haben durch das ungewollte Einnässen eine beeinträchtigte Lebensqualität. Neben sozioökonomischen Mehrkosten geht die Blasenfunktionsstörung einher mit einem erhöhten Sturzrisiko im Alter, gehäuften Angststörungen, Depression, lokalen Hautinfekten und Urininfekten. Behandlungsansätze zielen darauf, die Symptome zu verringern und die Lebensqualität zu verbessern. Bei älteren Frauen ist eine vollständige Urinkontinenz allerdings häufig nicht möglich und es ist ratsam, dies den Patientinnen von Anfang an darzulegen.

Verschiedene Inkontinenztypen

In der Praxis sind überwiegend drei Inkontinenztypen von Bedeutung: die Belastungsinkontinenz (oder Stressinkontinenz), die Dranginkontinenz – die heute als (fakultatives) Element des Syndroms der hyperaktiven Blase aufgefasst wird – und die Mischinkontinenz mit Symptomen der beiden anderen Typen. Die Belastungsinkontinenz betrifft etwa 25-45% der Frauen über 30. An einer Dranginkontinenz leiden bis zu 30% der älteren Frauen. Die Prävalenz der Mischinkontinenz liegt bei 20-30%. Risikofaktoren für die Entwicklung einer Blasenschwäche sind neben dem Alter eine Adipositas und eine höhere Zahl von Geburten; polymorbide Frauen sind allgemein häufiger inkontinent. Direkt nach einer Vaginalgeburt kann eine reversible Inkontinenz auftreten. Der Einfluss von  Medikamenten und Getränken ist möglich, bisher aber nur wenig dokumentiert (siehe Tabelle 1). Im Einzelfall lohnt es sich jedoch, einen solchen Zusammenhang in Betracht zu ziehen.

Die Belastungsinkontinenz definiert sich durch einen unwillkürlichen Harnabgang bei Aktivitäten mit erhöhtem intraabdominalem Druck. Die Ursachen dafür liegen in einer Schwäche des Harnröhrenverschlusses oder einer urethralen Hypermobilität. Intensive sportliche Aktivitäten und möglicherweise auch ein Status nach Hysterektomie können für eine Inkontinenz mitverantwortlich sein (7). Die Frauen beschreiben ein Einnässen bei Husten, Lachen, Niesen (Grad I), beim Treppensteigen oder Gehen (Grad II) oder im Liegen (Grad III).  

Der bei der hyperaktiven Blase mit Inkontinenz («wet overactive bladder», wOAB) beobachteten Drang- oder Urge-Inkontinenz liegt eine erniedrigte Reizschwelle des Detrusors zugrunde. Dies widerspiegelt sich klinisch als imperativer und oft gehäufter Harndrang sowie einer Nykturie. Die Wegstrecke zur Toilette wird somit für ein unwillkürliches Einnässen mitverantwortlich, was einschneidende Folgen auf die Lebensqualität hat. Die gesteigerte Blasenaktivität nimmt meistens mit dem Alter zu; ihre Ursache ist in der Regel nicht bekannt. Eine Adipositas sowie verschiedene Medikamente haben das Potential, die Problematik zu verschlimmern (siehe Tabelle 1). Neurologische Erkrankungen und lokal irritierende Faktoren wie Infekte, Steinleiden oder Tumoren können sich unter dem Bild einer Dranginkontinenz manifestieren (7).

Mischformen der Drang- und Belastungsinkontinenz kommen oft vor; ihre Behandlung orientiert sich nach den jeweiligen richtungsweisenden Symptomen.

Seltenere Formen von Inkontinenz:

Verschiedene neurologische Erkrankungen (z.B. eine multiple Sklerose oder ein Morbus Parkinson) können zum Bild einer Dranginkontinenz führen, die als neurogene Überaktivität der Blase bezeichnet wird.

Die sogen. Überlaufinkontinenz, begleitet von chronischer Restharnbildung, ist bei Frauen am häufigsten durch einen relevanten Genitaldeszensus verursacht. Die chronische Überdehnung der Blasenwand hat dabei auch zur Folge, dass die Detrusorfunktion nicht mehr genügt. Eine reduzierte Detrusorfunktion kann ferner medikamentös-toxisch oder neurogen (z.B. infolge einer autonomen Polyneuropathie bei Diabetes) verursacht sein.

Von einer funktionellen Inkontinenz spricht man, wenn eigentlich keine Blasenfunktionsstörung vorliegt, es aber aufgrund anderer Faktoren wie Mobilitätseinschränkungen oder kognitiver Einbussen zum Einnässen kommt.

Diagnose und Abklärung

Die Diagnosestellung beruht auf einer guten Anamnese bezüglich der Dauer und Art der Miktionsbeschwerden. Neben dem Trinkverhalten und dem Leidensdruck müssen die persönliche, gynäkologische und Sozialanamnese berücksichtigt werden. Faktoren wie Medikation, Alkohol- und Kaffeekonsum, Obstipation und reduzierte Mobilität können eine weitere Rolle spielen. Besonderes zu beachten sind Hinweise auf allenfalls notwendige fachärztliche Konsilien (z.B. Anzeichen eines Genitaldeszensus oder eines Tumors, Hämaturie, Schmerzen).  Die körperliche Untersuchung fokussiert auf eine relevante neurologische Erkrankung inklusive Demenz, das Vorhandensein einer Herzinsuffizienz und weiteren Erkrankungen mit einer Einschränkung der Mobilität.

Die Erstabklärungen werden mit einem Urinstatus zum Ausschluss eines Urininfektes oder relevanten Hämaturie und einer Restharnbestimmung abgerundet. Eine vaginale Untersuchung ermöglicht es, einen relevanten Genitalprolaps, tumoröse Veränderungen, die Kontraktionsfähigkeit der Beckenbodenmuskeln sowie eine allfällige Atrophie der Vaginalschleimhaut zu erfassen. Bei unkomplizierter Inkontinenz erübrigt sich eine urodynamische Abklärung. Bei erhöhtem Restharn, Schmerzen, neurologischen Ursachen, Inkontinenz seit der Kindheit, schweren genitalen Senkungszuständen, Hämaturie oder rezidivierenden Harnwegsinfekten ist es ratsam, Fachpersonen aus den entsprechenden Disziplinen beizuziehen (7).

Bei einer Drang- und Mischinkontinenz ist es sinnvoll, die Trinkmenge, die Miktionsvolumina und die Inkontinenzepisoden mittels eines Miktionstagebuchs zu erfassen. Deutschsprachige Beispiele solcher Tagebücher können aus dem Internet heruntergeladen werden (Beispiel: https://pkweb.ch/protokoll).

Behandlungsstrategien

Es empfiehlt sich eine schrittweise Therapie, die sich an der Art der Blasenschwäche und am Leidensdruck orientiert. Allgemeingültige Massnahmen kommen für alle zum Zuge. Die Belastungsinkontinenz wird mit möglichst intensivem Beckenbodentraining behandelt, bevor bei Versagen operiert wird. Ergänzend können manchmal therapeutische Pessare Hilfe bringen. Periurethrales Bulking und Medikamente spielen eine untergeordnete Rolle. Für die Dranginkontinenz empfiehlt sich als Erstlinientherapie ein gezieltes Blasentraining. Als nächster Schritt können Medikamente verschrieben werden, die zu einer Relaxation des Detrusors führen. In schweren Fällen kommen Injektionen von Botulinumtoxin und eine sakrale Neuromodulation in Frage.


Allgemeine Massnahmen

Obwohl die Datenlage zur Wirksamkeit bescheiden ist, empfiehlt es sich, Faktoren wie Obstipation, unnötige Medikamente und einen zu hohen Kaffee- oder Alkoholkonsum zu besprechen. Beachtung ist einer angemessenen, aber nicht übermässigen Flüssigkeitszufuhr (1½ bis 2 Liter/Tag) zu schenken. Ein Gewichtsverlust von etwa 10% bei adipösen Frauen wirkt sich nachweislich positiv auf den Harnverlust aus. Für gebrechliche Leute lohnt es sich, die Bedingungen für einen erfolgreichen Toilettengang zu optimieren (Distanz, leicht zu öffnende Kleidung, Verfügbarkeit einer Pflegeperson, eventuell geregelte Toilettenzeiten).

Behandlung der Belastungsinkontinenz

Erstlinientherapie

Das Beckenbodentraining ist nachweislich eine der erfolgreichsten nicht-operativen Therapien der Belastungsinkontinenz und stellt den Grundpfeiler der Behandlung dar. Richtig und genug lange praktiziert werden annähernd 60% der Frauen innerhalb eines Jahres kontinent (8). Das heisst: bei jeder zweiten Frau verbessern sich die Symptome und jede dritte Frau hat keinen ungewollten Harnverlust mehr. Beispielsweise kann empfohlen werden, die Beckenbodenmuskeln 30-mal pro Tag anzuspannen und jede Kontraktion für zehn Sekunden anzuhalten. Das Beckenbodentraining kann allenfalls durch verschiedene Hilfsmittel (Biofeedback, Elektrostimulation über vaginale Konen) ergänzt werden (9,10). Für einen optimalen Behandlungserfolg lohnt sich eine physiotherapeutische Unterstützung.

Zweitlinientherapie

Therapeutische Tampons und Pessare können die Zeit bis zu einem Operationstermin überbrücken oder situationsbedingt, z.B. während einer Schwangerschaft oder bei sportlichen Aktivitäten zur Anwendung kommen. In der Schweiz sind Inkontinenztampons aus Polyvinylschaumstoff (z.B. Contam®, Contrelle®, Recafem®) sowie Pessare aus Silikon erhältlich. Dabei ist bei Frauen nach der Menopause auf eine gute Östrogenisierung des Vaginalepithels zu achten, auch um das Risiko von lokalen Ulzerationen zu verringern. Die Handhabung und ein guter Sitz der Pessare sind jedoch oft problematisch. 

Medikamente sind dem Beckenbodentraining signifikant unterlegen. Zurzeit sind keine Mittel bekannt, die offiziell zur Behandlung der Belastungsinkontinenz zugelassen sind. Zwar sind mit Alpha-Agonisten wie z.B. Midodrin (Gutron®) Studien durchgeführt worden (5). Die Resultate entsprechen aber keinem vorteilhaften Nutzen/Risiko-Profil. Auch das Antidepressivum Duloxetin (Cymbalta®) soll alpha-adrenerge Eigenschaften haben, überzeugt jedoch ebenfalls nicht. Diese Medikamente sollten deshalb auch nicht «off label» eingesetzt werden.

Keinen Stellenwert haben trizyklische Antidepressiva und systemische Hormone. Lokal applizierte Östrogene verbessern die Inkontinenz, die Datenlage ist aber diesbezüglich unzureichend. Anderseits können Östrogene weitere Vorteile haben (z.B. Verbesserung der urogenitalen Trophik). Sie haben einen adjuvanten Effekt zusammen mit einem Beckenbodentraining.

Drittlinientherapie

Die submukosale Augmentations-Injektion der Harnröhre, periurethrales Bulking genannt, unterstützt den Harnröhrenverschluss. Damit soll eine Kontinenzrate von 25 bis 37% erreicht werden. Zurzeit mangeln jedoch noch qualitativ gute Daten, die eine Wirksamkeit dokumentieren würden (eine entsprechende Studie ist noch im Gange). Mögliche unerwünschte Wirkungen sind Urinretention, Drangsymptome, Dysurie und Infektionen.

Auch die sonst eher bei hyperaktiver Blase eingesetzte Neuromodulation kann allenfalls zu einer Besserung der Belastungsinkontinenz beitragen.

Operation

Die heute bei Belastungsinkontinenz durchgeführten Operationen haben sehr gute Erfolgsraten. Die suburethralen Schlingenplastiken gelten als Goldstandard; sie haben die Kolposuspension abgelöst. Gemäss verschiedenen Übersichten werden damit bei 65 bis 90% der Patientinnen eine Kontinenz und bei noch mehr Frauen weitgehende Beschwerdefreiheit erreicht (11). Die am häufigsten angewandten Techniken werden mit «tension-free obturator tape» (TOT) und mit «retropubic tension-free vaginal tape» (TVT) bezeichnet. Unterschiede bestehen hinsichtlich der möglichen Komplikationen (12): Nach TOT kommt es häufiger zu Bandarosionen in den seitlichen Vaginalsulci und zu Schmerzen an der Oberschenkel-Innenseite. Bei TVT sind Überkorrektur und Blasenperforationen häufiger. 

Behandlung der Dranginkontinenz

Erstlinientherapie

Das gezielte Blasentraining, gekoppelt mit Beckenbodengymnastik, nützt jeder zweiten Frau und ist, konsequent durchgeführt, bei hyperaktiver Blase einer medikamentösen Behandlung ebenbürtig oder sogar wirksamer. Es lohnt sich deshalb, die Patientinnen mit Geduld und Ausdauer zu beraten und zu begleiten. Anhand des Miktionstagebuches kann ein individueller Plan erarbeitet werden. Die Trinkmenge (1½ bis 2 Liter pro Tag) sollte in der Regel regelmässig auf den Tag verteilt werden, wobei innerhalb von zwei Stunden vor dem Schlafengehen besser auf Getränke verzichtet wird. Verhaltenstherapeutische Interventionen zögern den Blasenentleerungsreflex allmählich hinaus. Beispielsweise sollen die Frauen bei Harndrang ihre Beckenbodenmuskeln schnell mehrmals anspannen, Ablenkung suchen und langsam zur Toilette gehen. Ziel ist es, das Miktionsintervall zu verlängern und gleichzeitig den Entleerungsrhythmus der individuellen Blasenkapazität anzupassen.

Zweitlinientherapie

Die Tabelle 2 vermittelt eine Übersicht zu den in der Schweiz verfügbaren Medikamenten, die bei hyperaktiver Blase verwendet werden können.

Anticholinergika blockieren die muskarinischen M2- und M3-Rezeptoren in der glatten Muskulatur des Detrusors, wobei der M3-Subtyp hauptsächlich für die Blasenkontraktion verantwortlich ist. Die verschiedenen Anticholinergika sind sich in ihrer Wirkung fast ebenbürtig. Ihr Einfluss bleibt bescheiden und ist jenem des Blasentrainings unterlegen. Die «Number Needed to Treat» (NNT), um bei einer Frau eine Besserung bzw. eine Kontinenz zu erreichen, liegt bei 6-10 bzw. bei 8-12. Die anticholinergen Auswirkungen in anderen Organen sind mit störenden Symptomen (Tachykardie, Mund- und Augentrockenheit, Obstipation, verschiedene neuro-psychiatrische Probleme u.a.) verbunden und sollten besonders bei älteren Leuten – die oft einer hohen anticholinergen Belastung ausgesetzt sind (13) – beachtet werden. Ob neuere Mittel wie z.B. Darifenacin (Emselex®) wegen ihrer höheren Selektivität für den M3-Rezeptor geringere zentralnervöse Probleme verursachen, ist ungenügend nachgewiesen. Kontraindikationen (z.B. Engwinkelglaukom, Myasthenia gravis, reduzierte Darmmotilität, Harnverhaltung, Tachyarrhythmien) sind dennoch zu beachten. Diese Medikamente sollten bei älteren Frauen möglichst zurückhaltend eingesetzt werden.

Der adrenerge Beta-Agonist Mirabegron (Betmiga®) führt via die β3-Rezeptoren ebenfalls zur Relaxation des Detrusormuskels, ergibt aber nicht bessere Resultate als die Anticholinergika. Als Nebenwirkungen von Mirabegron stehen kardiovaskuläre Auswirkungen (z.B. Blutdruckanstieg) und gastrointestinale Symptome im Vordergrund.

Es ist auch untersucht worden, ob die Zugabe von Mirabegron zu einem Antimuskarinikum Vorteile bringt. So lässt sich mit der niedrigeren Dosis von Solifenacin (Vesicare®, 5 mg/Tag) in Kombination mit Mirabegron ein bezüglich Inkontinenz ähnliches Resultat wie mit einer höher dosierten Solifenacin-Monotherapie erreichen (14). Die Kombination verursacht jedoch etwas weniger anticholinerge Nebenwirkungen. Einzelne Frauen können deshalb von dieser Kombination profitieren (15). Bisher sind keine anderen Anticholinergika mit Mirabegron zusammen geprüft worden.

Zusätzlich können intravaginale Östrogene verschrieben werden. Gute Studien zur Wirksamkeit fehlen allerdings; in Übersichtsarbeiten wird dennoch bei Frauen nach der Menopause eine positive Wirkung angenommen.

Drittlinientherapie  

Zur Behandlung einer anderweitig therapieresistenten Dranginkontinenz stehen weitere Methoden zur Verfügung.

Die zystoskopische Injektion von Botulinum-A-Toxin (Botox® u.a.) blockiert die präsynaptische Ausschüttung von Acetylcholin an der neuromuskulären Endplatte und führt zu einer Erschlaffung des Detrusormuskels. Mit einer Dosis von 100 bis 300 E kann bei rund 30% der Behandelten 12 Wochen nach der Injektion eine vollständige Kontinenz festgestellt werden. Die Wirkung der höheren Dosen (200 und 300 E) hält sechs bis zwölf Monate an (16). Bei Frauen, die mit Anticholinergika kein gutes Resultat erreicht haben, ergibt die Botulinum-Injektion oft eine Besserung (17). Mögliche Nebenwirkungen, mindestens teilweise dosisabhängig, sind höhere Restharnmengen und Harnwegsinfekte. Es besteht jedoch kein Konsens, welche Menge Restharn wirklich klinisch relevant ist. Einzelne Fachleute raten dabei, den Patientinnen die Selbstkatheterisierung zu empfehlen. Wer Tierversuchen gegenüber skeptisch eingestellt ist, muss zur Kenntnis nehmen, dass noch heute für jede neue Botulinum-Charge die Letalitätsdosis an Mäusen neu ausgetestet werden muss.

Die nicht-segmentale perkutane Neuromodulation des N. tibialis posterior ist eine weitere, nebenwirkungsarme Methode zur Verminderung der Detrusorüberreaktivität. Gepoolte Daten für verschiedene nicht-invasive Neuromodulationen ergaben – ungeachtet des Inkontinenztyps – im Vergleich zu keiner Therapie eine signifikante Verbesserung (Odds Ratio von 4,18, 95%-Vertrauensintervall 2,7-6,5) (5).

Für eine refraktäre Dranginkontinenz kommt ferner die chirurgische Implantation eines Blasenschrittmachers (sakrale Neuromodulation) in Frage. Die elektrische Stimulation der S3-Wurzeln erzielt in 30 bis 50% der Fälle eine Kontinenz. Mit einer Besserung ist bei 60 bis 90% der Betroffenen zu rechnen. Das Gerät muss jedoch innerhalb von 5 Jahren bei rund einem Drittel der Behandelten ersetzt oder entfernt werden (18). 

Behandlung anderer Inkontinenz-Formen

Bei der häufig vorliegenden Mischinkontinenz kommen die verschiedenen oben genannten Therapieansätze zum Zuge, wobei entsprechend der Symptomatik individuell mehr Drang- oder Belastungsinkontinenz-Therapien bevorzugt werden. Die Hauptpfeiler sind das kombinierte Beckenboden- und Blasentraining, mit dem sehr gute Erfolge erzielt werden (NNT für eine Besserung 3, für Kontinenz 6).

Modifizierbare Ursachen einer Überlaufinkontinenz sollten wenn möglich eliminiert werden. Wesentlich sind eine gute Medikamentenanamnese und der Ausschluss einer mechanischen Obstruktion. Eine irreversible Überlaufblase macht intermittierende Katheterisierungen – möglichst von der Patientin selbst ausgeführt –  oder einen Dauerkatheter notwendig.

Bei einer funktionellen Inkontinenz sind Verhaltensmassnahmen und Umgebungsanpassung die wichtigsten Behandlungsstrategien.

Literatur

  1. 1) Beutler M. Urin-Inkontinenz. pharma-kritik. 1994; 16: 21-24 (pk482)
  2. 2) Hu JS, Pierre EF. Urinary Incontinence in Women: Evaluation and Management. Am Fam Physician. 2019;100(6):339-348
  3. 3) Lukacz ES, Santiago-Lastra Y, Albo ME, Brubaker L. Urinary Incontinence in Women: A Review. JAMA. 2017;318(16):1592-1604
  4. 4) Qaseem A, Dallas P, Forciea MA, et al. Nonsurgical management of urinary incontinence in women: a clinical practice guideline from the American College of Physicians [published correction appears in A
  5. 5) Balk EM, Rofeberg VN, Adam GP, Kimmel HJ, Trikalinos TA, Jeppson PC. Pharmacologic and Nonpharmacologic Treatments for Urinary Incontinence in Women: A Systematic Review and Network Meta-analysis of C
  6. 6) Shamliyan T, Wyman JF, Ramakrishnan R, Sainfort F, Kane RL. Benefits and harms of pharmacologic treatment for urinary incontinence in women: a systematic review. Ann Intern Med. 2012;156(12):861-W310
  7. 7) Humburg J. Urininkontinenz der Frau: Was ist sinnvoll in der hausärztlichen Praxis? Schweiz Med Forum 2011;11(46):830-836
  8. 8) Riemsma R, Hagen S, Kirschner-Hermanns R, et al. Can incontinence be cured? A systematic review of cure rates. BMC Med. 2017;15(1):631
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  10. 10) Stewart F, Berghmans B, Bø K, Glazener CM. Electrical stimulation with non-implanted devices for stress urinary incon-tinence in women. Cochrane Database Syst Rev. 2017;12(12):CD012390
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  14. 14) Herschorn S, Chapple CR, Abrams P, et al. Efficacy and safety of combinations of mirabegron and solifenacin compared with monotherapy and placebo in patients with overactive bladder (SYNERGY study). B
  15. 15) Allison SJ, Gibson W. Mirabegron, alone and in combination, in the treatment of overactive bladder: real-world evi-dence and experience. Ther Adv Urol. 2018;10(12):411-419
  16. 16) Gong QQ, Xu YQ, Xu J, Ding XY, Guo C. Meta-Analysis of Randomized Controlled Trials Using Botulinum Toxin A at Different Dosages for Urinary Incontinence in Patients With Overactive Bladder. Front Pha
  17. 17) Brennan A, Hickey M. Botulinum toxin in women's health: An update. Maturitas. 2019;119:21-24
  18. 18) Chughtai B, Thomas D, Sun T, Sedrakyan A. Failures of Sacral Neuromodulation for Incontinence. JAMA Surg. 2018;153(5):493-494

Standpunkte und Meinungen

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Urininkontinenz bei Frauen (27. August 2020)
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